Bedrohliche Aufklärung? Kirche und Adel im Josephinismus

Bedrohliche Aufklärung? Kirche und Adel im Josephinismus

Organisatoren
Dennis Schmidt / Philip Steiner, Sonderforschungsbereich 923 „Bedrohte Ordnungen“, Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Ort
Tübingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.06.2014 - 21.06.2014
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Von
Dennis Schmidt / Philip Steiner, Sonderforschungsbereich 923 „Bedrohte Ordnungen“, Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Am 20. und 21. Juni 2014 fand am Sonderforschungsbereich „Bedrohte Ordnungen“ in Tübingen ein internationaler Workshop des Teilprojektes D02 „Josephinismus, katholische Kirche und landständischer Adel. Bedrohungskonstellationen in Innerösterreich“ statt. Der Josephinismus als aufgeklärt inspirierte Reformbewegung in der Habsburgermonarchie bedrohte ab Mitte des 18. Jahrhunderts die althergebrachten Ordnungen der barocken Kirche und des landständischen Adels. In der Auseinandersetzung um diese Reformen standen sich einander ausschließende Ordnungsvorstellungen diametral gegenüber. Die jeweils andere wurde dabei als fundamentale Bedrohung der eigenen Ordnung wahrgenommen. Im Rahmen des Workshops sollte eruiert werden, welche Rolle die Aufklärung dabei in der „Bedrohungskommunikation“ einnahm und wie Klerus und Adel auf die Reformen reagierten. Dabei wurden zur Differenzierung einerseits verschiedene Räume behandelt und andererseits die Heterogenität der sozialen Formationen Adel und Klerus thematisiert.

Nach einer Begrüßung durch Anton Schindling (Tübingen) und einer kurzen thematischen Einführung durch die Veranstalter, stand in der ersten Sektion die vergleichende Perspektive im Mittelpunkt. Verschiedene Aspekte der katholischen Aufklärung kamen dabei zur Sprache. Den Beginn machte SASCHA WEBER (Gießen) mit einem Überblick über die Klosterpolitik des Mainzer Erzbischofs Emmerich Joseph und die damit verbundenen Kontroversen. Dabei betonte er die starke Rezeption der französischen Aufklärung in Mainz. Es zeigten sich Parallelen zu den Reformen in der Habsburgermonarchie, dabei waren die Mainzer Verordnungen oft sogar zeitlich davor anzusiedeln. Es gab jedoch auch elementare Unterschiede. Ins Auge fällt dabei vor allem die Frage der Nützlichkeit, die unter Joseph II. zum zentralen Aspekt der Klosterpolitik wurde. In Mainz hingegen lag der Schwerpunkt auf der strikten Einhaltung der Ordensregeln, vor allem der Klausur. THOMAS WALLNIG (Wien) stellte teilweise bis heute verbreitete Narrative über die katholische klösterliche Gelehrsamkeit Oberdeutschlands zur Diskussion. So zeigte er auf, dass diese ihre Wurzeln schon in Traditionskonstruktionen der (katholischen) Aufklärung haben. An verschiedenen Beispielen machte er seine Thesen deutlich und verwies damit zugleich auf die epistemologischen Probleme der Beschäftigung mit der Klostergelehrsamkeit, wie auch der Aufklärung und dem Josephinismus insgesamt. Die Schwierigkeit, vermeintliche Kontinuitätslinien zwischen der klösterlichen Gelehrsamkeit und ihren Netzwerken hin zur katholischen Aufklärung zu ziehen, wurde dabei deutlich. Einen zeitlichen Sprung ins 19. Jahrhundert brachte der Vortrag von MICHAL MORAWETZ (Budweis) mit sich, der aus seinem laufenden Dissertationsprojekt zur intellektuellen Biographie des Grafen Georg von Buquoy (1781-1851) berichtete. Dieser in verschiedenen Bereichen aktive Adelige bewegte sich im Feld zwischen (Spät-)Aufklärung, (Spät-)Josephinismus und Romantik. Dabei galt sein Interesse zu Beginn eher den Naturwissenschaften, er wandte sich im Laufe seines Lebens dann jedoch vermehrt der Philosophie zu. Bemerkenswert sei ein von ihm konzipierter Idealstaatsentwurf, in dem er sich unter anderem auch dezidiert gegen das Eigentumsrecht wandte.

Die zweite Sektion, in welcher der Adel im Josephinismus im Zentrum stand, wurde von IVO CERMAN (Budweis) eröffnet. In seinem Vortrag zur Frömmigkeitspraxis des Adels im Zeitalter des Josephinismus zeigte er anhand verschiedener markanter Beispiele auf, wie sehr dort individuelle religiöse Vorstellungen Platz greifen konnten, die allenfalls noch am Rande der offiziellen Lehre der großen Konfessionskirchen angesiedelt waren. Diese individuellen Frömmigkeitspraktiken wurzelten vielfach im aufgeklärten und josephinischen Gedankengut, wurden aber eklektisch mit anderen geistigen Grundlagen verbunden. Die Bedeutung des josephinischen Grundsteuerpatents von 1789 als Kippmoment der Bedrohungskommunikation hob ERNST WANGERMANN (Salzburg) hervor. Nach einer Einführung in die Inhalte des nach Josephs Tod zurückgenommenen Patents, zeigte er auf Basis von Beispielen aus der politischen Publizistik die mit der Steuer- und Urbarialregulierung verbundenen Bedrohungswahrnehmungen aus grundherrlicher Perspektive auf. Eine zentrale Rolle bei der Etablierung der Bedrohungskommunikation sei dabei dem viel rezipierten Werk von Ignaz Benedikt Heßl (Freymüthige Gedanken über das neue Grundsteuer-Rektifikationsgeschäft, 1789) zugekommen. PHILIP STEINER (Tübingen) betonte in seinem Vortrag, dass Adel und Aufklärung keinen Antagonismus markierten, sondern in einem Wechselverhältnis stehen konnten. Auch der landständische Adel Innerösterreichs zeigte vielfach Berührungspunkte mit der Aufklärung und eine prinzipielle Zustimmung zu zentralen josephinischen Reformen. Beispielhaft zeige sich dies am Staats- und Sittenunterricht (1787) des steirischen Landstands Otto Wolfgang Graf von Schrattenbach, in dem dieser auf aufgeklärter Basis positiv zu vielen landesherrlichen Reformen Stellung bezog. Dies hinderte ihn jedoch nicht daran ein entschiedener Gegner des Grundsteuerpatents von 1789 zu werden.

Den öffentlichen Abendvortrag hielt FRANZ A. SZABO (Edmonton). Er skizzierte dabei die Positionierung des österreichischen Staatskanzlers Wenzel Anton von Kaunitz zu den Adel und Kirche betreffenden Reformen. Dabei nahm Kaunitz insbesondere in der Zeit der Alleinregierung Josephs II. immer wieder eine mäßigende und vermittelnde Rolle ein, wohingegen er in der Regierungszeit Maria Theresias vor allem als Motor der Adels- und Kirchenreformen in Erscheinung trat. Dies markiere jedoch keinen Widerspruch. Vielmehr sei Kaunitz in seinem Denken relativ kohärent geblieben, die äußeren Bedingungen hatten sich jedoch verschoben. Im Gegensatz zu Joseph habe er in seiner Positionierung jedoch immer eine grundsätzliche Flexibilität zur Lösung akuter Probleme aufgewiesen.

In der dritten Sektion am Samstagmorgen standen Kirche und Klerus im Josephinismus im Fokus. Einen konzisen Forschungsüberblick zur Beschäftigung mit der katholischen Aufklärung und dem Josephinismus in Ungarn lieferte ANDRÁS FORGÓ (Budapest). Die Auseinandersetzung mit dem Phänomen der katholischen Aufklärung habe in Ungarn keine Tradition. Die Forschungen zum Reformkatholizismus hingegen hätten sich zu sehr auf die Rezeption der Schriften Ludovico Antonio Muratoris beschränkt. Für die katholische Aufklärung in Ungarn betonte er die Wichtigkeit von Ordensgeistlichen, obgleich diese damit vielfach in Distanz zu ihren Orden gerieten. So begrüßten aufklärerische gesinnte Ordensgeistliche die Toleranzgesetzgebung, die selbst vom reformorientierten Teil des Episkopats als Bedrohung empfunden wurde. Einer zentralen, jedoch insgesamt nicht gerade umfassend erforschten Gruppe, dem niederen katholischen Klerus, wandte sich CHRISTINE SCHNEIDER (Wien) zu. Sie zeigte dabei die zentrale Rolle der Ortspfarrer zur Durchsetzung und Kommunikation der Reformen auf. Zugleich war die niedere Geistlichkeit aufgrund ihres Einflusses auf das Volk immer wieder Gegenstand josephinischer Bedrohungsimaginationen. Gerade durch die geheime Ohrenbeichte habe den Priestern ein kaum überwachbares Medium zur Äußerung eines allgemeinen Reformunmuts zur Verfügung gestanden. Auf die spezifisch innerösterreichischen Debatten über die josephinischen Reformen ging DENNIS SCHMIDT (Tübingen) in seinem Vortrag ein. Auf Basis von vier Beispielen führte er aus, dass die Publizistik durch eine hohe Anlassbezogenheit geprägt war. Zugleich spielten Ordens- sowie Weltgeistliche in den öffentlichen Diskussionen eine wortführende Rolle. Für Innerösterreich sei jedoch zu konstatieren, dass die ganz scharfen Debatten zwischen Gegnern und Befürwortern des Josephinismus ausblieben. Vielmehr sei ein Konflikt zwischen gemäßigten und radikalen Anhängern des Reformwerks zu erkennen.

In ihrem resümierenden Kommentar stellte GRETE KLINGENSTEIN (Graz) die Frage nach der Strapazierbarkeit des Konzepts der „Bedrohten Ordnungen“ in Hinblick auf den Josephinismus in den Mittelpunkt. Die Aufklärung könne als bedrohlich wie auch als bedroht erscheinen, was als Kennzeichen ihrer Dialektik angesehen werden könne. Die „alte Ordnung“, die durch den Josephinismus als bedroht erschien, verdiene erhöhte Beachtung, denn auch die konservativen Akteure hätten vielfach eine eigentlich „neue Ordnung“ im Kopf gehabt, die sie aber als eine alte verstanden. Daneben mahnte sie eine stärkere Einbeziehung der ökonomischen Aspekte an. Das 18. Jahrhundert habe neue intellektuelle Instrumente und Begriffe auch zur Analyse der ökonomischen Wirklichkeit hervorgebracht. Grundsätzlich betonte sie, dass ein intensiverer Blick auf den landständischen Adel und den Klerus neue Perspektiven auf das Gesamtphänomen des Josephinismus und der Aufklärung verspreche.

In der Abschlussdiskussion standen Aspekte der Rezeption protestantischen Staatskirchenrechts im Josephinismus, die Frage nach der Epistemologie von „alt“ und „neu“, nach dem Verhältnis verschiedener Ordnungen zueinander sowie nach „infrastrukturellen“ Aspekten der Aufklärung im Zentrum. Auf der abschließenden Exkursion in die alte vorderösterreichische Amtsstadt Rottenburg am Neckar und im dortigen Diözesanmuseum konnte vor allem die „alte“, durch den Josephinismus existentiell in Frage gestellte Ordnung in Augenschein genommen werden. Dies zeigte sich augenscheinlich an klösterlichen Frömmigkeitspraktiken des Barock, die den Protagonisten des Josephinismus als abergläubische Bedrohungen erschienen.

Konferenzübersicht:

Anton Schindling (Tübingen), Begrüßung

Dennis Schmidt / Philip Steiner (beide Tübingen), Thematische Einführung

Sektion I: Aufklärung im katholischen Deutschland

Sascha Weber (Gießen), Antimonastische Haltung und Mönchskritik in Mainz. Erzbischof Emmerich Joseph und das Klosterwesen

Thomas Wallnig (Wien), Die nachtridentinische katholische Gelehrsamkeit Oberdeutschlands in der Wahrnehmung des 18. späten Jahrhunderts: „aufklärerische“ Traditionskonstruktionen und „antiaufklärerische“ Bedrohungsnarrative?

Michal Morawetz (Budweis), Graf Georg von Buquoy (1781–1851). Ein Wissenschaftler im Laboratorium vor der Moderne

Sektion II: Adel im Josephinismus

Ivo Cerman (Budweis), Zwischen Kirche und religiösem Individualismus. Die Frömmigkeitspraxis des Adels im Zeitalter des Josephinismus

Ernst Wangermann (Salzburg), Joseph II. und der Adel - Die publizistische Kontroverse über das josephinische Grundsteuerpatent von 1789

Philip Steiner (Tübingen), Adel und Aufklärung – Ein Widerspruch? Die innerösterreichischen Landstände und ihr Verhältnis zur Aufklärung im Josephinismus

Öffentlicher Abendvortrag
Franz A. Szabo (Edmonton), Staatskanzler Wenzel Anton von Kaunitz‘ Verhältnis zu Ständen und Kirche

Sektion III: Kirche im Josephinismus

András Forgó (Budapest), Die Konflikte um die katholische Aufklärung und den Josephinismus im Königreich Ungarn

Christine Schneider (Wien), Der niedere Klerus im Spannungsfeld der josephinischen Kirchenreformen. Das Beispiel Wien

Dennis Schmidt (Tübingen), Die publizistischen Diskussionen um Josephinismus und Aufklärung in Innerösterreich

Abschlusskommentar
Grete Klingenstein (Graz)


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