Heilige und Heiligkeit. Transkulturelle Verehrungskulte in epochenübergreifender Perspektive

Heilige und Heiligkeit. Transkulturelle Verehrungskulte in epochenübergreifender Perspektive

Organisatoren
Kerstin S. Jobst, Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien Dietlind Hüchtker / GWZO Leipzig
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
27.02.2014 - 01.03.2014
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Von
Marina Kevkhishvili, Humboldt-Universität zu Berlin / Kunsthistorisches Institut in Florenz / Max-Planck-Institut

Was ist Heiligkeit und wer kann als heilig bezeichnet werden? Diese Fragen sind schwer zu beantworten. Der Begriff des Heiligen oder der Heiligkeit verändert sich im Laufe der Zeit. Synkretische, transkulturelle Phänomene sowie historische Ereignisse tragen zur ständig wechselnden Definition der beiden Begriffe bei. Die internationale Tagung Heilige und Heiligkeit. Transkulturelle Verehrungskulte in epochenübergreifender Perspektive beschäftigte sich mit Fragen von Heiligenverehrung und Glaubensformationen. Synkretische Phänomene und multiple religiöse Identitäten wurden aus unterschiedlichen fachwissenschaftlichen Perspektiven analysiert und zur Diskussion gestellt. Die interdisziplinären Beiträge der eingeladenen Historiker, Theologen, Politik- sowie Literaturwissenschaftler behandelten Aspekte wie Multiple Heilige / Heilige Orte, Konflikte und Koexistenzen bei der Heiligenverehrung sowie Begriffsauslotungen: „Heilige und Stars“, „Säkularität und Sakralität“, „Synkretismus und Transkulturalität“.

In ihrer Einführung erläuterte KERSTIN S. JOBST (Wien) die Thematik der Tagung und sprach gleichzeitig damit verbundene kritische Fragen an. Warum glaubt der Mensch und wie ist der Begriff Glaube überhaupt zu definieren? Die Grenzüberschreitungen in den unterschiedlichen Religionssystemen und synkretischen Phänomenen wurden durch entsprechende Beispiele aus Südamerika/Mexiko oder aus Osteuropa/Polen vor Augen geführt.

Die Tagung eröffnete WALTRAUD PULZ (München) mit ihrer Keynote: „Heilige Leiber“ – Leibhaftige Heiligkeit. Im ersten Teil des Vortrags wurde ein Überblick über wichtige körperliche Zeichen von Heiligkeit, wie Stigmata, Askese oder Unverweslichkeit gegeben. All diese Zeichen wurden gewöhnlich als Angleichung an das Göttliche oder als Öffnung in das Überirdische verstanden.

Im zweiten Teil des Vortrags wurde auf auffällige Geschlechterunterschiede hingewiesen. Während vergleichbare körperliche Zeichen bei männlichen Betroffenen als Krankheit identifiziert wurden, instrumentalisierten Frauen ihren eigenen Körper, um mit Hilfe der Religion ihre Wünsche zum Ausdruck zu bringen und in einigen Fällen eine höhere Stellung in der gesellschaftlichen Hierarchie zu erreichen. In späterer Zeit sind die mystischen Paradoxien, wie die Nahrungsabstinenz, immer weniger verstanden worden und letztendlich vollkommen verschwunden.

Die erste thematische Sektion Praktiken und Sinnstiftungen widmete sich der Funktionalisierung von „Heiligen“ und dem Umgang mit „sakralen“ Objekten. Die Sinnstiftung und Bedeutung der Verehrung von Sankt Georg im Bundesnachrichtendienst standen im Mittelpunkt des Vortrages von BODO HECHELHAMMER (Berlin). Im Jahre 1956 hat der BND unter der Leitung von Reinhard Gehlen eine eigene Sankt-Georgs-Medaille eingeführt, mit der die Mitarbeiter der Behörde bis heute ausgezeichnet werden. Die Wahl des Heiligen Georg zum „Schutzheiligen“ der Behörde erscheint insofern etwas merkwürdig, wenn man die Tatsache in Betracht zieht, dass der BND-Präsident Gehlen Protestant war. Aus welchem Grund der Heilige Georg ausgesucht wurde, bleibt unklar. Diesbezüglich kann die im Jahre 2010 eingeleitete Geschichtsaufarbeitung des BND weitere spannende Details ans Licht bringen.

Fragen hinsichtlich (pseudo-)religiöser Praktiken und des Umgangs mit bzw. der Sinngebung von „sakralen“ Objekten warf auch der folgende Beitrag auf. Der Ausgangspunkt von ROGER THIELs (Erlangen) Vortrag Stuhl und Rucksack. Zur Übertragung heiliger Energien auf profane Dinge war ein Definitionsversuch von Fetischen und sakralen Objekten, die „außerhalb“ der üblichen Kategorien stehen. Am Beispiel von Glenn Goulds Klavierstuhl und Ludwig Wittgensteins Rucksack wurde das „Eigenleben“ des zum Verehrungsobjekt verwandelten profanen Dinges vor Augen geführt. Demnach kann es durch die Relation eines beliebigen Objektes mit einem bestimmten Subjekt zu einer Umwertung kommen, infolge derer profane Dinge zu Kultobjekten umgewandelt werden.

Eine andere Form der Sinnstiftung des profanen, hier politischen Bereiches, stellte ANJA BURGHARDT (Salzburg) vor. Sie richtete den Blick auf die propagandistische Darstellungsweise der Fabrikarbeiter in sowjetischen Zeitschriften. Die im Jahre 1926 gegründete Zeitschrift „Sovetskoe Foto“ machte es sich zur Aufgabe, die „heilige, heldenhafte Geschichte unserer Heimat“ (gemeint ist hier die Sowjetunion) zu dokumentieren. Die in Lichtstrahlen gehüllten sowjetischen Arbeiter gleichen den Heiligendarstellungen in Kirchen. Auch die erleuchteten Fabrikhallen erscheinen gleichsam als Kathedralen der sowjetischen Diktatur. Damit wird eine Sakralisierung der sowjetischen Arbeiter bzw. der Orte ihrer Tätigkeit inszeniert. Die traditionelle christliche Ikonographie wurde hier für die Verbreitung der sowjetischen Ideologie eingesetzt. Zu Recht wurde von der Referentin auf die Text-Bild-Relation in der Zeitschrift hingewiesen. Viele der dargestellten Fotos tragen keine, oder eine sehr allgemeine Beschriftung. Der „verbalen Botschaft“ wird eine untergeordnete Rolle zugesprochen, während das Bild aktiv für sowjetische politisch-propagandistische Zwecke fungiert.

Ebenso im Grenzgebiet zwischen religiöser und weltlicher Sphäre angesiedelt war die folgende literaturwissenschaftliche Betrachtung von AGNIESZKA SOWA (Krakau). Am Beispiel von Rolf Bauerdicks Roman „Wie die Madonna auf den Mond kam“ zeigte sie ein interessantes Beispiel des Synkretismus von Glauben und Aberglauben. Der Vortrag führte lebhaft den Aufstieg und Fall der kommunistischen Diktatur in Rumänien vor Augen. Die grundsätzliche Frage nach der Existenz Gottes wird hier mit der Existenz der leiblichen Maria im Himmel gleichgesetzt. Die Protagonisten glauben, die Gottesmutter sei durch die Flüge der Russen ins Weltall in Gefahr, und machen es sich zur Aufgabe, sie zu retten, indem sie die Amerikaner auf diese Gefahr hinweisen wollen. Auf gelungene Art werden mit der tragisch-komischen Erzählweise dieses Romans die bitteren Erfahrungen der kommunistischen Zeit vorgeführt. Die Grenzen zwischen dem Religiösen und dem Politischen scheinen zu verschwimmen, und diese Verschmelzung erzeugt ein verdrehtes Bild der sakralen, sowie der profanen Ideale der Menschheit.

Im einleitenden Vortrag der folgenden Sektion Multiple Heilige / Heilige Orte befasste sich KONRAD PETROVSZKY (Wien) mit der Ambivalenz der Bedeutungszuschreibung sowie den politischen Aspekten der translokalen Verehrungsgeschichte von Heiligen im orthodoxen Südosteuropa. Besonderes Augenmerk galt in dieser Hinsicht der Heiligen Paraskeva. An die in der gesamten Orthodoxie sehr präsente Heilige wird an 55 Tagen im Jahr erinnert. Der auf den Wochentag Freitag bezogene Name der Heiligen (griechisch „Vorbereitung“) ist ein Hinweis auf die christlich-liturgische Bedeutung des Tages. Der Beitrag zeigte die onomastischen und semantischen Dimensionen des Paraskeva-Kults in der Vormoderne auf.

Die Notwendigkeit, neue Erklärungen und Gründe für das Entstehen von synkretischen Phänomenen in Betracht zu ziehen, erläuterte MICHAEL G. MÜLLER (Halle/S.) in seinem Vortrag Bekenntnisgrenzen aushandeln. Protestantische Orthodoxie und Synkretismus in Polen-Litauen im späten 16. Jahrhundert. Am Beispiel von Danzig, Elbing und Thorn in der Zeit von 1500-1610 wurde gezeigt, wie innerhalb protestantischer Glaubensgemeinschaften verschiedene Prozesse der Redefinition von Orthodoxie verliefen.

Das Besondere an diesen drei Städten war eine weite Religionsauffassung, die im Vortrag als "calvinistisch-lutherisch" bezeichnet wurde und welche verschiedene reformatorische Strömungen (mit der Ausnahme von Arianern) tolerierte. Dieses „Zusammenleben“ der diversen religiösen Strömungen wurde durch die Freiheit bei der eigenen Kirchengestaltung ermöglicht. Deutlich dargestellt wurde, dass die theoretische Konzeption von Synkretismus den Praktiken der religiösen Realität häufig entgegensteht.

Transreligiöser Synkretismus und religiöse Integrationsdiskurse standen im Fokus von STEFAN ROHDEWALDs (Gießen) Beitrag Transreligiöse Elemente in Diskursen über Heilige im (post)-osmanischen Europa. Anhand zweier Beispiele wurde gezeigt, wie die Verehrungshandlungen durch fremde oder angeeignete Verehrungsgemeinschaften funktionieren. Mehrere Heilige, wie der hl. Michael, der hl. Stefan oder die hl. Petka werden sowohl von katholischen wie orthodoxen Christen als auch von Muslimen verehrt. Hinterfragt wurden die sozialen Situationen und Logiken der gegenseitigen Einbeziehung der transreligiösen Heiligen.

Diese Tagungssektion lenkte den Blick auf Übergangsbereiche: Translokale sowie -religiöse Phänomene und Konfessionsgrenzen erhalten erst im vergleichenden Diskurs schärfere Konturen. Gerade wegen der Vielfalt der zeitlichen wie geografischen Beispiele stellte sich dieser Themenbereich als besonders spannend und auch besonders ergiebig heraus.

Ist es gerechtfertigt, den Begriff heilig in Bezug auf eine Fußballnationalmannschaft anzuwenden? Mit dieser Frage eröffnete DARIO BRENTIN (London) die Sektion: Heilige und Stars, die in weitgefächerten Beispielen verschiedene Modelle von Heiligkeit ganz unterschiedlicher Epochen beleuchtete. Brentin zeigte die Begriffswandlung von einem „traditionellen Heiligen“ bis zu einer bestimmten Idee, in diesem Fall einer Nationalmannschaft. Das Phänomen brachte die Mentalität einer Nation ans Licht, die lange unter der sozialistischen Diktatur gelitten hatte. Der Erfolg des Nationalteams von Kroatien wird als Erfolg des gesamten Landes wahrgenommen. Die Fußballmannschaft etabliert sich zu einem modernen Verehrungsobjekt und zum Wahrzeichen der Identität einer ganzen Nation.

Der Vortrag von CHRISTOPH AUGUSTYNOWICZ (Wien) rückte ein ungewöhnliches Argument ins Zentrum der Diskussion. Der Überblick über die wissenschaftlich–publizistische Diskussion des Vampirismus im 18. Jahrhundert informierte darüber, wo und wie an die Existenz der Vampire geglaubt wurde. Hinterfragt wurden die Konflikte und Koexistenzen des Phänomens. Kann der Vampirismus als synkretisches Phänomen wahrgenommen werden? Eins ist klar: Der Wandel des Phänomens vom naturwissenschaftlichen hin zum populärwissenschaftlichen kulturellen Motiv ist beachtlich und hat seinen Reiz immer noch nicht verloren.

Der darauf folgende Beitrag von MARIJA WAKOUNIG (Wien) lenkte den Blick vom Vampirismus wieder auf eine „klassische“ Heilige. Hemma von Gurk – Hema Krska. Vom Aufstieg und Fall einer Heiligen gab eine Übersicht über das Leben dieser vor allem in Österreich und in Slowenien verehrten Heiligen. Zwar existieren keine nachweisbaren Quellen von und über Hemma von Gurk, doch soll sie der Legende nach 995-1045 gelebt haben. Erst 100 Jahre nach ihrem angeblichen Tod begannen Überlegungen zu ihrer Heiligsprechung, die erst nach weiteren 100 Jahren erfolgte. Die fundamentale Frage, welcher Wahrheitsgehalt Heiligengeschichten überhaupt zuzuschreiben ist, wird die Wissenschaftler noch weiter beschäftigen.

Eine der übergreifenden Fragestellungen dieses Themenbereiches behandelte die komplexen Mechanismen der Konstruktion von Heiligkeit, sei es in der mittelalterlichen Hagiographie, den naturwissenschaftlich-populäre und fiktiven Schriften des 18. Jahrhunderts oder den aktuellen Medien.

Abschließend breitete die Sektion Formen und Koexistenzen ein Panorama von Fällen des Synkretismus (ob in der Verschmelzung von Religionen oder den Praktiken der Konstruktion von „Heiligmäßigkeit“) und der Koexistenz bzw. der abgrenzenden Redefinition von Glaubenssystemen aus. Mit der Interaktion zwischen einer Volksheiligen und ihren Interpreten beschäftigte sich der Beitrag von THOMAS P. FUNK (Berlin) Die Visionsberichte der stigmatisierten Therese Neumann von Konnersreuth: Synkretistische Praktiken zur Herstellung von Reinheit. Von 1926 (dem Zeitpunkt der ersten Stigmatisierung) bis beinahe zum Tod von Therese Neumann im Jahre 1962 stand der kleine Ort Konnersreuth im Zentrum der Aufmerksamkeit von Theologen, Klerikern, Journalisten und Neugierigen aller Art. Thereses Visionen beschreiben chronologisch die gesamte Lebensgeschichte Christi. Ihre Stigmatisierungen wurden von ihrem Bruder dokumentiert. Das Interesse an der Person von Therese Neumann hat nach ihrem Tod nicht nachgelassen und führte 2005 zu ihrer Seligsprechung.

Einen spannenden Überblick über den synkretischen Charakter der japanischen Spiritualität gab der Vortrag von SEUNG CHUL KIM (Nagoya). Den Ausgangspunkt dieses Beitrages bildete die Manga-Serie „Heilige junge Männer“. Der Autor Hikaru Nakamura (geboren 1984) schrieb und illustrierte den Text, der zum Dauerbestseller in Japan wurde. Auf eine sehr unterhaltsame und spielerische Art führt der Autor die Grundprinzipien der Weltreligionen vor Augen. Jesus und Buddha, zwei „gewöhnliche“ junge Männer machen ihren Urlaub in Tokio. Ihre Begegnung mit weiteren Heiligen ist der Auftakt zu Diskussionen über religiöse, philosophische oder allgemeine Glaubensfragen. „Wie schön, dass wir uns getroffen haben“ – sagt Buddha zu Jesus, und diese symbolische „Verschmelzung“ der beiden Religionen gibt einen Hinweis auf das „Zusammenleben“ der unterschiedlichen Religionen in Japan.

Fanatiker und Charismatiker oder eher Pragmatiker des Glaubens – wer waren die Missionare in der Realität? Missionare und der Kampf der Kulturen bildeten den Kern des Beitrages von CHRISTOPH PAULUS (Seehausen am Staffelsee). Hagiographische Quellen spielen für die Erforschung von Missionarstätigkeit eine grundlegende Rolle, zugleich werden diese Quellen aber oft auch wegen ihrer Einseitigkeit kritisiert. Zu Recht wurde im Vortrag darauf hingewiesen, dass im Wechselspiel mit Sachquellen ein durchaus reales Bild der Missionarstätigkeit erstellt werden könne. Demnach ist beim Vorgehen der Missionare ebenso ein synkretischer Prozess zu beobachten: Die bestehenden Glaubenssysteme wurden transformiert, und somit wurde die Durchsetzung der christlichen Religion erleichtert.

Der Glaubensunterschied zwischen dem polnischen Katholizismus und dem deutschen Protestantismus stand im Mittelpunkt des Beitrages von MARIA WOJTCZAK (Poznan) Zwischen Nation und Konfession. Ein synkretischer Blick auf den „polnischen Glauben“ im Gegensatz zum „deutschen Glauben“. Erstellt wurde ein chronologischer Überblick über die vorhandenen literarischen Quellen, die den Ablauf dieses Konflikts dokumentieren. Die ersten davon reichen bis in das 17. Jahrhundert zurück. Die politischen Ereignisse der nachfolgenden Jahrhunderte verstärkten das polnische Misstrauen gegenüber den anderen Konfessionen. Infolgedessen wurde der Katholizismus zur dominanten Religion. Der „polnische Katholizismus“ ist sogar während der sozialistischen Unterdrückung aufrechterhalten worden und ist zum Sinnbild und Symbol der nationalen Identität geworden.

Nach der abschließenden Diskussion stellte DIETLIND HÜCHTKER (Leipzig) die wichtigsten Aspekte noch einmal zusammen und gab einen Überblick über die Tagung mit ihren vielfältigen Themen.

Die Tagung hat viele zentrale Aspekte des religiösen Synkretismus und der Heiligkeit angesprochen und ebenso viele Fragen aufgeworfen, die in lebhaften Diskussionen vertieft wurden: Welche Rolle spielt das Publikum beim Prozess der fundamentalen kulturellen und religiösen Veränderung? Grenzüberschreitungen stellen die Frage nach der Wahrheit: Ist alles synkretisch, was uns als solches vorkommt? Wie unterscheidet man die „falsche“ Heiligkeit von der „wahren“? Aber dennoch bleibt die zentrale Frage: was sind „Heiligkeit“ und „Religion“? Bei der Definition der beiden Begriffe verschiebt sich ständig die Grenze, so dass immer weitere Felder umfasst werden. Als besonders ergiebig stellten sich die Grenzgebiete (von Religionen, geografischen Gebieten, lebensweltlichen Sphären) dar: So brachte der Beitrag von Stefan Rohdewald beispielsweise interessante Erkenntnisse hinsichtlich transreligiöser Heiligenverehrung, die implizit die Notwendigkeit einer interdisziplinären Methode thematisierte. Auch die zahlreichen Vorträge zur Grenzverschiebung des Religiösen und Profanen konnten aus den verschiedenen Blickwinkeln der Geschichts-, Literatur- und Kunstwissenschaft her sich gegenseitig bereichernde Ergebnisse zu diesem Phänomen zusammentragen. Sehr spannend waren zudem Vorträge, die sich mit den Strategien der Generierung von Sakralität befassten. Thomas Funks Vortrag zu den Dokumentationstechniken der Visionen der Therese Neumann führte zum Beispiel vor Augen, wie sich in dem Versuch der Modernisierung der Authentizitätsrhetorik der Einsatz audiovisueller Echtzeitmedien mit religiöser Vision synkretisch vermischt. Roger Thiels spannender Vortrag hat die Transformationsprozesse beinahe banaler profaner Dinge in sakrale Objekte vorgeführt. Währendessen präsentierte Seung Chul Kim am Beispiel eines japanischen Mangas ein Modell für einen globalen religiösen Synkretismus. Diese und viele andere spannende und abwechslungsreiche Tagungsbeiträge eröffneten einen neuen Blick auf die Kultur und Religionsgeschichte der Menschheit.

Insgesamt hat die interdisziplinäre Tagung in Wien einerseits die Aktualität von Begriffen wie Synkretismus sowie Heilige und Heiligkeit und andererseits auch den weiteren Forschungsbedarf unter Beweis gestellt.

Konferenzübersicht:

Begrüßung durch die Veranstalterinnen

Kerstin S. Jobst (Wien), Kurze Einführung in die Tagung

Keynote: Waltraud Pulz (München), „Heilige Leiber“ – Leibhaftige Heiligkeit

Praktiken und Sinnstiftungen.
Leitung Dietlind Hüchtker

Bodo Hechelhammer (Berlin), Sinnstiftung und Praxis der Sankt-Georgs-Verehrung im Bundesnachrichtendienst

Roger Thiel (Erlangen), Stuhl und Rucksack. Zur Übertragung heiliger Energien auf profane Dinge

Anja Burghardt (Salzburg), Arbeiter als „Heilige“ der Planwirtschaft? Zur sakralisierenden Darstellung der Arbeiter und Fabriken in der Zeitschrift Sovetskoe foto in den 1960er- und 1970er-Jahren.

Agnieszka Sowa (Kraków), Verschmelzung der religiösen und der politischen Dimension anhand der osteuropäischen Marienfrömmigkeit im Roman von Rolf Bauerdick „Wie die Madonna auf den Mond kam“ (2009)

Multiple Heilige/heilige Orte.
Leitung Maria KIańska

Konrad Petrovszky (Wien), Die Makellose und ihre unheimlichen Avatare – der Paraskeva-Kult in Südosteuropa zwischen geschlechtlicher Ordnungsvorstellung und politischer Inanspruchnahme

Michael G. Müller (Halle), Bekenntnisgrenzen aushandeln. Protestantische Orthodoxie und Synkretismus in Polen-Litauen im späten 16. Jahrhundert

Stefan Rohdewald (Gießen), Transreligiöse Elemente in Diskursen über Heilige im (post-)osmanischen Europa

Begriffsauslotungen: Heilige und Stars.
Leitung Michael G. Müller

Dario Brentin (London), „The national team is sacred“ – Football, myth and ritual in Croatian post-socialist national identity

Christoph Augustynowicz (Wien), Verwesung, Exkommunikation und Heiligkeit/zwischen West und Ost: Der Glaube an Sauger/Wiedergänger vulgo Vampirismus als multipel religiöse oder gar synkretische Identität?

Marija Wakounig (Wien), Hemma von Gurk – Hema Krska. Vom Aufstieg und Fall einer Heiligen

Formen und Koexistenzen.
Leitung Christoph Augustynowicz

Thomas P. Funk (Berlin), Die Visionsberichte der Stigmatisierten Therese Neumann von Konnersreuth: Synkretistische Praktiken zur Herstellung von Reinheit

Seung Chul Kim (Nagoya/Japan), Syncretizing the Saints in Japanese Spirituality: The Theology of Kawai Shinsui and the Manga Saint Young Men

Christoph Paulus (Seehausen am Staffelsee), Als die schwarzen Männer kamen oder Transformation als Mission

Maria Wojtczak (Poznań), Zwischen Nation und Konfession. Ein synkretischer Blick auf den „polnischen Glauben“ im Gegensatz zum „deutschen Glauben“

Abschlussdiskussion, Leitung Kerstin S. Jobst

Zusammenfassung: Dietlind Hüchtker (Leipzig)