The Ottoman Conquest of the Balkans – Interpretations and Research Debates

The Ottoman Conquest of the Balkans – Interpretations and Research Debates

Organisatoren
Institut für Osteuropäische Geschichte, Universität Wien
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
14.11.2013 - 16.11.2013
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Von
Konrad Petrovszky, Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien

Die osmanische Eroberung Südosteuropas, die sich von der Mitte des 14. Jahrhunderts bis in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts erstreckte, stellt nicht nur ein zentrales Ereignis der europäischen Geschichte dar, sondern wird – in der Region selbst mehr noch als außerhalb – geradezu als Bruch mit derselben wahrgenommen. Nicht zuletzt auf die damit in Gang gesetzten Wandlungsvorgänge bezieht sich die zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufkommende Rede von der „Rückkehr nach Europa“, die freilich immer wieder überlagert und umcodiert wurde durch Erfahrungen der neueren Vergangenheit. Die im November 2013 am Institut für osteuropäische Geschichte unter Leitung des Südosteuropahistorikers Oliver Jens Schmitt abgehaltene Tagung brachte führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den beteiligten – und oft eher neben- als miteinander forschenden – historischen Disziplinen der Byzantinistik, Osmanistik und Balkanmediävistik mit dem Ziel zusammen, die höchst unterschiedlichen Deutungslinien in vergleichender Perspektive hervortreten zu lassen und die Möglichkeiten einer Neubewertung der Eroberungsepoche auszuloten.1

Diese Ansprüche formulierte OLIVER JENS SCHMITT (Wien) in seinem Eröffnungsvortrag, in dem er nicht nur auf die immensen Forschungslücken hinwies, die sich zu einem guten Teil aus den sehr unterschiedlichen Zugängen der betroffenen Disziplinen und der gegenseitigen Rezeptionsverweigerung erklären, sondern auch auf die Fallstricke der jeweils verwendeten Begrifflichkeiten zu sprechen kam, die zur Bezeichnung der Vorgänge zwischen etwa 1350 und 1540 Verwendung finden: Eingliederung, Eroberung, Unterwerfung, Invasion, Integration etc. Der titelgebende Begriff „conquest“ betone dabei besonders die Gewaltdimension der vielschichtigen Umgestaltungsprozesse, denn schließlich wären diese nicht ohne militärische Gewalt in Gang gesetzt worden und könnten unter Absehung von den enormen Zerstörungen, die diese zum Teil begleiteten, auch nicht angemessen begriffen werden. Beides gelte es daher im Blick zu behalten, um einerseits einen Rückfall in die Klischees südosteuropäischer Nationalgeschichtsschreibungen zu vermeiden, andererseits aber die unleugbare Erschütterung der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht vollends auszublenden. In Anbetracht der weitreichenden Umwälzungen und Folgewirkungen, die die osmanischen Eroberungen für den gesamten europäischen Südosten mit sich brachten, könne, so betonte Schmitt abschließend, von einer Transformationsperiode gesprochen werden, die durchaus mit dem für die westeuropäische Geschichte so zentralen Übergang von antiker zu mittelalterlicher Zivilisation vergleichbar sei.

Die im Einleitungsvortrag angestoßenen Überlegungen wurden in den zwei folgenden Beiträgen, die sich um eine globalhistorische Einordnung und methodologische Grundlegung bemühten, weiter fortgeführt. MAURUS REINKOWSKI (Basel) setzte in einer vielschichtigen Argumentation die osmanische Eroberung des Balkans zunächst in Bezug zur weitaus schneller verlaufenden Eingliederung des Vorderen Orients in das imperiale Gefüge. Gegenüber dem dort womöglich allein als „imperialen Regimewechsel“ erfahrenen Herrschaftswechsel wurde der Umbruchscharakter noch einmal deutlich, den dieser für den christlichen Balkan hatte, und bringt darüber hinaus die Frage nach dem Faktor Religion für die osmanische Expansion und Herrschaftsausübung auf den Plan. Demgegenüber hob MARKUS KOLLER (Bochum) unter Verweis auf die Ergebnisse der vergleichenden Imperienforschung hervor, in welchem Maße der „osmanische Faktor“ für europäische Epochenkonstruktionen und Erklärungsmuster von Bedeutung sei, wenngleich dessen tatsächliche Erklärungskraft jedoch zu hinterfragen sei. Im Anschluss an den vom Kirchenhistoriker Berndt Hamm geforderten Abschied vom Epochendenken plädierte Koller dafür, den Blick verstärkt auf „dynamisierende Momente“ der osmanischen Geschichte zu lenken, deren Veränderungskraft stets nur segmentär und niemals alle Lebensbereiche umfassend gewesen sei.

Welche unterschiedlichen Ausprägungen der Eroberungsprozess in der politisch fragmentierten Landschaft des ausgehenden Mittelalters nehmen konnte, machten die speziell auf die Militärgeschichte fokussierten Vorträge zum zentralbalkanischen Raum deutlich. Während TONI FILIPOSKI (Skopje) auf die Rivalitäten der lokalen christlichen Machthaber und die sich in rascher Abfolge ändernden Bündnisverhältnisse als wesentliche „non-Ottoman factors“ für die Etablierung der osmanischen Hegemonie abhob, befasste sich MARIYA KIPROVSKA (Sofia) mit den unterschiedlichen Formen der Eingliederung lokaler, das heißt nicht-osmanischer Verbände und Personengruppen in das osmanische Militärsystem des ausgehenden 14. Jahrhunderts. Der Eklektizismus in der osmanischen Herrschaftsausübung, das Wechselspiel von Privilegiengewährung und entschiedener Gewaltausübung sowie individuelle Strategien der Anpassung an die neuen Machtverhältnisse wurden als zentrale Aspekte der Konsolidierung der neuen Herrschaft hervorgehoben.

Als Beispiel eines relativ widerstandlosen Übergangs zur osmanischen Herrschaft und des pragmatischen Charakters derselben kann der im Vortrag von KOSTA GIAKOUMIS (Tirana) behandelte südalbanisch-epirotische Raum gelten, der sich gegen Ende des 14. Jahrhundert als politisch schwach integrierter Raum erwies. Die weitgehende gewaltfreie Eingliederung in das osmanisches System bei nur geringem politischen Widerstandspotenzial falle hier im Vergleich mit dem unmittelbar nördlich angrenzenden Raum auf, der – man denke nur an die von Skanderbeg angeführte Aufstandsbewegung – gerade das Gegenbeispiel einer besonders gewaltsamen Unterwerfung darstelle.

Dem historisch nach wie vor umstrittenen und in erinnerungspolitischer Hinsicht wohl brisantesten Aspekt der osmanischen Herrschaftserrichtung in Südosteuropa widmete sich GRIGOR BOYKOV (Sofia) in seinem Vortrag zu den demographischen Begleiterscheinungen. Die diesbezüglich meinungsbildenden Schulen, die sich mit den Schlagworten „catastrophic conquest“, „Turkish conquest“, „continuity thesis“ erfassen lassen, erwiesen sich nach Boykov als letztlich zu vereinfachend angesichts einer von Region zu Region sehr unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen und demographischen Ausgangslage sowie einer Quellensituation, die in Dichte und Beschaffenheit nicht minder variiere. Aus diesem Grunde seien Muster, die in einer bestimmten Phase und in einer bestimmten Region zu beobachten sind, eben nicht umstandslos auf andere Regionen übertragbar. Um der Problematik grober und oft tendenziöser Verallgemeinerung zu entkommen, sei nicht nur die vergleichende Zusammenstellung unterschiedlicher Quellengattungen vonnöten, sondern auch die Einbeziehung der osmanischen Archäologie.

Auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung unterschiedlicher Quellentypen sowie von außer-osmanischen Vergleichsparametern wies auch TIJANA KRSTIĆ (Budapest) hin, deren Forschungsüberblick sich der Frage des Religionswechsels im osmanischen Kulturraum widmete. Die Aufnahme neuer Mitglieder in die islamische Religionsgemeinschaft habe eine zentrale Herausforderung für das in rascher Expansion begriffene Reich dargestellt; ein angemessenes Verständnis für die Rolle und überhaupt die spezifische Verfasstheit des Islam werde dabei aber durch die in der Forschung anzutreffende stereotype Verwendung von Begriffen wie „Synkretismus“ oder „Hybridität“ eher erschwert als erleichtert. Demgegenüber schlug Krstić die Überwindung der bislang überwiegenden „single-source methodology“ vor und plädierte ferner für eine kritische Auseinandersetzung mit Konzepten der Konfessionalisierungsforschung.

Komplexität und Grenzen der osmanischen Expansion ließen sich in jenen Vorträgen besonders gut nachvollziehen, die sich mit jenen Gebieten Südosteuropas beschäftigten, die nicht militärisch unterworfen und administrativ eingegliedert wurden. Der Republik Venedig, deren ostmediterranen Gebiete nie vollständig erobert wurden, widmete sich der Vortrag von OVIDIU CRISTEA (Bukarest). Der wirtschaftliche und militärische Aufstieg der Serenissima, der sich parallel zur Zersplitterung der spätmittelalterlichen Staatenwelt des Balkans vollzog, sei mit der auch im maritimen Bereich sich vollziehenden Expansion des Osmanischen Reichs schon bald an seine Grenzen gestoßen. Hierfür sei nicht allein die osmanische Übermacht verantwortlich gewesen, die zu einer langen Kette von Rückschlägen führte, sondern vor allem die Häufung interner Missstände. Während die primär handelsorientierte Militärpolitik der Republik direkte kriegerische Auseinandersetzungen weitestgehend vermied und so auch den Verbleib vieler Territorien unter venezianischer Herrschaft sichern konnte, scheint, so wurde in der Diskussion hervorgehoben, das tatsächliche Gewicht Venedigs als anti-osmanischer Akteur bislang eher überbewertet worden zu sein. Mit dem Falle einer Nicht-Eroberung und letztlich nur partiellen Integration in den osmanischen Herrschaftsverband befassten sich MARIA MAGDALENA SZÉKELY und ŞTEFAN S. GOROVEI (Iaşi). Anhand einer Fülle von zeitgenössischen Stellungnahmen zeigten sie auf, dass die Frage, was unter Begriffen wie „Eroberung“, „Unterwerfung“ oder „Herrschaft“ im Falle des tributpflichtigen Fürstentums Moldau zu verstehen sei, bereits in der Frühen Neuzeit unterschiedliche Deutungen erfuhr. Als bemerkenswert erweist sich dabei die Diskrepanz zwischen der osmanischen und der lokalen moldauischen Bewertung der politischen Stellung des Fürstentums (und den sich daraus ergebenden Pflichten), die gegensätzlicher nicht sein konnten und manche moderne Forschungskontroversen gewissermaßen schon vorwegnahmen.

Besonderes Augenmerk auf die historiographische Bearbeitung der osmanischen Eroberungs- bzw. Unterwerfungsepoche legten schließlich die Vorträge von ANDREI PIPPIDI (Bukarest) und DUBRAVKO LOVRENOVIĆ (Sarajevo). In Fortführung einer letztlich ins 18. Jahrhundert zurückreichenden Debatte habe nach Pippidi auch die moderne rumänische Geschichtswissenschaft die Frage nach den staatsrechtlichen Grundlagen der walachischen Vasallität diskutiert, stets um die Betonung des anti-türkischen Abwehrkampfs und des Gedankens der nationalen Einheit der Rumänen bemüht. Die Emotionalität und Parteilichkeit der geäußerten Positionen, die stellvertretend für die maßgeblichen historiographischen Tendenzen der zurückliegenden zwei Jahrhunderte gelesen werden können, sei dabei umso erstaunlicher, als sich die Debatte auf eine letztlich nur sehr dünne dokumentarische Basis stützen könne. Mit einem von Dubravko Lovrenović leidenschaftlich vorgetragenen Ausblick auf die gegenwärtige Geschichtskultur in Bosnien-Herzegowina wurde die Tagung beschlossen. Ihm zufolge habe das bereits im unmittelbaren Anschluss an die Eroberung des mittelalterlichen Bosnien entwickelte Interpretationsschema der franziskanischen Mission spätere Geschichtsnarrative maßgeblich geprägt. Dieses von Vorstellungen von Verrat und Häresie durchdrungene Deutungsmuster beeinträchtige, so Lovrenović, auf unheilvolle Wiese noch das heutige Geschichtsbild.

Gerade der skeptisch gehaltene Schlussvortrag machte noch einmal deutlich, wie aufgeladen – wenngleich dies sicherlich nicht für alle Länder Südosteuropa in gleichem Maße gilt – die Rekurrenz auf die osmanischen Eroberungen zum einen ist und wie schwierig es sich zum anderen erweisen mag, die zahlreichen Schichten der Überschreibung dieser Vorgänge sorgsam auseinanderzuhalten.

So traten im Laufe der Tagung nicht nur die Verschiedenheit der Zugänge (was zweifelsohne zu erwarten war), sondern auch die divergierenden Interessenlagen zutage, die die Auseinandersetzung mit dem osmanischen Eroberungsprozess bestimmen. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus ein Verdienst der Tagung, die Unübersichtlichkeit konsequent hergestellt zu haben, die notwendig erscheint, um verhärtete Diskursfronten aufzubrechen und der Komplexität des Eroberungsprozesses und seiner (auch erinnerungspolitischen) Tiefenwirkung gerecht zu werden. Zugleich wurde aus den zahlreichen Diskussionen im Laufe der Tagung deutlich, in welchem Maße ein stärker systematisierender Zugriff nötig wäre, um die Zusammenführung der fragmentierten Forschung zu ermöglichen und zu einer Neubewertung der bislang noch unzulänglich erforschten Transformationsperiode des europäischen Spätmittelalters zu gelangen. Eine zweifache konzeptionelle Rahmung würde sich hier sicherlich anbieten: zum einen der größere Vergleichsrahmen der Imperienforschung, der außer- wie auch innerosmanische Vergleichsfälle stärker in den Blick zu nehmen erlaubt, zum anderen ein inner-regionaler, das heißt binnen-südosteuropäischer Vergleichsrahmen, der stärker an spezifischen Fragestellungen orientiert und auf die Vermittlung einer insgesamt noch sehr parzellierten Diskussionskultur ausgerichtet wäre.

Konferenzübersicht:

Oliver Jens Schmitt (Wien), The Ottoman Conquest of the Balkans – Outlines of a Research Program

Markus Koller (Bochum), “Imperial Middle Ages”? A Comparative Approach on Early Russian and Ottoman History

Maurus Reinkowski (Basel), Conquests Compared: Ottoman Expansion in the Balkans and the Eastern Arab World

Toni Filiposki (Skopje), Before and After the Marica Battle (1371): The Significance of the Non-Ottoman Factors in the Ottoman Conquests of the Balkans

Mariya Kiprovska (Sofia), Ferocious Invasion or Smooth Incorporation? Merging the Established Balkan Military System into the Ottoman Army

Grigor Boykov (Sofia), Human Cost of Warfare: National Interpretations, Methodological Issues, and Theoretical Framework of Balkan Demographic History in the Late Middle Ages and the Early Modern Era

Tijana Krstić (Budapest), Approaching the Phenomenon of Religious Change in Ottoman Rumeli

Ovidiu Cristea (Bukarest), Venice Confronting the Ottoman Empire: A Struggle for Survival

Konstantinos Giakoumis (Tirana), “The Turkish Turban rather than the Latin Mitre” or Just Another Overlord? An Enquiry into the Causes of Ottoman Expansion in Epiros and Albania

Andrei Pippidi (Bukarest), The Ottoman Conquest of Wallachia: Facts and Interpretations

Maria Magdalena Székely/Ştefan S. Gorovei (Iaşi), Vieilles questions, vieux clichés. Nouvelles approches, nouveaux résultats ? Le cas de la Moldavie

Dubravko Lovrenović (Sarajevo), The Ottoman Conquest of Bosnia in 1463 as interpreted by Franciscan Chroniclers and Historiographers: A Historic(al) Event with Political and Psychological Ramifications that are still present today

Anmerkung:
1 Überblickend zur Diskussion um das osmanischen Erbe in Südosteuropa siehe Gunnar Hering, Die Osmanenzeit im Selbstverständnis der Völker Südosteuropas, in: Hans Georg Majer (Hrsg.), Die Staaten Südosteuropas und die Osmanen (Südosteuropa-Jahrbuch 19), München 1989, S. 355-380; Tea Sindbaek/Maximilian Hartmuth (Hrsg.), Images of Imperial Legacy: Modern Discourses on the Social and Cultural Impact of Ottoman and Habsburg Rule in Southeast Europe (Studien zur Geschichte, Kultur und Gesellschaft Sudosteuropas 10), Berlin 2011; für eine aktuelle Bestandsaufnahme des Forschungsstands siehe Oliver Jens Schmitt, Südosteuropa im Spätmittelalter: Akkulturierung – Integration – Inkorporation?, in: Reinhard Härtel (Hrsg.), Akkulturation im Mittelalter (Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte Vorträge und Forschungen 78), Sigmaringen 2014, S. 81-136.


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