Varieties of the Civilizing Mission. World Order, Empire, and Legitimacy in the Modern Era

Varieties of the Civilizing Mission. World Order, Empire, and Legitimacy in the Modern Era

Organisatoren
Jürgen Osterhammel; Konstanzer SFB 485 "Norm und Symbol"
Ort
Konstanz
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.09.2003 - 27.09.2003
Von
Martin Eberhardt

Seit dem 18. Jahrhundert diente die Behauptung, rückständige Teile der Welt zivilisieren zu müssen, als moralisch-legitimatorische Grundlage der europäischen Expansion. Europa hatte sich selbst den Auftrag gegeben, diese Mission zu erfüllen und wurde in dieser Zeit von einer lernenden zu einer predigenden Zivilisation, ohne seine Mission jemals klar zu definieren. Um die "civilizing mission" eingehend zu untersuchen, fand vom 25. bis 27. September 2003 an der Universität Konstanz eine von Jürgen Osterhammel im Zusammenarbeit mit dem Konstanzer SFB 485 "Norm und Symbol" organisierte Konferenz unter dem Titel "Varieties of the Civilizing Mission" statt. Drei Tage befaßten sich Historiker aus Deutschland, den USA, Großbritannien, der Schweiz und Irland mit den Fragen nach Erscheinungsformen, Möglichkeiten, Grenzen und Konsequenzen der Zivilisierungsmission. Zahlreiche Vorträge, von denen hier einige kurz zusammengefaßt sind, beleuchteten das Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln.

In der "Keynote Address" sorgte Andrew Porter (London) für begriffliche Klarheit. Er trennte christliche Mission und "civilizing mission" deutlich voneinander. Die Rolle der Missionsgesellschaften müsse mehr im Licht christlichen Sendungsbewußtseins und theologischer Überlegungen betrachtet werden. Die Arbeit christlicher Missionsgesellschaften in den europäischen Kolonialreichen dürfe nicht auf die eines Erfüllungsgehilfen der staatlichen "civilizing mission" reduziert werden, meinte Porter, der durchaus einräumte, daß die christliche Missionstätigkeit mit der "civilizing mission" verbunden war. Diese These stützte Porter, indem er betonte, daß die koloniale Expansion europäischer Mächte in den 1870er Jahren mit einem Machtverlust der islamischen Welt zusammenfiel und Muslime zunehmend unter die Herrschaft europäischer Mächte gerieten. Dies gab den Missionsgesellschaften neuen Auftrieb, nachdem ihre Arbeit in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Krise erlebt hatte. Die Umgestaltung nichteuropäischer Gesellschaften lehnten die Missionare jedoch ab und versuchten sich weitgehend unabhängig von staatlichen Eingriffen zu halten. Kolonialverwaltungen warfen den Missionaren deshalb oft vor, sie würden mit den unzivilisierten Wilden kooperieren, wie Porter herausstellte und damit in der anschließenden Diskussion auf breite Zustimmung stieß.

Die schwierige Aufgabe, eine moralische Rechtfertigung der "civilizing mission" zu definieren, übernahm der Philosoph Wolfgang Schröder (Tübingen). Sein dem philosophischen Denken Europas folgender Ansatz führte jedoch zum Vorwurf, nicht universalisierbar zu sein. Schröder unterschied in seiner Analyse die normative Idee einer "Zivilisation", die von zeitlosen und universalisierbaren kulturellen Werten geprägt wird, von empirischen "Zivilisationsstufen", die aus historischen Prozessen entstehen. "Civilizing missions" seien deshalb legitimierbar, wenn und insoweit sie ein Projekt bestimmen, das den universalistischen normativen Ideen von Zivilisation entspricht. Zwei Imperative seien daher zu beachten: es müssen politische und juristische Institutionen verbreitet werden, die eine Ethik gegenseitigen Respekts schaffen und die Fähigkeiten der Bürger fördern, ihre sozialen Umstände selbst zu gestalten. Zweitens dürfe diese Verbreitung niemals in einer Weise erfolgen, die der Grundidee von Zivilisation widerspricht.

Schröders philosophischer Ansatz stieß auch dort auf Kritik, wo es um die Frage der Übertragbarkeit auf historische Prozesse geht, also Formen von Macht in den Mittelpunkt rückten, die sich über Legitimation schlicht hinwegsetzten. Wie schnell die Idee einer "civilizing mission" entstellt werden kann, auch wenn es nicht um Macht geht, erläuterte in einem kontrovers diskutierten Vortrag Boris Barth (Konstanz) anhand der Rassenideen. Davon ausgehend, daß eine "civilizing mission" eine asymmetrische Beziehung von zwei potentiell gleichwertigen Partnern unterstellt, wobei dem unterlegenen die Möglichkeit offensteht, nach einer gewissen Zeit der Erziehung mit dem überlegenen auf eine Stufe zu treten, sah Barth diese Möglichkeit durch den Einzug des Konzepts der "Rasse" in die europäische Expansion unmöglich gemacht. Dabei waren es vor allem Kolonien weißer protestantischer Siedler, die ohne starke staatliche Kontrolle ihre Sozialutopien umsetzen konnten, die von schwarzen Sklaven bzw. einheimischer afrikanischer Arbeit abhängig waren und deren regionale Kirchen ohne Bindung an eine übergeordnete kirchliche Instanz von den Siedlern ideologisch abhängig waren, wie Barth anhand eines Vergleichs von Virginia, Deutsch-Südwestafrika und den Burenrepubliken zeigte. Diese These stieß auf Kritik verschiedener Teilnehmer, die einwandten, daß der koloniale Staat im südlichen Afrika nicht schwach war und Rassenkonzepte in Nordamerika erst auftauchten, als es um die Rechtfertigung profitabler Sklavenhalterökonomien ging.

Allerdings zeigte der Beitrag von Michael Broers (Princeton/Aberdeen) über die französische "civilizing mission" im napoleonischen Zeitalter, daß der Zivilisierende nicht automatisch der Versuchung erliegen muß, seine eigene, für überlegen gehaltene Kultur auch als "rassisch" überlegen zu betrachten. Broers machte deutlich, daß sich in der französischen Debatte klar das Konzept der Aufklärung durchsetzte, die die Umwelt als das entscheidende Kriterium bei der Gestaltung von Gesellschaft ansah. Daß die zivilisationsmissionarische Tätigkeit beim Missionierenden gleichzeitig zu einem Gefühl kultureller Überlegenheit führen konnte, zeigte neben Broers auch Dittmar Dahlmann (Bonn) am Beispiel der russischen Herrschaft in Sibirien.

Einen bemerkenswerten Vortrag über die Frage nach der internen Dimension der "civilizing mission" und den dem Kolonialstaat gesetzten Grenzen, der von den Konferenzteilnehmern als Beleg für die Fragilität der europäischen Kolonialreiche gewertet wurde, hielt Harald Tischer-Tiné (Berlin). Am Beispiel von Angehörigen weißer Unterschichten im kolonialen Indien zeigte er, daß deren Existenz den Kolonialstaat vor große Herausforderungen stellte, legte ihr bloßes Vorhandensein den kolonisierten Indern doch nahe, daß es keine natürliche Überlegenheit des weißen Mannes gebe. "Arme Weiße" waren eine innere Gefahr für die "civilizing mission" und die Einrichtung von Arbeitshäusern für Europäer in Indien, in denen Insassen zum Leben nach europäischen Normen erzogen werden sollten, diente einerseits dazu, den Abstand von Kolonialherren und Kolonisierten aufrechtzuerhalten, aber andererseits auch dazu, eine nach innen gerichtete Zivilisierung durchzuführen, um den Abstand zwischen den weißen Klassen zu wahren.

Andreas Eckert (Hamburg) widmete sich in seinem Vortrag der Frage, welche Handlungsspielräume die europäische Kolonialherrschaft der afrikanischen Bevölkerung eröffnete. Am Beispiel der Einführung moderner Bürokratien nach europäischem Vorbild griff er die aktuelle Forschungsdebatte auf und zeigte, wie afrikanische Verwaltungsmitarbeiter durch ihre Position zwischen Kolonialherrschaft und traditioneller Herrschaft sowie ihre Rolle als Herren über die Informationsströme die Absichten der Kolonialverwaltung unterlaufen und die traditionelle Strukturen erhalten bzw. stärken konnten. Auf diese Weise steuerten Afrikaner die "civilizing mission" in eine Richtung, die sie selbst für erstrebenswert hielten, begrenzten damit aber auch deren Reichweite, etwa wenn Verwaltungsmitarbeiter mit ihren erlernten literarischen Fähigkeiten begannen, traditionelles Wissen zu verschriftlichen. Der vom Glauben an die unbegrenzten eigenen Möglichkeiten gespeiste Gedanke europäischer Kolonialherren, das als chaotisch und bedrohlich empfundene Afrika mittels Bürokratie zu zivilisieren, scheiterte so zumindest teilweise.

Während Eckert die Veränderung der "civilizing mission" durch die zu zivilisierenden Afrikaner in den Vordergrund rückte, zeigte Marc Frey (Köln/Wassenaar) am Beispiel US-amerikanischer Entwicklungspolitik in Südostasien während der 1950er Jahre, wie schnell eine "civilizing mission" scheitern kann, wenn die von Wolfgang Schröder zu Beginn der Konferenz postulierten Imperative nicht befolgt werden. Die USA betrachteten sich als Sendboten einer überlegenen soziopolitischen Ordnung, sowie technischen und sozialen Fortschritts, der der Bevölkerung in den verbündeten asiatischen Staaten all dies vermitteln wollte und sich dabei an Rostows linearem Entwicklungsmodell orientierte, ohne lokale Gegebenheiten zu beachten. Da sich die USA dabei auf alte, autoritär herrschende Eliten stützten, die die amerikanische "civilizing mission" nur übernahmen, wenn ihre Interessen nicht gefährdet wurden, und es so nicht gelang, die Lebensumstände der Bevölkerung zu verbessern, entstand eine Ablehnung des "informal empire" der USA in Südostasien. Amerika gelang es nicht, in Südostasien eine Hegemonie vergleichbar der in Westeuropa zu schaffen.

Die globale Dimension der "civilizing mission" betonte Frank Ninkovich (New York). Er plädierte dafür, die 1890er Jahre als einen Bruch in der Geschichte der amerikanischen Expansion anzusehen und den Eintritt der aufstrebenden Weltmacht USA in die imperiale Betätigung nicht als bloße Fortsetzung ihrer kontinentaler Expansion zu werten. Ninkovich widersprach der Auffassung vom amerikanischen Isolationismus und betonte dagegen das Interesse der USA an den kolonialen Aktivitäten der europäischen Mächte, die amerikanische Überzeugung, die Ausbreitung überlegener Zivilisation wäre eine weltweite Aufgabe, und den amerikanischen Glauben an Veränderbarkeit und Gestaltungsfähigkeit. Damit verknüpfte Ninkovich den Imperialismus der USA mit der (aktuell diskutierten) Globalisierung.

Die von Jürgen Osterhammel eingeleitete Schlußdiskussion erbrachte als Ergebnis einige wesentliche Charakteristika der "civilizing mission", die Osterhammel als säkulares Elitenprojekt bezeichnete, das aus der europäischen Aufklärung entstanden sei, einen globalen Universalismus erzeugt und in den meisten Fällen ein staatliches Unternehmen sei. Am Ausgangspunkt der "civilizing mission" stehe die Gewißheit des Zivilisierenden, selbst bereits zivilisiert zu sein, denn nur so ist er in der Lage, andere zu zivilisieren. Die Vorstellung, daß es gefährliche und unzivilisierte Wilde oder wenigstens rückständige Länder gibt, ist elementare Voraussetzung der "civilizing mission", denn ohne sie verliert sie sowohl ihr eigenes Betätigungsfeld als auch ihre Legitimation, wie am Ende der Diskussion hervorgehoben wurde.

Dabei dient die "civilizing mission" auch und gerade der Selbstvergewisserung des Zivilisierenden, fördert also dessen Gefühl eigener Höherwertigkeit und eigener Überlegenheit, was vielleicht einer ihrer bemerkenswertesten Züge ist. Sie ist zwar nach außen gerichtet, Auswirkungen nach innen sind aber völlig unvermeidlich. Der Zivilisierende wird durch die Ausübung seiner Mission verändert. Eine Mission, die nicht auch den Missionierenden verändert, erschien allen Teilnehmern undenkbar. Dazu gehört auch, daß es eine vollständig nach den Vorstellungen des Zivilisierenden umgesetzte Mission nicht geben kann. Es geht viel mehr um die Frage kultureller Anleihen, denn ein Kulturtransfer kann nur stattfinden, wo es die zu Zivilisierenden auch wirklich wünschen. Dies leitete über zu den Grenzen der "civilizing mission". Es herrschte Konsens darüber, daß sie dort ihr Ende findet, wo sie den Gedanken einer kulturellen Koexistenz verläßt, wo sie den modernen Rassismus als Ideologie von der natürlichen Höherwertigkeit der "weißen Rasse" aufnimmt, also die Zivilisierungsfähigkeit anderer "Rassen" und somit sich selbst in Frage stellt und wo sie nur noch als Legitmierung der nackten Ausbeutung bzw. der Ausdehnung eigener Machtpositionen auf Kosten anderer dient.

Vermisst wurde in der Schlußdiskussion jedoch die Frage nach Reaktionen auf die "civilizing mission". Umstritten blieb auch der Fokus der Konferenz. Die Verengung der "civilizing mission" auf vor allem protestantische Länder Mittelnordeuropas seit dem 18. Jahrhundert wurde als problematisch gesehen. Erweiterte Erkenntnisse - so wurde vorgeschlagen - könnte eine Untersuchung der Rolle des katholischen Spanien in der frühen Neuzeit ergeben oder, noch weitergehend, die "civilizing mission" des Römischen Imperiums in der Antike.

http://www.uni-konstanz.de/FuF/sfb485/Tagungen/b6_tagungsbericht.htm
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