Kampf um Wissen. Spionage, Geheimhaltung und Öffentlichkeit zwischen Nationalstaat und Globalisierung; 1870-1940

Kampf um Wissen. Spionage, Geheimhaltung und Öffentlichkeit zwischen Nationalstaat und Globalisierung; 1870-1940

Organisatoren
Lisa Medrow / Daniel Münzner / Robert Radu, Universität Rostock
Ort
Rostock
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.11.2013 - 15.11.2013
Url der Konferenzwebsite
Von
Robert Liniek, Historisches Institut, Universität Rostock

Seit den ersten Enthüllungen des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden im Frühjahr 2013 stehen Nachrichtendienste und ihre Methoden im Zentrum des öffentlichen Interesses. Kaum ein Tag vergeht, an dem Medien nicht von einer „neuen Dimension“ des Skandals um geheime Überwachungsprogramme berichten. Vor dem Hintergrund dieser aktuellen Debatte wurde bei der Tagung „Kampf um Wissen“ in transnationaler Perspektive über die Bedeutung von Geheimwissen und das Spannungsverhältnis von Öffentlichkeit und staatlicher Geheimhaltung im 19. und 20. Jahrhundert diskutiert. Die zweitägige historische Fachtagung wurde von Lisa Medrow, Daniel Münzner und Robert Radu, HistorikerInnen an der Universität Rostock, veranstaltet. Bereits am ersten Konferenztag wurden die Teilnehmer von der Nachricht überrascht, dass die Philosophische Fakultät der Universität Rostock die Verleihung der Ehrendoktorwürde an Edward Snowden prüft. Diese Entscheidung führte am Rande der Tagung zu anregenden Diskussionen.

In seiner kurzen Einführung betonte ROBERT RADU (Rostock) vom Department „Wissen, Kultur, Transformation“, dass das Wissen „als Objekt der Begierde jeder geheimdienstlichen Tätigkeit“ im Zentrum der Tagung stehen werde.

Einen Überblick über die Entstehung der Geheimdienste bot der Eröffnungsvortrag von WOLFGANG KRIEGER (Marburg). Professionelle Geheimdienste hätten sich zwar erst spät als erkennbarer Teil des Staatsapparates institutionalisiert, Vorläufer habe es aber schon in der Antike gegeben. Im Ägypten der Pharaonen waren es die Wagenlenker und Boten, die Geheimwissen transportierten. Mobilität war unverzichtbare Bedingung, um an sensible Informationen zu gelangen und es an die Auftraggeber weiterzugeben. Schon damals galt geheimes Wissen als „Frühwarnsystem“ für die Herrscher: Die Prävention ungewünschter Entwicklungen sparte Ressourcen. Durch versteckte Propaganda und Manipulation konnten Entscheidungen der Gegner gezielt beeinflusst werden, indem etwa falsche Informationen gestreut wurden („intoxication“). Die erste Blütezeit geheimer Dienste wurde im 16. und 17. Jahrhundert erreicht. Dabei erwiesen sich die Reformation und Dynastiekonflikte als die treibenden Kräfte. Eine Professionalisierung erfuhr die Spionage im Zuge der Französischen Revolution. Als Konsequenz aus den nicht rechtzeitig erkannten gesellschaftlichen Konflikten, die zum Ende des Ancien Régime geführt hatten, etablierte sich unter dem französischen Polizeiminister Joseph Fouché eine weit vernetzte und stets bestens informierte Geheimbürokratie. Im Zuge der angloamerikanischen Allianz von 1942 und mit Beginn des Kalten Krieges setzten sich staatliche Geheimdienste endgültig als unverzichtbare Aufklärungsmaschinerien durch.

Das erste Tagungspanel befasste sich mit geheimdienstlichen Verwicklungen im Kolonialzeitalter. Den Auftakt des Panels stellte der Vortrag von JÜRGEN SCHMIDT (Berlin) dar, der das Wirken deutscher Diplomaten in China im Zeitraum zwischen 1896-1917 als inoffizielle Geheimdiensttätigkeit betrachtete. Da sich die Informationsbeschaffung im „Reich der Mitte“ auf den üblichen Wegen als schwierig gestaltete, griffen die Gesandten zu geheimdienstlichen Methoden, die schwerlich mit dem diplomatischen Berufsethos vereinbar waren: Dazu zählte unter anderem die Bestechung von chinesischen Beamten, die in wirtschaftlicher Not lebten, um durch sie in den Besitz von offiziellen Dokumenten zu gelangen.

LISA MEDROW (Rostock) setzte sich in ihrem Vortrag mit dem Wirken von Christiaan Snouck Hurgronje (1857-1936) auseinander. In Niederländisch-Indien betrieb der Islamwissenschaftler intensive Studien zu panislamischen Bestrebungen und bereiste die arabische Welt. Sein Wissen über den Islam wurde von der niederländischen Regierung auch als sicherheitspolitische Ressource erachtet. Wenngleich Hurgronje selbst zum Islam konvertierte und eine Tendenz zum „going native“ erkennen ließ, verhielt er sich in seinen politischen Einschätzungen loyal gegenüber der Kolonialregierung und warnte vor einer Radikalisierung des politischen Islam.

SALVADOR OBERHAUS (Düsseldorf) beleuchtete in seinem Vortrag die deutsche Orientpolitik im Ersten Weltkrieg. Indem sie das scheinbar uneigennützige Motiv vorgab, eine Befreiung der Muslime von ihren Kolonialregimen herbeiführen zu wollen, förderte die deutsche Reichsregierung die Radikalisierung in den islamisch geprägten Kolonien Englands und Frankreichs. Hinter dieser Strategie stand die Hoffnung der deutschen Führung, dass die Kriegsgegner durch einen großen islamischen Aufstand entscheidend geschwächt und die europäischen Kriegsschauplätze – zum Vorteil des Kaiserreichs – entlastet werden könnten. Die mit dieser Strategie betrauten deutschen Orientalisten und Diplomaten, darunter Max von Oppenheim, ließen sich bei ihren konspirativen Aktionen jedoch von einem einfältigen und mit Ressentiments beladenen Orientbild leiten, infolgedessen sich ein weiterer zeitgenössischer Orientforscher, Friedrich Rosen, zur kritischen Bemerkung veranlasst sah, dass wohl „Karl May der Vater unserer Orientpolitik“ sei.

Beschlossen wurde der erste Konferenztag von MICHAEL FLENKER (Schwerin), der als Referent des Verfassungsschutzes von Mecklenburg-Vorpommern einen Einblick in die Praxis seiner Arbeit bot. Er stellte unter anderem die rechtlichen Grundlagen und Grenzen nachrichtendienstlicher Tätigkeiten in Deutschland vor, die sich aus dem Postulat der „wehrhaften Demokratie“ ergäben. In einer kurzen Diskussion hob Flenker hervor, dass seine Behörde auf die Zusammenarbeit mit den Medien angewiesen sei, um die Arbeit des Verfassungsschutzes vor der Öffentlichkeit zu legitimieren.

Das ambivalente Verhältnis von Militärs und Kriegskorrespondenten während des Zweiten Burenkriegs zwischen 1899 und 1902 wurde in dem Beitrag von CLAIRE-AMANDINE SOULIÉ (Essex) betrachtet. Für die gegen die südafrikanischen Burenrepubliken kämpfende britische Armee war es eine Frage der nationalen Sicherheit, Geheimwissen vor dem Zugriff von Journalisten zu schützen. Zugleich musste die Armee aber auch das öffentliche Informationsbedürfnis in der britischen Heimat zufriedenstellen. Die Militärs, in Fragen der Kommunikation mit der Öffentlichkeit ungeübt, waren somit genötigt, einen professionellen Umgang mit Journalisten zu entwickeln.

Auch in dem Vortrag von NORMAN DOMEIER (Stuttgart / Cambridge) wurde die Rolle von Auslandskorrespondenten erörtert. Durch investigative Recherchen gelangten im nationalsozialistischen Deutschland akkreditierte ausländische Journalisten an Geheimwissen. Der linksgerichtete „Manchester Guardian“ berichtete 1933 etwa über die ersten Konzentrationslager und konnte sich dabei auch auf Quellen in der Berliner Polizei stützen. Das NS-Regime versuchte einerseits, die kritischen Journalisten durch Propagandainszenierungen zu beschwichtigen und für die eigene Außendarstellung zu instrumentalisieren. Andererseits ahndeten die Machthaber unliebsame Enthüllungsberichte, so genannte „Scoops“, mit harten Sanktionsmaßnahmen, die von Denunziationskampagnen der gleichgeschalteten Presse gegen die betroffenen Korrespondenten bis hin zu ihrer Inhaftierung und späteren Ausweisung reichen konnten.

DANIEL MÜNZNER (Rostock) analysierte den Umgang mit Geheimnisverrat in der Weimarer Republik und stützte sich dabei unter anderem auf Akten des Oberreichsanwaltes und des Reichsjustizministeriums. Mit der Ruhrbesetzung im Jahr 1923 setzte sich nach vier Jahren weitgehender Transparenz gegenüber der Weltöffentlichkeit ein zunehmend rigides Verständnis von Landesverrat durch. Eine weitere Verschärfung erfuhr dieser Straftatbestand durch den „publizistischen Landesverrat“. Dieser Vorwurf richtete sich gegen linke und pazifistische Journalisten, die Gesetzesverstöße gegen den Versailler Vertrag öffentlich machten. Der Referent resümierte, dass das Staatsgeheimnis in der Weimarer Republik als Instrument zur nationalistischen Inklusion diente. Demokratische Prozesse, insbesondere die Rolle von Medien, wurden durch die inflationäre Anwendung der Paragraphen systematisch untergraben.

FLORIAN ALTENHÖNER (Berlin) stellte die militärische Abwehr in der deutschen Zwischenkriegszeit (1919-1933) in den Mittelpunkt seines Vortrags. Wenngleich mit deutlich reduziertem Personalbestand, sind personelle und institutionelle Kontinuitäten zwischen dem militärischen Geheimdienst des Ersten Weltkrieges und der Nachkriegszeit erkennbar. Der Referent konzentrierte sich bei seinen Ausführungen auf den Geheimen Meldedienst der Reichswehr und den Prozess der Informationsbeschaffung. Als Hauptinformationsquellen dienten demnach Angehörige deutscher Minderheiten, vor allem bei der Aufklärungsarbeit in Polen, sowie Deserteure der ausländischen Armeen. Aufgrund der schwierigen Quellenlage blieben jedoch viele Fragen offen: So lasse sich letztlich nicht nachvollziehen, inwieweit die Abwehr mit anderen Institutionen in der Republik interagierte und ob es etwa einen Informationsfluss zwischen der Abwehr und den politischen Institutionen gegeben habe.

FREDERIK MÜLLERS (Mainz) fokussierte in seinem Vortrag ebenfalls die Zwischenkriegszeit. Dabei betrachtete er in diesem Zeitraum entstandene Spionageromane deutscher Provenienz als Ausdruck kultureller Repräsentationen von Geheimdienstarbeit. Als präskriptive Beiträge im Diskurs über „intelligence“ vermittelten deutsche Spionageromane ihren Lesern das Bild, dass Deutsche nicht spionieren würden, da Spionage kriminell sei und es sich bei Spionen um niederträchtige Charaktertypen handele. Die Autoren fühlten sich somit auch dem Ziel nationaler Selbstvergewisserung und Abgrenzung verpflichtet.
In seinem Abschlusskommentar fasste DANIEL MÜNZNER (Rostock) wesentliche Ergebnisse der Tagung zusammen. Auch geheimdienstliche Organisationen müssten demnach Öffentlichkeitsarbeit betreiben, um ihre Arbeit gegenüber einer zunehmend kritischen Öffentlichkeit zu legitimieren. Was als Geheimwissen gilt, werde stets mit der Presse ausgehandelt. Münzner wies auch auf die Identitätenvielfalt von Geheimnisträgern hin: Ein Agent verkörpere nicht nur seine Rolle als Agent, sondern sei immer auch anderen Loyalitäten verpflichtet, wie das Beispiel von Hurgronje zeige. Letztlich sei das „Geheime“ ein Mythos, denn: Was denkt die Öffentlichkeit über das, was sie nicht weiß? In der Schlussdiskussion wurde überdies festgehalten, dass der Geheimnisbegriff viele Unschärfen enthält und als Analysebegriff klarer gefasst werden müsste.
Die Rostocker Tagung bot Einblicke in die vielschichtige Arbeit geheimer Dienste und die oft verschlungenen Wege ihrer Informationsbeschaffung. Auch mediengeschichtlich förderte die Tagung interessante Erkenntnisse zutage: In vielen Tagungsbeiträgen zeigte sich, dass Journalisten mit ihren investigativen Recherchemethoden zunehmend das staatliche Geheimhaltungsparadigma infrage stellten und sensible Informationen an die Öffentlichkeit lancierten. Vor diese neue Situation gestellt, schwankten staatliche und militärische Behörden zwischen Repression und Kooperation.

Konferenzübersicht:

Begrüßung
Robert Radu (Universität Rostock)

Wolfgang Krieger (Universität Marburg), Einführungsvortrag: Geheimdienstgeschichte als Wissensgeschichte

Panel 1: Geheimwissen und Weltpolitik

Jürgen Schmidt (Berlin), Die Beschaffung amtlich notwendiger Informationen auf geheimdienstlichen Wegen durch deutsche Konsuln und Diplomaten in China (1896-1917)

Lisa Medrow (Rostock), Christiaan Snouck Hurgronje (1857–1936): Analysen zur Gefahr des panislamischen Jihad in öffentlichen Debatten und in geheimen Kolonialakten

Salvador Oberhaus (Düsseldorf), Djihad für den Kaiser: Die deutsche Propagandastrategie für den Orient im Ersten Weltkrieg an der Schnittstelle zwischen Spionage und Informationskontrolle

Panel 2: Geheimwissen und Öffentlichkeit

Claire-Amandine Soulié (Essex), “Power Behind the Scenes”: War Correspondents, Newspaper Editors and Military Men in the Anglo-Boer War (1899-1902)

Norman Domeier (Cambridge / Stuttgart), Die Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen durch Auslandskorrespondenten im „Dritten Reich“ (1933-1945)

Panel 3: Spionage und Militär

Florian Altenhöner (Berlin), Geheimnisse der Zwischenkriegszeit: Die „Abwehr“ im Reichswehrministerium (1919-1933)

Daniel Münzner (Rostock), Geheimnisverrat in der Weimarer Republik

Panel 4: Kulturelle Repräsentationen

Frederik Müllers (Mainz), Fortsetzung des Krieges mit literarischen Mitteln? Der deutsche Spionageroman der Zwischenkriegszeit (1918-1939)


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