HT 2014: Gewinner und Verlierer in Medien der Selbstdarstellung – Bilder, Bauten, Inschriften, Leichenpredigten, Münzen, Medaillen und öffentliche Bekenntnisschriften im 16., 17. und frühen 18. Jahrhundert

HT 2014: Gewinner und Verlierer in Medien der Selbstdarstellung – Bilder, Bauten, Inschriften, Leichenpredigten, Münzen, Medaillen und öffentliche Bekenntnisschriften im 16., 17. und frühen 18. Jahrhundert

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD)
Ort
Göttingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.09.2014 - 26.09.2014
Url der Konferenzwebsite
Von
Christian Popp, Akademie der Wissenschaften zu Göttingen

Die Quellenüberlieferung jenseits der schriftlichen Hinterlassenschaften von Privatpersonen oder Verwaltungsapparaten beschäftigt die Historiker oft nur am Rande, wie die mangelnde Rezeption von Standardwerken der Epigraphik in der Mittelalter- und Frühneuzeitforschung nur zu oft zeigt. Die von Jörg Lampe (Göttingen) initiierte und geleitete und von Thomas Kaufmann (Göttingen) moderierte Sektion setzte mit Bildern, Bauten, Inschriften, Leichenpredigten, Münzen, Medaillen und öffentliche Bekenntnisschriften eben solche Quellen ins Zentrum. Diese Objekte, die grundsätzlich auf öffentliche Präsenz angelegt waren, sollten unter dem Aspekt der Selbstdarstellung betrachtet werden. Es galt, die spezifische „Medialität“ dieser Gegenstände – die Kombination von Bild und Schrift, ihre Materialität, ihre Nachdrücklichkeit durch Dauerhaftigkeit oder durch das gesprochene Wort in existenzieller Lebenssituation – zu untersuchen, um dem Rahmenthema entsprechend Strategien einer Inszenierung als Gewinner oder einer Umdeutung von Niederlagen herauszuarbeiten, wie Jörg Lampe in seiner kurzen Einleitung betonte.

Die Umdeutung von Niederlagen stand im Mittelpunkt des Beitrages von RUTH SLENCZKA (Berlin). Unter dem Titel „Verlierer als Gewinner. Porträts als Medien der dynastischen Selbstdarstellung“ widmete sie sich der fürstlichen Repräsentation. Porträts hatten sich im Laufe des 16. Jahrhunderts zum unverzichtbaren Bestandteil öffentlicher Räume entwickelt und waren damit in der Frühen Neuzeit ein hervorragendes Medium der Geschichtsdeutung. Wie Porträts den Blick auf Gewinn und Verlust wandelten, wurde an drei Beispielen vorgeführt: So ließ sich der 1523 abgesetzte und im Exil lebende Christian II. von Dänemark als würdevoller Herrscher und als Reformator darstellen. Einen heilsgeschichtlichen Rahmen besitzt das Gruppenporträt der anhaltinischen Fürsten, das von der Cranachwerkstatt 1556 in eine Darstellung der Taufe Christi eingefügt wurde. Repräsentativ und als eine Art Stammmutter der Reformatoren dargestellt ist dabei auch Margarethe von Brandenburg, obwohl sie, nachdem ihr Mann sie 1550 der Untreue angeklagt und sie sich durch Flucht gerettet hatte, für die askanische Familie einen dynastischen Problemfall darstellte. Zuletzt stellte Ruth Slenczka die heute in Gotha hängende und ursprünglich elf Bilder umfassende Ahnenreihe der Ernestiner aus den 1630er-Jahren vor. Auch hier werden die Fürsten als Helden im Kampf für die Reformation dargestellt und eine schwere Niederlage wie der Verlust der Kurwürde als Gewinn umgedeutet. Durch die Präsenz der Porträts im öffentlichen Raum, so das Resümee der Referentin, wohnte den Bildern eine eigene normative Kraft inne; sie besaßen damit eine größere Wirkmächtigkeit als die Schriftquellen.

SEBASTIAN SCHOLZ (Zürich) präsentierte eine Rekonstruktion des Textprogramms, das Landgraf Wilhelm IV. von Hessen 1587 in der Schlosskirche von Schmalkalden anbringen ließ. Die Tafeln wurden 1608 aus der Kirche entfernt und sind heute verschollen. Sie orientierten sich an der 1521 erschienenen Schrift „Passional Christi und Antichristi“, in der das Wirken Christi und das Wirken des Papstes kontrastierend entgegengesetzt wurden. In Schmalkalden waren den Bibelzitaten, die die Lehre Christi versinnbildlichten, antithetisch päpstliche Texte (päpstliche Rechtsprechung, Trienter Konzil etc.) beigegeben, zusätzlich wurden die Antithesen durch Hexameter kommentiert. Dieses bisher nicht untersuchte Textkorpus erlaubt einen faszinierenden Einblick in die zugespitzte reformatorische Propaganda dieser Jahre, die bei den päpstlichen „Belegen“ vor sinnentstellenden Kürzungen und – wenn sich kein prägnantes Zitat finden ließ – auch vor freien Erfindungen nicht zurückschreckte. Die reine Lehre, die in der Schlosskirche zu Schmalkalden gepredigt wurde, sollte als Gewinner dastehen, das Papsttum wurde als Verlierer vorgeführt, da es sich sichtbar vom Gotteswort entfernt hatte und als Götzendiener und Antichrist auftrat. Die Überlegenheit der Reformation über den katholischen Glauben wurde so jedem Besucher der Kirche eindrucksvoll vermittelt.

BARBARA UPPENKAMP (Hamburg) beschäftigte sich in ihrem Referat mit dem Schloss als Ort symbolischer Kommunikation von Gewinnern und Verlierern, wobei die Verlierer in der Baukunst außer durch abgebrochene Projekte kaum sichtbar werden. Uppenkamp zeigte, dass Fürsten wie Heinrich der Jüngere von Braunschweig-Wolfenbüttel (gestorben 1568) oder Erich II. von Calenberg (gestorben 1584) ihre Gewinnerrolle symbolisch in ihr Bauprogramm einfließen ließen, ersterer beispielsweise beim Bau der katholischen Schlosskapelle in Wolfenbüttel mit der Übernahme kaiserlicher Elemente aus Wien. Erich II. von Calenberg ließ als enger Vertrauter Philipps II. Elemente der Architektur des Habsburgerkönigs in den Bau seiner Schlösser und Festungen einfließen (Freudenthal, Landestrost, Hannoversch-Münden). Auch in den Bauten des adligen Söldnerführers Hilmar von Münchhausen (gestorben 1573) lassen sich zeichenhafte Architekturelemente finden, beispielsweise beim Ausbau des 1564 erworbenen ehemaligen Prämonstratenserstifts Leitzkau zur Schlossanlage. Der Komplex sollte nach der Umgestaltung den Eindruck eines angestammten Familiensitzes erwecken.

Mit „Elefanten, Schlangen und Böcken“ lockte HENDRIK MÄKELER (Uppsala) den gut gefüllten Hörsaal auf das Gebiet der Münz- und Medaillenkunst. Numismatische Objekte sind als Medien der Selbstdarstellung besonders gut geeignet, da die Geschehnisse hier durch Bild- und Schriftelemente verarbeitet und gedeutet werden können. In Kombination mit der Rhetorik des Edelmetalls lässt sich so eine hohe Informationsdichte erreichen. Der Referent legte den Schwerpunkt auf die Prägungen anlässlich der Schlachten der schwedischen Könige Gustav II. Adolf (1611–1632), Karl X. Gustav (1654–1660) und Karl XI. (1660–1697). Münzen und Medaillen waren Mittel der Herrschaftspropaganda, Niederlagen wurden mit ihrer Hilfe umgedeutet. Eindrucksvoll ließ sich dies an der Medaille auf den Tod König Gustavs II. Adolf in der Schlacht bei Lützen 1632 zeigen. Hier ist der tote König im Triumphwagen zu sehen, der Papst wird als teuflische Gestalt unter den Wagenrädern abgebildet. Die numismatischen Objekte der Kriegsgegner konkurrierten miteinander in ihrer Ausgereiftheit und wurden auch den jeweiligen Gegnern übersendet. Die einzelnen Münzen und Medaillen inszenieren den eigenen Herrscher zwar immer als Sieger, aber aneinandergereiht betrachtet bilden sie dann eben doch auch Verlierer ab.

Die Fokussierung auf die fürstliche Selbstdarstellung wurde durch den Beitrag von JÖRG LAMPE (Göttingen) beendet. Der Leiter der Sektion fragte auf der Quellenbasis von etwa 100 Epitaphien aus der Zeit zwischen 1540 und 1650 aus Niedersachsen und angrenzenden Gebieten nach zeitgenössischen Maßstäben für Erfolg und Misserfolg. So wurden bei den Kriegsobersten beispielsweise Tapferkeit und Weltläufigkeit, Ruhm und Ehre hoch gelobt, wogegen die konfessionelle Zugehörigkeit keine Rolle spielte. Die Auswertung der Grabinschriften erbrachte insbesondere für die Gruppe der bürgerlichen Räte, der städtischen Funktionsträger und der Ärzte interessante Ergebnisse. Als Gewinn wurde auf den Grabdenkmälern vorwiegend die erworbene Bildung (Aufzählung der Studienorte, Bildungsreisen etc.) und die Leistungen und Dienste für das Allgemeinwohl herausgestellt und der Nachwelt präsentiert. Noch bemerkenswerter ist, dass die Grab- und Bauinschriften durchaus Niederlagen thematisierten; anzutreffen ist beispielsweise die Klage, aus Glaubensgründen aus der Heimat vertrieben worden zu sein. Auch dabei lassen sich jedoch bestimmte Kompensationsstrategien erkennen. So lässt sich der Verweis auf die spätere ewige Gerechtigkeit auch als Umdeutung des Verlustes in einen Sieg lesen.

Daran anknüpfend untersuchte JÖRG WITZEL (Marburg), ob und wie sich Verlusterfahrungen in autobiographischen Texten aus Leichenpredigten niederschlagen. Seine Quellengrundlage bildeten 52 Texte Thüringer Provenienz aus der Zeit um 1700. Zur Sprache kommen Niederlagen und Verluste darin meist unter dem Oberbegriff Creutz=Schule, was die Umdeutung vom Leid in Gewinn, letztendlich in Gewinn des ewigen Lebens, beinhaltet. Die Auswertung des Textcorpus zeigt, dass verschiedene Verlusterfahrungen unterschiedlich bewertet wurden. Während die katastrophalen Folgen des Dreißigjährigen Krieges für die eigene Lebenswelt in eher nüchternen Worten und ohne Einordnung in den historischen Kontext beschrieben werden, ist der Umgang mit dem Verlust nahestehender Menschen durchaus als emotional zu kennzeichnen. Der Tod der eigenen Eltern/Ehepartner/innen/Kinder wird selten als Gewinn für das eigene Leben aufgefasst, hier wird vielmehr herausgestellt, dass man sich dem Willen Gottes zu fügen hat. Dagegen sind Krankheitsbeschreibungen sehr häufig mit einem religiösen Sinn verknüpft, die Deutung von Gesundheitsverlust als Zugewinn eigener Spiritualität fiel den Autoren offenbar wesentlich leichter. Letztendlich werden auch im autobiographischen Narrativ Verlusterfahrungen mit einem Bedeutungsgewinn verknüpft: Die erfolgreiche Überwindung von Hindernissen weist den Verfasser als Gewinner aus.

Die Vortragenden traten mit dem erklärten Ziel an, die als „Objekte besonderer Materialität“ charakterisierten Gegenstände als Quellen für historische Fragestellungen mit Gewinn nutzbar zu machen. Dies wurde in der Sektion durchaus überzeugend eingelöst, am eindrucksvollsten wohl bei der Behandlung der Inschriftencorpora. Hier drängte sich nach der Sektion besonders deutlich der Eindruck auf, dass diese Quellen zwar in Einzelfällen, besonders für biographische Forschungen, genutzt werden, dass sie sich aber auch für systematische Fragestellungen eignen und in dieser Hinsicht noch kaum erschlossen sind.

Sektionsübersicht:

Sektionsleitung und Einführung in die Sektion: Jörg Lampe (Göttingen)

Ruth Slenczka (Berlin), Verlierer als Gewinner: Porträts als Medien der dynastischen Selbstdarstellung

Sebastian Scholz (Zürich), Gewinner und Verlierer in öffentlichen Bekenntnisschriften

Barbara Uppenkamp (Hamburg), Das Schloss als Ort symbolischer Kommunikation von Gewinnern und Verlierern

Hendrik Mäkeler (Uppsala), Elefanten, Schlangen und Böcke: Gewinner und Verlierer in der Münz- und Medaillenkunst

Jörg Lampe (Göttingen), Gewinner und Verlierer in Grab- und Bauinschriften des 16. und 17. Jahrhunderts

Jörg Witzel (Marburg), Gewinne aus Verlust!? – Von Verlusten in autobiographischen Texten aus Leichenpredigten

Moderation: Thomas Kaufmann (Göttingen)