Grenzen – Teilen, Errichten, Überschreiten. 2. Göttinger Nachwuchsforum

Grenzen – Teilen, Errichten, Überschreiten. 2. Göttinger Nachwuchsforum

Organisatoren
Althistorische Netzwerk Göttingen, (ANG)
Ort
Göttingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
31.01.2014 - 01.02.2014
Url der Konferenzwebsite
Von
Anna Christina Neff, Althistorisches Seminar, Georg-August-Universität Göttingen

Im Fokus des 2. Göttinger Nachwuchsforums stand der Begriff der Grenze. Ausdrücklich sollte Grenze nicht nur als Trennlinie zwischen topographischen oder staatlichen Räumen verstanden werden, sondern auch als Beschränkung in sozialer, religiöser oder moralischer Hinsicht. Mit dem Nachwuchsforum wollte das Althistorische Netzwerk Göttingen (ANG) die Chance bieten, gemeinsam Grenzpunkte zu finden und zu diskutieren, Prozesse sowohl der Grenzziehung als auch der Entgrenzung zu untersuchen und die Wechselwirkung zwischen territorialen und symbolischen Grenzen zu hinterfragen.

Organisatorisch sowie finanziell wurde das 2. Göttinger Nachwuchsforum durch das Althistorische Seminar der Georg-August-Universität Göttingen und die Graduiertenschule für Geisteswissenschaften Göttingen (GSGG) unterstützt.

Am 31. Januar 2014 begann das Nachwuchsforum nach einer Begrüßung durch Antje Kuhle (Göttingen) mit dem Vortrag von ISABELLE KÜNZER (Bonn) zum Thema „An den Grenzen der Welt und doch im Herzen des Imperiums. Formen diskursiver Entgrenzung und literarischer Vereinnahmung in der Usiper-Episode des taciteischen Agricola“. Durch die Untersuchung intertextueller Verweise und der intratextuellen Einbindung legte die Referentin dar, wie Tacitus den Bericht über die für seinen Schwiegervater eigentlich eher peinliche Meuterei einer Auxiliarkohorte nutzt, um die Grenzen zwischen Peripherie und Zentrum des römischen Reiches verschwimmen zu lassen.

Im Anschluss zeigte DANIEL WENDT (Bonn) im Vortrag „Grenzgänger. Der nomadische Historiker und das Barbarische bei Herodot“ am Beispiel der Skythen, wie Herodot positiv und kreativ mit der rigiden Hellenen-Barbaren Dichotomie des 5. Jh. v. Chr. umgeht. Dabei diene ihm der narrative Nomadismus als ein Mittel zur Durchstoßung der jeweils aufgezeigten Grenzen. Zuletzt betrachtete Wendt im Kontext des Aufeinandertreffens von Skythen und Persern das „barbarische Lachen“ als einen performativen Akt.

ANNA NEFF (Göttingen) betrachtete unter dem Titel „Homo homini lupus – oder: Grenzen im Kopf“ die Grenzen zwischen Mensch und Tier. Sie arbeitete anhand philosophischer Beispiele den logos als fundamentales Kriterium der Speziesgrenze heraus, die jedoch im Mythos regelmäßig überschritten wird. Entsprechend wollte sie diesen Gegensatz als Unterscheidung zwischen Zivilisation und Wildheit verstanden wissen, der sowohl in der Umgebung des Menschen, also dort wo Polis und umgebende Natur aufeinandertreffen, als auch im Menschen selbst angelegt ist.

Den Abschluss des ersten Tages bestritt JUTTA GÜNTHER (Saarbrücken) mit dem Vortrag: „Musik als symbolische Grenze der christlich-paganen Auseinandersetzungen“. Sie kontrastierte dabei die instrumental untermalten paganen Kulte mit dem christlichen Psalmengesang und stellte Laktanz vor, der in seinen musiktheoretischen Passagen versuchte, instrumentale Musik für das christliche Leben dienstbar zu machen. Sein Versuch einer religiös-musikalischen Integration, die die christliche Musik als attraktives Werbemittel einsetzen wollte, scheiterte jedoch an der Ablehnung seiner Zeitgenossen.

Den zweiten Tag leitete NILS JÄGER (Göttingen) mit „Krieg – Vogelschau – Himmelssturm. Imaginationen der Grenzüberschreitung in Statius´ Thebais (3,440-677)“ ein. Er zeigte, wie Statius durch die Konstruktion von Räumen und Schwellenmotiven die Zukunftsprognosen der Seher, vor allem aber die Vogelschau, als einen Akt der Grenzüberschreitung inszeniert und somit trotz der Verzögerung der Handlung den desaströsen Kriegsbeginn bereits vorausahnen lässt.

Anschließend beschrieb ANTJE KUHLE (Göttingen) Interaktion in griechischem Mythos und Kult in dem Vortrag „Hermes statt SMS. Kommunikation zwischen Himmel und Erde“. Unter Berücksichtigung von Jörg Rüpkes Kommunikationsmodell1 betrachtete sie die Bewegungen und Kontaktaufnahmen zwischen den drei Weltteilen Hades, Erde und Olymp und untersuchte die Bedingungen für eine funktionierende oder misslungene Kommunikation zwischen Göttern und Menschen an Beispielen aus Homers Ilias und Odyssee.

MARKO MÜLLER (Bremen) zeigte mit der Präsentation zu „Semnones sive Iuthungi. Ethnogenese und Ethnoswahrnehmung im Augsburger Siegesaltar“, dass die Inschrift aus Anlass des römischen Sieges einer Schlacht in Rätien im Jahr 260 oder 261 n. Chr. nicht – wie bisher angenommen – als Zeugnis der Ethnogenese der Iuthungen aus dem Verband der Semnonen gedeutet werden darf. Vielmehr wollte Müller die ungewöhnliche Bezeichnung der Besiegten als barbari gentis Semnonum sive Iouthungorum als den Versuch verstanden wissen, die ethnisch uneinheitlichen, gegnerischen Verbände mit den Mitteln der antiken Ethnographie zu erfassen.

Mit dem Vortrag „Wem gehört das Objekt? Archäologische Sammlungen und Identitätsstiftungen in transnationalen Räumen“ schloss THERESA ZIFKO (Graz) das Nachwuchsforum ab. Sie untersuchte die Frage nach den Ansprüchen auf Kulturgüter und deren Rolle als identitätsstiftende Objekte im Rahmen des Zerfalles der Habsburger-Monarchie im Zeitraum von 1918 bis 1933. Dabei beschrieb sie einerseits die Forderungen der neu entstehenden Nationalstaaten und andererseits die Auseinandersetzungen zwischen dem Landesmuseum Joanneum in Graz und dem Naturhistorischen Museum in Wien.

In der offenen Abschlussdiskussion zeichnete sich der Eindruck der Fruchtbarkeit des Begriffes der Grenze für die Teilnehmer des Nachwuchsforums ab. Trotz der Skepsis gegenüber den Möglichkeiten, die Bedeutung von Grenzen für die jeweilige antike Lebenswirklichkeit erfassen zu können, überwog die Erkenntnis, wie wichtig das Denken in festen und abgeschlossenen Kategorien innerhalb der menschlichen Wahrnehmung ist. Darüber hinaus zeigte sich aber auch, dass in den Vorträgen eben nicht das Ziehen und Errichten von Grenzen im Vordergrund der Überlegungen stand, sondern die Überschreitung und Verwischung von gezogenen Trennlinien das allgemeine Interesse geweckt hat.

Konferenzübersicht:

Isabelle Künzer (Bonn), An den Grenzen der Welt und doch im Herzen des Imperiums. Formen diskursiver Entgrenzung und literarischer Vereinnahmung in der Usiper-Episode des taciteischen Agricola

Daniel Wendt (Bonn / Paris / Florenz), Grenzgänger. Der nomadische Historiker und das Barbarische bei Herodot

Anna Christina Neff (Göttingen), Homo homini lupus – oder: Grenzen im Kopf.

Jutta Günther (Saarbrücken), Musik als symbolische Grenze der christlich-paganen Auseinandersetzung?

Nils Jäger (Göttingen), Krieg – Vogelschau – Himmelssturm: Imaginationen der Grenzüberschreitung in Statius‘ Thebais (3,440–677)

Antje Kuhle (Göttingen), Hermes statt SMS. Kommunikation zwischen Himmel und Erde

Marko Müller (Bremen), Semnones sive Iuthungi. Ethnogenese und Ethnoswahrnehmung im Augsburger Siegesaltar.

Theresa Elisabeth Zifko (Graz), Wem gehört das Objekt? Archäologische Sammlungen und Identitätsstiftung in transnationalen Räumen

Anmerkung:
1 Vgl. Jörg Rüpke, Antike Religionen als Kommunikationssysteme, in: Kai Brodersen (Hrsg.), Gebet und Fluch, Zeichen und Traum. Aspekte religiöser Kommunikation in der Antike, Münster / Hamburg / London 2001, S. 13-30.


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