Das virtuelle Hamburgische Urkundenbuch

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Titel
Das virtuelle Hamburgische Urkundenbuch.
Herausgeber
Sarnowsky, Jürgen
Veröffentlicht durch
Sarnowsky, Jürgen <Juergen.Sarnowsky@uni-hamburg.de>
Enthalten in
Von
Ingrid Heidrich

Seit 2001 verfolgt der Hamburger Mediävist Jürgen Sarnowsky in Zusammenarbeit mit dem Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg das Projekt, die von Joh. Martin Lappenberg 1842 begonnene und von anderen fortgeführte Edition Hamburger Dokumente, die bislang bis 1350 reicht und deren letzter (4.) Band 1967 herauskam, als Virtuelles Hamburgisches Urkundenbuch bis in die Reformationszeit fortzusetzen. Er konnte dabei auf Erfahrungen mit dem „Preußischen Urkundenbuch“ zurückgreifen, das er seit 1998 auf dem Netz betreibt. Im Unterschied zu diesem, das im wesentlichen Regesten bringt, sollen im Hamburgischen UB aber in größerem Umfang „Volltexte“ veröffentlicht werden.

Von der Leitseite aus kommt man über einzelne Links auf eine Beschreibung des Projekts, ein Abkürzungsverzeichnis und Erläuterungen zu den Editionsgrundsätzen sowie auf eine Suchmaschine (Free Find) und kann über eine Jahresleiste von 1351 bis 1529 Einzelseiten aufrufen, auf denen die zu diesem Jahr aufgenommenen Urkunden mit Kurzregest verzeichnet sind. Per Link auf die einzelne Urkunde öffnet die Seite, auf der Regest, Überlieferungsangaben, gegebenenfalls Beschreibung, bisherige Drucke, Text und textkritische Anmerkungen vorgesehen sind und auch Angaben zum Bearbeitungsstatus gemacht werden. Aus dem Copyrightvermerk ergibt sich der jeweilige Bearbeiter, für den die Seite auch durch Farbgebung und Initialenkürzel gekennzeichnet ist. Sarnowsky hat die Ziele des Projekts und die Überlegungen zur Ausgestaltung in einem Beitrag in den Hansischen Geschichtsblättern 121 (2003), S. 161-170 ausführlicher beschrieben.

Die Anlieferung der Seiten über einen Server des Hamburger Rechenzentrums funktioniert einwandfrei. Die Aufgliederung der Leitseite ist übersichtlich, könnte jedoch, was die Jahresleiste angeht, verbessert werden. Optisch nicht gelungen und jetzt weitgehend überflüssig ist der untere Teil der Leitseite („zur Ergänzung“), der im Zusammenhang mit einer Lehrveranstaltung des Jahres 2002 angelegt wurde. Die Jahresseiten sollten bei Aufruf in eigenem Fenster oder Frame öffnen, ebenso die Einzeltextseiten, bei denen das immerhin teilweise der Fall ist. Auf die Wiederholung des Kopfteils („Das Virtuelle Hamburgische Urkundenbuch“) auf jeder Seite sollte sowohl zur Entlastung der Seiten als auch des Netzes verzichtet werden. Es fehlt das Impressum. Die textkritischen und inhaltlich kommentierenden Anmerkungen zu den Volltexten stehen unter diesen und sind zugleich mit Frames verlinkt, die es erlauben, sie direkt zur Textstelle aufzurufen. Dies ist eine willkommene Benutzungshilfe. Die Volltextsuche ist nur von der Leitseite her aufzurufen, mit den Einzelseiten ist sie nicht verlinkt, was für die Benutzung fatal wäre, wenn die Volltextsuche denn überhaupt etwas brächte. Zum jetzigen Zeitpunkt ist sie jedoch unbrauchbar. Sie arbeitet offenbar auf der Grundlage einer „Verschlagwortung“ (so die Formulierung des Verfassers in der Beschreibung des Projekts), das heißt einer Filterung der Texte durch die Herausgeber, von der unklar ist, wie weit sie bisher gediehen ist. Jedenfalls ist die angebotene Volltextsuche unfähig, Wortkombinationen in den lateinischen Texten aufzufinden; bei der Suche nach „platea pistorum“ aus JS 55 wurden acht Ergebnisse mit „platea“ angeliefert (in Kombination mit „fabrorum“, „cellatorum“, „S. Catherinae“ etc.), aber die exakte Kombination von JS 55 (zum Jahr 1352) fehlte! Bei den niederdeutschen Texten schlugen alle Suchversuche fehl. Fairerweise muss gesagt werden, dass das Erstellen einer funktionsfähigen Kontextsuche ein schwieriges Unterfangen ist. Die „Verschlagwortung“, die traditionelle Verfahrensweise der Indizierung für Buchpublikationen, beruht im übrigen stets auf subjektiven Wichtigkeitsentscheidungen und nutzt nicht die durch solche Vorgaben unbeeinflussten Möglichkeiten des elektronischen Mediums.

Inhaltlich ist das Unternehmen noch ein Bruchstück, dessen Grundlage zunächst die Wiedergabe überwiegend bereits gedruckter Texte ist, die im nachhinein mit den handschriftlichen Vorlagen kollationiert werden sollen. Nur wenige ungedruckte Texte sind bisher in diesem Projekt ediert worden. Der überwiegende Teil der aufgenommenen Texte ist lateinisch, einige aber auch niederdeutsch. Entstanden ist das Vorhandene aus Lehrveranstaltungen mit zwei Zielsetzungen: die Studierenden an die Arbeit mit Texten heranzuführen und aus dem Projekt gegebenenfalls Examensarbeiten entstehen zu lassen sowie außerdem gedruckte Quellen zur Hamburgischen Geschichte, die zum Teil nur in alten und kaum allgemein zugänglichen Editionen (z.B. Nicolaus Staphorst, Historia ecclesiae Hamburgensis diplomatica, 1723-1731) oder in versteckten Einzelbeiträgen veröffentlicht waren, einem interessierten Publikum zugänglich zu machen. Sarnowsky hofft für diese Zielsetzung auf die Kooperation von Fachkollegen. Wie bruchstückhaft das Ganze bisher noch ist, ergibt sich aus dem Blick in den auf den Einzeltextseiten vermerkten Bearbeitungszustand, vor allem aber aus einigen schlichten quantitativen Vergleichen: für 1351 sind ganze vier Stücke aufgenommen, während im 4. Band des oben genannten „Lappenberg“ (1967) für das Vorjahr 1350 sechzig Urkunden ediert sind; das ganze Projekt umfasste im Jahr 2003 nach Sarnowskys oben genannter Darstellung in den Hansischen Geschichtsblättern (S. 169) 95 Stücke. Dabei sind die frühen Jahre (bis 1357) mit insgesamt 40 Stücken noch relativ „üppig“ vertreten; für viele der folgenden Jahre ist nur ein Dokument wiedergegeben, für viele auch bisher gar keines. Schade ist es, dass die Bearbeiter das Medium des Internets bisher nicht ein einziges Mal für eine optische Darstellung der bearbeiteten Dokumente genutzt haben.

Für eine gründliche wissenschaftliche Aufbereitung, das ist Sarnowsky klar, wäre sowohl eine stärkere zeitliche Begrenzung der aufzunehmenden Dokumente als auch eine genauere Untersuchung und eine entsprechende einleitende Präsentation der Archivalien, z.B. des Liber memorandorum (Gedächtnisstiftungen) und des Liber contractuum (Verträge, auch Eheverträge, Nachlässe) notwendig. Ohne Zweifel wäre dies eine lohnende Aufgabe, die auch im Interesse des Hamburger Staatsarchivs läge, könnte doch damit zugleich die Erstellung von online Findbüchern für die frühen Zeiträume eingeleitet werden, über die andere Archive bereits verfügen; man vergleiche etwa die online Findbücher des Hauptstaatsarchivs Stuttgart (zugänglich über http://www.lad-bw.de ) und dort z.B. speziell das von Peter Rückert 2001 erstellte Findbuch A43, Urgichten und Malefizakten für den Zeitraum 1501-1820. Derlei Vorhaben, die die Benutzung der Dokumente und die Vorbereitung von Archivarbeit ungeheuer fördern würden, scheitern bei uns jedoch zur Zeit (und besonders in der Stadt Hamburg, für deren Universität in den nächsten Jahren einschneidende Kürzungen ins Haus stehen) an den fehlenden finanziellen Mitteln. Für das Hamburger Archiv existieren bisher online nur PDF-Dokumente für die Beständeübersicht und die Findbücher zu den Beständen des Norddeutschen Rundfunks, der Eisenbahndirektion und der Gesamtregistratur der Senatskanzlei. Dabei müssten die finanziellen Mittel gar nicht besonders umfänglich sein, würden doch meist ein oder zwei Stellen von fest angestellten Mitarbeitern genügen (aber „nebenher“ können diese Aufgaben eben nicht erledigt werden, weder von Archivaren noch von Universitätshistorikern). Neben den fehlenden finanziellen Mitteln ist es die mangelnde Kontinuität sowohl der Leitung und Betreuung solcher Unternehmungen als auch des Stabes der Mitwirkenden, die derlei Vorhaben üblicherweise im Wege stehen.

Fazit: Wenn Historiker das Internet nutzen, um Quellenmaterial und die wissenschaftlichen Methoden zu dessen Aufarbeitung einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, ist das stets positiv zu werten. Das Unternehmen des Verfassers, das er ohne äußere Unterstützung eingeleitet hat (leider ist das bei den meisten Pionierarbeiten so), ist in seinen Zielsetzungen zu begrüßen, in der Planung der Arbeitsschritte durchdacht, in der bisherigen Präsentation akzeptabel, wenn auch verbesserungsfähig. Inhaltlich hat es noch den Charakter einer beginnenden Baustelle.

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