Siziliens Geschichte – Kontaktzone im Mittelmeer

Siziliens Geschichte – Kontaktzone im Mittelmeer

Organisatoren
Verein zur Förderung von Studien zur interkulturellen Geschichte (VSIG), Wien
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
05.09.2014 - 06.09.2014
Url der Konferenzwebsite
Von
Stephan Köhler, Institut für Mittelalterliche Geschichte, Universität Mannheim / Andreas Obenaus, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Wien

Das Symposium „Siziliens Geschichte – Kontaktzone im Mittelmeer“, das vom Verein zur Förderung von Studien zur interkulturellen Geschichte (VSIG) in Wien veranstaltet wurde, sollte den neuesten Entwicklungen der historischen Sizilienforschung Rechnung tragen. Die Organisatoren, Wolfgang Gruber (St. Pölten / Wien) und Stephan Köhler (Mannheim), legten ihren Fokus dabei speziell auf zwei Herangehensweisen, um über die Geschichte Siziliens zu reflektieren. Die erste hatte den mediterranen Charakter der Insel und ihre Lage im Mittelmeer zum Gegenstand. Im Rahmen der zweiten galt es, die Identität Siziliens und der dort tätigen Personen durch verschiedene (historische) Perspektiven von innen und außen zu beleuchten. Durch die Verflechtung beider Zugänge erhoffte man sich, neue Perspektiven für die Erforschung der Geschichte Siziliens zu eröffnen. Entsprechend war das Symposium in zwei thematische Panels gegliedert, die jeweils an einem Tag behandelt wurden: Sizilien im Mittelmeer am ersten Tag und Identität und Alterität am zweiten Tag. Nach jeweils drei Beiträgen zu den einzelnen Panels wurden die Fragen und Anregungen in einer anschließenden gemeinsamen Podiumsdiskussion unter Bezugnahme auf konkrete Beispiele und neueste Forschungsergebnisse besprochen. Den Vorträgen – ebenso wie der Diskussion – wurden dabei bewusst keine strikten Epochengrenzen auferlegt.

LAURA PFUNTNER (Davis) eröffnete das Symposium mit einem Beitrag über den Wandel der für die Insel in der Antike gebräuchlichen Namen und stereotypen Zuordnungen. Da die Römische Republik das erste Reichsgefüge war, das diese Insel zur Gänze unterwarf, kam der römischen Geschichtsschreibung, die von Anbeginn unterschiedliche Namen für Sizilien kannte, eine besondere Bedeutung zu. Thematisiert wurde somit gerade die Frage, wie der Gebrauch von bestimmten Begriffen (Sicilia, Trinacria, Sicania) sich im Wandel der Zeit veränderte. Betont wurde, dass die weiterbestehende griechische Geschichtsschreibung kaum von den römischen Eroberern wahrgenommen wurde. Moderne HistorikerInnen sind daher schon im frühen römisch-lateinischen Quellenmaterial mit einer Fremdbeschreibung Siziliens konfrontiert, welche die Insel und ihre BewohnerInnen als geographische und kulturelle Einheit im Vergleich mit Rom darstellt. So wurde im Beitrag auch der Frage nachgegangen, wie die Verwendung lateinischer Bezeichnungen für die Insel im Laufe der Zeit mit der Wahrnehmung Siziliens korrelierte. Unter Berücksichtigung zahlreicher Schriftsteller wie Cicero, Ovid, Plautus, Plinius Maior, Sallust, Vergil bis hin zu Beda Venerabilis wurden mithilfe von Primärquellen unterschiedliche Zugangsweisen zu Sizilien aufgezeigt. Eng damit verbunden war die Frage nach der Verortung der Insel im Mittelmeer, ihrer politischen und kulturellen Geographie als auch ihren Beziehungen zu anderen mediterranen Gebieten wie Nordafrika und Italien.

FERDINANDO MAURICI (Palermo) beschäftigte sich in Folge mit Palermo als mediterraner Hauptstadt in der Zeit von der byzantinischen Eroberung durch Belisar im 6. Jahrhundert bis zur Herrschaft des normannischen Königs Wilhelm II. im späten 12. Jahrhundert. Ähnlich dem ersten Beitrag standen auch hier Wandel und Veränderung im Mittelpunkt der Untersuchung. Der Vortrag beschrieb die Entwicklung der Stadt über einem Zeitraum von knapp 600 Jahren unter Bezugnahme auf überlieferte Stadtbeschreibungen und historische Berichte. Das Beispiel Palermos veranschaulicht dabei wie kaum ein anderes, dass bestimmte städtische Strukturen auch mehrfache Herrschaftswechsel überdauern konnten. Die wechselhafte Geschichte der Stadt war eng mit den byzantinischen, islamischen und normannischen Eroberungen der Insel verbunden. Während Um- und Ausbau der Stadt durch die neuen Herrscher oftmals gut dokumentiert sind, schweigen die Quellen aber mehrheitlich zu politisch ruhigeren Zeiten. Ein Umstand, auf den der Vortragende in Zusammenhang mit der Frage nach der Bevölkerungsstruktur verwies, die von den Eroberungen der Stadt ebenso betroffen war. Der Vortrag lenkte somit die Aufmerksamkeit auf die „dunklen Flecken“ der Forschung für eine ansonsten gut dokumentierte Stadtentwicklung.

Der Vortrag von EWALD KISLINGER (Wien) über die „Insel in zentraler Randlage“ rundete den ersten Halbtag ab. Als Einstieg in die Materie diente eine Stelle aus dem Gattopardo1, dem Roman Siziliens schlechthin, worin der Fürst von Salinas schildert, wie immer wieder Völker von außen nach Sizilien kamen, dort herrschten, Bauwerke errichteten, Steuern erhoben und dabei in ihrem Wirken von der Bevölkerung nie richtig verstanden wurden. Die zentrale Lage im mediterranen Raum hatte also meist zur Folge, dass sich die Einflusssphären diverser Kulturen auf der Insel überschnitten und Sizilien an den Rand geriet, statt ein bestimmender und ausstrahlender Kernbereich zu sein. Der Vortrag thematisierte Sizilien, an einer der wichtigsten Verkehrsachsen des Mittelmeeres gelegen, als einen sich anzueignenden Mittelpunkt. Durch die günstige Verkehrslage wurde die Insel im Laufe der Geschichte wiederholt Ziel von Expansionsbewegungen, sei es von Karthagern, Griechen, Römern, Arabern oder Normannen. Die Frage nach der Rolle Siziliens in der Geschichte lässt sich nur in Zusammenhang mit der Positionierung der Insel im größeren politischen Gebilde der Mediterranée verstehen. Dabei wurde die Insel oft zu einer doppelten Rand- und Konfliktzone, so etwa als Südgrenze des ostgotischen Herrschaftsgebietes, als westliche Militärgrenze des Byzantinischen Reiches oder als nördlichster Vorposten der islamischen Expansion. Neben der zentralen Lage im Mittelmeer, die der Insel durchwegs geopolitische Bedeutung zukommen ließ, wirkte sich die Anbindung – oder eben das Fehlen einer solchen – an größere Herrschaftskomplexe auf die Geschichte Siziliens entscheidend aus, was sie eben zu einer Insel in „zentraler Randlage“ machte.

Der zweite Tag, der dem Thema Identität und Altertiät gewidmet war, begann mit einem Vortrag von JASID ABDULKADER (Wien) über „Die Wahrnehmung Siziliens in arabischen Quellen“. Dabei wurde vor allem die schwierige Quellenlage der frühislamischen Epoche thematisiert, die eine Beschreibung der Bevölkerung des islamischen Siziliens erschwert. Die Phase des islamischen Siziliens, welche durch eine langwierige Eroberung der Insel ab dem Jahr 827 begann, brachte neben politischen, religiösen und kulturellen sowie technischen Umwälzungen auch eine Reihe demographischer Veränderungen mit sich. Dabei kamen zur bestehenden byzantinisch-christlich geprägten Bevölkerung vornehmlich muslimische Personengruppen aus Nordafrika, aber auch aus Andalusien sowie der islamischen Levante hinzu. Diese Neuankömmlinge bildeten jedoch alles andere als eine homogene Gruppe: Unterschiedliche Volks- bzw. Stammeszugehörigkeiten, politische Interessen und Loyalitäten sowie sogar religiöse Zugehörigkeiten (ab dem 10. Jahrhundert) zeichneten die Zuwanderer aus. Die wenigen erhaltenen schriftlichen Quellen werfen bezogen auf die Bevölkerung der Insel einige Fragen auf, die im Vortrag thematisiert wurden. So lässt zum Beispiel der grundsätzlich sehr negativ gehaltene Text des aus Bagdad stammenden und der schiitischen Glaubensrichtung zuneigenden Reisenden und Geographen Ibn-Hauqal die Frage nach der tatsächlichen Verbreitung des islamischen Glaubens auf der Insel aufkeimen. In Summe zeigen dabei die anhand schriftlicher Quellen erfolgten Untersuchungen über die Bevölkerung des islamischen Siziliens ein sehr heterogenes Bild, welches aber noch durch wirtschaftliche und archäologische Befunde ergänzt werden müsste.

Anschließend folgte ein Beitrag von THERESA JÄCKH (Heidelberg) über die Transformation des islamischen Palermo zu einer christlich-normannischen Hauptstadt. In ihrem Vortrag wurde Palermo als urbs regia des jungen normannischen Königreichs in Süditalien untersucht, besonders im Hinblick auf architektonisch-topographische Eingriffe und repräsentative Praktiken. Jäckh rekonstruierte zunächst die städtische Topographie des islamischen Palermo, um sie daran anschließend derjenigen der spätnormannischen Stadt gegenüber zu stellen. Mittels lateinischen und arabischen Quellen sowie unter Berücksichtigung der baulichen Strukturen wurde die Veränderung der islamischen Stadt untersucht. Dabei wurde bewusst auf mögliche Verbindungen zu islamisch-arabischen Vorbildern verwiesen. Die Imagination von Herrschaft der normannischen Könige wurde dabei sichtlich von einem bewussten Bauprogramm begleitet, das sich auch an islamischen Vorbildern orientierte. Thematisiert wurde die Frage, wo und warum Vorhandenes übernommen beziehungsweise auch bewusst nicht übernommen wurde. Das Ergebnis war eine urbane Entflechtungsgeschichte, die den Herrschaftscharakter der Stadt auf viele unterschiedliche Ursprünge zurückführen lässt.

Der letzte Beitrag von GEORG WINKLER (Bern) behandelte Sizilien zur Zeit des Risorgimento. Die zentrale Fragestellung war, wie Sizilien nach der Vollendung der politischen Einheit Italiens von den nationalen (italienischen) Eliten wahrgenommen wurde und welche Auswirkungen dies auf die Art und Weise hatte, wie die Insel regiert wurde. Sizilien wurde als etwas von der Italianität abweichendes wahrgenommen. Infolge der schwierigen politischen und gesellschaftlichen Umstände, mit denen die Zentralregierung auf Sizilien konfrontiert war, wurden die EinwohnerInnen der Insel als „unzivilisiert“ charakterisiert. Dies diente als Legitimation für den Einsatz von gewaltsamen Herrschaftsmethoden (Aussetzung der Verfassung, Ausnahmezustände, Einsatz des Militärs). Der Vortrag thematisierte die zahlreichen Probleme der nationalen Einigung auf Sizilien. Winkler unterstrich dabei die Bedeutung verschiedenster unterschiedlicher Faktoren (oppositionelle Strömungen, Brigantentum, Widerstand lokaler Eliten) für das Scheitern der Zentralregierung auf Sizilien und untersuchte diese in Zusammenhang mit den Reaktionen der nationalen Behörden. Besonders die Interpretation dieser Probleme durch die Behörden ließ interessante Einblicke auf die Wahrnehmung Siziliens zu.

Die Abschlussdiskussion drehte sich um die Frage, welche neuen Möglichkeiten die Erforschung Siziliens noch bietet. Dabei wurden die eingangs formulierten Fragen in der einen oder anderen Form wieder aufgegriffen. Die sechs Beiträge näherten sich dem Forschungsgegenstand Sizilien von ganz unterschiedlichen Perspektiven: der Wahrnehmung der Insel und ihrer Bewohner, der Frage nach der Verortung der Insel im Mittelmeer, der Kontinuität von Herrschaftsformen und den unterschiedlichen Einflüsse von außen (Araber, Berberstämme, Normannen, usw.) im Zusammenspiel mit lokalen Strukturen vor Ort. Zahlreiche Beiträge unterstrichen die Notwendigkeit, Sizilien im mediterranen Kontext zu untersuchen. Besonders Wirtschafts-, Religions- und Bevölkerungsgeschichte sollten dabei differenziert betrachtet werden. Für HistorikerInnen ergeben sich somit unterschiedliche Untersuchungsgebiete für Sizilien. So müssen etwa religiöse Grenzen nicht zwangsläufig mit der Verbreitung von materiellen Konsummustern übereinstimmen. Die Verkehrsfunktion der Insel darf ebenso wenig vernachlässigt werden, wenn auch die Quellen mitunter dazu schweigen. Die Tatsache, dass zu einigen Aspekten der sizilianischen Geschichte keine Quellen überliefert sind, sollte nicht als Fehlen bestimmter Entwicklungen interpretiert werden. Der erste Halbtag des Symposiums kann daher unter dem Aspekt einer mediterranen Entflechtungsgeschichte zusammengefasst werden. Dabei gilt es „lokale“ und „fremde“ Strukturen gleichberechtigt zu untersuchen, die sich zwar überlagern, aber nicht gegenseitig ausschließen. Kulturelle Phänomene sollten eher als Ausdrucksweise bestimmter sozialer Gruppen (wie beispielsweise Eliten) anstatt als regionale Kulturausprägung wahrgenommen werden. Mischkonzepte einer islamisch-christlichen Symbolik müssen daher nicht zwangsläufig als disparat interpretiert werden. Ein lohnenswerter Zugang, wie etwa die beiden Beiträge über das islamische und normannische Palermo bewiesen haben.

Die Frage nach der Wahrnehmung der Insel in historischen Quellen (Identität und Alterität) wurde auf mehreren Ebenen behandelt. So gilt es nicht nur die Informationen über die Insel und ihre BewohnerInnen entsprechend zu behandeln, sondern auch den Diskurs der Forschung kritisch zu überdenken. Die Diskussion hinterfragte die Sonderstellung Siziliens in den Geschichtswissenschaften als multikulturelles Phänomen und ob nicht gerade die besondere Beschäftigung mit der Insel diese erst begründete. Die Diskussionsbeiträge machten deutlich, dass für die Erforschung Siziliens ein breites Spektrum an Quellen herangezogen werden muss. Soll nicht nur die Geschichte der Eroberer und lokalen Eliten erzählt werden, so muss man sich auf die dunklen Flecken der sizilianischen Geschichte stützen – also jene Phasen der trügerischen politischen Ruhe, die keine Berichte über Plünderungen, das Brandschatzen von Kirchen oder lähmende Belagerungen hervorbrachten. Daraus ist Folgendes abzuleiten: Die sizilianische Gesellschaft ist wie ein Teil eines hoch komplexen Mosaiks aus Sozial- und Kulturelementen zu verstehen. Die Unzulänglichkeit von älteren ethnisierenden Geschichtsmodellen wird hier besonders deutlich. Stattdessen gilt es die hybriden und dynamischen Identitäten der Gesellschaft zu beschreiben. Sizilien war einem stetigen Wandlungsprozess unterworfen und die Forschung sollte sich daher mit den Prozessen der Integration und Desintegration auseinandersetzen. Eine solche Gesellschaft Siziliens kann nur begrenzt durch den rückwärtsgewandten Blick der HistorikerInnen anhand gängiger Muster und Modelle beschrieben werden. Die Beiträge dieses Symposiums haben jedoch Zugänge aufgezeigt, wie eine zeitgemäße Erforschung der Geschichte Siziliens in Ansätzen möglich wäre.

Konferenzübersicht

Begrüßung
1.Halbtag: Sizilien im Mittelmeer

Laura Pfuntner (Davis), One Island, Many Names: Sicily and its Inhabitants in Classical Latin Literature

Ferdinando Maurici (Palermo), Palermo da Belisario a Guglielmo II. Costruzione di una capitale mediterranea

Ewald Kislinger (Wien), Sizilien – Insel in zentraler Randlage

Podiumsdiskussion mit den Referenten
Moderation: Wolfgang Gruber (St. Pölten / Wien) / Stephan Köhler (Mannheim)

2.Halbtag: Identität und Alterität

Jasid Abdulkader (Wien), Die Wahrnehmung Siziliens in arabischen Quellen

Theresa Jäckh (Heidelberg), Urbane Entfremdung? Kontinuität und Entfremdung des islamischen Palermo

Georg Winkler (Bern), Das Pulverfass Italiens. Nationalisierung und Herrschaft während des Risorgimento in Sizilien

Podiumsdiskussion mit den Referenten
Moderation: Wolfgang Gruber (St. Pölten / Wien) und Stephan Köhler (Mannheim)
Schlussworte

Anmerkung:
1 Giuseppe Tomasi de Lampedusa, Der Leopard. [Aus dem Ital. Von Charlotte Birnbaum. Hrsg., mit Nachw., Anm. und Zeittaf. Von Ute Stempel.], Düsseldorf 1996.


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