Briefe aus dem Spätmittelalter: Herrschaftliche Korrespondenz im deutschen Südwesten

Briefe aus dem Spätmittelalter: Herrschaftliche Korrespondenz im deutschen Südwesten

Organisatoren
Landesarchiv Baden-Württemberg; Universität Innsbruck; Arbeitskreis für Landes- und Ortsgeschichte Stuttgart
Ort
Stuttgart
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.11.2013 - 22.11.2013
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Von
Nicole Bickhoff / Peter Rückert, Landesarchiv-Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart

Für die Erforschung spätmittelalterlicher Lebenswelten stellen Briefe eine unverzichtbare Quelle dar. Die Anregung für die anderthalbtägige Tagung bot die Edition der Briefe um Barbara Gonzaga (1455-1503), die erstmals geschlossen publiziert und kommentiert und im Rahmen der Tagung präsentiert wurden.1 Davon ausgehend stand die herrschaftliche Korrespondenz im deutschen Südwesten im Mittelpunkt der Veranstaltung. Diese ist besonders dicht überliefert und gibt durch die Heiratsverbindungen des Hauses Württemberg mit italienischen Fürstenhäusern auch einen Einblick in transnationale Begegnungen und kulturellen Transfer.

Nach den Grußworten der Veranstalter, welche die Bedeutung hilfswissenschaftlicher Fragestellungen für die Untersuchung brieflicher Interaktion und Kommunikation herausstrichen, gab PETER RÜCKERT (Stuttgart) im Einführungsvortrag einen Überblick über die herrschaftliche Korrespondenz und ihre Überlieferung im deutschen Südwesten. Er verband dies mit einigen Leitfragen, welche die aktuelle Forschung zur herrschaftlichen Kommunikation und zum Briefwesen dominieren: Eingebettet in die mediengeschichtlichen Diskussionen und Definitionen wurde nach den Eigenheiten herrschaftlicher Korrespondenzen gefragt, nach der sozialen Abgrenzung der Korrespondenzpartner und den schriftlichen Formen ihrer Kommunikation. Dabei ging es insbesondere um Privatheit und Öffentlichkeit der Schreiben und ihrer problematischen Kategorisierung im Rahmen der literaturwissenschaftlich entwickelten „Brieflehre“. Ausgehend von der Überlieferung im deutschen Südwesten und ihrer Zufälligkeit sowie der archivischen Formierung in Korrespondentenserien, betonte er die notwendige Einbeziehung der Gegenüberlieferung als Komplementärinformation, was am Beispiel der herrschaftlichen Korrespondenz des Hauses Württemberg konkretisiert wurde.

CHRISTINA ANTENHOFER (Innsbruck) untersuchte den fürstlichen Briefwechsel zwischen Süddeutschland und Oberitalien. Die Korrespondenz zwischen deutschen und italienischen Höfen entfaltete sich entlang der Eheverbindungen. Die Heiratsverbindungen zwischen italienischen und deutschen Fürstenhäusern waren im 14. und 15. Jahrhundert eng; besonders zahlreich waren sie mit dem Haus Wittelsbach, gefolgt von Habsburg, Württemberg sowie den Häusern Hohenzollern und Görz. Frauen kam im Rahmen dieser Netzwerke eine zentrale Rolle in der Kommunikation zu; sie nahmen nicht selten den Status von Diplomatinnen ein, wie Antenhofer betonte. Daher besaß die private Korrespondenz in der Regel immer auch einen politischen Charakter.

Mit den Briefen von Fürstinnen beschäftigte sich dezidiert der Beitrag von JULIA HÖRMANN-THURN UND TAXIS (Innsbruck). Sie nahm speziell die politische Korrespondenz der Beatrix von Zollern, Witwe des Herzogs Albrecht III. von Österreich, in den Blick. Albrecht III. von Habsburg (1349-1395) heiratete 1375 in zweiter Ehe diese Beatrix von Nürnberg (1362-1414). Mit reicher Mitgift und Morgengabe ausgestattet, verfügte Beatrix über Einnahmen aus verschiedenen Ämtern und Herrschaften, unter anderem der Herrschaften Freistadt und Perchtoldsdorf, das zu ihrem zentralen Witwensitz wurde. Im Tiroler Landesarchiv Innsbruck sind 47 Briefe, 12 Mandate und 35 Litterae clausae der Herzogin aus der Zeit ihrer Witwenschaft überliefert, welche die Herrschaft Freistadt betreffen. Die Analyse der Briefe macht zum einen deutlich, wie vermeintlich private und administrative Angelegenheiten ineinandergreifen, und zum anderen, dass sich aus dem Vergleich von Stil, Anrede- und Grußformeln konkrete politisch-inhaltliche Rückschlüsse ziehen lassen.

Eine spezielle Form des herrschaftlichen Briefs, nämlich die Fehdebriefe, stellte NIKLAS KONZEN (Stuttgart) an Beispielen des südwestdeutschen Adels vor. Im Mittelpunkt seiner Ausführungen stand Hans von Rechberg (um 1410-1464), der als „Fehdeunternehmer“ an zahlreichen Fehden, Kriegs- und Raubzügen im schwäbischen und schweizerischen Raum beteiligt war. Mittels der Fehdebriefe lassen sich die personellen Zusammenhänge in parallelen Adelsfehden um 1450 aufzeigen. Seine aktuellen Forschungen verdeutlichen auch die zeitgenössischen Kommunikationsstrukturen gerade der vielfach miteinander vernetzten Adelsfamilien, deren kriegerische Auseinandersetzungen in den Fehdebriefen eine charakteristische Form ritualisierter Schriftlichkeit fanden.

Dass familiäre Verbindungen intensiv für die Übermittlung politischer Nachrichten genutzt wurden, konnte JÜRGEN HEROLD (Greifswald) anhand der Berichte zum Neusser Krieg an den Hof der Gonzaga in Mantua nachweisen. Nach der Heirat von Barbara Gonzaga mit Graf Eberhard dem Älteren von Württemberg 1474 und der Ankunft der Braut in Urach war der Neusser Krieg zunächst eines der Hauptthemen im Briefverkehr nach Mantua. Die Nachrichtenkanäle und Botenwege verliefen von Neuss über Urach nach Mantua bzw. über Mailand nach Mantua. Anhand einer beeindruckend dichten Überlieferung konnte Herold die unterschiedlichen Informationswege verfolgen und entschlüsseln: Gesandte und Diener bedienten das Markgrafenpaar in Mantua in durchaus unterschiedlicher und komplementärer Weise mit Nachrichten, ergänzt um die Informationen, die man von der Tochter Barbara vom württembergischen Hof erwartete und auch erhielt.

KLAUS BRANDSTÄTTER (Innsbruck) widmete sich der Kommunikation der Habsburger mit den Vorlanden in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, speziell der Kommunikation Herzog Friedrichs IV. (1382-1439) in den Jahren von 1404/06 bis zu seinem Tod. Ab dem Jahr 1402 verwaltete Friedrich als Titularherzog von Österreich die oberösterreichischen Vorlande, ab 1406 war er als Graf von Tirol auch Regent in Oberösterreich. Friedrich IV. ging auf Konfrontationskurs zu König Sigismund von Luxemburg, dem er unterlag und sich 1415 beim Konzil von Konstanz unterwerfen musste. Anhand der überlieferten Korrespondenz untersuchte Brandstätter vor allem die Kommunikationswege und das Verhältnis von persönlicher Gegenwart und schriftlicher Kommunikation in Bezug auf die Durchsetzung der Herrschaftsansprüche. War der Herzog in den ersten 13 Jahren seiner Herrschaft etwa 64 Monate, das heißt circa 50 Prozent seiner Zeit, vor Ort präsent, nahm seine Mobilität hier nach 1415 deutlich ab. Ab 1420 verschwand sie fast völlig, er blieb dauerhaft in Innsbruck, das er zur Residenzstadt machte. Mit großer Beharrlichkeit gelang es ihm auf diese Weise, seine Herrschaft in Tirol wieder zu festigen.

Die Konfliktkommunikation und den Beginn der politischen Korrespondenz in den bayerischen Herzogtümern in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts stellte JULIAN HOLZAPFL (München) vor. Nach dem Tod Ludwigs IV. der Bayer (gestorben 1347) zerfiel das Herzogtum in verschiedene Teillinien mit entsprechender territorialer Aufteilung. Nach der erneuten Aufteilung 1392 brach die gemeinsame Wittelsbacher Politik ab. Mit den textkritischen Methoden der hilfswissenschaftlichen Quellenkunde untersuchte Holzapfl die Briefe der bayerischen Herzöge in München, Ingolstadt und Landshut. Die genaue Analyse von Sprache und Stil wie zum Beispiel der Grußformeln lassen Rückschlüsse auf das Verständnis des Begriffs „Freundschaft“ und den terminologischen Umgang im Konflikt zu. Die Briefekorrespondenz ist hier als verdichteter administrativer Austausch anzusehen, der vor allem in Hochphasen der politischen Konflikte besondere „Überlieferungsknoten“ hinterlassen hat. Diese gilt es in ihrem Kontext und im mikroanalytischen Korrespondenzvergleich zu analysieren, wie Holzapfl beeindruckend zeigen konnte.

Der Beitrag von FRANZ FUCHS (Würzburg) beleuchtete Pfalzgraf Friedrich den Siegreichen und die Belagerung von Bergzabern 1455 im Spiegel der bayerischen Korrespondenz. Friedrich I. der Siegreiche (1425-1476) war mit seinem Vetter, Ludwig dem Schwarzen, Herzog von Zweibrücken, in Streit geraten, als er die Vererbung der Grafschaft Veldenz in weiblicher Linie nicht anerkannte. Die ohnehin vorhandenen Spannungen im Oberrheinraum entluden sich nun in mehreren Fehden und kulminierten in der vierwöchigen Belagerung von Bergzabern im Jahr 1455. Die Korrespondenzen der verschiedenen beteiligten Seiten des bayerischen Familienverbandes bieten hierzu nicht nur genaue Informationen über den Verlauf der kriegerischen Ereignisse, sondern veranschaulichen auch den gegenseitigen Umgang in seiner atmosphärischen Entwicklung.

Der abschließende Vortrag von AXEL BEHNE (Stade) führte zurück zu der Familie Gonzaga: Er widmete sich der Subjektivität im Briefcorpus um Barbara Gonzaga. Dabei stand die Auswertung der genannten Briefedition im Hinblick auf mentalitätsgeschichtliche Fragestellungen im Blickpunkt. Was kann eine solch dichte Überlieferung zur Charakterisierung der Korrespondenzpartner und ihres Umfelds bieten? In aussagekräftigen Beispielen wurde deutlich, wie konkret man die historischen Figuren zwischen den Zeilen zeichnen kann. Mit wissenschaftlichem Bedacht kontextualisiert war es dadurch möglich, Formelhaftigkeiten und literarische Topoi aufzulösen und einen zeitnahen Eindruck der Persönlichkeiten um Barbara Gonzaga zu erhalten.

In allen Beiträgen der Tagung wurden Fragen wie Umgangs- und Kommunikationsformen in der Korrespondenz, das Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit sowie von Privatheit und Öffentlichkeit problematisiert. Deutlich wurde auch, dass eine auf modernen hilfswissenschaftlichen Methoden aufbauende Herangehensweise an die Überlieferung mit hohem Erkenntniswert verbunden ist. Fragen nach der Materialität und der äußeren Form der Korrespondenz, der Formulare und Sprache der Briefe sollten daher noch stärker in den Fokus der Forschung rücken. Aktuelle kommunikations- und mediengeschichtliche Fragestellungen und Forschungsschwerpunkte können dadurch angeregt, konkretisiert und vertieft werden. Nicht nur die neu belebte historische „Briefeforschung“ sollte im interdisziplinären Rahmen des „cultural turn“ davon profitieren können.

Konferenzübersicht:

Begrüßung: Robert Kretzschmar (Stuttgart) / Mark Mersiowsky (Innsbruck)

Sektion 1
Einführung und Moderation: Nicole Bickhoff (Stuttgart)

Peter Rückert (Stuttgart), Herrschaftliche Korrespondenz im deutschen Südwesten

Christina Antenhofer (Innsbruck), Fürstliche Briefwechsel zwischen Süddeutschland und Oberitalien

Sektion 2
Moderation: Mark Mersiowsky (Innsbruck)

Julia Hörmann-Thurn und Taxis (Innsbruck), Fürstinnenbriefe. Die politische Korrespondenz der Beatrix von Zollern (gestorben 1414), Witwe Herzog Albrechts III. von Österreich

Niklas Konzen (Stuttgart), „Mit name, mit brand und mit todschlag“. Fehdebriefe des südwestdeutschen Adels

Jürgen Herold (Greifswald), Report über Grenzen: Die Berichte zum Neussener Krieg an den Hof der Gonzaga in Mantua (1474-1475)

Sektion 3
Moderation: Sigrid Hirbodian (Tübingen)

Klaus Brandstätter (Innsbruck), Die Kommunikation der Habsburger mit den Vorlanden in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts

Julian Holzapfl (München), „Sentbrief über lannt“ – Konfliktkommunikation und der Beginn der politischen Korrespondenz in den bayerischen Herzogtümern (1410-1438)

Franz Fuchs (Würzburg), Pfalzgraf Friedrich der Siegreiche und die Belagerung von Bergzabern 1455 im Spiegel der bayerischen Korrespondenz

Axel Behne (Stade), Etikette und Emotionalität – Subjektivität im Briefcorpus um Barbara Gonzaga

Anmerkung:
1 Barbara Gonzaga, Die Briefe / Le Lettere (1455-1508), bearb. Von Christina Antenhofer, Axel Behne, Daniela Ferrari, Jürgen Herold und Peter Rückert, Stuttgart 2013.


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