Über die ganze Erde erging der Name von Konstanz. Rahmenbedingungen und Rezeption des Konstanzer Konzils

Über die ganze Erde erging der Name von Konstanz. Rahmenbedingungen und Rezeption des Konstanzer Konzils

Organisatoren
Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg; in Zusammenarbeit mit: Verein für Kirchengeschichte in der Evangelischen Landeskirche in Baden; Kirchengeschichtlicher Verein für das Erzbistum Freiburg; Geschichtsverein der Diözese Rottenburg-Stuttgart; Verein für württembergische Kirchengeschichte
Ort
Konstanz
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.05.2014 - 31.05.2014
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Von
Boris Bigott, Kommission f. gesch. Landeskunde in Baden-Württemberg

Die Beiträge der Tagung „Über die ganze Erde erging der Name von Konstanz. Rahmenbedingungen und Rezeption des Konstanzer Konzils“ beleuchteten, gemäß dem Arbeitsgebiet der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, die Ereignisse um das Konstanzer Konzil mit einer überwiegend landesgeschichtlichen Schwerpunktsetzung bezüglich der Rahmenbedingungen und unmittelbaren Auswirkungen auf die Stadt, die Region und das Reich sowie der Frage nach der Rezeption des Ereignisses.

Im ersten Vortrag untersuchte ANDREAS BIHRER (Kiel) die Rolle des während des Konzils amtierenden Konstanzer Bischofs Otto von Hachberg. Diese wurde bislang als untergeordnet, passiv und unwichtig angesehen. Ausgehend vom Diktum Hermann Tüchles, Bischof Otto habe während des Konzils „keine besondere Rolle“ gespielt, wurde in jüngster Zeit sogar angenommen, Otto habe die Stadt Konstanz nach dem Beginn der Kirchenversammlung verlassen und sei vor deren Ende nicht mehr zurückgekehrt. Das ist jedoch unzutreffend, denn die Konstanzer Bischofsregesten zeigen, dass Otto fast durchgängig in der Stadt belegt ist. Den Hintergrund für diese falsche Wahrnehmung vermutete Bihrer in der Richental-Chronik, worin der Bischof kaum Erwähnung findet. Die Chronik, im bürgerlich-städtischen Umfeld entstanden, betont vielmehr die Involvierung von Rat und Bürgern ins Konzilsgeschehen, insbesondere bezüglich der Organisation und Aufrechterhaltung der Ordnung. Entgegen der Chronik, die neben ihrem Text auch mit ihren zahlreichen Bildern eine enorme Suggestivkraft entfaltete, konnte Bihrer zeigen, dass Bischof Otto sehr wohl in das Geschehen des Konzils eingebunden war.

Die politischen Rahmenbedingungen des Konzils auf der Reichsebene nahm in seinem Vortrag ALOIS NIEDERSTÄTTER (Innsbruck) in den Blick, mit dem Schwerpunkt auf den zahlreichen Krisen und Konfliktlinien im Reich. König und Reich waren zu Beginn des 15. Jahrhunderts relativ schwach, insbesondere im deutschen Südwesten. Die Regierungszeit Sigismunds war gekennzeichnet durch wechselnde Spannungen mit den immer selbstbewusster und selbständiger agierenden deutschen Kurfürsten und Fürsten. Mit der Eröffnung des Konstanzer Konzils gelang dem König allerdings ein bemerkenswerter Coup. Zum Einen war allein das Zustandekommen ein großer Erfolg, der das Prestige Sigismunds vermehrte. Zum Anderen bot die Veranstaltung die Möglichkeit, die Reichspolitik an einem Ort zu konzentrieren. Besonders in Erinnerung blieben die Überwindung des Schismas mit der Wahl Papst Martins V. im Jahr 1417, die Belehnung der Hohenzollern mit der Markgrafschaft Brandenburg und die große Machtzunahme seitens der Eidgenossen im Gefolge der Ächtung Friedrichs von Tirol.

Mit den Hintergründen und Folgen dieser Ächtung Herzog Friedrichs beschäftigte sich FRANZ QUARTHAL (Rottenburg) in seinem Beitrag. Die Verhängung der Reichsacht über Friedrich war als Maßnahme zu drastisch und die Art des Vorgehens war rechtlich zu fragwürdig, als dass sie allein mit der Unterstützung des Habsburgers für den flüchtenden Papst Johannes XXIII. erklärt werden könne. Zu den bisher noch nicht hinreichend aufgeklärten Hintergründen gehöre sicher die Konkurrenz Friedrichs und Sigismunds im Verhältnis zu Venedig und den Eidgenossen, sowie die umfangreiche Machtposition des Herzogs im deutschen Südwesten. Letztlich lieferte Friedrich dem König mit seiner Unterstützung Johannes‘ XXIII. den willkommenen Anlass, gegen den Habsburger vorgehen zu können. Wie gut vorbereitet dies mittlerweile war, zeige neben der postwendenden militärischen Initiative der Eidgenossen auch der Versand etlicher hundert Absagebriefe an Friedrich innerhalb weniger Tage nach der Ächtung. Deren Folgen waren für Friedrich desaströs. Weite Teile der vorländischen Herrschaft fielen von ihm ab oder wurden von den Verbündeten Sigismunds erobert. Im Jahr 1418 kam es zu einer ersten Versöhnung zwischen Friedrich und dem König. Die endgültige Aussöhnung wurde dann 1425 im Horbsteiner Vertrag erzielt. Fortan war es zentrales Anliegen der Politik Friedrichs und seiner habsburgischen Nachfolger, die Verluste wieder rückgängig zu machen. Doch selbst wenn dies in einigen Fällen überraschend schnell gelang, so blieben weite Gebiete dauerhaft verloren. Mehr noch: in einer entscheidenden Phase der Territorialisierung in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts fielen die Habsburger als prägende Kraft im deutschen Südwesten aus, was letztlich zu der territorialen Zersplitterung dieses Gebiets bis 1803/06 führte, nach Quarthal eine „politische Trümmerlandschaft“.

Die katholische Kirche rezipierte das Konstanzer Konzil auf ausgesprochen vielfältige Weise, wie KARL-HEINZ BRAUN (Freiburg) ausführte. Dies ist kaum verwunderlich, war doch die Rezeption vom Ort abhängig – im Reich war sie anders als etwa in Frankreich oder an der päpstlichen Kurie –, von der Zeit – in unterschiedlichen Zeiten wurden verschiedene Schwerpunkte gesetzt – und auch vom Gegenstand, der rezipiert wurde. Neben vielen anderen Themen waren es meist die Dekrete „Haec sancta“ und „Frequens“, die in der katholischen Kirche mit dem Constantiense verbunden waren. Vor allem letzterem maß Braun größte Bedeutung bei, da es weitreichend geschichtlich nachwirkte. Mit ausdrücklichem Bezug auf das Konstanzer Konzil wurden gemäß den in „Frequens“ enthaltenen Bestimmungen die Nachfolgesynoden von Pavia/Siena und Basel einberufen. Als Desiderat wurde die bisher unzureichend erforschte Haltung der Humanisten zum Konstanzer Konzil benannt. Unter ihnen gab es solche, die eher einem papalen Kirchenmodell zuneigten, vor allem in Italien, andere unterstützten dagegen den Konziliarismus. Gerade darin dürfte laut Braun ein Grund liegen, weshalb die Kurie in der Mitte des 16. Jahrhunderts der Reformation so kompromisslos entgegentrat, um ein Wiedererstarken konziliaristischer Positionen zu unterbinden.

Die Rezeption des Konstanzer Konzils bei Martin Luther und der reformatorischen Geschichtsschreibung behandelte EIKE WOLGAST (Heidelberg) und zeichnete die Beschäftigung des Reformators mit dem Konzil nach. Dieser bewertete die Kirchenversammlung stets negativ, vor allem wegen der Verbrennung von Johannes Hus und Hieronymus von Prag, deren Lehren Luther als durchweg evangelisch einschätzte. Ein weiterer Kritikpunkt betraf das auf dem Konzil ausgesprochene Verbot des Laienkelchs. Das Dekret „Haec Sancta“ bewertete er vergleichsweise positiv, kritisierte aber daran, dass man zu seiner Verabschiedung nur deshalb gekommen war, um die causa unionis lösen zu können. In der Folge habe die Beendung des Schismas dazu geführt, dass die Papstkirche gestärkt und die von ihr verursachten Missstände vergrößert wurden. Auch in der evangelischen Historiographie war die causa Hus das dominierende Thema in Verbindung mit dem Konstanzer Konzil. Hus wurde darin, unter Rückgriff auf dessen Prophezeiung, als Vorläufer Luthers dargestellt.

Die große Aufmerksamkeit mit der das Schicksal Hus' vielerorts wahrgenommen wurde ist bisweilen überraschend. Weniger verwunderlich ist freilich, dass das Konstanzer Konzil in Hus' böhmischer Heimat nahezu ausschließlich mit der Fokussierung auf diese Episode gesehen wurde, wie ALBERT KUBIŠTA (Prag) ausführte. Die Verurteilung Hus' wurde von den utraquistischen mährischen und böhmischen Adligen als Affront betrachtet und hatte unter diesen von Beginn an eine einende Wirkung. Hus wurde von diesen Kreisen zum Märtyrer verklärt und sein Leben und Sterben in Parallele mit der Passion Christi gesetzt. Zugleich fand eine Spaltung der Gesellschaft in katholische und utraquistische Kreise statt, die sich auch in der Historiografie niederschlug.

THOMAS PRÜGL (Wien) ordnete in seinem Vortrag das Konstanzer Konzil in die Konziliengeschichte ein. Dabei galt sein Blick den Rückgriffen und Bezugnahmen auf das Konstanzer Konzil auf den Kirchenversammlungen von Basel, Trient und auf dem Zweiten Vatikanum. Als wegweisend schätzte Prügl das auf dem Konstanzer Konzil beschlossene Dekret „Frequens“ ein, worin vorgeschrieben wurde, Generalkonzilien periodisch abzuhalten. Hierdurch war die Voraussetzung für eine Verstetigung des Geistes von Konstanz gegeben und folgerichtig sah sich die Basler Kirchenversammlung (1431-1449) auch als Fortsetzung des Constantiense an. Das Basler Konzil erneuerte das Dekret „Haec sancta“ und betonte die Überordnung des Konzils über das Papsttum. Erst damit war das Dekret zum Programm einer konkreten Ekklesiologie geworden, während es zuvor, aus der Not geboren, lediglich als Instrument zur Überwindung des Schismas galt. Im Vorfeld des Tridentinum gab es Vorbehalte gegen ein neuerliches Konzil, trotz der großen Erwartungshaltung, dass dort die bestehenden Lehrdifferenzen überwunden werden könnten. Seitens des Papsttums fürchtete man, so erläuterte Prügl, den Rückgriff auf den Konziliarismus von Konstanz und Basel, seitens der Protestanten erinnerte man an das Schicksal Johannes Hus‘. Das Zweite Vatikanum nahm in der Frage Konziliarismus versus Papalismus eine vermittelndere Position ein, wenngleich es im Dekret „Lumen gentium“ letztlich zu einer unbefriedigenden Lösung kam: die höchste geistliche Gewalt wird laut LG 22 vom Bischofskollegium stets gemeinsam mit dem Papst als seinem Haupt, aber auch vom Papst allein ausgeübt.

Die Rezeption des Konzils in der deutschen Literatur untersuchte JULIA ILGNER (Freiburg), wobei sie zunächst ihre Themenstellung relativierte. Das Konzil als Ganzes wurde nicht rezipiert: dieses war als fast fünfjähriges, hochkomplexes Ereignis mit zahllosen Akteuren und den verschiedensten Vorgängen, Handlungen und Ereignissen literarisch nahezu unmöglich zu verarbeiten. Als „Weltereignis“ von herausragender Bedeutung besaß es zweifellos eine Erzählwürdigkeit, nicht aber eine Erzählbarkeit. Intensiv rezipiert wurde dagegen im 19. und 20. Jahrhundert ein spezifischer Ereignisstrang, der auf dem Konzil stattgefunden hatte: die Episode um Johannes Hus. Diese war hinsichtlich ihrer Erzählbarkeit weitaus besser zur Verarbeitung in der Literatur geeignet als das Konzil als Gesamtereignis. Sie war zugespitzt auf eine Person, die sich als Märtyrer, Opfer oder Heros perfekt darstellen ließ – etablierte literarische Deutungsmuster. Um die Wende zum 20. Jahrhundert habe die literarische Hus-Rezeption, begünstigt durch eine allgemeine Vorliebe für heroische Zentralgestalten in jener Zeit, ihren Höhepunkt erreicht.

Ein weiterer Grund für die künstlerische Rezipierbarkeit Hus‘ kam im Vortrag von HEIDRUN und RAPHAEL ROSENBERG (Wien), der sich mit der bildlichen Rezeption des Johannes Hus auseinandersetzte, zur Sprache: seine modellierfähige Unbestimmtheit. Da über Hus eigentlich nur recht wenig bekannt sei, habe man ihn in der künstlerischen Rezeption nahezu beliebig formen können. So konnten die Bilder, die im Rahmen einer frühen Gedächtnisbildung in Prag entstanden, Hus zum Märtyrer und Heiligen stilisieren. Im Gegensatz dazu stünden die Bilder aus der Richental-Chronik, wo sein Ketzertum betont wurde. Nicht als Heiliger und nicht als Märtyrer wurde Hus im Zeitalter der Reformation dargestellt, sondern als historischer Vorgänger der Reformatoren. Eine ganz neue Darstellung Hus’ begründete im 19. Jahrhundert der Maler Carl Friedrich Lessing, dessen monumentale Historiengemälde „Hussitenpredigt“ (1831), „Johannes Hus auf dem Konstanzer Konzil“ (1842) und „Johannes Hus vor dem Scheiterhaufen“ (1850) Aufsehen erregten. Lessing stehe mit diesen Bildern am Beginn der preußischen Historienmalerei, wobei ein wichtiger Grund für seinen Erfolg in seiner dezidierten Abkehr von der Malweise der so genannten Nazarener liege, der zuvor dominierenden künstlerischen Strömung. In Böhmen wurde Hus ab dem 19. Jahrhundert von den Nationalisten vereinnahmt, die ihm zahlreiche Denkmäler setzten. Diesen folgten nach 1945 die Kommunisten, die wiederum den Reformator als Protosozialisten instrumentalisierten.

Unmittelbaren Bezug zum Tagungsort, dem so genannten Konzil, hatte der Vortrag von THOMAS MARTIN BUCK (Freiburg) zum Kunst- und Altertumskabinett Joseph Kastells. Unter dem irreführenden Namen „Konzil“ ist in Konstanz das 1388 errichtete Kaufhaus am See geläufig. Dabei war das Kaufhaus kein Schauplatz des Constantiense, lediglich das Konklave der Papstwahl Martins V. hatte im Jahr 1417 darin stattgefunden. Der Name Konzil wurde im 19. Jahrhundert jedoch üblich, da in dem Gebäude das Kunst- und Altertumskabinett des Joseph Kastell ausgestellt war, dessen größter Teil aus Exponaten bestand, die einen echten oder angeblichen Bezug zum Constantiense aufwiesen. Mit dieser Sammlung, 1824 eröffnet, stand Joseph Kastell quasi am Anfang des Konstanzer Museumswesens. Die Ausstellung wurde rasch in der Stadt, der Region und darüber hinaus bekannt und gehörte bald zum festen Programm des aufkommenden Bodensee-Tourismus. Im Jahr 1872 wurde sie aufgelöst und ihre Sammlung größtenteils in die Bestände des mittlerweile gegründeten Rosgartenmuseums integriert. Ein großer Teil der Exponate stand im Zusammenhang mit Johannes Hus – auch hier spielte wohl eine Rolle, dass die Episode um ihn von allen Ereignissen des Konzils am publikumsträchtigsten inszenierbar war.

PIA ECKHART (Freiburg) ging in ihrem Beitrag der Erinnerung an das Konstanzer Konzil in der Stadt Konstanz während der Reformationszeit nach. Die Reformation fasste in Konstanz schnell Fuß, konnte sich gestützt auf den Rat in den zwanziger Jahren durchsetzen, endete aber bereits im Jahr 1548, als die Stadt unter habsburgische Oberherrschaft und zur Rückkehr zum alten Glauben gezwungen wurde. Da die Erinnerung an das Konzil in der Stadt allzeit präsent war, nicht zuletzt durch die Richental-Chronik, überrasche es nicht, dass sowohl die Anhänger der Reformation, als auch ihre Gegner auf die Kirchenversammlung rekurrierten, natürlich mit gegensätzliche Sichtweisen. Die katholischen Autoren sahen das Konzil in bestem Andenken als Höhepunkt der Stadtgeschichte. Sie erinnerten an die Verurteilung der Lehren Hus’ auf dem Konzil und wiesen darauf hin, dass nun auch Luther und die Reformatoren sich in die Tradition Hus’ und Wycliffs stellten. Die reformierten Schriftsteller dagegen argumentierten, dass das Konzil der finsterste Punkt der Stadtgeschichte gewesen sei, quasi der Gegenpol der positiven Gegenwart, in der sich die Reformation in Konstanz durchgesetzt hatte.

Die Konzilschronik Riechentals enthält in mehreren ihrer Überlieferungen ausführliche heraldische Sammlungen, regelrechte Wappenbücher, gegliedert nach den Erdteilen Asien, Afrika und Europa. Diese und die Wappendarstellung bei Konrad Grünenberg untersuchte CHRISTOF ROLKER (Konstanz). Betrachte man die unter den einzelnen Erdteilen eingetragenen Wappen, so komme Erstaunliches zu Tage, das nicht mit den vertrauten geografischen Begrifflichkeiten im Einklang steht: In Asien wird zuerst das kaiserliche Wappen des Priesterkönigs Johannes als oberster Herr auch der übrigen asiatischen Reiche dargestellt. Die afrikanischen Wappen werden von denen der Kaiser von Konstantinopel und Athen (!) angeführt, gefolgt von Wappen, deren Länder man ebenfalls nicht nach Afrika reihen würde: die orthodoxen Länder Osteuropas. Unter der Rubrik Europa werden schließlich, angeführt vom Wappen des römisch-deutschen Kaisers, die Länder des lateinischen Westens präsentiert. Die Einteilung folge demnach nicht dem auch damals geläufigen geografischen Usus, sondern vielmehr konfessionellen Gesichtspunkten: In Asien das orientalische Christentum des Priesterkönigs, in Afrika das orthodoxe Christentum unter den griechischen Kaisern, in Europa das lateinische Christentum.

Zum Abschluss der Tagung fassten VOLKER LEPPIN (Tübingen) und HELMUT MAURER (Konstanz) die Vorträge zusammen bzw. wiesen auf die ihnen eindrücklichsten Aspekte der Vorträge hin. Dabei stellte Leppin seinen Part unter das Leitwort der Dekonstruktion. Als Dekonstruktion der Quellen wertete er das ihm aus dem Bihrer-Vortrag erinnerliche ironische Diktum von der „leider erhaltenen“ Richental Chronik, die bezüglich der Rolle Bischof Ottos von Hachberg die Forschung in eine falsche Richtung gewiesen habe. Unter dieselbe Überschrift stellte er die Feststellung Thomas Prügls, dass das Konstanzer Konzil erst durch das nachfolgende Konzil von Basel zu dem wurde, was es für uns heute ist. Ferner beobachtete er eine Dekonstruktion der Landesgeschichte, da klassische historische Fragen des 19. Jahrhunderts mittlerweile gänzlich aus der Diskussion verschwunden seien. Zuletzt schließlich eine Dekonstruktion der konfessionellen Geschichte angesichts der Fixierung der Böhmen, Protestanten und der allgemeinen Kulturgeschichte auf das Thema Hus bzw. der Darstellung des Konzils als Erfolgsgeschichte in der causa unionis und causa fidei nach katholischer Lesart. Einen deutlich stärkeren Regional- und Lokalbezug wies die Wertung Maurers auf. Er erinnerte nochmals an den Vortrag von Buck, worin die Stadtgeschichte und das städtische Geschichtsbewusstsein thematisiert wurden, ferner daran, dass Eckhardt mit ihrem Beitrag die Konstanzer Chronistik-Geschichte erweitert habe. Angesichts der von Rolker vorgestellten heraldischen Betrachtungen bezeichnete er Konstanz als Stadt heraldischer Überlieferung und fragte, ob vergleichbare Kenntnisse auch andernorts vorhanden waren. Zum Niederstätter-Vortrag wies er auf die Machtlosigkeit Sigismunds im Südwesten hin. Zudem sollten die Eidgenossen im Umfeld des Konzils stärker berücksichtigt werden. Zur Rolle des Königs auf dem Konzil betonte er dessen vergleichsweise lange Präsenz in der Stadt, die sich in der Privilegierung der Stadt niederschlug.

Rekapituliert man die Vorträge und die teilweise sehr engagierten Diskussionen bleibt festzuhalten, wie sehr das Thema Hus die Rezeption des Konstanzer Konzils dominiert: nicht allein bei den böhmischen Hussiten, sondern auch in der Erinnerung der Katholiken und Protestanten, der Literatur und der Bildenden Kunst, ja sogar in ganz auf das Lokale konzentrierten Bereichen der Konstanzer Chronistik und dem Kuriositätenkabinett Joseph Kastells. Andere Dinge blieben auf lange Sicht dagegen weniger im historischen Gedächtnis, als ihnen eigentlich zukäme. So ist es frappierend, dass im 16. Jahrhundert auf protestantischer Seite anscheinend vor allem die Furcht, auf einem Generalkonzil ein ähnliches Schicksal wie Hus zu erleiden, dominierte, weniger dagegen das Bewusstsein, dass mit dem auf das Constantiense zurück gehenden Konziliarismus eigentlich ein Verfahren für die Lösung der zeitgenössischen Glaubensfragen vorhanden war – was dagegen an der römischen Kurie stets gefürchtet wurde. Dass das Thema Hus alles andere überstrahlt, hat mit der hervorragenden Inszenierbarkeit, Erzählbarkeit und Darstellbarkeit der Episode zu tun. Sie besitzt eine hohe Dramatik und die Fokussierung auf eine einzige Person, die sich darüber hinaus als Projektionsfläche bestens eignet und vielfältig instrumentalisierbar ist. Dennoch gelang es auf der Tagung, auch einige bisher zu wenig beachtete Themen im Umfeld des Konstanzer Konzils zu beleuchten – Stichwort Rahmenbedingungen –, so etwa die Rolle des Konstanzer Bischofs und die politische Erschütterung des deutschen Südwestens, mit ihren weit reichenden Folgen bis zum Ende des Alten Reichs.

Konferenzübersicht:

Sektion „Voraussetzungen, Umgebung, Auswirkungen”

Andreas Bihrer: Eine Feier ohne den Hausherrn? Der Konstanzer Bischof und das Konzil

Alois Niederstätter: Das Reich zur Zeit des Konzils

Franz Quarthal: Die Ächtung Herzog Friedrichs IV. auf dem Konstanzer Konzil und der Zusammenbruch der habsburgischen Herrschaft in der Schweiz und in Südwestdeutschland

Sektion „Rezeption des Konzils in der Kirchengeschichte und Theologie”

Karl-Heinz Braun: Das Konstanzer Konzil in der Geschichte der katholischen Kirche § Eike Wolgast: Das Konstanzer Konzil im Urteil Luthers und der reformatorischen Geschichtsschreibung

Albert Kubišta: Die Rezeption des Konzils auf der hussitisch-böhmischen Seite

Sektion „Erinnerung an das Konzil”

Thomas Prügl: Repraesentatio ecclesiae. Vermächtnis und Bedeutung des Konstanzer Konzils für die neuzeitliche Konziliengeschichte

Julia Ilgner: „Husterischer Historismus“. Das Konstanzer Konzil und die Glaubenskriege in der literarischen Rezeption der Moderne §
Thomas Martin Buck: Das „Kunst- und Alterthumskabinett“ Joseph Kastells im Konstanzer Kaufhaus. Das Konzil in der Geschichts- und Erinnerungskultur des 19. Jahrhunderts

Raphael Rosenberg, Heidrun Rosenberg: Johannes Hus in der bildlichen Rezeption - Ketzer oder Märtyrer?

Sektion „Das Konzil in Stadt, Region und Europa”

Pia Eckhart: Konzil und Konzilschronik während der Reformationszeit. Die Erinnerung an die Konstanzer Kirchenversammlung in Historiographie und Publizistik

Christof Rolker: Hinter tausend Wappen eine Welt: Konstanzer Wappenbücher von Richental bis Grünenberg

Helmut Maurer und Volker Leppin: Zusammenfassung und Kommentar


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