Geschichtsdarstellung des 19. Jahrhunderts in niedersächsischen Museen

Geschichtsdarstellung des 19. Jahrhunderts in niedersächsischen Museen

Organisatoren
Arbeitskreis für die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen
Ort
Hannover
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.11.2011 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Wolfgang Brandes, Stadtarchiv Bad Fallingbostel

Im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Durchführung der Frühjahrstagung des Arbeitskreises am 12.03.2011 hatte sich bereits angedeutet, von welcher Bedeutung die Gründung von Heimat- und Geschichtsvereinen sowie von Vaterländischen und Provinzial-Museen für die „Entstehung der Regionalismen in Niedersachsen im 19. Jahrhundert“ war.1 In der Herbsttagung sollte nun eingehender untersucht werden, wie es um die Geschichtsdarstellung des 19. Jahrhunderts in niedersächsischen Museen bestellt ist. Im zweiten Teil der Tagung wurden dann Dissertationsvorhaben zur Geschichte des Königreichs Hannover im 19. Jahrhundert vorgestellt.

ERNST BÖHME (Göttingen) hob in seiner Einführung hervor, dass Museen und Archive beide zentrale Träger des kollektiven Gedächtnisses einer Stadt oder eines Landes seien. Das Ziel historisch-archivarischer Forschung sei die Konstruktion eines Bildes der Vergangenheit oder eines Ausschnittes davon. Zur Schaffung dieses Bildes würden idealerweise sämtliche einschlägige Quellen nach ihrem Inhalt ausgewertet, die Quellen als Objekte selbst spielten dabei allenfalls als Abbildungen eine untergeordnete Rolle. Auch die Museen, speziell die historischen Museen, würden in ihren Ausstellungen Bilder der Vergangenheit entwerfen. Am Anfang einer historischen Ausstellung stehe immer ein wissenschaftlich erarbeitetes Konzept. Gleichzeitig aber werde dieses Konzept und noch mehr die Umsetzung der Ausstellung davon bestimmt, welche Objekte zur Verfügung stünden. Während der Historiker im Idealfall aus sämtlichen Quellen schöpfen könne, um sein Bild zu entwerfen, könne im Museum nur das gezeigt werden, wofür auch ein Objekt vorhanden sei. Dieser „Nachteil“ der Lückenhaftigkeit, den Ausstellungen gegenüber wissenschaftlichen Texten auf der inhaltlich-intellektuellen Ebene hätten, werde dadurch mehr als ausgeglichen, dass Ausstellungen ihre Besucher mehrdimensional erreichten. Ein wissenschaftlicher Text spreche den Leser in der Regel ausschließlich auf der intellektuellen Ebene an. Im Museum werde die inhaltlich-intellektuelle Ebene durch die Ebene der Exponate ergänzt, die mit ihrem Charakter als Originale, ihrer Materialität und ihrer ästhetischen Ausstrahlung auf den Besucher wirkten. Zudem gebe die Ebene der Gestaltung und Inszenierung: die Länge und Größe der Texte, die Art ihrer Präsentation, die Ausleuchtung der Räume und Objekte, die Farbgebung, die Schaffung von Atmosphäre durch Raumgestaltung und Musik. Es entstehe beim Besucher ein Gesamtbild, das viel umfassender sei, als ein Text es je zu erzeugen vermöge. Dabei seien die Grundsätze wissenschaftlicher Arbeit immer zu wahren.

GESA SNELL (Hameln) ging auf das stadthistorische Museum Hameln ein. Das neu entwickelte Konzept der Dauerausstellung sehe eine chronologische Darstellung der Stadtgeschichte mit Schwerpunkt auf den handelnden Menschen vor. Es sei an den Lehrplänen der allgemein bildenden Schulen ausgerichtet und beziehe die beiden historischen Gebäude des Museums in das Ausstellungskonzept ein. Dank Drittmitteln hätten Werkverträge mit externen Wissenschaftlern abgeschlossen, Restaurierungen vorgenommen und kreative professionelle Gestalter eingebunden werden können. Gerade die wissenschaftliche Arbeit, aber auch das Vorantreiben der Inventarisierung der Sammlung der Verzeichnung der Archivalien des Museums seien wichtig gewesen, da die letzte Stadtgeschichte Hamelns aus den 1930er Jahren stammt. Räume, Farben, Licht, Töne, Geräusche, Zitate, Bilder und Objekte seien zu einer Gesamtkonzeption verschmolzen worden. Elektronische Medien würden allerdings nur dort verwendet, wo sie Sinn machten, beispielsweise bei der Digitalisierung eines mittelalterlichen Messbuchs. Eingerichtet worden seien aber museumspädagogische Stationen, an denen beispielsweise verschiedene Gewichte die Belastung durch schwere körperliche Arbeit verdeutlichen. Inszenierungen z.B. eines Eisenbahnabteils oder des Ausblicks von einem Ausflugsdampfer erleichterten den Zugang zu den historischen Fragestellungen. Die Konzeption sei darauf ausgerichtet, die Rückseite der Themen bzw. deren Brechung zu zeigen. Macht und Pracht kontrastierten mit Gegenbewegungen, wodurch das Interesse an den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen geweckt werden solle.

CARSTEN JÖHNK (Emden) stellte das Ostfriesische Landesmuseum Emden vor. Es sei zum einen das kunst-, kultur- und landesgeschichtliche Museum Ostfrieslands, verstehe sich zugleich aber auch als europäisches Regionalmuseum, da in ihm die Geschichte im Kontext der gesamteuropäischen Geschichte und der engen Verbindungen zu den Niederlanden dargestellt werde. In dem Mehrspartenhaus lägen die Schwerpunkte auf der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, der Rüstkammer und der Silbersammlung. Statt auf Inszenierungen werde darauf gesetzt, anhand historischer Originale die Geschichte zu erklären. Anders als in Hameln gäbe es keinen eigenständigen Bereich für das 19. Jahrhundert. Anstelle einer in sich geschlossenen Darstellung des 19. oder 20. Jahrhunderts werde auf diese Epoche in verschiedenen Kontexten immer wieder kurz eingegangen. Neben historischen-politischen Themen werde auch die Wirtschaftsgeschichte thematisiert. Dies geschehe einerseits im so genannten Kalendarium, aber auch im alphabetisch aufgebauten Schaumagazin stammten 50 Prozent der Objekte aus dem 19. Jahrhundert. Auch einzelne Objekte in den Spezialsammlungen hingen mit dem 19. Jahrhundert zusammen, wie Lichtdosen oder Waffen und Gemälde aus diesem Zeitraum. Das 19. Jahrhundert sei also immer wieder als Unterthema im Kontext der Dauerausstellung zu finden. Da dies nicht ausreichend sei, werde von den Museumsverantwortlichen versucht, über Sonderausstellungen dem selbst erkannten Manko zu begegnen.

Da bedauerlicherweise einige Referenten kurzfristig abgesagt hatten, gewann der zweite Teil der Tagung, in dem Dissertationsvorhaben zur Geschichte des Königreichs Hannover im 19. Jahrhundert vorgestellt wurden, größeres Gewicht. Den Anfang machte SUSANNE SCHILLING (Hannover), die über „Die Politik des Grafen Münster im Zeitalter der Restauration“ referierte. Sie untersucht den Zeitraum zwischen 1805, als der 39-Jährige zum hannoverschen Staats- und Kabinettsminister bei der Person des Königs und leitenden Minister der deutschen Kanzlei berufen wurde, bis zu seiner Entlassung 1831. In der internationalen Politik habe sich Münster durch den Widerstand gegen französische Besatzung, das Eintreten für die Freiheitskiege und den Einsatz für die territoriale Vergrößung Hannovers auf dem Wiener Kongress ausgezeichnet. Innenpolitische Weichenstellungen bezüglich des Verfassungs- und Verwaltungsaufbaus des Königreichs Hannover seien eng mit ihm verbunden. Münster wirkte in einer Ära zwischen Reform und Restauration. Bisher sei in seiner Haltung ein radikaler Wandel ausgemacht worden: Zunächst solle er auf dem Wiener Kongress als Liberaler gegen Absolutismus der Fürsten aufgetreten sein und sich für die Einführung von Repräsentativverfassungen in den deutschen Staaten eingesetzt haben. Doch 1819 habe das liberale Bild bei der Oktroyierung des Zweikammersystems in Hannover und der Umsetzung der Karlsbader Beschlüsse einen Riss bekommen. Das Studium der Quellen zeige jedoch, dass es einen solchen Umschwung nicht gegeben habe. Schilling vertrat die Auffassung, Münsters vermeintlich liberale Forderungen seien bei genauer Betrachtung nicht als explizit aufgeklärt zu beurteilen. Unter Repräsentativverfassung habe Münster keine parlamentarische Vertretung mit politischer Partizipation der Bevölkerung verstanden, sondern er fasste sie im Sinne altständischer Liberalität als Begrenzung der landesherrlichen Gewalt auf. Sein rückwärts gewandtes, historisch-organisches Staatsdenken sei bei Einführung des Zweikammersystems deutlich zu Tage getreten. Einen Wandel vom liberalen Vorreiter zum finsteren Reaktionär habe es bei Münster also nicht gegeben. Letztlich sei Münsters Politik gescheitert, weil er zu starr an seinen Positionen festgehalten und die Zeichen der Zeit verkannt habe. Er habe den Rückhalt am Hofe verloren und sei 1831 entlassen worden. Erst jetzt schien für viele Zeitgenossen der Weg frei für die notwendigen Reformen und zur Umgestaltung des Königreichs zum konstitutionellen Staat.

EVA HEESEN (Hannover) beschäftigte sich mit „Adolf Friedrich, Herzog von Cambridge, als Generalgouverneur und Vizekönig von Hannover“. Der Zeitraum ihrer Untersuchung wird durch Adolf Friedrichs Rückkehr nach Hannover 1813 (zunächst noch mit militärischen Kompetenzen) und dem Ende der Personalunion 1837 und seiner Rückkehr nach England gesetzt. Heesen hob hervor, dass Adolf Friedrich, der schon als 12-Jähriger nach Göttingen geschickt worden sei, die Hälfte seines Lebens in Hannover oder in hannoverschen Diensten verbracht habe. Als treibende Kraft für die 1816 erfolgte Ernennung zum Generalgouverneur dürfe wohl Graf Münster betrachtet werden. Adolf Friedrich, dem nur geringe politische Ambitionen nachgesagt worden seien, schien leicht lenkbar zu sein. Er sei wegen seiner zugänglichen Art und seinem unkomplizierten Lebensstil beim Volk beliebt gewesen. Dazu habe auch beigetragen, dass ihm keine skandalös ausschweifende Lebensführung habe vorgeworfen werden können. Er habe das Bild der Monarchie in Hannover stark geprägt und sei – da Georg III. nicht nach Hannover gekommen wäre – zum „Gesicht der Krone“ geworden. Beide von ihm wahrgenommenen Ämter als Generalgouverneur und als Vizekönig von Hannover seien von eher repräsentativem Zuschnitt und mit nur geringen Entscheidungsbefugnissen versehen gewesen. Er habe zwar durchaus mehr Entscheidungsbefugnisse gesucht – sie seien ihm aber nicht gewährt worden. Adolf Friedrich habe sich auch für wohltätige Zwecke eingesetzt, wobei er im Sinner der Philanthropie agierte. Er habe also nicht angestrebt, die gesellschaftlichen Normen zu reformieren, sondern sich innerhalb der Normen bewegt, die seinen Stand prägten.

EIKE VON BOETTICHER (Hannover) erläuterte die Grundzüge seines Dissertationsvorhabens zum Thema „Die Justizorganisation des Königreichs Hannover und ihre Auswirkungen auf die Reichsjustizgesetze“. Das ehemalige Kurfürstentum und spätere Königreich Hannover habe als rückständiger Staat gegolten. Aber gerade hier sei in Folge der Revolution von 1848 ein Justizwesen entstanden, das von anderen Staaten als vorbildlich angesehen worden sei und Eingang in die Reichsjustizgesetze des 1871 gegründeten Deutschen Reiches gefunden habe. Die Reformbedürftigkeit des Rechtswesens Mitte des 19. Jahrhunderts in Hannover sei unübersehbar gewesen: Das Justizwesen sei höchst uneinheitlich organisiert gewesen, jede einzelne Provinz habe ihre eigene Gerichtsordnung in Zivilverfahren gehabt, die schriftlich abgewickelt worden seien, und im Strafprozesswesen hätten bis 1822 noch Inquisitionsverfahren durchgeführt werden können. Hinzu sei ein äußerst schlechter Zustand der Anwaltschaft gekommen. Angesichts dieser Ausgangslage seien von liberaler Seite vier Forderungen erhoben worden: erstens die Ablösung des Inquisitionsprozesses durch ein Verfahren, in dem das Urteil auf öffentlicher und mündlicher Verhandlung basieren sollte, zweitens die Einführung der Staatsanwaltschaft und damit die Trennung von verfolgendem und verurteilendem Organ, drittens die Beteiligung von Laien an der Strafrechtspflege, insbesondere in Gestalt von Geschworenengerichten und schließlich viertens die Unabhängigkeit der Richter, garantiert durch eine scharfe Trennung von Justiz und Verwaltung sowie Abschaffung der Kabinettsjustiz. Infolge der Revolution von 1848 seien am 8. November 1850 gegen die Bedenken von König Ernst August die Justizorganisationsgesetze verkündet worden, die allerdings erst nach seinem Tod am 1. Oktober 1852 in Kraft getreten wären. In Hannover sei es erstmalig zur Einführung von Schöffengerichten für geringfügige Vergehen und zum Inkrafttreten eines Anwaltskammergesetzes gekommen. Auch wenn die Reform nicht umumstritten gewesen sei, habe sich bald die Auffassung durchgesetzt, dass die neue Zivilprozessordnung eine enorme Abkürzung der Verfahren bei gleicher Gerechtigkeit garantiere. Gerade die Zivilprozessordnung sei Vorbild für andere deutsche Länder geworden. Nachdem schon auf Ebene des deutschen Bundes Überlegungen zu ihrer Übernahme angestellt worden seien, habe nicht zuletzt auch die personelle Kontinuität – der letzte hannoversche Justizminster Adolph Leonhardt wurde 1867 zum preußischen Justizminister – ein Fortwirken der hannoverschen Vorstellungen bis hin zum 1876 angenommenen Entwurf der Zivilprozessordnung gesichert. Aber auch bei anderen Reichsjustizgesetzen wie der Strafprozessordnung und dem Gerichtsverfassungsgesetz ließen sich teilweise Anlehnungen an hannoversche Vorstellungen von 1850/52 finden. Auf dem Gebiet der Justiz habe das Königreich Hannover also nach 1848 zu den fortschrittlichsten Staaten in Deutschland gehört.

Da gerade der zweite Teil der Tagung zeigte, welch interessante Erkenntnisse und neue Einsichten zum 19. Jahrhundert noch gewonnen werden können, hätte man sich gewünscht, dass es im ersten Teil die geplante Vielfalt bei der Vorstellung unterschiedlicher Konzepte gegeben hätte. Die gesundheitlich bedingten Absagen zweier Referenten ließen eine Lücke, die kurzfristig nicht mehr geschlossen werden konnte. So musste es bei einer die allgemeine Situation charakterisierenden Einführung und Ausführungen zu zwei höchst unterschiedlichen Herangehensweisen an die Präsentation des 19. Jahrhunderts in Museen bleiben. Auf einer breiteren Basis hätte die Diskussion über das Selbstverständnis der Museen und ihrer Macher/innen, konzeptionelle Überlegungen, die Wechselwirkung von historischer Forschung und musealer Darstellung und die Frage, welches Bild einer Epoche den Besucher/innen nahegebracht wird, noch intensiver geführt werden können. Die Tagung riss ein Thema an, das fortgeführt zu werden verdient.

Konferenzübersicht:

„Geschichtsdarstellung des 19. Jahrhunderts in niedersächsischen Museen“

Ernst Böhme (Göttingen): Einführung

Gesa Snell (Hameln): Museum Hameln

Carsten Jöhnk (Emden): Landesmuseum Emden

Susanne Schilling (Hannover): Die Politik des Grafen Münster im Zeitalter der Restauration

Eva Heesen (Hannover): Adolf Friedrich, Herzog von Cambridge, als Generalgouverneur und Vizekönig von Hannover

Eike von Boetticher (Hannover): Die Justizorganisation des Königreichs Hannover und ihre Auswirkungen auf die Reichsjustizgesetze

Anmerkung:
1 Vgl. Tagungsbericht Entstehung der Regionalismen in Niedersachsen im 19. Jahrhundert. 12.03.2011, Hannover, in: H-Soz-u-Kult, 25.06.2011, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3694>.


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