Adelsforschung im deutsch-französischen Kontext: Aufbruch in die Moderne. Der rheinische Adel in westeuropäischer Perspektive zwischen 1750–1850

Adelsforschung im deutsch-französischen Kontext: Aufbruch in die Moderne. Der rheinische Adel in westeuropäischer Perspektive zwischen 1750–1850

Organisatoren
Deutsches Historisches Institut Paris
Ort
Paris
Land
France
Vom - Bis
04.04.2008 - 05.04.2008
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Von
Christine Schmitt, Projektstandort Deutschland, DHI Paris

Die Studientage am 4. und 5. April 2008 am Deutschen Historischen Institut Paris nahmen die Thematik der Tagung „Aufbruch in die Moderne. Der Rheinische Adel in westeuropäischer Perspektive zwischen 1750 und 1850“ vom September 2007 wieder auf. Diese bildete den Auftakt für ein international angelegtes Projekt zur Adelsforschung im deutsch-französischen Kontext, das von GUDRUN GERSMANN (Leiterin des Deutschen Historischen Instituts Paris, DHIP) und HANS-WERNER LANGBRANDTNER (Rheinisches Archiv- und Museumsamt des Landschaftsverbandes Rheinland, LVR) initiiert wurde.1 Als zweite große Veranstaltung im Rahmen des Adelsprojektes diente die Tagung in Paris neben der Vorstellung des Projektvorhabens und dessen Mitarbeiter vor allen Dingen einer ersten wissenschaftlichen Vernetzung zwischen dem deutschen und französischen Forschungsstandort und der Präsentation erster Forschungsergebnisse.

Die ersten Vorträge standen im Zeichen von Joseph Fürst Salm-Reifferscheidt-Dyck, in dessen Person künftige Forschungsinteressen und wissenschaftliche Arbeiten zu Fragen nach adeliger Statussicherung, Karriere, politischen wie sozialen Handlungsspielräumen und zu Netzwerken im deutsch-französischen Kontext der Sattelzeit beispielhaft gebündelt werden sollen. KATHARINA J. BENTS (DHIP, Archivassistentin) stellte erste Ergebnisse der archivischen Vorarbeiten zur Erschließung des Nachlasses von Joseph Fürst Salm-Reifferscheidt-Dyck vor, welche auch im Allgemeinen die Grundvoraussetzung für eine historische Auswertung bislang nicht zugänglicher Archivbestände des Adels bilden. Frau Bents zeigte anhand bisheriger Verzeichnungsarbeiten auf, welche Teilbestände sich als besonders aufschlussreich für wissenschaftliche Fragestellungen erweisen könnten und vermittelte bereits einen ersten Einblick in die politische Rolle des Fürsten und sein Geschick, sich den jeweiligen politischen Gegebenheiten während der „französischen Zeit“, aber auch nach 1814 und im Königreich Preußen erfolgreich anzupassen. MARA KEFERSTEIN (Universität Köln) stellte die Bedeutung der Majoratsverfassung und die Bemühungen des Fürsten um die Erhebung zum Comte d’Empire als eine bisher von der Forschung zu wenig beachtete Strategie adeliger Standessicherung heraus. Ebenso deutlich wurde das macht- und ordnungspolitische Dilemma Napoleons, da der von ihm aus strategischen Gründen intendierte besondere Schutz adeligen Besitzes durch Majorate konträr zu den Bestimmungen des Code Civil stand. RITA HOMBACH (Köln) betrachtete den Fürsten jenseits politischer Gesichtspunkte und stellte diesen als ambitionierten Botaniker und Gartengestalter vor. Anhand zeitgenössischer Pläne erläuterte sie den Wandel in der Gestaltung des Gartens von Dyck unter Fürst Joseph, der Schloss und Gartenanlage darüber hinaus mit seinen umfassend angelegten Sammlungen von Kakteen, Sukkulenten und seltenen Hölzern zu einer wichtigen Anlaufstelle für Botaniker aus ganz Europa werden ließ.

Die weiteren Vorträge beleuchten unterschiedliche Themen und Fragestellungen zum rheinischen Adel in der „Sattelzeit“.

Unter dem Titel „Zu Gast beim Feind? Rheinische Adelige in Paris 1804 – 1807“ arbeitete ULRIKE SCHMITZ (DHIP, Universität zu Köln) auf der Grundlage dreier Reisetagebücher ein durch die französische Besetzung des Rheinlands gewandeltes, durchaus ambivalentes Verhältnis rheinischer Adeliger zu Frankreich und zu Paris im Besonderen heraus. Im Zentrum der Fragestellung stand die Veränderung des gesellschaftlichen Bezugsrahmens adeliger Reisender nach Auflösung des Versailler Hofes, mögliche Konsequenzen für die Netzwerkbildung sowie die konkrete Reisepraxis der drei Adeligen, wobei die Frage nach Kontinuitäten und Brüchen in der Wahrnehmung der Stadt und in der Zusammenstellung des Reiseprogramms zentriert wurde. ANNIKA DÖTSCH (Universität zu Köln) beschloss den ersten Studientag mit Untersuchungsergebnissen zur Toten- und Krankengeschichte des Adels. Sie thematisierte Fragen nach dem Einfluss der französischen Herrschaft auf die Mortalität des Adels, dem Verhältnis der Sterblichkeit des Adels zur Normalbevölkerung, ausgewiesenen Krankheitsbildern sowie dem Zugang zu Therapien und damit verbundenen Heilungschancen. Die Analyse einer breitangelegten Quellenbasis, bestehend aus ärztlichen Gutachten, Apothekenrechnungen, privaten Briefen und Totenzetteln aus verschiedenen Privatarchiven vermittelte beispielhaft Einblicke in Krankheitsgeschichten, medizinische Versorgung sowie adeliges Trauerverhalten.

Die Auftaktvorträge am Samstag, den 5. April standen im Zeichen adeliger Karrieren im Ancien Régime und Militärkarrieren des rheinischen Adels in der Sattelzeit. CHRISTINE SCHMITT (DHIP, Universität Köln) beschrieb die risikoreiche Karriere des ursprünglich aus der Grafschaft Mark stammenden Adeligen Dietrich von Syberg zu Wischlingen (1586-1641), der im Zuge des Erbfolgestreits um Jülich-Kleve-Berg in den Dienst des Hauses Pfalz-Neuburg trat und dem es gelang, sein Geschlecht trotz widriger politischer Umstände im Herzogtum Jülich-Berg zu etablieren und dort eine neue Nebenlinie zu begründen. Dabei konnte Frau Schmitt aufzeigen, dass von Syberg den Fortbestand derer von Syberg fernab von seinem Abstammungsgebiet mit Hilfe zweier Strategien erreichte: 1) Durch dauerhaft loyale Dienste in Krisenzeiten und strategisch geschicktes Handeln zum richtigen Zeitpunkt gelang die Verdichtung einer anfänglichen Patron-Klienten-Beziehung zu einer festen, dauerhaften Bindung seiner Familie an das Haus Pfalz-Neuburg über die eigene Generation hinaus. 2) Die Eheschließung mit einer jülichschen Adeligen ermöglichte schließlich den Zugriff auf deren Familiengüter und die Schaffung einer materiellen Basis für die Nachfolgegeneration im Status von Unterherren. FLORIAN SCHÖNFUSS (Universität Köln) stellte Militärkarrieren des rheinischen Adels in der Sattelzeit und deren Darstellung in autobiographischen Selbstzeugnissen ins Zentrum seiner Ausführungen. Einerseits ging Herr Schönfuß der Frage nach dem konkreten Verhältnis des rheinischen Adels zum Militär oder eventuellen Karrierestrategien im Sinne einer Funktionalisierung der Militärlaufbahn als Mittel zum „Oben-Bleiben“ nach. Andererseits zielte die Analyse der genannten Quellen darauf ab, in den auto-biographischen Darstellungen Legitimationsbemühungen bestimmter Karriereverläufe und Karrierebrüche für die Nachwelt - wie etwa zum Eintritt rheinischer Adeliger in fremde (französische) Dienste sichtbar zu machen.

Fragen nach dem Wandel von Selbstverständnis und Repräsentation wurden in der letzten Vortragsreihe gebündelt. MARTIN BRAUN (Universität zu Köln) untersuchte anhand des Reisejournals des rheinischen Adeligen Johann Ignaz Wolff Metternich (1740-1790) Wandlungsprozesse der adeligen Kavalierstour, die als Indikatoren für gesellschaftliche und standesinterne Veränderungen aufgefasst werden können. Herr Braun konstatierte eine neue Eigenständigkeit des Reisenden anhand des vom Kavalier selbst bestimmten Reiseverlaufs, selbstgewählten Studieninhalten und des eigenständig geführten Reisejournals. Neben der Pflege und Festigung familiärer Beziehungsnetzwerke sollte der junge Adelige neue Kontakte anbahnen. Insgesamt wird deutlich, dass die im Rahmen einer aufklärerischen Kritik zunehmend auf ihre Nützlichkeit hinterfragte Kavalierstour des Adels mit neuen Elementen, beispielsweise der Besichtigung von Manufakturen, legitimiert werden sollte.

Der Kunsthistoriker MARTIN WOLTHAUS (Stiftung Schloss Dyck) stellte sein Projekt zur Erforschung der Ahnengalerien rheinischer Adelssitze vor und schlug mit seiner Vorstellung der heute zerstörten Ahnengalerie auf Schloss Dyck die Brücke zu den Referaten des Vortags. Herr Wolthaus demonstrierte deren Bedeutung für das Repräsentationsbedürfnis mit dem Zweck der Herrschaftslegitimation einer neuen Nebenlinie, indem die dynastischen Wurzeln der Linie der Salm-Reifferscheidt-Dyck bildlich bzw. mythisch bis in die Zeit Karls des Großen rückgebunden wurden. Mit Hilfe dieses visualisierten Traditionsmythos konnten Herrschaftsansprüche weiter untermauert werden. Am Beispiel des Ahnensaals auf Schloss Frens wurde die bewusste Einbindung des Ortes anhand der systematischen Anbringung der festmontierten Porträts verdeutlicht. Die chronologische Reihenfolge war dabei nur ein Aspekt, wichtiger waren die Aussagen hinsichtlich der jeweiligen Bedeutsamkeit einer Eheschließung für die gesellschaftliche Positionierung der Familie, die in der bildlichen Gestaltung der Porträts sowie deren Anordnung im Raum ihren Ausdruck fanden.

Im letzten Beitrag befasste sich FRANK KRETZSCHMAR (Rheinisches Amt für Denkmalpflege, LVR) mit adeliger Bau- und Wohnkultur im Rheinland zwischen Ancien Régime und preußischer Zeit. Er betonte die Vorbildfunktion der prachtvollen Residenzen des Kölner Kurfürsten Clemens August in Brühl für den rheinischen Niederadel. Herr Kretzschmar unterstrich auch die transnationale Dimension der rheinischen Baukultur am Ende des Ancien Régime: die Vorbilder für die barocke Gartengestaltung und die im Rheinland erbauten „maisons de plaisance“ sowie deren Architekten seien aus Frankreich an den Rhein gekommen.

In der französischen Zeit war die Aufmerksamkeit des rheinischen Adels auf den napoleonischen Hof in Paris gerichtet. Auch die Wohnkultur des Empire fand Eingang in rheinischen Schlössern, wie verschiedene Skizzenbücher erkennen lassen. Andere Wege wurden aber nach 1814 beschritten: Hier gab es Beispiele für Neubauten im Renaissancestil. Dieser Konzeption lag durchaus eine politische Aussage zugrunde: In der Zeit der restaurativen Politik in Preußen war dies ein Rückverweis auf die Position des Adels im Ancien Régime.

Die lebhafte Abschlussdiskussion zeigte einmal mehr, wie fruchtbar ein breiter angelegter Ansatz sein kann, der den Adel über dessen Funktion als Herrschaftsträger hinaus in verschiedenen anderen Bezügen thematisiert. Deutlich wurde dabei auch, dass der Begriff der „Sattelzeit“ gerade mit Blick auf den Adel im Wandel dieser Zeit zunehmend an Legitimation und Tragfähigkeit gewinnt.

Kurzübersicht:

Gudrun Gersmann: Begrüßung und thematische Einführung.
Christine Schmitt : Vorstellung des Kooperationsprojektes DHI/LVR.
Hans-Werner Langbrandtner: Rheinische Adelsarchive als Quellenfundus für die wissenschaftliche Forschung.
Katharina Johanna Bents: Bericht zur archivischen Erschließung des Nachlasses
Joseph Fürst Salm-Reifferscheidt-Dyck.

Erste Forschungsergebnisse zu Joseph Fürst Salm-Reifferscheidt-Dyck

Mara Keferstein: Joseph Salm-Reifferscheidt-Dyck: Die Majoratsverfassung und Erhebung zum Comte d’Empire.
Rita Hombach: Joseph Fürst Salm-Reifferscheidt-Dyck und der Botanische Garten zu Schloss Dyck.

Der rheinische Adel in der „Sattelzeit“ 1750–1850

Ulrike Schmitz: Rheinische Adelige in Paris – Drei Reisetagebücher zwischen 1802–1805.
Annika Dötsch: Zur Toten- und Krankengeschichte des rheinischen Adels.

Adelige Karrieren im Ancien Régime und in der „Sattelzeit“

Christine Schmitt: Karriere in Krisenzeiten am Beispiel des märkischen Adeligen Dietrich von Syberg zwischen 1605 und 1641.
Florian Schönfuß: Zwischen Preußenadler und Trikolore. Militärkarriere des Rheinischen Adels und ihre Darstellung in autobiografischen Selbstzeugnissen.

Selbstverständnis und Repräsentation

Martin Braun: Zwischen Tradition und Reform – Die Kavalierstour des Johann Ignaz Reichsgrafen Wolff Metternich (1740-1790).
Martin Wolthaus: Ahnengalerien im rheinischen Adel. Bestandsaufnahme und kunsthistorisch Einordnung.
Frank Ketzschmar: Adelige Baukultur im Rheinland zwischen Ancien Regime und preußischer Zeit.

Anmerkung:
1 Projektskizze „Aufbruch in die Moderne. Der Rheinische Adel in westeuropäischer Perspektive zwischen 1750 und 1850“ unter <http://www.dhi-paris.fr/index.php?id=210>.


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