M. Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien

Cover
Titel
Familienunternehmen und Unternehmerfamilien. Zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der sächsischen Unternehmer 1850-1940


Autor(en)
Schäfer, Michael
Reihe
Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 18
Erschienen
München 2007: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
261 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christina Lubinski, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universitaet Goettingen

Als vermeintliches Gegenmodell zum „Heuschreckenkapitalismus“ haben Familienunternehmen jüngst wieder Eingang in die öffentlichen Debatten genommen. Familienunternehmen liegen im Trend. Davon bleibt auch die historische Forschung nicht unbeeinflusst. Mit Michael Schäfers an der TU Chemnitz eingereichten Dissertation liegt jetzt die erste Monographie aus dem deutschen Sprachraum vor, welche sich explizit dem Thema Familienunternehmen widmet. Die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte ehrte diese Arbeit im Jahr 2006 mit ihrem Preis für Unternehmensgeschichte.

Da Familienunternehmen bislang zu wenig untersucht worden sind, ist Schäfer gezwungen, sich an den älteren Thesen von Alfred D. Chandler und Jürgen Kocka abzuarbeiten. In Abgrenzung zu beiden sieht Schäfer im Familienunternehmen kein Relikt frühindustrieller Wirtschaftssysteme, sondern gerade ein Phänomen der Neuzeit. Zu Recht kritisiert er, dass die wechselseitigen Beziehungen zwischen Unternehmerfamilie und Familienunternehmen bisher weder in der Unternehmensgeschichte noch in Arbeiten zum Wirtschaftsbürgertum hinreichend analysiert worden seien. Schäfers Forschungsinteresse richtet sich deshalb nicht nur auf die Funktionen, welche die Familie für das Unternehmen erfüllt, sondern auch auf die sinnstiftende Bedeutung des Unternehmens für die Familie.

Dafür unternimmt er eine quantitative, branchenübergreifende Analyse von 630 Unternehmern bzw. Managern und knapp 400 Unternehmen aus der Region Sachsen zwischen 1850 und 1940. Die Informationen über Personen, Gründung, Leitung und Eigentumsstruktur sowie über die ökonomische Entwicklung der Unternehmen stammen aus Festschriften, biographischen Nachschlagewerken sowie einigen Firmenarchiven. Trotz des regionalen Zugangs beschäftigt sich Schäfer mit der Entwicklung einzelner Unternehmen und nicht mit lokalen Clustern von Familienunternehmen, die in der internationalen Forschung zuletzt eine wichtige Rolle gespielt haben.1 Obwohl Familienunternehmen im Zentrum der Arbeit stehen, ist die Datenerhebung nicht auf sie begrenzt. Dies ist eine Stärke der Arbeit, die Familieneinfluss nicht als statische Größe versteht, sondern unternehmerische Entwicklungen in die Interpretation integriert. Schäfer zeigt, dass Familienunternehmen mitunter kaum von anonymen Kapitalgesellschaften zu unterscheiden sind bzw. sich zu solchen entwickeln. Allerdings wäre es interessant gewesen zu erfahren, nach welchen Kriterien Firmen in die Untersuchung aufgenommen worden sind.

Die Arbeit ist nach thematischen Gesichtspunkten gegliedert und beschäftigt sich mit sächsischen Gründern und der Entwicklung vom Gründer- zum Familienunternehmen (Kapitel 2), mit dem Nachfolgeprozess (Kapitel 3) und den Wechselbeziehungen zwischen familiärer und betriebswirtschaftlich-unternehmerischer Rationalität (Kapitel 4). Dabei unterliegt Schäfer zu keinem Zeitpunkt der Versuchung, das Familienunternehmen als anderen Organisationsformen überlegen darzustellen. Vielmehr überzeugt er durch eine ausgewogene und vorsichtige Analyse von Potentialen und Risiken. Als eine der ersten deutschen Arbeiten analysiert Schäfer beispielsweise die Struktur der Eigentumsverhältnisse und die Rechtsformalternativen von Familienunternehmen, wobei er zu Recht die Bedeutung der Kommanditgesellschaft hervorhebt. Seine Ergebnisse bezüglich der Strategien, welche von der Familie und dem Unternehmen verfolgt werden, um sich gegen Risiken und Wechselfälle zu wappnen, sind nicht nur von historischem Interesse, sondern vor dem Hintergrund dramatischer Nachfolgekrisen auch hochaktuell.

Kritisch ließe sich anmerken, dass die empirische Basis (überwiegend Firmenfestschriften) nicht immer geeignet ist, qualitative Fragestellungen zu bearbeiten. Beispielsweise ist in Kapitel 2 mitunter nicht deutlich, welche Teile der Darstellung eher als wirtschaftsbürgerliche Selbstdarstellung interpretiert werden müssten. So heißt es von den Unternehmensgründern, sie hätten schon als Jugendliche „getüftelt“, „mit eigenen Konstruktionen ihr Unternehmen begründet[en]“ und sich durch „Lektüre einschlägiger Lehrbücher nach Feierabend“ gebildet (S. 48). Gleichzeitig zieht Schäfer jedoch vor allem aus diesen Quellen den Schluss, dass die sächsischen Unternehmensgründer überwiegend aus bescheidenen Verhältnissen gekommen wären und „den Mangel an sozialen und kulturellen Kompetenzen und Beziehungen durch überwiegend selbst akkumuliertes Kapital an Erfahrung, Wissen und beruflich-sozialen Netzwerkkontakten kompensieren“ konnten. (S. 77) Er interpretiert die publizierten Gründungsgeschichten als typische Erzählmuster, denen man aber nicht „von vorneherein ihren historischen Realitätsbezug absprechen“ könne (S. 166). Die diskursive Praxis, die sich in diesen Geschichten „people tell themselves about themselves“ (Clifford Geertz) manifestiert, hätte jedoch deutlich zu einem Bestandteil der Auswertung gemacht werden müssen. Sie spiegeln vor allem das wirtschaftsbürgerliche Ideal der Selbständigkeit und eines Aufstiegs aus eigener Kraft.

Auf ähnliche Weise von der Quellenlage begrenzt wird auch – wie Schäfer selbst feststellt – sein Versuch, häusliche Sozialisationspraktiken aus Festschriften zu rekonstruieren (S. 63, S. 109) oder den (nicht nur finanziellen) Beitrag von Frauen angemessen zu bewerten (S. 72). Frühere Studien haben darauf hingewiesen, dass Kapital und Arbeitskraft von weiblichen Familienmitgliedern in der offiziellen Firmenhistoriographie oft systematisch unterschätzt werden2, was in dieser Arbeit kaum thematisiert werden kann. Insgesamt spiegeln diese Schwächen das generelle Problem der Familienunternehmensforschung wider, nämlich dass Quellen über die innerfamiliären Prozesse HistorikerInnen nur spärlich zur Verfügung stehen.

Die Hauptthese der Arbeit ist, dass die Unternehmerfamilie ihre sinnstiftende Bedeutung insbesondere als imaginäres, generationenübergreifendes Konstrukt hat. Schäfer beschreibt sie sehr überzeugend als „zeitübergreifende Gemeinschaft“ (S. 100), deren Mitgliedschaft nicht biologisch gegeben ist, sondern über welche sozial verhandelt wird. Von zentraler Bedeutung für diese Gemeinschaft ist für Schäfer, dass in der Unternehmensführung eine „Kontinuität im Mannesstamm“ (S. 162) gewährleistet sei. Er schlussfolgert pointiert: „[Man] wird […] den definitorischen Kern des Familienunternehmens weniger in der dauerhaften Bewahrung des Besitzes eines Wirtschaftsunternehmens im Familienkreis zu verorten haben als vielmehr darin, dass seine Leitung in der männlichen Generationenfolge weitergegeben wurde.“ (S. 100) Damit einher geht seine These, dass das Familienunternehmen für die aktiven Unternehmer sinnstiftend wirkte, während die übrigen Familienmitglieder (insbesondere Töchter), das Unternehmen „vornehmlich als Einkommensquellen gesehen“ hätten (S. 157).

Beide Thesen sind innovativ, lassen aber Raum für Forschungsdiskussionen. Wenn das Familienunternehmen seine Bedeutung ausschließlich aus der Führungsnachfolge zieht, wie erklärt sich dann eine dauerhafte Verbindung von Familie und Unternehmen, – wie im Fall Haniel – die sich seit Generationen explizit auf das Eigentum beschränkt hat? Mit Blick auf das 20. Jahrhundert ist für mittelgroße und große Familienunternehmen der Rückzug der Familie aus der operativen Führung sogar eher die Regel als die Ausnahme. Verliert deshalb das Modell Familienunternehmen zwangsläufig an Bedeutung? Auch die Rolle der nicht-geschäftsführenden Gesellschafter muss weiter untersucht werden. Im Gegensatz zu Schäfer vertreten Davidoff/Hall und Yanagisako die These, dass die mehrgenerationelle Verbindung von Familie und Unternehmen auch ohne formale Position in der Leitung sinnstiftend wirken kann. Yanagisako zeigt sogar am Beispiel italienischer Familienunternehmen, wie Frauen als Wächterinnen der Kontinuität und Familiensolidarität wirken, welche für das Familienunternehmen von besonderer Relevanz sind.3 Die Vermutung liegt nah, dass geschäftsführende und nicht-geschäftsführende Gesellschafter, Frauen wie Männer, den Familie-Unternehmen-Konnex erfahren, weil er ein zentraler Bestandteil der familiären Kommunikation und des Familiengedächtnisses ist. Für eine erschöpfende Diskussion dieser Thesen fehlt es jedoch an weiteren Arbeiten über die wirtschaftsbürgerliche Unternehmerfamilie und das Familienunternehmen.

Insgesamt stößt Schäfers empirisch fundierte Dissertation in eine Lücke der Unternehmensgeschichtsschreibung und öffnet ein Forschungsfeld, welches noch nahezu unbearbeitet ist. Es ist sein Verdienst, mit innovativen Thesen eine Diskussionsgrundlage geschaffen zu haben, die mit Blick auf die internationale Forschung weiter zu prüfen sein wird.

Anmerkungen:
1 Siehe Arnoldus, Doreen, Family, Family Firm, and Strategy. Six Dutch Family Firms in the Food Industry 1880 – 1970, Amsterdam 2002.
2 Vgl. Mulholland, Kate, Class, Gender and the Family Business, Basingstoke u.a. 2003; Yanagisako, Sylvia, Producing Culture and Capital. Family Firms in Italy, Princeton und Oxford 2002, S. 56-66.
3 Vgl. Davidoff, Leonore; Hall, Catherine, Family Fortunes. Men and Women of the English Middle Class, 1780 – 1850 (2. Auflage), London 2002; Yanagisako, Producing, S. 182.

Kommentare

Von Lubinski, Christina09.01.2008

Diese Rezension enthält bedauerlicherweise einen Fehler: Bei der vorliegenden Veröffentlichung von PD Dr. Michael Schäfer handelt es sich selbstverständlich nicht um eine Dissertation, sondern um das Ergebnis eines Forschungsprojektes an der TU Chemnitz. Für diese Verwechslung möchte ich mich nachdrücklich entschuldigen.
Christina Lubinski


Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension