Aktion Reinhard Camps

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Aktion Reinhard Camps - Bełżec, Sobibór,Treblinka.
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ARC, Aktion Reinhard Camps - Bełżec, Sobibór,Treblinka <secretary@deathcamps.org>
Enthalten in
Von
Peter Koch, Bildungsabteilung, KZ-Gedenkstätte Dachau

Die Startseite lässt an die erste Folge der sechsteiligen ‚Geschichtsserie’ Holocaust, mit dem Titel „Menschenjagd“, aus der Geschichtsredaktion des ZDF denken. Die Genrebilder von Vollmond, aufsteigendem Rauch über einem nachtdunklen Wald, die Baumspitzen durch die dahinter züngelnden Flammen erhellt, über dem Wald und der Nacht thront ein Wachturm: die Vernichtungspolitik wird zum Horrorereignis stilisiert bzw. als solches gedeutet. Der medienkritische Aufsatz Hanno Loewys „Bei Vollmond: Holocaust“1 könnte auch auf diese Seite zutreffen. Über der Seite wird der faktische Bezugsrahmen gespannt: Es geht um die Aktion Reinhard(t). Die Schreibung verweist auf Reinhard Heydrich, der für die Aktion Pate gestanden haben soll. Die Autoren der Seite erklären ihre Schreibung auf einer eigenen Unterseite.2 Etwas reißerisch wird hier auf eigene Recherchen hingewiesen, bei denen ein Dokument mit der Schreibung „Aktion Reinhard“ gefunden worden sei. Die Inkonsistenz in der Schreibung findet sich aber bereits in den Berichten OdiloGlobocniks: In seiner Zusammenstellung der geraubten Werte vom 3.2.1943 schreibt er an Himmler von der „Aktion Reinhard“ und in seinem Abschlussbericht vom 4.11.1943 wieder an Himmler „Aktion Reinhardt“.3 Ein Überblick über die unterschiedlichen Schreibweisen findet sich in einem Aufsatz von Peter Black, der jedoch am Ende daraus auch keine „korrekte“ Schreibung ableiten kann. Dies erscheint schließlich auch nebensächlich, den Tätern scheint die Schreibweise egal gewesen zu sein, den millionenfachen Mord haben sie davon unberührt durchgeführt.4 Der Hinweis auf den „eigenen“ Dokumentenfund der ARC-Gruppe verweist bereits hier auf eine etwas spärlich angewandte Quellenkritik.

Die Navigation erfolgt über drei Leisten auf der Hauptseite: Auf der rechten Seite befinden sich thematische Zugänge: „Aktion Reinhard, Euthanasia, Occupation, Ghettos, Lublin Headquarters, Other Death Camps, Photo Album, Timeline, Gas Chambers“. Diese führen über eine erste Beschreibung des Gegenstandes in weitere Erklärungen, die die Zusammenhänge und Entwicklungslinien der Vernichtungspolitik, wie zum Beispiel den ‚Wissenstransfer’ aus der Aktion T4 in die Vernichtung der europäischen Juden darstellen. Die einzelnen Darstellungen sind eher ereignisgeschichtlich als problemorientiert. Leider verzichtet selbst das Kapitel „Aktion Reinhard and Historical Perspective“5 auf eine Problematisierung der Quellenlage. Hier wäre es durchaus interessant, den Leser darauf aufmerksam zu machen, dass der Versuch ein Massenverbrechen historiographisch aufzuarbeiten, überaus problematisch ist.6 Die Täterakten wurden seit Ende 1943 weitgehend vernichtet, um die Spuren zu verwischen. Zur Rekonstruktion des Tathergangs musste somit von den Historikern auf Justizermittlungen und Prozessakten von nach 1945 zurückgegriffen werden. Neben der Schwierigkeit, dass nicht alle Verfahren rechtsstaatlichen Prinzipien entsprachen stellt sich gerade bei den Aussagen der Täter in den westdeutschen Verfahren der 1960er-Jahre das Problem, dass deren Einlassungen weniger darauf abzielten, die Ereignisse zu rekonstruieren als vielmehr ihre persönliche Schuld und Tatverantwortung zu relativieren. Die Überlieferung der Perspektive der Opfer in zeitgenössischen Quellen ist aufgrund des Massenmordes nur äußerst bruchstückhaft, teilweise wurden ganze Gemeinden spurlos ausgelöscht. Ohne hier zu sehr auf die sprachphilosophischen Überlegungen von Giorgio Agamben 7 eingehen zu wollen, ist doch vielleicht gerade das „Nicht-Zeugnis“ der spurlos Ermordeten das eigentliche Zeugnis des Massenverbrechens und eröffnet so ein tieferes Verständnis. Die eher positivistische Beschreibung der Abläufe ohne Hinweis auf die Lücken, wie sie auf der Website vorgenommen wird, verstellt hier den Blick bzw. ermöglicht ein solches problematisierendes Verständnis kaum.

Die Hauptseiten der thematischen Vertiefungen werden meist mit historischen Fotos eröffnet, bei denen leider die quellenkritischen Angaben fehlen. So wird nicht klar, dass die rein illustrativ eingesetzten Bilder häufig die Perspektive der Täter wiedergeben. Besonders problematisch erscheint dieses Vorgehen unter dem Menüpunkt „Photo Album“. Hier werden dann sogar unkommentiert die Bildunterschriften der Täter aus ihren Erinnerungsalben übernommen, wie zum Beispiel "Wagen voller Ostjuden" oder auch übersetzt "This is your Place!".8 Der illustrative und unkritische Umgang fällt weit hinter die Standards wissenschaftlichen Umgangs und der Reflexion über diese Quellengattung – gerade vor dem Hintergrund der Massenverbrechen – zurück.9 Statt einer quellenkritischen Einordnung werden die präsentierten Bilder mit einer Art Wasserzeichen der Website (ARC) gekennzeichnet. Die Herkunft der Fotografien und ihr Entstehungskontext bleiben dagegen unerwähnt.
Einige der auf den Einstiegsseiten präsentierten Fotos lassen sich dann später zuordnen, so findet sich das Einstiegsbild zu „Euthanasia“ beispielsweise in der Kurzbiographie zu Willi Mentz.10 Hier erfährt man, dass diese Aufnahme 1940 in der „Euthanasieanstalt“ Grafeneck aufgenommen wurde. Jedoch wird leider auch bei diesen „Fotostrecken“ auf eine Problematisierung der Quellengattung Täterfotografie verzichtet. In der Einführung zu den Fotos zu Treblinka heißt es lapidar: „Ein Foto sagt oft mehr als andere Quellen.“11 Was solche Fotos sagen können, wird leider nicht erörtert. Das Bild wird als Abbild von Realität genommen, es soll zeigen, wie es wohl gewesen ist. Fotografien wird hier ein unverstellter, unmittelbar Zugang zur Realität zugeschrieben, Entstehungsbedingungen, Intentionen, Perspektiven und Auswahlentscheidungen werden dabei nicht thematisiert geschweige denn hinterfragt.

In den „Fotostrecken“ innerhalb der einzelnen Unterkapitel werden teilweise auch die Archive genannt, aus denen die Fotos stammen, dies wird jedoch sehr unterschiedlich gehandhabt. So wird in einem Exkurs Auschwitz12 vorgestellt und der Text mit Bildern illustriert, von denen einige Ikonen aus dem „Auschwitz-Album“ entnommen wurden, wie zum Beispiel eine Gruppe von Kindern, die am Lagerzaun entlang auf dem Weg in die Gaskammern sind. Nachdem die Überlieferung so eng mit der Geschichte von Lili Jacob verknüpft ist und es zahlreiche Publikationen des und zum „Auschwitz Album“ gibt,13 ist nicht nachvollziehbar, weshalb hier die Quelle nicht angegeben ist. Teilweise erwecken die Autoren der Seiten damit den Anschein, dass sie allein das gesamte Material nicht nur zusammen getragen, sondern auch aufgefunden hätten. Für den Nutzer der Seiten ergibt sich leider viel zu selten Einblick in die intensive Forschung, die bereits geleistet wurde. Diese Art der Selbstreferentialität, verknüpft mit einer mangelhaften Quellenkritik und dem daraus resultierenden nur geringen Maß an Problematisierung, erscheint als Hauptschwäche des gesamten Auftritts.

Die einzelnen Beiträge, die mit einer Hyperlinkstruktur verknüpft sind, weisen farblich unterschiedlich gekennzeichnete Worte auf. Der Farbcode folgt einer Kategorisierung: rot sind Jahreszahlen, lila Orte, grün und blau Namen, nur die blauen sind verlinkt. Dieser Farbcode lässt den Text etwas smartiehaft und damit auch unruhig wirken, ob diese Hilfestellung nötig ist, sei dahingestellt. Zusätzlich zu dieser Farbkodierung gibt es Buttons am rechten oberen Seitenrand, die zu Tabellen wie „Town Names“, „Abbreviations“, „Timeline“ führen, aber auch zu „Maps“, „Overview“ und „Contents“. Hier lässt sich jeweils in die zugehörige Tabelle springen, gleichzeitig zeigen diese Buttons an, auf welcher Ebene man sich befindet bzw. welchen Zugang man gewählt hat. Das Klicken der Buttons führt jeweils in ein neues Fenster, man verliert somit nicht den aktuellen Seitenbezug bzw. die Seite, von der aus man geklickt hat. Den Buttons kommt somit eine gewisse Glossarfunktion zu. Oberhalb der Texte verweisen Links jeweils wieder zurück zur „ARC Main Page“ sowie zur Startseite des thematischen Zugangs und der jeweiligen Unterpunkte. Die Navigation ist somit eher einfach gehalten, es gibt keine komplexere Beziehung zwischen den unterschiedlichen Informationsebenen und Zugängen.

Leider sind die Beiträge nicht namentlich gekennzeichnet. Am Ende der längeren Artikel werden jedoch häufig Literaturhinweise angegeben. Diese entsprechen jedoch nicht immer dem aktuellen Forschungsstand und verweisen oft auf Standardwerke. Quellenverweise innerhalb der Beiträge finden sich nicht und so wird nicht deutlich, welcher Absatz aus welcher Überblicksdarstellung kompiliert wurde. Damit wird auch eine kritische Würdigung einzelner Beiträge sowie die Diskussion unterschiedlicher Forschungsansätze vermieden. Dies fügt sich aber in das Bild des eher deskriptiven denn problematisierenden Zugangs.

Auf der linken Seite der Einstiegsseite findet sich das Impressum der Website. Daraus erschließt sich, dass es sich um ‚private Holocaustforscher’ handelt, die hier ihr Wissen zusammengetragen haben. An der Gewichtung auf der Einstiegsseite verstört, dass die internen Informationen zur Website sogar mehr Raum einnehmen wie die thematischen Zugänge. Diese eher internen Informationen ließen sich sicher auch anders und weniger prominent unterbringen. Trotz der großen Mühe und dem hier gezeigten Interesse und Einsatz, sollten doch die Produzenten etwas hinter die von ihnen zusammengetragenen Inhalte zurücktreten. Auf dieser linken Seite findet sich auch eine Sitemap, die gleichzeitig über Aktualisierungen auf der Website informiert sowie eine zum Teil kommentierte Linkliste und ein Kontaktformular.

Unter dem Einstiegsbild mit dem Wald und dem Feuerschein findet sich noch eine weitere Zeile, dort lassen sich direkt die Artikel zu den Vernichtungslagern Belzec, Sobibor, Treblinka und Majdanek ansteuern. Hier gleichen der Seitenaufbau, die interne Verlinkung und die Farbcodes den Seiten der thematischen Zugänge. Teilweise werden in den Artikeln auch Dokumente und Quellen zugänglich gemacht, auch diese leider nur rein illustrativ. Der unkritische Umgang mit den Bilddokumenten setzt sich fort.

Laut eigenen Angaben wurde auf die Seite seit 2002 über vier Millionen mal zugegriffen,14 die Vermutung, dass hier Schülerinnen und Schüler, vielleicht auch Studierende für Referate gegoogelt und dann per Copy & Paste ihre Papers produziert haben, liegt nahe. Ein kritischer und reflektierter Zugang zum Thema ist leider über diese Seite nicht möglich, die hier versammelten Informationen sind zwar leicht zugänglich, ihre Bewertung ist jedoch für den Benutzer über die Seite selbst nicht möglich.
Der eingangs hergestellte Bezug zu den Geschichtsserien des ZDF, die gemeinhin unter dem Namen Guido Knopp firmieren, beschreibt die Qualität der Website: bemüht und fleißig zusammengetragen, für ein Massenpublikum leicht konsumierbar zusammengestellt, wissenschaftlichen Standards nicht entsprechend. Geschichte light – aber publikumswirksam.

Anmerkungen:
1 Loewy, Hanno, Bei Vollmond: Holocaust. Genretheoretische Bemerkungen zu einer Dokumentation des ZDF, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte (2002) 2, S. 114 – 127.
2 Die Autoren der Website äußern sich zur Namensgebung unter: http://www.deathcamps.org/reinhard/action%20reinhard_de.html
3 Beide Schreiben liegen im Bundesarchiv. Abgedruckt finden sie sich leicht zugänglich in: Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannseekonferenz (Hg.), Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden. Katalog der ständigen Ausstellung, Berlin 2006, S. 153.
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4 Black, Peter, Die Trawniki-Männer und die ‚Aktion Reinhard’, in: Musial, Bogdan (Hg.), ‚Aktion Reinhardt’. Der Völkermord an den Juden im Generalgouvernement 1941 – 1944, Osnabrück 2004, S. 309 – 352; zur Benennung vgl. Fußnote 3 auf S. 309; ich danke Dr. Dieter Pohl für diesen Hinweis.
5 Siehe http://www.deathcamps.org/reinhard/historic.html
6 Vergleiche zu einer quellenkritischen Würdigung und einem Überblick über Forschungsschwerpunkte und Desiderate: Pohl, Dieter, Die „Aktion Reinhard“ im Licht der Historiographie, in: Musial, Bogdan (Hg.), ‚Aktion Reinhardt’. Der Völkermord an den Juden im Generalgouvernement 1941 – 1944, Osnabrück 2004, S. 15 – 47.
7 Agamben, Giorgio, Quel che resta di Auschwitz. L’ archivio e il testimone, Turin 1998.
8 Siehe http://www.deathcamps.org/album/ghettos.html
9 Vergleiche dazu die umfassende Studie von Knoch, Habbo, Die Tat als Bild. Fotografien des Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur, Hamburg 1999.
10 Siehe http://www.deathcamps.org/euthanasia/mentzstory.html
11 Siehe http://www.deathcamps.org/treblinka/photos.html
12 Siehe http://www.deathcamps.org/occupation/auschwitz.html
13 So zum Beispiel eine der neueren deutschen Ausgaben: Gutman, Israel; Gutterman, Bella (Hgg.), Das Auschwitz Album. Die Geschichte eines Transports, Göttingen 2005.
Bildlegende 1
14 Siehe http://www.deathcamps.org/arc/

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