Rete Antiquum I: Elite und Krise in antiken Gesellschaften / Élites et crises dans les sociétés antiques

Rete Antiquum I: Elite und Krise in antiken Gesellschaften / Élites et crises dans les sociétés antiques

Organisatoren
Lennart Gilhaus / Sebastian Wirz, Bonn; Stephanie Kirsch, Hannover/Bonn; Isabelle Mossong, Rom/Strasbourg/Berlin; Franziska Reich, Strasbourg/Bonn
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.03.2014 - 22.03.2014
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Von
Isabelle Mossong, École française de Rome; Franziska Reich, MISHA, Université de Strasbourg Strasbourg / Institut für Geschichtswissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn; Lennart Gilhaus, Institut für Geschichtswissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

In den letzten Jahren ist das Thema Krise in den Medien allgegenwärtig. Jedoch sollte auch bedacht werden, dass auch in früheren Gesellschaften teilweise krisenhafte Zustände geherrscht haben, die wir heute noch in den Quellen fassen können. Ziel des deutsch-französischen Forschungsateliers war es, die Konsequenzen von Krisen auf die Eliten in der Antike nachzuvollziehen sowie die Auslöser und die Reaktionen der Eliten zu untersuchen. Dafür wurden Doktoranden und Postdoktoranden aus Deutschland, Frankreich, Belgien und der Schweiz eingeladen, um diese Problematik anhand ausgewählter Beispiele der griechisch-römischen Antike zu diskutieren. Das Atelier setzte sich aus vier Einheiten zusammen, die chronologisch angeordnet waren: Die erste Sektion widmete sich der klassischen und hellenistischen Zeit, die zweite betraf die Römische Republik. Es folgte eine weitere Sektion zur Römischen Kaiserzeit, während in der letzten Sektion die Spätantike behandelt wurde.

LENNART GILHAUS (Bonn) eröffnete das Atelier mit einer thematischen Einführung, in der er auf die mit den Begriffen Krise und Elite verbundenen Ideen einging. Er erinnerte daran, dass Krisen vor allem als Selbstbeschreibungen zu verstehen und zu untersuchen sind. Zudem muss bedacht werden, dass Krisen von Eliten auch immer gesamtgesellschaftliche Konsequenzen haben und somit nicht ohne den jeweiligen gesellschaftlichen Kontext untersucht werden können, sondern vielmehr auf die sozialen Strukturen zurückverweisen. LISA ROQUES (Paris) stellte den Übergang von Oligarchie zu Demokratie in Athen aus der Sicht von Ion von Chios in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung. Durch diesen Blick von außen war es ihr möglich ein differenzierteres Bild von Kimon und Perikles und ihren Handlungen im Athen des 5. Jahrhundert v. Chr. zu zeichnen. Da keine Schriften von Ion von Chios überliefert sind, musste auf Passagen aus den Viten des Plutarch zurückgegriffen werden. MORITZ HINSCH (Berlin) analysierte das 4. Jahrhundert v. Chr., das bislang als Niedergang der griechischen Polis angesehen wurde, aus der Sicht der oikonomia-Literatur. Als Quellen wurden Texte von Xenophon und Aristoteles herangezogen, anhand derer gezeigt werden konnte, dass die Umverteilung des Reichtums mit sozialer Mobilität einherging, was zunächst zu Konflikten innerhalb der Oberschichten, dann aber zur Integration der Aufsteiger in der Elite führte. LAURA TCHORZ (Bonn) stellte die Frage nach den Kontrollmöglichkeiten von Menschenmengen in Krisenzeiten. Sie berief sich hierfür auf die Schriften des Polybius. Ein besonderes Interesse ihres Beitrages lag darin, die Eignung von Führungskräften durch deren Einwirkung auf die Masse zu bewerten.

In seinem Abendvortrag bot CHRISTIAN WITSCHEL (Heidelberg) zunächst eine Übersicht zur Forschungsgeschichte des 3. Jahrhunderts n. Chr. Es folgte eine Präsentation der Fortschritte, die in den letzten Jahrzehnten zu dem von Kontinuität und Wandel geprägten 3. Jahrhundert machen konnte. Anhand einiger Fallbeispiele wie der Germaneneinfälle in den nördlichen Provinzen des Römischen Reiches oder die Hilferufe aus den östlichen Provinzen an den Kaiser hinterfragte er ältere Deutungsmuster und warnte vor vorschnellen Interpretationen der Quellen.

ANNE KUBLER (Paris/Bern) wandte sich der politischen Krise während des zweiten Punischen Krieges zu. Die Aneinanderreihung von militärischen Niederlagen brachte die führenden Eliten in Verruf, was einen Einfluss auf die Konsulatswahlen dieser Jahre hatte. Abschließend wurde noch auf den Platz eingegangen, den dieser Krieg im kollektiven Gedächtnis der römischen Gesellschaft eingenommen hatte. In seinem Vortrag widmete sich DOMINIK MASCHEK (Darmstadt) der mittelitalischen Gesellschaft, insbesondere deren Eliten, die in der ausgehenden Römischen Republik ständigen Konflikten ausgesetzt waren. Es konnte gezeigt werden, dass die archäologischen Quellen diesbezüglich Informationen enthalten, die aus anderen Zeugnissen nicht hervorgehen. Die lokalen Eliten standen immer wieder unter enormen Legitimationsdruck, der sich vor allem in großen Bauprojekten äußerte. IRIS BÜCHEL (Lüttich) untersuchte die Lokalelite von Ostia im 1. Jahrhundert v. Chr. und zog als Beispiel das Grabmonument von Gaius Cartilius Poplicola heran. Sie zeigte, dass zu einer krisengeprägten Zeit sich die dortigen Bestattungsgewohnheiten wandelten und vor allem die lokale Elite verstärkt auf Monumentalbauten zurückgriff, um ihre Vorrangstellung zu unterstreichen. YANN BERTHELET (Paris) unterstrich in seinem Beitrag den Wandel, den das ius obnuntiandi im Laufe der späten Römischen Republik durchmachte. Zudem zeigte er, welche Bedeutung diesem Gesetz im Rahmen der Volksversammlungen zukommt und welche Konsequenzen dies auf die Macht der Vertreter der politischen Elite hatte. SEBASTIAN WIRZ (Bonn) zog die Reden Ciceros heran, um sie auf Referenzen auf Mythen und Sagen zu untersuchen. Besonders vor dem Hintergrund der Krise des 1. Jahrhunderts v. Chr. schien dieses Zurückgreifen auf traditionelle topoi der römischen Geschichte ein geschicktes Mittel um an den Willen zur Krisenbewältigung zu appellieren und so das Gemeinwohl wieder herzustellen. MIGUEL CANAS (Paris) hat in seinem Vortrag die Bedeutung von Heiratsstrategien zur Zeit der Bürgerkriege im 1. Jahrhundert v. Chr. herausgearbeitet. So war es für die Senatsaristokratie von großer Wichtigkeit, politische Bündnisse zu schließen, um ihre Machtposition zu konsolidieren oder gar zu verstärken. Es konnte aber auch festgestellt werden, dass die Allianzen häufig von der Suche nach Schutz bestimmt wurden und opportunistische Zwecke nur selten im Vordergrund standen. ANNA IACOBONI (Paris) stellte die Frage nach der moralischen und politischen Krise gegen Ende der Römischen Republik unter Berücksichtigung verschiedener Passagen von Cicero und Sallust. Die beiden Autoren erklären den Zerfall der republikanischen Ordnung mit einer Entartung des altbewährten mos maiorum und der Spaltung der führenden Elite, die es nicht schafft, den Staat aus der Krise zu führen.

OUDA BOUCHOUK-MEGHERBI (Nancy) präsentierte die Romanisierung der lokalen Eliten in der nordafrikanischen Stadt Thugga in iulisch-claudischer Zeit. Die Grundlagen der römischen Herrschaft wurden von den Eliten weitestgehend angenommen, wobei diese Übernahme auch als Abgrenzung zu der vorausgegangenen karthagischen Obrigkeit gedeutet werden kann. GWENDY PAVICICH (Straßburg) stellte das Vierkaiserjahr 68 n. Chr. in den Mittelpunkt ihres Vortrages und fragte nach der Rolle des C. Iulius Vindex, dem als Vertreter der gallischen Eliten eine besondere Rolle im Hinblick auf den Sturz von Kaiser Nero zukommt, konnte er doch als Anführer des gallischen Aufstandes ausgemacht werden. STEPHANIE KIRSCH (Hannover/Bonn) stellte die Frage, inwiefern zu Beginn des Prinzipats im Kontext der Krise der Führungselite, die Erziehung der Kinder einen Wandel durchmacht und ob durch Anpassungen auf diesem Gebiet ein etwaiger Weg aus der Krise gefunden werden konnte. Dazu wurde auf die Schriften von Quintilian zurückgegriffen um aufzuzeigen, inwiefern die Rhetorik im Zusammenhang mit der Erziehung gestanden hat.

Im zweiten Abendvortrag wendete sich ALAIN DUPLOUY (Paris) dem 8. und 7. Jahrhundert v. Chr. zu und untersuchte das Krisenkonzept im Hinblick auf die Eliten des archaischen Griechenlands. Er kam zu dem Schluss, dass beides für die in den Blick genommene Zeit und Raum nicht in Zusammenhang stehen kann, da die griechische Aristokratie in keiner Form als dirigierende Klasse anzusehen ist, sondern als eine politische Organisationsform.

In seinem Vortrag widmete sich NIKOLAS HÄCHLER (Zürich) der Krise des 3. Jahrhunderts, mit besonderem Blick auf die Veränderungen innerhalb der senatorischen Führungselite. Mehrere epigraphische Beispiele wurden angeführt, anhand derer die Karrieren nachgezeichnet werden konnten. Vor allem der sozialen Herkunft wurde nachgegangen: sie reichte von alteingesessenen Familien bis zu den homines novi. Sowohl die Inhaber des ordentlichen Konsulats, als auch des Prokonsulats, unter Berücksichtigung der Provinzen Africa proconsularis, Achaia und Arabia, wurden herangezogen. ISABELLE MOSSONG (Rom/Straßburg/Berlin) stellte die Frage nach den direkten Konsequenzen der Herrschaft von Kaiser Julian auf die christliche Gemeinde. Die temporäre Rückkehr zum Heidentum implizierte jedoch weniger umgehende Reaktionen seitens der Christen, als man sich dies hätte erwarten können und so kann man schlussfolgern, dass die Herrschaft Julians für die kirchlichen Eliten sicherlich zu Einschränkungen führte, für die einfachen Gläubigen jedoch weniger, da die Zeit einfach nicht reichte, um über die Eliten hinaus Bestand zu haben. ELENA KÖSTER (Regensburg) widmete sich den möglichen Aufstiegschancen innerhalb der führenden Elite Nordgalliens anhand des Beispiels des Germanen Charietto. Als Unterstützer Julians schaffte er es bis zum comes per utramque Germaniam und kann somit als beispielhafter Aufsteiger in den Krisenzeiten des vierten Jahrhunderts gelten, die diese Karriere überhaupt erst ermöglichten. KARSTEN RONNENBERG (Köln) untersuchte die Konsequenzen des Goteneinfalls im Jahre 410 auf das Verhalten der christlichen Eliten. Er ging auf praktische Aspekte ein und stellte Überlegungen an, wo diese Menschen, nachdem sie die Stadt Rom verlassen hatten, hinreisten. Es wurde hinterfragt, ob man dies als Flucht ansehen kann oder dies eher als eine Reise zu interpretieren ist. Zwei Beispiele wurden zu diesem Zweck herangezogen, das der Melania der Jüngeren und das der Anicia Faltonia Proba. HENDRIK HESS (Bonn) untersuchte die Briefsammlung des Sidonius Apollinaris auf die Reaktion der römischen Oberschicht auf die politischen Ereignisse im Gallien des 5. Jahrhunderts, als deren Konsequenz es zur Errichtung von Territorien kam, die einer fremden Administration unterstanden. So kommt es, dass die alte Elite ihre Identität infrage stellte, wobei besonders auf die Rolle der gemeinsamen Sprache und der Bildung eingegangen wurde.

Konferenzübersicht:

Lennart Gilhaus (Bonn): Elite und Krise – Einführung in die Thematik

Lisa Roques (Paris): De Cimon à Périclès : un regard insulaire

Moritz Hinsch (Berlin): Polis in der Krise? Die Transformation städtischer Oberschichten im Spiegel der Oikonomia-Literatur (4. Jahrhunderts v. Chr.)

Laura Tchorz (Bonn): Bénédiction et malédiction - La relation ambivalente entre le leadership et la foule dans la perception de Polybe

Christian Witschel (Heidelberg): Neuere Forschung zur „Krise“ des 3. Jahrhunderts n. Chr.

Anne Kubler (Paris/Bern): La mémoire d’une crise politique pendant la deuxième guerre punique

Dominik Maschek (Darmstadt), Zwischen Stabilität und Kollaps. Mittelitalische Elitenkultur und die ‚Krise‘ der römischen Republik

Iris Büchler (Lüttich): Le monument funéraire de Cartilius Poplicola et les nécropoles d'Ostia antica : un moyen d'autoreprésentation des élites locales dans un siècle de crise

Yann Berthelet (Paris): Blocage des institutions, recours à la violence et responsabilité de l’aristocratie. Le cas de l’obstruction augurale des assemblées populaires sous la République romaine

Sebastian Wirz (Bonn): Mythen in der Krise. „Politische Theologie“ als Ciceros Waffe im Ringen um die „res publica“

Miguel Canas (Paris): Se prémunir contre les périls d’une période de crise : un aspect des stratégies matrimoniales des sénateurs romains à l’époque des guerres civiles

Anna Iacoboni (Paris): La crise morale et politique de l’État romain et la réaction de l’élite des citoyens chez Cicéron et Salluste

Ouda Bouchouk-Megherbi (Nancy): Les élites à Thugga sous les Julio-Claudiens

Gwendy Pavicich (Strasbourg): La révolte de Vindex et la crise de 68 – 69 ap. J.-C. : le rôle des élites provinciales gauloises

Stephanie Kirsch (Hannover/Bonn): Lernen aus Krisen? Elitebildung in der Erziehung des frühen Prinzipats

Alain Duplouy (Paris): „Crises“ au sein des élites grecques : utilité et ambiguïté d’un concept

Nikolas Hächler (Zürich): Konstitution der Macht in Zeiten des Wandels. Untersuchungen zu Zusammensetzung, Funktion und Bedeutung der senatorischen Führungselite während der Reichskrise des 3. Jahrhunderts n. Chr. (235–284)

Isabelle Mossong (Rom/Straßburg/Berlin), Une crise religieuse de l’élite? Le règne de Julien l'Apostat et sa signification pour la communauté chrétienne

Elena Köster (Regensburg): Vom latro zum comes – Karrierechancen und sozialer Aufstieg in Krisenzeiten des 4. Jahrhunderts n. Chr. in der diocesis Galliarum

Karsten Ronnenberg (Köln): Adel auf der Flucht. Zur Krise des August 410 und der Bedeutung kirchlicher Eliten

Hendrik Hess (Bonn): Krise und Identität. Die römische Oberschicht in der Briefsammlung des Sidonius Apollinaris


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