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Titel
Um-Ordnungen der Geschlechter. Einführung in die Geschlechtergeschichte


Autor(en)
Opitz, Claudia
Reihe
Historische Einführungen 10
Erschienen
Tübingen 2005: edition diskord
Anzahl Seiten
314 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christiane Eifert, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universität Bielefeld

Einführungen in das Fach der Geschlechtergeschichte konnte man bislang an zwei Orten finden: Entweder man konsultierte das einschlägige Kapitel in einer Überblicksdarstellung über das Fach der interdisziplinären Geschlechterstudien 1, oder man griff zu einer Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaft.2 Auf wenigen Seiten ist dort die Forschungsentwicklung der Geschlechtergeschichte skizziert. Dem in gut 30 Jahren erreichten Forschungsstand angemessen wird nun offenbar der Geschlechtergeschichte – gleich etwa der Wirtschaftsgeschichte – Bestand und Eigenständigkeit zugestanden und seitens des Verlags Edition diskord in Fortsetzung ihrer Reihe „Historische Einführungen“ mit einem eigenen Band Rechnung getragen. Die in Basel lehrende Frühneuzeithistorikerin Claudia Opitz stellt sich der außerordentlich schwierigen Aufgabe, das Arbeitsgebiet und seine zahlreichen Forschungsansätze, Methoden und Quellen sowie die wichtigsten theoretischen Kontroversen in ihrer historischen Genese vorzustellen.

Opitz zeichnet in einem ersten chronologischen Teil die Entwicklung „Von der feministischen Politik zur Geschlechtergeschichte“ (S. 15-86) nach, und diskutiert im zweiten systematischen Teil „Geschlechtergeschichte als kritische Praxis“ (S. 87-245). Dem Konzept der Reihe „Historische Einführungen“ entsprechend stellt sie im dritten Teil „Quellen zur Historiographie der Geschlechter“ (S. 247-281) vor.

Im ersten chronologischen Teil handelt Opitz zuerst knapp die Phase der 1970er und 1980er-Jahre ab, in der Frauengeschichte identifikatorische Funktionen für die Frauenbewegung erfüllen sollte. Dann informiert sie über die Ausdifferenzierung und Akademisierung der Frauengeschichte in den USA, Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland. Opitz unterstreicht die „Vorreiterrolle“ der US-amerikanischen und britischen Historikerinnen in der Etablierung der Geschlechtergeschichte (S. 12f., 29) und hebt hervor, dass „die moderne Frauen- und Geschlechtergeschichte […] ein internationales Produkt der neuen Frauenbewegung [ist], die ebenfalls international war/ist, aber nationale Besonderheiten hat[te]“ (S. 29). Damit stellen sich Fragen, die ein eigenes Forschungsprojekt begründen können: Wie gestaltet sich das Verhältnis von „Vorreiterinnen“ zu ‚nachholenden’ Historikerinnen in Nord- und Osteuropa sowie in Asien, Afrika und Lateinamerika, wie verhalten sich internationale zu nationalen Faktoren in der Entwicklung der jeweiligen Geschlechtergeschichte und schließlich, sind es nationale Besonderheiten oder vielmehr kulturelle, konfessionelle etc. Prägungen, die sich in der Ausformung der Geschlechtergeschichte jeweils niederschlagen. Indem Opitz die Ausdifferenzierung der Geschlechtergeschichte mit deren Akademisierung verbindet, unterstreicht sie die banale und doch häufig ignorierte Erkenntnis, dass nicht zuletzt die Arbeitsbedingungen den Rahmen für mögliche Arbeitsergebnisse setzen.

Spätestens seit den 1990er-Jahren hat sich die Frauen- in die Geschlechtergeschichte transformiert; Opitz präsentiert die Diskussion über die Reichweite der Kategorie „Geschlecht“, über die Abgrenzung eines natürlich-körperlichen vom kulturell-sozialen Geschlecht, über Geschlecht als Produkt performativer Handlungen und zuletzt über „Männergeschichte“.

Im systematischen zweiten Teil des Buches werden diese Themen wieder aufgenommen, denn hier konzentriert sich Opitz auf wichtige Debatten und die Ausarbeitung zentraler Konzepte der Geschlechtergeschichte. Letztlich ging es in allen diesen Kontroversen darum, die Kategorie Geschlecht radikal zu historisieren und in die dominanten historiografischen Theorien (etwa der Sozialgeschichte) zu integrieren, womit deren Grenzen und ihr grundlegender Reformbedarf sehr deutlich wurden. In den Kapiteln: „Weiblich-männlich?“ (S. 89-122), „Geschlecht und Klasse“ (S. 123-155), „Öffentlich vs. Privat?“ (S. 156-187), „Macht – Widerstand – Politik“(S. 188-220) und „Das Geschlecht der Geschichte“ (S. 221-245) erläutert Opitz jeweils die wichtigsten Positionen und Ergebnisse. Ohne die hier referierten Inhalte noch einmal wiederzugeben, will ich die in diesen Kapiteln behandelten Themen etwas genauer betrachten.

Opitz hebt zunächst die Zweigeschlechtlichkeit als gesellschaftliches Grundprinzip hervor und fasst unter der Überschrift „Weiblich – männlich?“ (S. 89) die Diskussion über „Natur“ und „Kultur“ der Geschlechter als analytische Kategorien zusammen sowie die sich hieran anschließende Diskussion über Geschlechtersymbole und über dualistische bzw. polarisierte Geschlechtermodelle. Die mit dem linguistic turn aufgekommene Debatte über die Auflösung von Geschlecht als auch materieller Komponente und über die Konstruktion eines weiblichen oder männlichen Selbst sowie über den hermeneutischen Ertrag von Kategorien wie „Erfahrung“ und „Diskurs“ werden ebenfalls in diesem Kapitel geschildert. Als nächste heftig debattierte Dichotomie stellt sie die beiden relationalen Kategorien Geschlecht und Klasse vor. An dieser Stelle werden neben Stand und Klasse auch Ethnizität (Rasse) und Wirtschaftsordnungen thematisiert. Im Kapitel über die dritte Dichotomie „Öffentlich vs. Privat?“ behandelt Opitz dann die konzeptionelle Pluralisierung von Öffentlichkeit, verweist auf Ehe, Familie und Haushalt als Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzung und zugleich Grundlage von „Öffentlichkeit“ und diskutiert sodann die begriffliche Fassung von Sexualität in der Geschlechtergeschichte. Im Kapitel über „Macht – Widerstand – Politik“ konzentriert sich Opitz erst auf die Forschungen zur Geschichte des Feminismus und eines in der „Querelle des femmes“ zu erkennenden Proto-Feminismus, um sodann Forschungsergebnisse über die Beziehungen von Geschlecht, Macht und Politik im vormodernen Staat, über Staatsbürgerinnen-Rechte, den Wohlfahrtsstaat und das Militär zu referieren. Das letzte Kapitel ist dem „Geschlecht der Geschichtswissenschaft“ gewidmet; es zeichnet den Ausschluss von Frauen während des Verwissenschaftlichungsprozesses im 19. Jahrhundert nach, beschreibt die inhaltlichen und formalen Kosten dieses Vermännlichungsprozesses und diskutiert schließlich das Verhältnis von Geschlechtergeschichte zu Allgemeiner Geschichte als das Verhältnis vom Besonderen zum Allgemeinen.

Die im dritten Teil des Buches abgedruckten Quellen thematisieren alle die Geschichte der Geschichtsschreibung über die Geschlechter. Sie sind chronologisch geordnet; von zwölf aufgeführten Quellentexten behandeln zwei (Jakob Burckhardt und August Bebel) das 19. und einer (Sombart) das 20. Jahrhundert. Unter den zehn Autoren der Texte findet sich mit Christine de Pizan eine Frau.

Opitz hat mit diesem Buch eine beeindruckende Bestandsaufnahme der Geschlechtergeschichte vorgelegt. Einführungen in die Geschichtswissenschaft werden aus gutem Grund meist als Sammelbände veranstaltet, um möglichst viel Kompetenz zu bündeln, alle Epochen und Forschungsansätze zu behandeln. Die Aufgabe, als Einzelne den bisherigen Ertrag der Geschlechtergeschichte aufzubereiten, stößt angesichts der Fülle von Fragestellungen und Ergebnissen an klare Grenzen. In Anbetracht dieser enormen Herausforderung ist besonders hervorzuheben, dass Opitz stets über den Tellerrand der deutschsprachigen Debatten hinausblickt und die angelsächsische wie die französische Geschlechtergeschichte konsequent in ihre Darstellung mit einbezieht. Kritik an den Kriterien der Literaturauswahl (S. 87) oder der Begrenztheit der berücksichtigten Länder wäre beckmesserisch und verbietet sich angesichts dieser enormen Leistung.

Dennoch sei auch Kritik, konzeptionelle Kritik, gestattet. Ein grundsätzliches Problem dieser Einführung ist es, dass sich Opitz bemüht, die chronologische von der systematischen Darstellung zu trennen und doch immer der chronologischen Struktur verhaftet bleibt. Ich will dies am Beispiel „Geschichte der Sexualität“ (S. 181-187) verdeutlichen. Opitz fasst zunächst die Debatten der Historikerinnen zusammen, die in der ersten Phase der Frauen- und Geschlechtergeschichte in den 1970er und 1980er-Jahren über die sexuelle Ausbeutung von Frauen, über Doppelmoral und Prostitution sowie das sexuelle Selbstbestimmungsrecht und in diesem Kontext auch über weibliche Homosexualität forschten. Dann schildert Opitz die Ende der 1980er-Jahre einsetzende Rezeption von Michel Foucaults Schriften und die hieraus resultierende neue Sicht der GeschlechterhistorikerInnen auf Sexualitätsdiskurse als an den Körper angebundenes Konstituens von Machtbeziehungen in der Moderne. Opitz folgt in ihrer Darstellungen also dem zeitlichen Ablauf der Debatten. Alle Kapitel im systematischen Teil des Buches sind in diesem chronologischen Muster verfasst.

Die Darstellung der „Geschichte der Sexualität“ regt zu weiteren Fragen an: Warum wird Sexualität unter dem Oberthema „Öffentlich vs. Privat“ abgehandelt statt, dem Foucaultschen Paradigma folgend, unter dem Oberthema „Macht, Widerstand, Politik“ einsortiert zu werden? Generell ist unklar, wie sich Öffentlichkeit und Privatheit von der politischen Arena und von Machtverhältnissen abgrenzen. Weiter kann man mit guten Argumenten hinterfragen, warum die Ausführungen über „Stand und Geschlecht“ (S. 134-137) und über die von der Geschlechterordnung geprägte Wirtschaftsordnung (S. 145-155) in dem Kapitel „Geschlecht und Klasse“ rubriziert werden – schließlich begegnete auch die Ständegesellschaft der Herausforderung, ihre Wirtschaftsordnung mit ihrer Geschlechterordnung in Übereinstimmung zu bringen. Die Strukturierung der Debatten durch die genannten Oberthemen wird im Buch an keiner Stelle reflektiert.

Die plausible Erklärung für die diskutierbare Strukturierung des systematischen Teils ist, dass hier der üblichen chronologischen Gliederung der Vorzug gegeben, dass also ein historiografiegeschichtlicher Ansatz gewählt wurde. Damit reagiert Opitz auf die große darstellerische Herausforderung, die eine Einführung in die Geschlechtergeschichte bietet: dass das zentrale Ergebnis bisheriger Geschlechtergeschichte in methodologisch-theoretischer Hinsicht die fundamentale Kritik bestehender historischer Forschungsansätze und Theorien ist. Fast alle wichtigen Kategorien der Geschichtsschreibung und ihre Epochen wurden aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive verworfen, die Großen Erzählungen über die gesellschaftliche Entwicklung in Frage gestellt. Wie kann eine Einführung in die Geschlechtergeschichte diese Leistung verdeutlichen?

Mein Vorschlag ist, dass sich die GeschlechterhistorikerInnen davon verabschieden, ausführlich die Entstehung und Etablierung ihres Faches zu würdigen und damit auch signalisieren, dass seine Existenz eine Selbstverständlichkeit ist. Nachdem der historiografiegeschichtliche Teil somit auf wenige Seiten zusammengeschnurrt wäre, könnte ein systematischer Teil anhand verschiedener Themen wie beispielsweise Wirtschaft oder Arbeit, Familie, Gesellschaft, Körper exemplarisch und Epochen übergreifend nach der jeweils ausgehandelten Ordnung der Geschlechter fragen und deren Konsequenzen für Frauen ebenso wie für Männer in den Blick nehmen. Nicht die historische Abfolge der fachinternen Debatten gäbe somit den Roten Faden der Darstellung, sondern die Präsentation der geschlechtergeschichtlichen Forschungsergebnisse, worunter selbstverständlich auch die Auflösung und Neudefinition historischer Begriffe und Epochen zählten. Eine so konzipierte Einführung könnte wichtige und unmittelbar in ein Gesellschaftsverständnis einfließende Einsichten transportieren und damit sehr plastisch den Gewinn an Analysekraft und Erkenntnissen verdeutlichen, den diese Disziplin der Geschichtswissenschaft zur Verfügung stellt.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa von Braun, Christina; Stephan, Inge (Hgg.), Gender Studien. Eine Einführung, Stuttgart 2000 mit einem Beitrag von Martina Kessel und Gabriela Signori zur Geschichtswissenschaft.
2 Vgl. etwa Eibach, Joachim; Lottes, Günther (Hgg.), Kompass der Geschichtswissenschaft. Ein Handbuch, Göttingen 2002 mit einem Beitrag von Rebekka Habermas zur Frauen- und Geschlechtergeschichte. Im von Richard van Dülmen herausgegebenen Fischer Lexikon Geschichte, Frankfurt am Main 2003, stellt Benjamin Ziemann auf 20 Seiten „Sozialgeschichte, Geschlechtergeschichte, Gesellschaftsgeschichte“ vor.

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