Produktive Körper. Aktuelle Forschungen zur Körpergeschichte des Ökonomischen

Produktive Körper. Aktuelle Forschungen zur Körpergeschichte des Ökonomischen

Organisatoren
Peter-Paul Bänziger (Basel); Marcel Streng (Bielefeld); Lea Bühlmann (Basel); Universität Basel
Ort
Basel
Land
Switzerland
Vom - Bis
05.06.2014 - 07.06.2014
Url der Konferenzwebsite
Von
Jennifer Burri / Yves Hänggi, Departement Geschichte, Universität Basel

In den letzten Jahren, so stellten PETER-PAUL BÄNZIGER (Basel), MARCEL STRENG (Bielefeld) und LEA BÜHLMANN (Basel) als OrganisatorInnen der Tagung einleitend fest, sei einerseits die Sicht auf das ‚Ökonomische’ in der Körpergeschichte eher in den Hintergrund getreten. Die Wirtschaftsgeschichte andererseits habe zwar vermehrt mit Konzepten aus den Science and Technology Studies zur Geschichte von Materialitäten gearbeitet, die Frage nach der Körperlichkeit wirtschaftender Subjekte aber vernachlässigt. Die Tagung, die beide Perspektiven wieder vermehrt und auf neue Art und Weise aufeinander zu beziehen versuche, sei somit ein wichtiger Ausgangspunkt für Fragen „nach der körperlichen/materiellen Dimension der Herstellung des Ökonomischen durch die und in der Produktion ökonomischer Subjekte in den letzten rund 200 Jahren”. Zudem interessierte sich die Tagung für die Möglichkeit körper- und wirtschaftsgeschichtlicher Narrative jenseits klassischer Zäsuren und linearer Erzählungen wie jene der Sattelzeit oder des Fordismus und Postfordismus, sowie für Körperkonzeptionen jenseits eines Bezugs auf Bürgerlichkeit. Des Weiteren fragten die OrganisatorInnen zu Beginn, inwiefern der Fokus auf den menschlichen Körper mit dinggeschichtlichen Perspektiven erweitert werden könnte. Auch sehr grundlegende Fragen wurden in den Raum gestellt: Was ist das ‚Ökonomische’? Was ist der ‚Körper’? Was macht die ‚Produktivität’ (von Körpern) letztendlich aus?

Die erste Sektion, Körper-Ding-Arrangements, wurde von KLARA LÖFFLER (Wien) eröffnet. Am Beispiel von österreichischen Verwaltungsakten aus den 1920er- und 1930er-Jahren analysierte sie mittels einer praxeologisch orientierten Ethnologie das Büro als Architektur der Herrschaft. Bereinigte Schreibtischoberflächen, die Einführung genormten Schreibpapiers, das Auftauchen des Stehordners, sowie das diese Phänomene einende Moment der „Griffnähe“ sind Beispiele, anhand derer Prozesse der Vereinheitlichung, Formalisierung und Standardisierung beschrieben werden können. Auf den Korridor als Ort normativer Handlungsprogramme kam Löffler abschließend zu sprechen. In seinem Kommentar warf FRANZ X. EDER (Wien) die Frage auf, wie eine Analyse die von Löffler behandelte normative Ebene hinter sich lassen könnte, um beispielsweise Praktiken der Selbstführung zu untersuchen.

Anschließend sprach ROMAN K. ABT (Basel) über den ‚Wert’ des Körpers im Kontext des wiederkehrenden Motivs des Absackens von Getreide in den Basler Rheinhäfen in den 1920er-Jahren. Eine Fotografie, welche eine Gruppe Arbeiter mit entblößten Oberkörpern zeigt, symbolisiere „die Produktivität des gesamten Mechanisierungs- und Rationalisierungsprozesses des Getreideumschlages“. Dieses Motiv ermögliche nicht nur zu kommunizieren, dass die Einführung maschineller Produktion zu keinem Abbau von Stellen führe, sondern erlaube auch eine Verschleierung der Herkunft des Getreides über die Darstellung ‚traditioneller’ Handarbeit. FRANZ X. EDER argumentierte im Kommentar, dass die untersuchte Fotografie die Arbeiter darüber hinaus als Gewinner des Mechanisierungsprozesses inszeniere. Während Abbildungen aus dem späten 19. Jahrhundert schwer tragende Arbeiter zeigten, zeuge die Fotografie aus den 1930er-Jahren von der verloren gegangenen Härte körperlicher Arbeit.

Un/re/produktive Körper lautete der Titel der zweiten Sektion. BRIGITTE FUCHS (Graz) referierte über den Osteomalazie-Diskurs des 19. Jahrhunderts. Die Geschlechterdifferenz sei in diesem Diskurs eine skelettale, deren Ursprung in den weiblichen Ovarien verortet werde. Osteomalazie erscheine als Konsequenz einer erhöhten weiblichen Re/Produktivität („Hyperfeminität“). Dies führe dazu, dass sich dieser Diskurs mit einer Reihe gynäkologisch-chirurgischer Praktiken wie Kaiserschnitt oder „weibliche Kastration“ verbinden konnte, die als einzige „Rettung“ der Gebärenden legitimiert wurden. In seinem Kommentar hätte MARTIN LENGWILER (Basel) sich eine Einbettung dieses Diskurses in den bekannteren und umfassenderen der Sonderanthropologie gewünscht, weil – infolge der Konzeption weiblicher „Produktivität“ – Ersterer zu Letzterem quer zu liegen scheine.

PASCAL EITLER (Berlin) ging in seinem Beitrag von der Beobachtung aus, dass Tiere in der Körpergeschichte des Ökonomischen eine Leerstelle seien. Das Tier könne nicht einfach als nicht-menschlich bezeichnet werden, hätten die Menschen doch immer zwischen Dingen und Tieren differenziert. In diesem Zusammenhang skizzierte Eitler drei Punkte: Parallel zur Rationalisierung („Mensch-Maschine“) identifizierte er erstens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts einen Prozess der Emotionalisierung („das Tier im Menschen“). Mögliche Forschungsfelder seien, zweitens, Zoo und Zirkus, aber auch Haustiere. In Anbetracht ihrer unterschiedlichen agency müsse die Forschung drittens (Arbeits)Tiere nicht nur als produzierende, sondern auch als produzierte betrachten. Im Kommentar warf MARTIN LENGWILER die Frage auf, inwiefern Tiere als Ebene symbolischer Ordnung begriffen werden müssten. Eitler entgegnete, dass es ihm gerade darum gehe, das Tier nicht als bloßes „Abbild des Sozialen“ in den Blick zu nehmen.

WIEBKE WIEDE (Trier) widmete sich der Herstellung von arbeitslosen Subjekten über Formen der Selbst- und Fremdregierung in England und Deutschland seit den 1970er-Jahren. Zunächst nahm Wiede das arbeitslose Subjekt als Produkt von Registrierung und Verwaltung in den Blick, bevor sie sich dem arbeitslosen Körper als krankem Körper zuwendete. Zuletzt widmete sie sich der/dem unsportlichen Arbeitslosen. In Anbetracht des Referierten stellte Martin Lengwiler die Frage, ob die grundlegende Verbindung von Körper und Produktivität seit den 1970er-Jahren so noch existiere oder nicht vielmehr an Stabilität verloren habe. Wiede war nicht der Meinung, dass sich der Nexus von Körperlichkeit und Produktivität aufgelöst habe, sondern sah diesen vielmehr im Kontext einer „Normalisierung der Krise“ reformuliert.

Unter dem Titel In/Output beschäftigten sich zwei Vorträge mit der Veränderung von aus dem 19. Jahrhundert stammenden Ernährungskonzepten zu Beginn des 20. Jahrhunderts. NINA MACKERT (Erfurt) nahm unterschiedliche Konzepte des Produktiven in den Blick und zeigte, wie Essen mit der Hervorbringung von produktiven Körpern und mit Konzepten des Produktiven zusammenhängt. Sie behandelte die unterschiedliche Zuschreibung von Produktivität an unterschiedliche Körper, wie sie der ernährungswissenschaftliche Diskurs um 1900 vornahm. Mit Bezugnahme auf die Kategorie der Kalorie würden Subjekte einerseits angerufen, ihre Körper mit dem richtigen Maß an Fett zu versorgen, sowie eine Objektivier- und Vergleichbarkeit von Körpern sichergestellt. Andererseits werde, wie Mackert am Beispiel des „fat men’s club” ausführte, Fett als produktive Materie konzipiert, welches im Körper eingelagert diesem als Vorsorgekapital dient. Diese Kapitalallegorie zeige eine zeitspezifische Verbindung von Körpervorstellungen und ökonomischen Konzepten auf. Weiterführend würde insbesondere die autobiographische Thematisierung von Essen interessieren, wie auch die nachfolgende Diskussion zeigte.

Mit der Optimierung von Körper(vorgängen) im Spiegel sich verändernder ökonomischer Verhältnisse und Konzeptionen von Produktivität beschäftigte sich auch GIANENRICO BERNASCONI (Zürich) in seinem Vortrag zur Ovomaltinewerbung, die in den 1920er- und 1930er-Jahren vermehrt auf Büroangestellte ausgerichtet war. Über die Darstellung von Nervenkrisen und Konzentrationsstörungen werde hier eine Gleichzeitigkeit von Leistungsfähigkeit und Erschöpfung sichtbar und der Körper der Büroarbeitenden als nicht mehr nur thermodynamisch funktionierender, sondern über Nerven mit seiner Umwelt verdrahteter imaginiert. Die Ovomaltinewerbung rufe die Individuen an, über ihre Konsumentscheidung die Vorgänge in ihrem Körper im Sinne der Effizienz zu optimieren. Ein Quervergleich verschiedener Werbeanzeigen am Ende des Vortrags zeigte, dass diese Anrufung auch in Werbungen aus dem Kontext einer breiteren Unterhaltungs- und Freizeitkultur anzutreffen sei. Der Kommentar von HEIKO STOFF (Braunschweig) erwähnte, dass ein Einbezug des ebenfalls in der Ernährungslehre aufkommenden Konzepts der Vitamine für beide Vorträge spannend wäre.

In der mit Bewerten I übertitelten Sektion thematisierte SANDRA MASS (Bochum) das Verhältnis von ökonomischem Handeln und Kinderkörpern im 19. Jahrhundert anhand zweier Stränge: Die monetäre Erziehung von Kindern, wie sie von Seiten der politischen Ökonomie sowie in Erziehungsratgebern vorgesehen war, und die autobiographische Rückblende bürgerlicher Autoren auf die Spielpraxen ihrer Kindheit. Maß konstatierte, erstens, eine Verschiebung von der Wohltätigkeit hin zum Konsum als vorgesehenem Bezugsrahmen kindlichen monetären Handelns und wies zweitens auf die Möglichkeit (körperlicher) Grenzüberschreitungen im Spiel hin, wie sie von bürgerlichen Autoren wie Hermann Hesse oder Gerhart Hauptmann erinnert wurde.

Um den Körper als Pfand und die Körperlichkeit dinglicher Pfänder ging es im Vortrag von MISCHA SUTER (Basel). Er behandelte die Schuldhaft und die Pfandleihe als zwei Momente des Umgangs mit Schulden im liberalen Kapitalismus in der Schweiz des 19. Jahrhunderts. Die für den Liberalismus problematische Konfusion von Körpern, Personen und Dingen thematisierte er am Beispiel der Praxis des Verhängens von „Wortzeichen” und dem Schuldgefängnis, welche von einem zunehmend „rigide[n] Zugriff” auf arme Menschen zeugten. Darüber hinaus argumentierte Suter, dass sich in diesem Zusammenhang in zweierlei Hinsicht Inwertsetzungsprozesse beobachten lassen. Die Sektion thematisierte, wie Dinge und Körper über ihre Relationalität als ökonomisch aufgeladene sichtbar werden, und das Spannungsverhältnis zwischen Mäßigung und Konsum, in dem sich produktive Körper im Konsumkapitalismus befinden. Der Kommentar von BENJAMIN BRÜHWILER (Basel) regte für beide Vorträge eine Erweiterung der Darstellung um eine postkoloniale Perspektive an.

Im weiteren Sinne um Transferprozesse zwischen verschiedenen Wissensfeldern ging es in der anschließenden Sektion, Bewerten II, wie ALEXA GEISTHÖVEL (Berlin) im Kommentar betonte. LARS BLUMA (Bochum) widmete sich dem bergmännischen Körper im Ruhrgebiet und spezifischen Macht-Wissens-Gefügen von Statistik und neuen medizinischen (Sichtbarmachungs)Technologien, in dem sich dieser gegen Ende des 19. Jahrhunderts befindet. Der sich auf die Planung von Risiken verschiebende Fokus als Merkmal neuer Versicherungsrationalitäten äußere sich vor allem auch in der umfassenden statistischen Erfassung und Beobachtung des bergmännischen Körpers im Nexus von Verdachtsökonomie und Risikoverminderungsstrategien. Bluma zeigte insbesondere, wie in zwei konkurrierenden Strategien der Bekämpfung des Hakenwurms unterschiedliche ökonomische Rationalitäten zu Tage treten, die die Sorge um die Produktivität des Arbeiters unterschiedlich lösen: Auf der einen Seite die Strategie einer umwelthygienischen und erzieherischen Vorsorge, auf der anderen die der bakteriologischen Bekämpfung mittels präventiver Massenuntersuchungen. Ob hier tatsächlich von zwei verschiedenen ökonomischen Rationalitäten gesprochen werden kann, wurde im Anschluss kontrovers diskutiert.

Eine diskursive Verschiebung von an Vergangenheit orientierter Fehleranalyse hin zu zukunftsorientierter Potentialität machte LUKAS HELD (Zürich) in seiner Untersuchung des Produktivitätsdiskurses anhand von Fachzeitschriften und motivationspsychologischen Arbeiten der 1950er– bis 1970er–Jahre aus. Damit einher geht laut Held die Etablierung der Motivation als Leitkategorie des Produktivitätsdiskurses, woran auch ein Wandel des Körperverständnisses gebunden ist: Die Motivation als Motor der ständigen Überschreitung körperlicher Grenzen. Die Subjekte werden so zum Mittelpunkt eines neuen Produktivitätsdenkens, das (ungefähr seit den 1970er–Jahren) nicht mehr beim Enttarnen fehlerhafter Faktoren im Produktionsvorgang ansetzt, sondern beim Menschen. Hier knüpfte die anschließend im Kommentar von ALEXA GEISTHÖVEL aufgeworfene Frage an, ob diese Veränderungen als „Ökonomisierung des Sozialen” oder einfach als Etablierung von Managementdiskursen zu begreifen seien. Ebenso stellte sich in der Diskussion die Periodisierungsproblematik: Wenn Selbstaktivierung bereits im liberalen Kapitalismus festzustellen ist, müsste dann nicht eher auf die Darstellung parallel laufender Prozesse, denn auf zeitliche Abfolgen fokussiert werden?

In der Sektion (Menschen) Führen fragte MARCEL STRENG (Bielefeld) nach der Produktion ökonomischer Subjekte und ihrer Körper, und zwar über die vielschichtigen Momente der Kontrolle auf dem Brester Brot- und Fleischmarkt im Nexus von Politik, Polizei, Marktakteuren und Bevölkerung. Während sich am Beispiel der Regulierung des Brotmarkts um die Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem die Produktion moralischer Subjekte deutlich machen lässt, können körpergeschichtliche Aspekte, so Streng, eher am Beispiel des Fleischmarktes gegen Ende des Jahrhunderts sichtbar gemacht werden. Streng zeigte insbesondere, wie der Fleischmarkt im Zusammenfallen von polizeilicher und wissenschaftlicher Kontrolle zwischen Schlachthof, Lebensmittelinspektion und Labor als spezifisch regulierter erscheint. Um beschreiben zu können, was die Produktivität des Brester Fleischmarktes ausmacht, schlug Streng zum Schluss die Beschreibung spezifischer „assemblages” von Menschen, Dingen, Orten, Wissensformen und Techniken vor. Darüber hinaus könnte auf der Seite der Konsumierenden nach der Produktion von Körpern gefragt werden, wie ROMAN ROSSFELD (Genf) in seinem Kommentar anregte.

KEVIN HEINIGER (Basel) interpretierte in seinem Vortrag zu den Tagebuchaufzeichnungen eines Anstaltszöglings in den 1940er-Jahren dessen Selbstverletzung als Moment des Sich-Entziehens aus der Anstaltsordnung und -kontrolle, also eine Art unproduktiv Machen seiner selbst. Die anschließende Diskussion warf zunächst die Frage auf, ob es sich dabei um ein Misslingen von Führung handle. Des Weiteren wurde diskutiert, woran gelungene und ungelungene Führung gemessen werden kann und was schlussendlich produktives Handeln ist. Ist der Körper in der Zerstörung ein produktiver oder unproduktiver? Eine interessante Perspektive bot die im Kommentar von ROMAN ROSSFELD dargelegte Sichtweise, dass im Falle dieser Tagebuchaufzeichnungen der Körper als Mittel oder Ressource zur Durchsetzung von Interessen der beiden Seiten – sowohl der Anstalt wie auch des Zöglings – dient.

Die siebte und letzte Sektion trug den Titel Un/Körperlichkeit der Arbeit. In einem ersten Beitrag beschäftigte sich TIMO LUKS (Chemnitz) mit dem Körper des Polizisten im 19. Jahrhundert. Diesen beschrieb er zunächst als ertragenden Körper und stellte im Sinne eines Zwischenfazits die Frage in den Raum, ob und inwiefern ein ertragender Körper produktiv sein kann. Diese erste Frage führte ihn zu einer zweiten, welche er wiederum unbeantwortet ließ: Jene nach der Verschränkung von Arbeit und Körperlichkeit und danach, wie diese beiden in der Polizeiarbeit auseinanderfallen. Luks schloss mit der Feststellung, dass der Körper des Polizisten als Gefäß erscheint, welches geleert und dann ersetzt wird und dass er somit von einer Arbeit fernab jeglicher Produktivität zeugt. JENS EBERFELD (Bielefeld) hakte in seinem Kommentar an diesem Punkt ein und wollte wissen, ob ‚Produktivität’ in diesem Zusammenhang tatsächlich völlig zu negieren sei. Lediglich auf einer heuristischen Ebene, antwortete Luks, könne dieser Körper als produzierender bezeichnet werden.

Die Körperlosigkeit produktiver Selbste stand im Fokus von SABINE DONAUERS (Berlin) Untersuchung. Genauer ging es ihr darum, die Geschichte dieser Körperlosigkeit im Sinne einer Desomatisierung zu schreiben. Die Geschichte der emotionalen Führung von ArbeiterInnen beschrieb sie in vier Phasen, die sich als Verschiebung von thermodynamischen über charakterologische und psychotechnische zu motivationspsychologischen Modellen zusammenfassen lässt. Diese Analyse stellt das Narrativ des Bruchs zwischen Fordismus und Postfordismus nicht nur infrage, sondern ermöglicht, dieses zu überwinden und durch eines zu ersetzen, welches die Desomatisierung als Resultat einer früher einsetzenden ökonomischen Rationalisierungsbewegung begreift. Was mit dem Körper im Zuge dieser Desomatisierung passiert, wollte JENS EBERFELD in seinem Kommentar genauer wissen. Donauer explizierte, dass der Körper im Kontext von neueren Diskursen über „Leistung“ nicht mehr zentral ist und sich die Sorge um den Körper in den privaten Bereich verschiebt.

Eine Problematik der Tagung dürfte in ihrem heterogenen Charakter zu suchen sein. Dies führte manchmal dazu, dass die eingangs formulierten Fragestellungen in den Hintergrund gerieten. Das wurde vor allem in der Verwendung grundlegender Begrifflichkeiten deutlich. Ein Beispiel wäre die seitens von Luks erwähnte heuristische Verwendung des Produktivitätsbegriffs. Aber auch die Historisierung des ‚Körpers’ sowie die begrifflichen Bestimmung des ‚Ökonomischen’ gerieten manchmal aus dem Blick. Dementsprechend zogen sich dann auch grundlegende Aspekte des wissenschaftlichen Arbeitens durch die Schlussdiskussion: Inwiefern können bestehende Begriffe und Konzepte einfach übernommen werden? Respektive inwieweit müssen sie übernommen werden, um überhaupt arbeiten zu können? Oder wäre eine solche Tagung gerade der Ort, an welchem dem Abarbeiten an Begrifflichkeiten eine zentrale Stelle eingeräumt werden müsste? Die Heterogenität des Programms war aber zweifellos gleichzeitig die große Stärke der Tagung. Die thematische, methodische und konzeptuelle Vielfalt der Beiträge zeugte von einer aktiven und breiten Forschungslandschaft und erlaubte ein Nachdenken und Diskutieren in vielerlei Richtungen.

Konferenzübersicht:

Begrüßung und Einführung

Sektion 1: Körper-Ding-Arrangements
Moderation: Simona Isler (Universität Basel)

Klara Löffler (Universität Wien): Der Aktenlauf. Zur Ethnographie interner Bürokommunikation in den 1920er Jahren

Roman K. Abt (Universität Basel): Getreideelevator, Jutesack und Arbeiter in den Basler Rheinhäfen, 1920–1940

Kommentar: Franz X. Eder (Universität Wien)

Sektion 2: un/re/produktive Körper
Moderation: Anja Suter (Universität Basel)

Brigitte Fuchs (Universität Graz): Osteomalazie als Indikation ‚weiblicher Kastration‘: Weiblichkeit als Über-/Reproduktionskrise

Pascal Eitler (MPI für Bildungsforschung Berlin): Arbeitstiere. Zur Produktivität von Tierkörpern im 19. Jahrhundert

Wiebke Wiede (Universität Trier): Unproduktive Körper. Arbeitslose Subjekte seit den 1970ern
Kommentar: Martin Lengwiler (Universität Basel)

Sektion 3: In/Output
Moderation: Lea Bühlmann (Universität Basel)

Nina Mackert (Universität Erfurt): Fat as Fuel Power? Ernährungsdiskurse und produktive Körper in den USA der 1880er bis 1920er Jahre

Gianenrico Bernasconi (Universität Zürich): Zwischen Nervosität und Überstunde: Ovomaltine und die Büroarbeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Kommentar: Heiko Stoff (Universität Braunschweig)

Sektion 4: Bewerten 1
Moderation: Céline Angehrn (Universität Basel)

Sandra Maß (Ruhr Universität Bochum): Üben, üben, üben... Ökonomische Habitusformation bei Kindern im 19. und 20. Jahrhundert

Mischa Suter (Universität Basel): Schuld, Pfand und Person. Inwertsetzung von Körpern und Objekten im liberalen Kapitalismus (Schweiz, 19. Jh.)

Kommentar: Benjamin Brühwiler (Universität Basel)

Sektion 5: Bewerten 2
Moderation: Marcel Streng (Universität Bielefeld)

Lars Bluma (Deutsches Bergbau-Museum Bochum): Die Produktivität des bergmännischen Körpers: Ökonomische Versicherungsrationalität(en) und Bioökonomie industrieller Arbeit

Lukas Held (Universität Zürich): Der Körper als Ressource. Der Produktivitätsdiskurs zwischen Vergangenheits- und Zukunftsorientierung

Kommentar: Alexa Geisthövel (Charité – Universitätsmedizin Berlin)

Sektion 6: (Menschen) Führen
Moderation: Melanie Boehi (Universität Basel)

Marcel Streng (Universität Bielefeld): Die Wahrheit ist auf dem Platz. Führungsverhältnisse und Preisbildungsprozesse auf öffentlichen Lebensmittelmärkten (Frankreich, 19. Jhdt.)

Kevin Heiniger (Universität Basel): „Ein Herz, das die Verzweiflung zur Maschine herabwürdigt.“ Körperlichkeit in Tagebuchaufzeichnungen eines Aarburger Anstaltszöglings aus den Jahren 1944/45

Kommentar: Roman Rossfeld (Universität Genf)

Sektion 7: Un/Körperlichkeit der Arbeit
Moderation: Peter-Paul Bänziger (Universität Basel)

Timo Luks (Universität Chemnitz): Der Körper des Polizisten, oder: Was ist eigentlich „körperliche Arbeit“? Ideen zu einer Körpergeschichte des Polizeidiensts im neunzehnten Jahrhundert

Sabine Donauer (MPI für Bildungsforschung Berlin): Die Körperlosigkeit produktiver Selbste: arbeitswissenschaftliche Konzepte in Deutschland (20. Jahrhundert)

Kommentar: Jens Elberfeld (Universität Bielefeld)

Schlussdiskussion