HT 2014: Fürstliche Verlierer? Europäische Monarch(i)en zwischen Niedergang und Behauptung im 19. Jahrhundert

HT 2014: Fürstliche Verlierer? Europäische Monarch(i)en zwischen Niedergang und Behauptung im 19. Jahrhundert

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD)
Ort
Göttingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.09.2014 - 26.09.2014
Url der Konferenzwebsite
Von
Niels F. May, Institut français d’histoire en Allemagne, Frankfurt am Main

Waren die Monarchien die Verlierer des 19. Jahrhunderts, die sich zwar noch gegen die Moderne stemmten, aber dann doch allmählich untergingen? Auf welche Veränderungen mussten sie im Laufe des 19. Jahrhunderts reagieren? Auf diese Frage gab die von Daniel Schönpflug (Berlin) im Rahmen des 50. Historikertages geleitete Sektion „Fürstliche Verlierer? Europäische Monarch(i)en zwischen Niedergang und Behauptung im 19. Jahrhundert“ Antwort.

Die historische Forschung vertrat lange die Auffassung, die Monarchien seien im 19. Jahrhundert an den Rand gedrängt und schließlich mit dem Ende des Ersten Weltkriegs abgeschafft worden. Ihre mangelnde Anpassungsfähigkeit an die Herausforderungen der Zeit nach 1815 habe zum allmählichen Niedergang geführt. Diese Sicht leitet sich aber aus einem Modernisierungsnarrativ ab, das in den letzten Jahren von einer Reihe von Wissenschaftlern aus ganz unterschiedlichen Perspektiven (zeitlich als auch thematisch) in Frage gestellt worden ist. Daran anschließend wird in der rezenten Historiographie hervorgehoben, dass die Monarchien auch nach dem Ende des Ancien Régime nicht als Gegenpol zur Moderne verstanden werden dürfen, sondern integraler Bestandteil derselben sind. Insbesondere Volker Sellin vertrat die These, dass das 19. Jahrhundert durch eine fortdauernde Restauration gekennzeichnet sei und auch Dieter Langewiesche argumentierte kürzlich in diese Richtung.1

DANIEL SCHÖNPFLUG (Berlin) unterstrich in seiner Einleitung die Dialektik des Begriffspaars „Gewinner und Verlierer“ des diesjährigen Rahmenthemas des Historikertages. Es sei durchaus möglich, so Schönpflug, dass gerade der Standpunkt des Verlierers zu einem geschärften Blick für die Problemlagen führte und somit eine schnellere und bessere Adaptation ermöglichte. Aus dieser Perspektive könnten dann unterschiedliche Anpassungsphänomene der Monarchien im 19. Jahrhundert neu interpretiert werden, beispielsweise die Konstitutionalisierung, unterschiedliche Legitimationsprozeduren, die Nationalisierung des Fürstentums oder der Wandel der Beziehung zu den Untertanen. Erklärtes Ziel der Sektion sei es, genau diese Anpassung besser zu verstehen und somit die Frage präziser formulieren zu können, warum es trotz dieser Prozesse mit 1918 zum Niedergang der Monarchie in Europa kam. Die inzwischen zahlreicher werdenden Studien zur Monarchie im 19. Jahrhundert verharren bislang, so Schönpflug weiter, noch zu stark auf Ebene der Kulturgeschichte des Politischen bezüglich der öffentlichen Anlässe und Festlichkeiten. Vor allem der kommunikative Aspekt sei analysiert worden. Die Sektion stellte komplementär dazu die Spannung zwischen Realpolitik und den unterschiedlichen Rechtsformen bzw. den rechtssoziologischen Aspekten ins Zentrum der Untersuchung.

Dies wurde von HEIDI MEHRKENS (St Andrews) am Beispiel möglicher Thronfolger in Griechenland nach dem Sturz des Wittelsbachers Ottos I. gezeigt. An potentiellen Thronfolgekandidaten mangelte es nämlich nicht. Vielmehr erschwerten komplizierte Rahmenbedingungen und unterschiedliche Interessenslagen die Wahl eines Nachfolgers. Ein erstes Hindernis stellte die Tatsache dar, dass der Thron aus der Sicht der Wittelsbacher überhaupt nicht vakant war. Die Bayern hofften vielmehr auf militärische Unterstützung um eine Rückkehr Ottos I. nach Griechenland zu ermöglichen. Diese Frage nach der Thronvakanz beeinträchtigte die Suche eines Nachfolgers, da sich die potentiellen Kandidaten aus Deutschland nicht gegen die Wittelsbacher stellen wollten. Auch die unterschiedlichen Vorstellungen, welche Eigenschaften der Nachfolger erfüllen sollte, erschwerten die Suche. Vor allem der englische Minister Palmerston hatte diesbezüglich sehr genaue Vorstellungen.

Auch die Griechen selbst erhoben Anspruch auf die Bestimmung des Nachfolgers Ottos I. In der Nationalversammlung sprachen sie sich 1862 für Prinz Alfred von England aus. Dieser wollte aber überhaupt nicht griechischer König werden und auch seine Mutter, die englische Königin Victoria, sprach sich gegen eine mögliche Kandidatur aus. Für die Griechen war eine rasche Integration des Kandidaten in sein neues Umfeld besonders wichtig, wozu auch eine Konversion zum griechisch-orthodoxen Glauben zählte. Außerdem sollten die Ansprüche in den traditionellen Erblanden des zukünftigen Königs möglichst schnell aufgegeben werden. Die griechische Krone sollte nicht von den zukünftigen Herrschern als Warteschleife genutzt werden, sondern es sollte zur Identifikation mit Griechenland kommen und der König zu einem nationalen Symbol werden.

Auch aus der Perspektive der potentiellen Kandidaten werden viele der Rahmenbedingungen noch deutlicher, welche die Suche nach einem möglichen Nachfolger besonders schwierig machten. Viele lehnten entweder mit dem Verweis auf ihre nationale oder konfessionelle Identität ab – das Reservoir möglicher Kandidaten war also nicht grundsätzlich „anational“, wie von der Forschung zum Teil angenommen. Einige der Kandidaten hatten auch schon einen anderen Thron in Aussicht (beispielsweise Portugal oder Gotha) und wollten deswegen nicht in Griechenland kandidieren. Auch war die politische Instabilität ein nicht zu unterschätzender Faktor: Das Schicksal Ottos I. war hier abschreckendes Beispiel.

Nach langer Suche wurde dann Christian von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg als neuer König Griechenlands eingesetzt. Er erfüllte keine der ursprünglich formulierten Kriterien. Darüber hinaus bekam er für den Fall einer Absetzung eine Rente versprochen.

Insgesamt verdeutlichte Mehrkens Vortrag die steigende Komplexität der Aushandlungsprozesse und die vielfältigen Interessen, die integriert werden mussten. Vor allem nationale Herrschaftssymbolik und Identifikation gewannen mehr Bedeutung und machten Identitätsverschiebungen immer schwieriger. Der Vortrag zeigte außerdem in Blick auf das Rahmenthema der Sektion und des Historikertages, dass auch das Ablehnen eines Throns als Gewinn gedeutet werden konnte und sich dadurch die Frage stellt, an welchen Maßstäben überhaupt „Gewinner“ bzw. „Verlierer“ als solche festgemacht werden.

JASPER HEINZEN (York) untersuchte in seinem Vortrag das dynastische Legitimitätsdefizit der Hohenzollern, das durch den Bruch mit dem monarchischen Prinzip und der Entthronung der Fürstenhäuser Hannover, Hessen-Kassel, Nassau und Schleswig-Holstein in den neuen Herrschaftsgebieten zustande gekommen war. Statt für eine symbolische Integration der Peripherie ins Zentrum zu plädieren, wie dies Clifford Geertz in seinem Aufsatz zum charismatischen Herrscher tat2, differenzierte Heinzen diese These deutlich: Ein Hauptanliegen der Politik der Hohenzollern sei nämlich die Verbindung von Dynastie- und Provinzialidentität gewesen.

Da Monarchie und Territorialität zusammengehörten, waren grundlegende Transformationen der politischen Kultur notwendig. Die Hohenzollern setzen deswegen auf den Erhalt bzw. die graduelle Angleichung der Institutionen bei gleichzeitiger Anpassung der Untertanenpflichten, beispielsweise der Fahneneid der Soldaten und das Kirchengebet für den Monarchen. Immer wieder wurde aber auch an die entthronten Dynastien in der Symbolpolitik angeschlossen, wie Jaspers am Beispiel des Nassauischen Landesdenkmals in Biebrich erläuterte. Trotz dieser Politik die einerseits auf Kontinuität der territorialen Tradition, andererseits auf Angliederung an Preußen zielte, trotz der Akklamationen der Untertanen in den neuen Gebieten, blieb in Berlin noch bis ins 20. Jahrhundert die Furcht einer legitimistischen Opposition bestehen.

Jaspers hob außerdem hervor, dass die historische Forschung bislang den sozialintegrativen Leistungen der Monarchie zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt habe. Auch der im Laufe des Vortrags mehrmals angeführte Vergleich mit Italien zeigte sich als wichtiges Werkzeug, das sowohl Parallelen als auch Besonderheiten besser erkennen lässt.

Anschließend fragte DANIEL SCHÖNPFLUG (Berlin) in seinem Vortrag nach der Rolle dynastischer Hochzeiten in der Politik des 19. Jahrhunderts und ob anschließend daran dem dynastischen Fürstenstaat noch für diesen Zeitraum ein heuristischer Wert als historischer Analysekategorie zukommen könne. Schönpflug vertrat die These, dass hier ein deutlicher Wandel eintrat, weil die Dynastie nicht mehr die gleiche Funktion übernehme wie noch im 18. Jahrhundert. Stattdessen komme es zu einer allmählichen Auflösung der Verbindung von Dynastie und Monarchie. Dieser Prozess wurde griffig als „dissoziierte Monarchie“ beschrieben. Schönpflug zeigte anschließend das Analysepotential dieser Formulierung auf juristischer und emotionshistorischer Ebene.

Während im dynastischen Fürstenstaat Verwandtschaft und Staat noch untrennbar waren und Heiratsverträge somit zu den Verfassungsdokumenten gehörten, traten diese beiden Bereiche immer weiter auseinander. Dies zeige sich im Fürstenprivatrecht, das ins Preußische Landrecht aufgenommen wurde. Dort wurden die Privatgüter und das Privatvermögen der Fürsten klar in Abgrenzung zum Staat definiert und wiederum zwischen dem fürstlichen und dem Familieneigentum unterschieden. Auch die Ausgliederung der Hausministerien und -archive verdeutlicht diese schrittweise Dissoziation. Fürstliche Eheschließungen wurden jetzt nicht mehr nur kirchlich, sondern ebenfalls vor einem Standesbeamten vollzogen und in den Präambeln der Eheverträge zeigt sich ein allmählicher Transformationsprozess, der immer stärker den Willen der Heiratenden in den Vordergrund rückt.

Dieser Prozess schlägt sich dann in der emotionalen Aufladung der Heirat und einer entsprechenden Inszenierung als Liebeshochzeiten nieder. Schon vor der Eheschließung wurde korrespondiert, beispielsweise schrieben sich Friedrich Wilhelm und Luise regelmäßig. Aber es handelte sich um mehr als eine neue diskursive Praxis: Die zukünftigen Eheleute trafen sich bereits vor der Vermählung, und immer wieder wurde ein Verlieben behauptet. Diese „Liebe“ zwischen dem neuen Fürstenpaar stellt oft einen Gegenpol zur republikanischen Kälte dar. Die Emotionalisierung des Heiratsakts wurde durch eine immer weiter gesteigerte Medialisierung begleitet, die ganz unterschiedliche Schichten der Bevölkerung integrierte. Das Private wurde hier zum Politischen. Man schaffte durch die Emotionalisierung der Hochzeiten eine integrierende Wirkung und brachte das Fürstenpaar dem Volk näher – gleichzeitig wurde dadurch auch die Identifikation mit dem neuen Paar erleichtert. Die Trennung zwischen Dynastie und Staat und zwischen privat und öffentlich ist somit nicht als Zeichen einer Entpolitisierung der Fürstenhochzeit zu sehen, sondern vielmehr als eine politische In-Dienstnahme im Sinne eines Anpassungsprozesses, so Schönpflug.

Im anschließenden Beitrag untersuchte TORSTEN RIOTTE (Frankfurt am Main) den Exterritorialitäts-Status vertriebener Fürsten im 19. Jahrhundert. Er schlug dafür den Begriff des „dynastischen Überlebens“ vor und exemplifizierte ihn am Beispiel der im habsburgischen Exil lebenden Fürsten Henri, Graf vom Chambord (der Enkel Karls X.) und Ernst August, Herzog von Cumberland.

Die Frage nach der Rechtsstellung Chambords stellte sich in Österreich relativ schnell, da der Gläubiger Pfaffenhofen seit geraumer Zeit versuchte, an die Bourbonen geliehenes Geld zurückzubekommen. Eine Anfrage bei Metternich blieb ohne Erfolg, stattdessen fing man in Wien an, darüber zu debattieren, welcher Status Chambord zukomme. Der Justizpräsident Taaffe argumentierte anfangs gegen den Status der Exterritorialität, musste dann aber auf Veranlassung Metternichs sein Urteil revidieren. Für den Status Chambords wurde folgende Formulierung gefunden: „un souverain en non-actualité de la puissance royale“. Dadurch wurde es juristisch möglich, ihm auch den Status der Exterritorialität zuzugestehen.

Anders verhielt sich die österreichische Obrigkeit im Falle des Herzog von Cumberland. Anfänglich wurde seine Rechtsstellung in der Schwebe gelassen. Als dann eine Klärung notwendig wurde, verweigerte man ihm die volle Exterritorialität und gestand ihm nur eine „kleine Exterritorialität“ zu. Dies bedeutete zwar noch eine Unterordnung unter die österreichische Staatsgewalt, aber Klagen wurden nur vor dem Oberhofmarschallamt zugelassen.

Wie auch im Vortrag von Schönpflug wurde der Übergang von Dynastie zum Staat deutlich und es zeigte sich eine deutliche Differenzierung in den jeweiligen Rechtsgebieten, um die daraus entstehenden Probleme zu lösen. Riotte plädierte abschließend für eine „Sozialgeschichte der Monarchie“ im 19. Jahrhundert, die dazu beitragen soll, die klassischen Interpretationen stärker zu differenzieren.

Im letzten Vortrag untersuchte THOMAS BISKUP (Hull) den Zusammenhang von Dynastie und Gartenkultur. Geschichtlich besteht eine enge Verbindung zwischen Botanik und Herrschaft, wie sie sich in der europäischen Gartenkultur spiegelt. Biskup hob aber hervor, dass trotz dieser engen Verbindung der Funktionswandel der Gartenkultur zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert für England noch nicht ausreichend erforscht worden sei.

Während unter Georg III. noch die Gartenlagen in Kew weiter ausgebaut und somit zum Sinnbild des Herrschaftsanspruchs wurden, die zwischen England und den Kolonien, aber auch unter diesen vermittelte, ging mit dem Tod des englischen Königs die enge Verbindung zwischen Botanik und Monarchie zunehmend verloren. Die Gärten wurden teilweise aus dem königlichen Haushalt ausgegliedert und zunehmend in parlamentarische Kontrolle überführt. Generell stiegen die Kosten für die Gärten durch die Einrichtung der großen Gewächshäuser ständig und das englische Königshaus trat der Botanik zunehmend reserviert gegenüber, was von der Presse nicht gebilligt wurde. Biskup zeigte somit die Anpassungsleistung der Monarchie aufgrund finanzieller Zwänge.

Die Sektionsdiskussion verdeutlichte die Tragfähigkeit des gewählten Ansatzes. In weiteren Forschungen gilt es noch genauer zu bestimmen, inwieweit diese Anpassungsfähigkeit ein Spezifikum des 19. Jahrhunderts war oder ob sich ähnliche Phänomene nicht auch schon früher beobachten lassen.

Sektionsübersicht:

Sektionsleitung und Begrüßung: Daniel Schönpflug (Berlin)

Heidi Mehrkens (St Andrews), Krone zu vergeben: Der politische und dynastische Wettstreit um vakante Throne im 19. Jahrhundert

Jasper Heinzen (York), Monarchisches State-Building im Schatten des Sieges: Hohenzollernsche Herrschaftslegitimierung auf Kosten anderer Dynastien im Kaiserreich

Daniel Schönpflug (Berlin), Das Ende der Allianzheirat? Verwandtschaft und Politik der Hohenzollern im 19. Jahrhundert

Torsten Riotte (Frankfurt am Main), Von der „kleinen“ Exterritorialität: Das Problem der „Staatsangehörigkeit“ fremder Fürsten in der Habsburgermonarchie

Thomas Biskup (Hull), Natur, Dynastie und Empire: Das Haus Hannover und die Transformation der Gartenkultur im 18. und 19. Jahrhundert

Anmerkungen:
1 Volker Sellin, Die geraubte Revolution. Der Sturz Napoleons und die Restauration in Europa, Göttingen 2001 und Dieter Langewiesche, Die Monarchie im Jahrhundert Europas. Selbstbehauptung durch Wandel im 19. Jahrhundert (= Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 50), Heidelberg 2013.
2 Clifford Geertz, Centers, kings and charisma: reflections on the symbolics of power, in: Clifford Geertz, Local knowledge. Further Essays in Interpretative Anthropology, New York 1983, S. 121-146.


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