Hidden Champions

Organisatoren
Arbeitskreis „Kleine und mittlere Unternehmen“ der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V.
Ort
Gerolstein
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.11.2013 - 08.11.2013
Url der Konferenzwebsite
Von
Jörg Lesczenski, Historisches Seminar, Goethe-Universität Frankfurt am Main

Für seine 10. Sitzung hätte der Arbeitskreis „Kleine und mittlere Unternehmen“ kaum ein besseres Thema als „Hidden Champions“ wählen können: Die Beobachtung, dass sich leistungsstarke Mittelständler in einer zunehmend international verflochtenen Wirtschaft erstaunlich gut behaupten sowie die nüchterne Erkenntnis, dass sich historische Forschung bislang solcher Unternehmen viel zu wenig angenommen hat, haben seinerzeit wesentlich dazu beigetragen, den Arbeitskreis zu konstituieren. Auch acht Jahre später hat das Thema gewiss nichts an Aktualität verloren. „Unbekannte Champions“1(die nach einer Definition Hermann Simons – gemessen an ihren Marktanteilen – die Plätze eins bis drei auf dem Weltmarkt belegen oder den Spitzenplatz in Europa einnehmen, einen Umsatz von unter fünf Milliarden Euro erzielen und in der Öffentlichkeit wenig bekannt sind) erfreuen sich einer hohen medialen Aufmerksamkeit. Wirtschaftsredaktionen überregionaler Tageszeitungen stellen in Artikelserien Weltmarktführer und ihre Produkte vor; der Nachrichtensender ntv verleiht einen Mittelstandspreis in der Kategorie „Hidden Champion“; in großflächigen Anzeigen und multimedialen Initiativen preisen sich Banken als ideale Geschäftspartner für Mittelständler an. Bei allen bemerkenswerten Erfolgen in der Gegenwart sind Hidden Champions letztlich Organisationen, die sich nur historisch erklären lassen. Ihrer häufig wechselvollen Geschichte ging der Arbeitskreis in mehreren Fallstudien nach.

JEFFREY FEAR (Glasgow) beschrieb den Strukturwandel eines mittelständischen Unternehmens am Beispiel der (heutigen) Krawinkel-Holding in Bergneustadt. Die von Leopold Krawinkel 1806 gegründete Strick- und Wirkwarenfabrik erlebte vor allem zwischen den späten 1950er- und frühen 1980er-Jahre mit dem Niedergang der Textilsparte tiefgreifende Strukturbrüche. Die beschleunigte Diversifizierungsstrategie der Unternehmensgruppe, die ihre Hoffnungen in erster Linie auf die Wettbewerbsfähigkeit der „Basaltwerke Albert Stussig“ und des „Plastikwerks Mueller & Co.“ setzte, führte zunächst fast in den Ruin, bevor durch eher glückliche Umstände (und nicht durch eine gezielte längerfristige Strategie) der Geschäftszweig „Plastik“ zum wichtigsten Standbein der Holding wurde. Die Idee auf einer Vertreterkonferenz der Siemens AG im Januar 1984, Benzinpreise elektronisch anzeigen zu lassen, nahm das Plastikwerk auf, das mittlerweile als Weltmarktführer digitale Preisanzeigen und LED-Nachrichtentafeln entwickelt, produziert und vertreibt.

Die Wachstumsstrategien, die Markenpolitik, die Corporate Governance und die betriebliche Sozialpolitik der vier Unternehmen Eckes-Granini GmbH, Fuchs Petrolub SE, Sick AG und der Rala Gmbh & Co. KG, die sich „vom No Name zum Star“ entwickelten, analysierten UTE ENGELEN (Mainz) und THOMAS HERMANN (Mannheim). Als einen „historischen Erfolgsfaktor“ stellten beide insbesondere den fortlaufenden Einfluss der (Gründer-)Familie heraus, der auch heute noch die Unternehmensgeschichte(n) auf unterschiedliche Weise mitbestimmt. Im operativen Geschäft der Unternehmen Fuchs (Produktion und Vertrieb von Schmierstoffen) und Rala (Produzent von technischen Artikeln aus Gummi und Kunststoff) sind Nachfahren des Gründers im operativen Geschäft vertreten, beim Sensorproduzenten Sick beeinflussen Familienmitglieder über den Aufsichtsrat die Unternehmenspolitik. Die Familie von Harald Eckes-Chantré bestimmt hingegen als Mehrheitsgesellschafter der Eckes-Granini-Group die Ausrichtung der Unternehmensgruppe mit.

Die lange Geschichte der Filzfabrik Wurzen GmbH thematisierte ULRICH HESS (Wurzen). Nach technischen Fortschritten im Bau von Hammerklavieren seit dem frühen 19. Jahrhundert erzielte das 1783 gegründete Unternehmen mit der Produktion von Hammerkopffilzen rasch bemerkenswerte Erfolge. Ein ausgeprägtes Marktgespür, hohe Innovationskraft, die wachsende Nachfrage nach Hammerklavieren und die erfolgreiche Internationalisierung (seit etwa 1860 wurde der nordamerikanische Markt erschlossen) sorgten für einen Aufschwung, der erst durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen wurde. Nach der Teilung Deutschlands verstaatlicht, versorgte der VEB Filzfabrik Wurzen Industriebetriebe in der DDR mit technischen Filzen. Nach dem Zusammenbruch der DDR stand nicht mehr die Massenproduktion, sondern die kundenorientierte Fertigung von Spezialfilzen im Mittelpunkt. Zum Erfolg des Unternehmens tragen mittlerweile neben technischen Filzen für unterschiedliche Anwendungen (Endlosfilze, Filzrohre etc.) auch wieder Filze für den Musikinstrumentenbau bei (Klavierfilze, Dämpferfilze, Filzköpfe und –kugeln etc.).

Wie die vorangehenden Fallstudien unterstrich auch der Beitrag von KARL-PETER ELLERBROCK (Dortmund), der mittelständische Weltmarktführer in Südwestfalen vorstellte, dass Hidden Champions zumeist in Kleinstädten oder ländlich strukturierten Räumen ansässig sind. Am Beispiel des Weizenstärke-Produzenten Crespel und Deiters GmbH & Co. KG aus Ibbenbüren sowie der Ahlener Kaldewei GmbH & Co. KG, die Bade- und Duschwannen anfertigt, identifizierte Ellerbrock vier Erfolgsfaktoren von Hidden Champions: die Unternehmen verfügen über eine seit Generationen gewachsene „Unternehmens- und Vertrauenskultur“, pflegen bewusst ihre regionale Verankerung, greifen bei ihrer Produktpolitik auf ein seit Generationen gewachsenes technologisches „Spezial-Know-how“ zurück und verfolgen eine „Strategie globaler Nischendominanz“, die sich auf eine „klare Qualitätsstrategie mit einer intensiven Kundenbindung“ stützt.

Dass sich Unternehmensgeschichten von Hidden Champions nicht per se als „Erfolgsstorys“ schreiben lassen, verdeutlichte RALF AHRENS (Potsdam), der den Weg des Maschinenbauers Friedrich Deckel AG vom „Champion“ zum „heimlichen Verlierer“ in den 1980er- und 1990er-Jahren rekonstruierte. Die Gründe für die Umsatzeinbrüche 1982 und 1989/90, für hohe Verluste in den Kernabsatzgebieten sowie für die Übernahme durch den Konkurrenten Gildemister AG 1994 waren vielfältig. Das Unternehmen lebte in den 1980er-Jahren hauptsächlich von seiner Substanz und zerrte sein Kapital auf. Branchenspezifische Trends wie der Einbruch im Werkzeugmaschinenbau trafen Deckel ebenso wie mangelhafte Analysen des eigenen Managements, das die notwendige intensive Betreuung neuer komplexer Produkte unterschätzte. Letztlich wurde der Maschinenbauer zu einem „Getriebenen“ des ökonomischen Strukturwandels und zu einem „Verlierer im Konzentrationswettbewerb“.

Der naheliegenden Frage, ob sich Hidden Champions auch im europäischen Ausland finden lassen und wie sich ihre Unternehmensphilosophien und Geschäftspraktiken gegenwärtig voneinander unterscheiden, ging ALESSA WITT (Edinburgh) in einem deutsch-britischen Vergleich nach. Auch wenn die wirtschaftswissenschaftliche Literatur jüngst immer wieder auf Unternehmen z.B. in China, Indien, Japan oder Schweden hinweist, die ähnliche Strukturmerkmale wie deutsche Weltmarktführer aufweisen, ist bei einem vergleichenden Ansatz methodisches Gespür gefragt. Das vor allem von Hermann Simon entwickelte „Hidden Champion-Modell“ ist offenkundig nicht ohne gewisse Anpassungen auf Unternehmen außerhalb des deutschen institutionellen Rahmens übertragbar. Dennoch liefert ein qualitativer Vergleich interessante Ergebnisse: Anders als deutsche Weltmarktführer des 21. Jahrhunderts blicken Hidden Champions in Großbritannien auf eine kürzere Unternehmensgeschichte zurück, werden häufiger als börsennotierte Unternehmen geführt, sind weniger vertikal integriert, verlagern ihre Produktion stärker ins Ausland und zielen bei ihrer Internationalisierung auf einen schnelleren Marktzugang.

In ihrem Beitrag „Hidden Champions und female Entrepeneurship“ arbeitete STEFANIE VAN DE KERKHOF (Mannheim) am Beispiel von Irene Kärcher (1920-1989), die nach dem Tod ihres Ehemanns Alfred 1950 die Firmenleitung übernahm und die Internationalisierung des Unternehmens seit den frühen 1960er-Jahren vorantrieb, typische Merkmale eines Weltmarktführer unter weiblicher Führung heraus. Ihr Führungsstil zeichnete sich vor allem durch zwei Eigenarten aus, die nach Ansicht van de Kerkhofs exemplarisch die Geschäftspraktiken von Unternehmerinnen in der Bundesrepublik widerspiegeln: ging es in der Unternehmenspolitik um „fundamentale Prinzipien“, trug die Entscheidungsfindung durchaus autoritäre Züge, während im operativen Alltagsgeschäft das „partizipative“ Moment im Vordergrund stand (Irene Kärcher arbeitete z.B. eng mit ihrem Bruder Eberhard Herzog bei Daimler-Benz und einem Verwaltungsrat mit externen Beratern zusammen).

Bei allen Schwierigkeiten, mit Hilfe von Einzelbeispielen theoriegeleitete Rückschlüsse auf die allgemeine Geschichte von Hidden Champions zu ziehen, verweisen die Fallstudien auf Faktoren, die den Erfolg von Hidden Champions zumindest mit erklären: der lange Einfluss der Gründerfamilie, damit eng verbunden eine Generationen übergreifende Geschäftsstrategie, die sich nicht an kurzfristigen Quartalsergebnissen orientiert, die Suche nach einer international wettbewerbsfähigen Nischenstrategie, die eher auf eine hohe Qualität der Produkte und weniger auf eine aggressive Niedrigpreispolitik setzt, eine pfadabhängige, aber dennoch flexible Produktstrategie und die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen. Gerade hier sollten weitere Studien ansetzen. Vertiefende Einblicke in die Strukturmerkmale mittelständischer Weltmarktführer dürften vor allem von Arbeiten zu erwarten sein, die existenzbedrohende Krisen, die Optionen und Strategien der Akteure in Krisenzeiten und gegebenenfalls auch das Scheitern von Hidden Champions beleuchten.

Konferenzübersicht:

Jeffrey Fear (Glasgow): Strukturwandel innerhalb eines mittelständischen Unternehmens: Wie aus einer scheiternden Textilfirma ein Weltmarktführer wurde (1960-2000)

Ute Engelen (Mainz)/Thomas Hermann (Mannheim): Hidden Champions. Vom No-Name zum Star. Die Beispiele Eckes-Granini, Fuchs Petrolub, Rala und Sick

Karl-Peter Ellerbrock (Dortmund): Innovation aus Tradition: „Hidden Champions“ aus Westfalen

Ulrich Heß (Wurzen): Wurzener Hammerkopfoberfilze. Die Wege eines Produktes und eines Unternehmens zum Weltmarkt vom 19. bis zum 21. Jahrhundert

Ralf Ahrens (Potsdam): Ein Champion als „heimlicher Verlierer“. Krisen und Scheitern der Friedrich Deckel AG in den 1980er- und 1990er-Jahren

Alessa Witt (Edinburgh): Stategien der „Global Niche Champions“. Ein Vergleich zwischen Deutschland und Großbritannien

Stefanie van der Kerkhof (Mannheim): Hidden Champions und Female Entrepreneurship – (k)ein Widerspruch?

Anmerkung:
1 Siehe dazu unter anderem: Hermann Simon, Hidden Champions des 21. Jahrhunderts: Die Erfolgsstrategien unbekannter Weltmarktführer, Frankfurt a. M. 2007.


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