Gendered Visibility? 19. Fachtagung des AK Geschlechtergeschichte der Frühen der Neuzeit

Gendered Visibility? 19. Fachtagung des AK Geschlechtergeschichte der Frühen der Neuzeit

Organisatoren
Arbeitskreis Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit (AKGG-FNZ)
Ort
Stuttgart
Land
Deutschland
Vom - Bis
31.10.2013 - 02.11.2013
Url der Konferenzwebsite
Von
Detlef Berghorn / Sonja Janositz, Historisches Seminar, Leibniz Universität Hannover

Vom 31. Oktober bis 2. November 2013 fand an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart die 19. Fachtagung des Arbeitskreises Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit (AKGG-FNZ) statt. Unter dem Titel „Gendered Visibility“ diskutierten die TeilnehmerInnen den Vorgang des Sichtbar- bzw. Unsichtbarmachens aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive. Im Fokus standen dabei soziale Beziehungen, Personen und Dinge, Herrschaft, Normen und Wissensbestände ebenso wie Gefühle und Affekte in sprachlichen und visuellen Medien.

Die Tagung eröffnete DANIELA HAMMER-TUGENDHAT (Wien) mit ihrem Abendvortrag zu Geschlechterkonstruktionen bei Rembrandt. Zunächst konstatierte sie, dass die Malerei im bürgerlichen Holland des 17. Jahrhunderts – anders als in höfischen Gesellschaften – den Geschlechtern spezifische Bereiche zuwies: Männer wurden in Kontexten dargestellt, die man mit Öffentlichkeit, Politik und Herrschaft assoziierte, während Frauen meist nur in Interieurbildern präsent sind. Ausgenommen davon sind Akte biblischer oder historisch-mythischer Frauenfiguren wie Bathseba, Danae oder Lucretia, Bilder, welche Daniela Hammer-Tugendhat als „Quintessenz patriarchaler Doppelmoral“ bezeichnete, indem sie durch die Abwesenheit von Männern die vorangegangene Gewalt unsichtbar machen. Wie Daniela Hammer-Tugendhat deutlich machte, standen diese Akte im Kontext zeitgenössischer Diskurse von Zeugung und Vergewaltigung. Im Vergleich mit anderen Malern der Epoche zeigte Rembrandt jedoch mehr Empathie, seine Darstellungen sind weniger sexuell aufgeladen, trotzdem verschwindet auch bei ihm der männliche Akteur der mythologischen Erzählung, Verführer bzw. Vergewaltiger werden unsichtbar gemacht. Im Rahmen des historisch Möglichen präsentierte Rembrandt so ein alternatives Bild von Weiblichkeit und Männlichkeit. Ihren Vortrag schloss Hammer-Tugendhat ab mit einem Plädoyer für eine Kunstgeschichte des Unsichtbaren. Es sei wichtig, sich nicht nur mit dem Dargestellten zu befassen, sondern auch nach dem jeweils Abwesenden zu fragen.

In der ersten Sektion am Freitag „Visualisieren (Bebildern)“ analysierte MARIANNE BOURNET-BACOT (Amiens) bürgerliche Ehepaarbildnisse des 16. Jahrhunderts mit einem Schwerpunkt auf dem Braunschweiger Maler Ludger tom Rings d. J. Durch Strategien der Sichtbarmachung und Ausblendung nahm tom Ring eine visuelle Selektion vor, die auf eine Idealisierung des Körpers hinauslief. In idealtypischer Weise verkörpern seine Doppelportraits einerseits die von Cicero geforderten Tugenden der Gravitas für Männer und der Suavitas für Frauen. Andererseits löste der Maler durch seine Darstellung von Kleidung und Schmuck diese geschlechterspezifischen Zuschreibungen wieder auf: Die Männer verlieren ihre Gravitas, während ihre steifen Gemahlinnen ihre Suavitas aufgeben. So zeigen tom Rings Bildnisse, das konnte die Referentin deutlich machen, trotz genderspezifischer Unterschiede ein bemerkenswertes Gleichgewicht zwischen Mann und Frau. Für bürgerliche Frauen waren diese Doppelporträts eine der wenigen möglichen Darstellungsformen, Einzelbildnisse wie im Fall von Männern existieren nicht, doch konnten Frauen hier ihre Dignität repräsentieren und gegebenenfalls auch ihre höhere gesellschaftliche Position gegenüber dem Ehemann zum Ausdruck bringen.

Im Anschluss daran wandte sich BRIGITTE RATH (Wien) der bildlichen Repräsentation Maria Magdalenas im Spätmittelalter zu mit besonderem Schwerpunkt auf wenig bekannte Bilder aus dem deutschsprachigen Raum. Als eine der beliebtesten Heiligenfiguren bot Maria Magdalena Gläubigen und Künstlern Projektionsflächen und Ausgestaltungsmöglichkeiten. Brigitte Rath untersuchte die künstlerischen Mittel, die ambivalente Rolle Maria Magdalenas als Sünderin (Hure) und Heilige zugleich ins Bild zu setzen. Wie sie zeigen konnte, gehörten dazu in der Regel aufwendige Kleidung und kostbarer Haarschmuck sowie ein spezifisches Farbrepertoire. In bestimmten Fällen rief diese Darstellung Kritik hervor, zum Beispiel auf Seiten der Reformatoren, die in den ansprechenden Darstellungen eine Ablenkung sahen.

Den Abschluss der ersten Sektion am Freitag bildete der Vortrag von LISA SPANKA (Bremen), welche das Ausstellungskonzept des Nationalmuseet Kopenhagen unter dem Aspekt Gendered Histories vorstellte, hier vor allem den Teil zur frühneuzeitlichen dänischen Geschichte. Visibilisiert über die Zurschaustellung der materiellen Kultur, nimmt die Ausstellung, so argumentierte Spanka, geschlechterspezifische Zuweisung von Arbeits- und Lebensbereichen vor: Weiblichkeit werde in Natur, Tradition und Region repräsentiert, Männlichkeit dagegen in Kultur und Herrschaftszusammenhängen. Weibliche Berufstätigkeit, selbst die Arbeit in Zünften, werde der häuslichen Sphäre zugewiesen. Am Ende des Vortrags stand ein schlüssiges Bild von Museen als diskursiven Orten, in denen durch gängige Sammlungs- und Ausstellungspraxen Vorstellungen über binäre Geschlechtszuordnungen hergestellt und stabilisiert werden.

Die zweite Sektion am Freitagnachmittag beschäftigte sich mit „Visibilisieren (Sammeln, Schreiben und Erzählen)“ und wurde von KATRIN KELLER (Wien) eröffnet. In ihrem Vortrag ging die Historikerin der Sichtbarkeit von Frauen in frühneuzeitlichen Medien, konkret in den in Wien überlieferten Foliobändern der Fuggerzeitungen aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nach. Eine serielle Untersuchung ergab, dass nur gut 6 % der Informationen Frauen betrafen, zumeist Herrschaftsträgerinnen. Hieraus leitete Katrin Keller die Frage ab, ob Frauen einen anderen Nachrichtenwert gehabt hätten als Männer. Um eine Antwort auf diese Frage zu finden sei es nötig, so ergab die folgende Diskussion, traditionelle Zuordnungen zu überwinden und ganze Handlungsfelder in den Blick zu nehmen.

CLAIRE CHATELAIN (Paris / Lille) präsentierte im folgenden Vortrag eine Fallstudie zur Rechtspraxis des Pariser Parlaments als Höchstgericht des Königreichs Frankreich zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Die Historikerin spürte dabei sowohl den öffentlich dokumentierten und deshalb für alle sichtbaren Verfahren wie auch den unsichtbaren (Un-)„Wahrheiten“ hinter den Prozessakten, Aussagen und veröffentlichten Plädoyers nach. In einem Prozess um Trennung von Tisch und Bett in einer Familie hoher französischer Beamter arbeitete Claire Chatelain verschiedene Dimensionen von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit bzw. von Sichtbar- und Unsichtbarmachen heraus: Zentral war hier der Verweis auf die Ehefrau, die, ganz im Einklang mit den zeitgenössisch normierten Geschlechterrollen, ihr Unterstützernetzwerk unsichtbar machte. Am Ende des Vortrages wurde ein „Wahrheitsregime“ deutlich, das sich der Techniken des Sichtbar- und Unsichtbarmachens durch Verschweigen einerseits und der Vorlage offenkundig gefälschter Beweisstücke andererseits bediente.

Zum Abschluss des Freitagnachmittags warf GABRIELE JANCKE (Berlin) einen Blick auf die Rezeption Katharina von Boras in der Historiographie bis in die Gegenwart. Ihre Quellenbasis reichte dabei von frühneuzeitlichen konfessionellen Polemiken bis zu aktuellen Forschungsarbeiten. Sie zeigte auf, wie die Ehefrau des Reformators Martin Luther zur Projektionsfläche für jeweils zeittypische Geschlechterkonstruktionen wurde und wird: Katholischer Polemik diente Katharina von Bora als Argument im konfessionellen Kampf; im protestantischen Geschichtswerk des 19. Jahrhunderts wurde sie allein von Luther her definiert, eigene Ansichten sowie Handlungsfelder außerhalb von Haus und Familie wurden unsichtbar gemacht; aktuelle Forschungsarbeiten zeigten schließlich die Tendenz, die gegenwärtige Perspektive auf weibliche Religiosität in die Quellen zu lesen. Die historisch reale Person, so Gabriele Jancke, werde hierdurch zu einer – zeitspezifisch durchaus unterschiedlich – historiografischen Figur, die ihre Konturen im Spiel von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit erhalte.

In der ersten Sektion am Samstag „Entvisibilisieren (Markieren, Ignorieren)“ untersuchte als erstes SEBASTIAN KÜHN (Berlin / Hannover) Techniken des Dienens und Bedientwerdens in frühneuzeitlichen Adelshaushalten. Anhand der Forschungsliteratur zum Thema konnte er deutlich machen, dass Diener zumeist unsichtbar blieben, ihnen zum Teil aber auch gerade aus dieser Unsichtbarkeit heraus Macht zugeschrieben werde. Sebastian Kühn wies in diesem Zusammenhang auf Probleme hin, die sich direkt aus den verfügbaren Quellen ergeben, die Diener, wenn überhaupt, meist nur aus der Perspektive der Herrschenden sichtbar werden lassen. Aus diesem Befund leitete der Referent die weitergehende Frage nach der Praxis des Unsichtbarmachens als Bestandteil herrschaftlicher Logiken ab. Wie er anhand einzelner Überlieferungen zeigen konnte, konnten Diener aber auch umgekehrt ihre Herrschaft unsichtbar machen. So erhielten die Praxis, die Technik und möglicherweise auch die Strategie des Sichtbar- und Unsichtbarmachens eine prominente Position im Kontext der Beziehungen zwischen Herrschaften und Untergebenen.

Im Anschluss an diesen Vortrag, der die Handlungslogiken hervorgehoben hatte, diskutierte TIM NEU (Göttingen) Möglichkeitsbedingungen politischer Sichtbarkeit anhand des Konflikts um die Regentschaft Annas von Hessen zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Ausgehend von Theorien um Hegemonie und Markierung, legte der Historiker schlüssig dar, dass Unmarkiertheit zu den Ermöglichungsbedingungen politischer Sichtbarkeit gehöre. Wie der von Tim Neu diskutierte Fall aus Hessen zeigte, stellt sich der Kampf um politische Sichtbarkeit in der Praxis als Kampf um die Sichtbarkeit von Markierungen dar: Erst als es der Landgräfin gelang, ihre Markierung (Alter, Geschlecht) aus dem Blickfeld zu rücken, so Tim Neu, nahm ihre politische Sichtbarkeit wieder zu und ermöglichte ihr, ihre Ansprüche auf die Vormundschaftsregierung für ihren unmündigen Sohn Philipp (den Großmütigen) durchzusetzen.

Am Ende der Tagung Samstagmittag stellte MONIKA MOMMERTZ (Freiburg im Breisgau) ihr Konzept von Geschlecht als Markierung, Ressource und tracer vor. Dies führte sie aus anhand der Entstehung und Entwicklung der „Neuen Wissenschaften von der Natur“. Hieran hatten, so Mommertz, auch Frauen Anteil, etwa als Partnerinnen im gelehrten Austausch oder im Kontext wissenschaftlicher Haushalte. Gleichzeitig, so beschrieb Mommertz das mit ihrem Ansatz zu lösende Problem, sei die Universitätskultur des 17. und 18. Jahrhunderts jedoch weitgehend monogeschlechtlich markiert. Während des 19. Jahrhunderts sei es zu einer Integration der „Neuen Wissenschaften von der Natur“ in die Forschungsuniversität gekommen; diese sei erfolgt unter Ausschluss zahlreicher weiblich bzw. gemischtgeschlechtlich markierter Konzepte und Organisationsformen. Zur Analyse dieser Prozesse schlug Monika Mommertz vor, Geschlecht als tracer zu nutzen, denn damit könnten Übergänge zwischen Untersuchungsumgebungen und deren Relationen sichtbar gemacht werden. Der Begriff der geschlechtlichen Markierung führe Frauen und Männer in der Analyse zusammen. Geschlechtliche Markierung könne somit als Ressource verstanden werden, die sich AkteurInnen zunutze machen könnten.

Am Ende bleibt festzuhalten, dass das Konzept der Visibility, des Sichtbar- und Unsichtbarmachens bzw. des Sichtbar- und Unsichtbarwerdens, neue Perspektiven auf die Herstellung von „Wirklichkeiten“ eröffnet. Dies haben nicht zuletzt die anregenden Diskussionen deutlich gemacht, denen auf der Tagung viel Raum zugestanden wurde. Am Gelingen der Tagung – das soll zum Schluss besonders betont werden – hatten auch das offene Arbeitsklima, die angenehme Atmosphäre und die hervorragende Verpflegung erheblichen Anteil. Die nächste Tagung des Arbeitskreises Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit wird vom 30. Oktober bis zum 1. November 2014 in Stuttgart stattfinden und sich dem Thema „Leidenschaften“ widmen.

Konferenzübersicht:

Eröffnungsvortrag: Daniela Hammer-Tugendhat (Wien): Geschlechterkonstruktionen bei Rembrandt

Sektion I. Visualisieren (Bebildern)

Marianne Bournet-Bacot (Amiens): Die Geschlechtsstereotype in den gemalten Ehepaarbildnissen Ludger tom Rings des Jüngeren (1522–1584) in Braunschweig

Brigitte Rath (Wien): „Ein Magdalena so hürisch gemalet…“ Die Heilige Maria Magdalena in der bildlichen Repräsentation des Spätmittelalters

Lisa Spanka (Bremen): Gendered Histories im Museum

Sektion II. Visibilisieren (Sammeln, Schreiben und Erzählen)

Katrin Keller (Wien): Gendered News? Frauen und Männer in geschriebenen Zeitungen der Zeit um 1600

Claire Chatelain (Paris / Lille): Über die (Un)sichtbarkeit. Lorsque la falsification est visible: procès de couple et régime de vérité dans la justice civile d’Ancien Régime

Gabriele Jancke (Berlin): „Es ist erklärlich genug, dass die Geschichte über Catharina's stilles Walten unter ihren Kindern schweigt ...“. Die Rezeption Katharinas von Bora oder: Geschichtskonstruktionen als Übungen im strukturierten Unsichtbarmachen

Sektion III. Entvisibilisieren (Markieren, Ignorieren)

Sebastian Kühn (Berlin): Die doppelte (Un-)Sichtbarkeit fragiler Machtausübung. Überlegungen zu Techniken des Dienens und Bedient-Werdens in Adelshaushalten des 17./18. Jahrhunderts

Tim Neu (Göttingen): Markiertheit als Mangel. Anmerkungen zu den Möglichkeitsbedingungen politischer Sichtbarkeit am Beispiel der Kategorie Geschlecht

Monika Mommertz (Freiburg im Breisgau): Und zu welchem Ende…? Geschlecht als Markierung, Ressource und tracer

Schlussdiskussion


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