Protegierte und Protektoren. Asymmetrische politische Beziehungen zwischen Partnerschaft und Dominanz (16. bis frühes 20. Jahrhundert)

Protegierte und Protektoren. Asymmetrische politische Beziehungen zwischen Partnerschaft und Dominanz (16. bis frühes 20. Jahrhundert)

Organisatoren
Tilman Haug / Nadir Weber / Christian Windler, Abteilung für Neuere Geschichte, Historisches Institut, Universität Bern
Ort
Bern
Land
Switzerland
Vom - Bis
03.04.2014 - 05.04.2014
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Von
Nadja Ackermann / Samuel Weber, Historisches Institut, Universität Bern

Im Mittelpunkt der dreitägigen Tagung, die von der Abteilung für Neuere Geschichte der Universität Bern organisiert wurde, standen jene asymmetrischen politischen Beziehungen, die in der Quellensprache der Vormoderne und bis weit ins 19. Jahrhundert hinein als „Protektion“ beschrieben wurden. In sechs Sektionen wurde einerseits die Praxis dieses an feudalen Bindungen orientierten Beziehungsmodells erörtert, andererseits nach der Tragfähigkeit des Protektionsbegriffs als Analysekategorie gefragt.

Die Referenten der ersten Sektion unter dem Titel „Semantiken des Protektionsbegriffs“ warfen Schlaglichter auf die mannigfaltigen Verwendungsformen dieses Schlüsselbegriffs der Vormoderne. WOLFGANG WEBER (Augsburg) zeichnete einen fundamentalen Wandel des Protektionsbegriffs in der politischen Theorie und Herrschaftslehre der frühen Neuzeit nach: Ab dem ausgehenden 16. Jahrhundert sei ein langsamer Übergang von einer allumfassenden christlich-moralischen zu einer naturrechtlich und interessenpolitisch geleiteten Auffassung von Schutz zu beobachten. Die beiden folgenden Referenten vollzogen den Schritt von der Theorie zur politischen Praxis, indem sie die konkrete Mobilisierung von Protektionssemantiken insbesondere im französischen Kontext herausarbeiteten. RAINER BABEL (Paris) stellte „Protektion“ als einen Schlüsselbegriff der politischen Sprache heraus, der sich am Übergang vom Mittelalter zur frühen Neuzeit vom Instrument der garde royale in den Grenzgebieten zum Reich allmählich zu einer allgemeinen Schutzpflicht des Herrschers gegenüber seinen Untertanen entwickelte und in den Überlegungen zu den Rechten und Pflichten des Beschützers eines Jean Bodins seine erste juristische Konkretisierung fand. Chronologisch daran anschließend zeigte ANUSCHKA TISCHER (Würzburg) auf, wie die französische Monarchie im 17. und 18. Jahrhundert in bewusster Abgrenzung vom Habsburger Modell der Universalmonarchie in Innen- wie Außenbeziehungen Protektionssemantiken mobilisierte. Die verschiedenen Protektionsbegriffe widersprachen sich teilweise, wurden jedoch durch die Nachfrage seitens der Protegierten zusammengeführt. Letztere führte dazu dass die Protektion zumindest als allenthalben eingesetzter Diskurs auch dann noch weiterlebte, als die Krone in einer umfassenden Protektionspolitik mehr Nachteile als Vorteile sah. HILLARD VON THIESSEN (Rostock) wählte einen heuristischen Zugriff auf Protektionssemantiken in Außenbeziehungen. Mit einer Fallstudie zur Savoyenkrise von 1610 verdeutlichte er, dass Beziehungen zwischen fürstlichen Protektoren und ihren Protegierten oftmals in der Semantik der Patronage verhandelt wurden. Er plädierte dafür, Protektionsverhältnisse zwischen Herrschern analog zu anderen Ausprägungen vormoderner Außenbeziehungen als Sozialbeziehungen zu betrachten. In ihrem Schlusskommentar hob CLAIRE GANTET (München) die Mannigfaltigkeit der als Protektion beschriebenen Beziehungen, die oftmals nicht mit bestehenden juristischen Kategorien in Deckung zu bringen gewesen seien, hervor. Die Referate hätten gezeigt, dass der Verbindung der historischen Semantik mit einer mikrohistorischen Geschichte der Außenbeziehungen ein fruchtbares Potential innewohne.

Der Fokus der zweiten Sektion lag auf den asymmetrischen Außenbeziehungen, welche die französische Krone mit mindermächtigen politischen Verbänden an ihrer Ostgrenze unterhielt. MATTHIAS SCHNETTGER (Mainz) führte am Fallbeispiel Genuas aus, wie die nobili Protektionsbündnisse zuerst mit der spanischen und ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit der französischen Krone eingingen. Diese sollten nominal die libertas der Seerepublik gegen innere wie äußere Feinde schützen. In der Praxis konnte Genua mit seinen Allianzen zwar nach außen hin eine prekäre Souveränität erlangen, faktisch führten sie aber zu deutlichen Beschränkungen der Handlungsspielräume in der Innen- wie in der Außenpolitik. Die Bedeutung unterschiedlicher Legitimationssemantiken hob TILMAN HAUG (Bern) in seinem Beitrag zu den Beziehungen der französischen Krone mit einzelnen Reichsständen nach dem Westfälischen Frieden hervor. Er verdeutlichte, wie diese „Patronagebeziehungen zwischen Fürsten“ und die damit verbundenen Erwartungen an die Klientel im Reich mittels scheinbar von makropolitischen Erwägungen geleiteten Friedens- und Gemeinwohlsemantiken legitimiert wurden, was den Beteiligten wiederum erlaubte, situativ zwischen diesen beiden Normensets zu changieren. FABRICE BRANDLI (Genf) illustrierte am Beispiel der Rechtshilfe die Beziehung zwischen der französischen Krone und der Republik Genf im 18. Jahrhundert. Der Austausch zwischen den Justizbehörden zweier nicht nur bezüglich ihrer Machtfülle ungleichen Partner habe nicht zur Abhängigkeit der mindermächtigen Partei geführt, sondern sei Dank geteilter normativer Vorstellungen von öffentlicher Sicherheit in für beide Seiten befriedigender Weise verlaufen. ANDREAS AFFOLTER (Bern) blickte auf die Beziehungen, welche die französische Krone im 18. Jahrhundert mit der Eidgenossenschaft unterhielt. Durch einen Vergleich der Separatallianz, welche die katholischen Orte 1715 mit Frankreich eingingen, mit dem 1777 erneuerten Soldbündnis mit allen eidgenössischen Orten zeigte er einen fundamentalen Wandel in den schweizerisch-französischen Außenbeziehungen von einem asymmetrischen Protektionsverhältnis der Krone zu den von Bern und Zürich bedrohten katholischen Orte hin zu einer Reziprozität zwischen zumindest nominal gleichberechtigten und konfessionell neutralen Alliierten auf. Im Schlusskommentar wies ANDRÉ HOLENSTEIN (Bern) auf die schöpferische Findigkeit hin, mit der alle vorgestellten mindermächtigen Partner ihre Ansprüche gegenüber den Allerchristlichen Königen geltend machten und zu ihren Gunsten auszuhandeln versuchten. Dabei sei deutlich geworden, dass die eingegangen Protektionsbündnisse keineswegs gezwungenermaßen zur Dominanz der französischen Krone geführt hätten, sondern im Gegenteil von Reziprozitäten bis hin zu Interessenkompatibilitäten geprägt waren.

Mit dem Schutz, den frühneuzeitliche Fürsten für die Untertanen fremder Herrscher leisteten, befassten sich die Beiträge der dritten Sektion. GABRIELE HAUG-MORITZ (Graz) widmete sich der Rechtfertigung der elisabethanischen Intervention in die französischen Religionskriege von 1562. Die Protektion der unter Bedrängnis geratenen protestantischen Glaubensbrüder sei nicht mit religiösen Argumenten legitimiert worden, sondern mit dem juristischen Argument der „Pflicht zur Revolte“ der ihrer Rechte beraubten Untertanen, die es seitens Englands zu unterstützen gelte. FABRICE MICALLEF (Paris) zeigte auf, wie die provenzalischen Katholiken am Ende der Religionskriege mittels „Strategien der Schwachen“ und mit Verweis auf ihre adligen und munizipalen Vorrechte bei katholischen Fürsten um Schutz vor den Protestanten nachsuchten. Dieser Schutz wurde als weniger erdrückend wahrgenommen als die Aussicht, unter protestantischer Herrschaft zu leben. CHRISTOPH KAMPMANN (Marburg) unterzog die herrschende Forschungsauffassung, wonach im Gefolge des Westfälischen Friedens, die Schutzverantwortung für Untertanen in fremdem Herrschaftsgebiet an Bedeutung verloren hätte, einer kritischen Überprüfung. So sei die Schutzverantwortung das Hauptargument im Legitimierungsdiskurs von Wilhelm von Oranien über die Intervention in England gewesen. Von einem Bedeutungsverlust der traditionellen Schutzverantwortung könne daher nicht die Rede sein, auch wenn noch nicht von einer Responsibility to Protect im heutigen Sinne gesprochen werden könne. Die Frage des Schutzes fremder Untertanen im Kontext des revolutionären Frankreich in den Jahren 1789 bis 1799 untersuchte MARC BELISSA (Paris). In seinem Vortrag wurde deutlich, dass der Übergang vom Schutz sich gegen die Unterdrückung wehrender Völker und der (darauf folgenden) Kontrolle der sich befreiten Völker oftmals fließend und nicht zuletzt von der Situation in Frankreich selbst abhängig war. HEINRICH R. SCHMIDT (Bern) hielt in seinem Kommentar zur Sektion fest, dass die Gewährleistung von Protektion sowohl mit Konfession als auch mit Macht aufs engste verknüpft gewesen sei. Protektionsbeziehungen seien in den untersuchten Fällen kein Null-Summen-Spiel, sondern eine Win-win-Situation für beide Seiten gewesen.

Die vierte Sektion ging mit Blick auf die Protektion im „dritten Raum“ der Frage nach, in welchem Maße Fürsten und andere Obrigkeiten ihre Untertanen, insbesondere deren ökonomische Interessen, in fremden Rechts- und Herrschaftsräumen schützen konnten. HANNA SONKAJÄRVI (Bilbao) machte deutlich, dass die Schutzleistung ein wichtiger Aspekt der Autorität privilegierter Körperschaften darstellte. In diesem Sinne wurden die Basken aus der Provinz Vizcaya, die in der spanischen Monarchie als Hidalgos (Niederadlige) und Vizcainos Privilegien genossen, in fremden Rechtsräumen innerhalb der spanischen Monarchie durch ein Gremium der Provinz Vizcaya, die Juntas y Regimentos, geschützt. Dieser insbesondere vor Gericht aktivierte Schutz unterstrich die spezielle Stellung der Basken innerhalb der Monarchie. Die Koexistenz verschiedener Jurisdiktionen thematisierte auch der Beitrag von GUILLAUME CALAFAT (Rom) und ROBERTO ZAUGG (Paris) über die Konsulate und Nationen in italienischen Hafenstädten im 17. und 18. Jahrhundert. Die Konsuln nahmen gegenüber ihrer Nation eine Protektionsrolle wahr. Damit waren die Konsulate ein Beispiel dafür, dass Protektion in fremden Herrschaftsgebieten oftmals durch Personen vermittelt werden musste, die mit den lokalen Begebenheiten vertraut bzw. vor Ort verflochten waren. Nicht immer aber konnte in einem fremden Herrschaftsgebiet auf Schutz aus der Heimat rekurriert werden. In diesem Fällen ersuchten die Individuen den lokalen Fürsten um Protektion. Eine wichtige Rolle spielte dabei das freie und sichere Geleit, dessen ambivalente Rolle in Theorie und Praxis im Heiligen Römischen Reich LUCA SCHOLZ (Florenz) darlegte. Er konnte aufzeigen, dass sich die Bedeutung des Geleits keineswegs in seiner Schutzfunktion erschöpfte, sondern darüber hinaus auf seine Rolle bei der Konstituierung von Herrschaftsgrenzen und damit auf seine Funktion als Herrschaftsinstrument hin befragt werden muss. Im Kommentar zur Sektion hielt CHRISTIAN WINDLER (Bern) fest, dass bei der Betrachtung der Protektion im „dritten Raum“ nicht von einer einfachen Dichotomie von In- und Ausländern ausgegangen werden könne, sondern einer aus unterschiedlichen Jurisdiktionen resultierenden, pluralen Fremdheit Rechnung getragen werden müsse. Wie effizient sich der Schutz gestaltete, war dabei oftmals von den personalen Beziehungen zu den Protektoren bzw. deren Brokern abhängig.

Die fünfte Sektion betrachtete Protektion als Herrschaftsleistung. BIRGIT EMICH (Nürnberg-Erlangen) unterschied in ihrem Beitrag ausgehend vom Kriterium des Formalisierungsgrads der sozialen Beziehung drei Varianten von Schutz und Förderung im Kirchenstaat: Protektorate, Protektion und Patronage. Dabei würden die kirchenrechtlich geregelten Kardinalprotektorate eine formalisierte Form der Patronagebeziehungen darstellen und sich zugleich durch ihre Einseitigkeit und höhere Verlässlichkeit von Letzteren unterscheiden. Dass Protektion in der Tat eine entlang sozialer Beziehungen ausgetauschte Ressource darstellte, verdeutlichte LAURENCE FONTAINE (Paris). Am Hofe Ludwigs XIV. habe ein regelrechter Markt bestanden, auf welchem Frauen und Männer aufgrund ihres symbolischen Kredits bei einflussreichen Personen Protektion gegen Geld vermittelten. Davon profitierte letztlich auch der König, dessen Stellung als Quelle persönlicher Gunst und „Gnade“ bestätigt wurde. Da die vom Herrscher zu leistende Protektion oftmals ausblieb, musste sie von den Untertanen bei Bedarf erst mittels Suppliken eingefordert werden, wie ANDREAS WÜRGLER (Bern) darlegte. Dabei konnte Protektion als Herrscherpflicht im Sinne eines Rechtsanspruchs gefordert oder als Gnade erbeten werden. In beiden Fällen handelte es sich um Beispiele einer reziproken, aber zugleich asymmetrischen politischen Kommunikation. Mit der militärischen Okkupation untersuchte HORST CARL (Gießen) einen Fall ungeklärter Herrschaftsverhältnisse, in dem Protektion zu eigennützigen Zwecken geleistet wurde. In diesen Konstellationen diente die (käufliche) Protektion der Zivilbevölkerung durch die Okkupationsmacht der Herstellung von Ordnung, welche ihrerseits nur als Mittel zum Zweck für eine bessere wirtschaftliche Ausbeutung des besetzten Territoriums diente.

Protektion war jedoch nicht eine Leistung, die nur dem rechtmäßigen Herrscher eines Territoriums vorbehalten blieb. Wie NADIR WEBER (Bern) am Beispiel des Fürstentums Neuchâtel verdeutlichte, konnte sich eine Konstellation einstellen, in der verschiedene Protektoren Schutz anboten. Weber zeigte auf, dass eine vermeintlich prekäre Situation eines peripheren Territoriums sich insofern als Glückfall erweisen konnte, als lokale Eliten unterschiedliche asymmetrische Beziehungen eingehen und die Protektionskonkurrenten gegeneinander ausspielen konnten. Alle Beiträge hätten klar gemacht, dass Protektion im Sinne einer Leistung als Semantik bei der Verhandlung von asymmetrischen, mehrpoligen Machtbeziehungen behandelt werden müsse, betonte BARBARA STOLLBERG-RILINGER (Münster) in ihrem Sektionskommentar.

In der abschließenden sechsten Sektion wurde die Perspektive sowohl mit Blick auf die Epoche als auch auf den geografischen Raum ausgeweitet. ALEXANDER KEESE (Berlin) eröffnete den Teil „Protektion und Protektorate im langen 19. Jahrhundert“ mit seinem Beitrag über Protektorate als koloniale Herrschaftsmodelle und Erinnerungsorte. Dabei legte er anhand des Protektorats Barotseland dar, dass sich Protektoratsherrschaft entgegen einer älteren Forschungsmeinung in die Erinnerungs- und Wahrnehmungsmuster der Kolonialuntertanen einfügen und dadurch eine wichtige Rolle für die nationalistische Mobilisierung spielen konnte. Dass die Akzeptanz ausländischer Protektorate auch als Waffe in lokalen Konflikten verwendet werden konnte, illustrierte der Vortrag von TANJA BÜHRER (Bern). Für die Nizam von Hyderabad diente die Beziehung zur East India Company dem Schutz vor anderen expandierenden Großmächten Südindiens. Obwohl es faktisch zu einem immer größeren Abhängigkeitsverhältnis kam, suggerierten die Semantik der Verträge sowie das diplomatische Zeremoniell weiterhin die Souveränität des Fürstenstaates Hyderabad. Auch im Beitrag von WOLFGANG EGNER (Konstanz) zum am Berliner Kongress 1878 neu geschaffenen, aber noch nicht klar definierten Status „occupé et administré“ wurde deutlich, dass Begriffe die gegebenen Verhältnisse nicht immer zu fassen vermochten. Aufgrund dieser Interpretationsoffenheit konnten, so JÖRN LEONHARD (Freiburg im Breisgau) in seinem Kommentar, Begriffe wie „Protektorat“ als Blitzableiter für Konflikte zwischen Imperien dienen. Weiter hätten die Beiträge bestätigt, dass die Einrichtung von Protektoratsverhältnissen meist keinem Masterplan folgte, sondern das Ergebnis von Aushandlungsprozessen war und damit auch offen für Veränderungen blieb.

Insgesamt haben die Beiträge deutlich gemacht, dass das Phänomen der Protektion auf zwei Ebenen untersucht werden kann. Auf einer ersten Ebene handelt es sich bei der Protektion im Sinne von Schutz und Schirm um eine Ressource, die entlang von sozialen, asymmetrischen Beziehungen ausgetauscht wurde. Aus dieser Perspektive gilt es, die konkrete Ausgestaltung dieser Beziehung, die Charakteristika und Anzahl der beteiligten Akteure, deren Ressourcen sowie den Formalisierungsgrad der Beziehung genauer zu untersuchen. Insbesondere sollte berücksichtigt werden, dass es sich dabei um einen Aushandlungsprozess handelte, der den Schutzsuchenden einen nicht zu vernachlässigenden Spielraum einräumte. Die so entstandenen Beziehungen mussten nicht zwingenderweise das Label „Protektion“ tragen. Zugleich war nicht „überall Protektion drin, wo Protektion draufstand“, wie es Christoph Kampmann pointiert formulierte. Zwar kommt der Begriff Protektion in den Quellen vor. Da jedoch sowohl Protektoren als auch Protegierte den Begriff aus strategischen Gründen häufig normativ verwendeten, muss die Semantik der Protektion als zweite Untersuchungsebene von der ersten unterschieden werden. Aufgrund der unklaren Verwendung des Begriffs durch die Zeitgenossen wurde denn auch mehrmals die Frage aufgeworfen, inwiefern sich Protektion als analytische Kategorie zur Beschreibung einer bestimmten Form von asymmetrischen Machtbeziehungen eignet. Da eine Abgrenzung zu anderen Beziehungsformen, insbesondere zur Patronage, sehr schwierig ist – ein Vorschlag betraf den unterschiedlichen Formalisierungsgrad –, zeigten sich die Teilnehmer in der Schlussdiskussion diesbezüglich kritisch.

Konferenzübersicht:

Sektion 1: Semantiken des Protektionsbegriffs

Wolfgang E. J. Weber (Augsburg): Protektion in politischer Theorie und Herrschaftslehre

Rainer Babel (Paris): Protektion als Schlüsselbegriff der politischen Sprache (15./16. Jahrhundert)

Anuschka Tischer (Würzburg): Protektion als Schlüsselbegriff politischer Sprache und Praxis in Frankreich im 17. und 18. Jahrhundert

Hillard von Thiessen (Rostock): Außenbeziehungen als Sozialbeziehungen: Freundschaft, Verwandtschaft, Patronage, Protektion

Kommentar: Claire Gantet (München)

Sektion 2: Ungleiche Außenbeziehungen

Matthias Schnettger (Mainz): Die Grenzen der Freiheit. Die Republik Genua und ihre königlichen Beschützer in der Frühen Neuzeit

Tilman Haug (Bern): Vormauern und Hintertüren. Frankreich und der Schutz der Reichsstände nach dem Westfälischen Frieden

Andreas Affolter (Bern): Von Protegierten zu Alliierten? Die Beziehungen der eidgenössischen Orte zur französischen Krone, 1715–1777

Fabrice Brandli (Genf): Relations asymétriques et coopération judiciaire entre la République de Genève et la France au XVIIIe siècle

Nadir Weber (Bern): Vom Nutzen einer prekären Lage. Das Fürstentum Neuchâtel, seine auswärtigen Protektoren und die preußische Distanzherrschaft (1707–1806)

Kommentar: André Holenstein (Bern)

Sektion 3: Protektion fremder Untertanen

Gabriele Haug-Moritz (Graz): „Amateurs de paix et repos“? Eine vergleichende Betrachtung des Schutzes von Glaubensverwandten im Reich und in Frankreich in der Mitte des 16. Jahrhunderts

Fabrice Micallef (Paris): Les stratégies de la faiblesse. Les catholiques provençaux et leurs protecteurs étrangers à la fin des guerres de Religion (1589–1596)

Christoph Kampmann (Marburg): Protektion fremder Untertanen

Marc Belissa (Paris): Protéger les peuples opprimés ou contrôler les peuples protégés (1789–1799)?

Kommentar: Heinrich-Richard Schmidt (Bern)

Sektion 4: Protektion im „dritten Raum“

Hanna Sonkajärvi (Bilbao): Die Protektion baskischer Individuen und Gruppen durch die Juntas y Regimientos de Vizcaya im atlantischen Raum im 17. Jahrhundert

Luca Scholz (Florenz): Frey und sicher? Geleit im Alten Reich der Frühen Neuzeit

Guillaume Calafat (Rom) und Roberto Zaugg (Paris) (gemeinsames Referat): Konsulate und Nationen in italienischen Hafenstädten des Ancien Régimes

Kommentar: Christian Windler (Bern)

Sektion 5: Protektion als „Herrschaftsleistung“

Birgit Emich (Nürnberg-Erlangen): Der Papst als Schutzherr. Protektion als Herrschaftsleistung im Kirchenstaat der Frühen Neuzeit

Laurence Fontaine (Paris): Relations de protection et économie : le marché du crédit symbolique à la Cour de Louis XIV

Horst Carl (Gießen): Protektion und Okkupation. Zur Gewährleistung von Sicherheit in einer prekären Situation

Andreas Würgler (Bern): Asymmetrie und Reziprozität. Herrschaft und Protektion in Suppliken der Frühen Neuzeit

Kommentar: Barbara Stollberg-Rilinger (Münster)

Sektion 6: Protektion und Protektorate im langen 19. Jahrhundert

Alexander Keese (Berlin): Protektorate als koloniale Herrschaftsmodelle und Erinnerungsorte: der Fall Barotseland in Zentralafrika

Tanja Bührer (Bern): Der Nizam von Hyderabad im 18. und 19. Jahrhundert

Wolfgang Egner (Konstanz): Die Teilung der Souveränität. Die Entstehung prekärer Herrschaftsverhältnisse im Jahr 1878

Kommentar: Jörn Leonhard (Freiburg im Breisgau)