Cover
Titel
Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben


Autor(en)
Ladwig-Winters, Simone
Erschienen
Frankfurt am Main 2009: Campus Verlag
Anzahl Seiten
447 S., 24 SW-Abb.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alfons Söllner, Institut für Politikwissenschaft, Technische Universität Chemnitz

Ernst Fraenkel war eine der markantesten Figuren aus der Gründergeneration der westdeutschen Politikwissenschaft. Dies rechtfertigt es, dass den Gesammelten Schriften nunmehr eine Monographie hinterhergeschickt wird, die ausdrücklich nicht Werkgeschichte sein will, sondern eine Biographie im traditionellen Sinn. Dargestellt werden soll die „Reifung der Persönlichkeit“: „Passte er sich an, war er Außenseiter, blieb er sich im Wandel treu?“ (S. 8) Um solche Fragen zu beantworten, hat Simone Ladwig-Winters weitverstreutes Material aus deutschen und amerikanischen Archiven gesammelt. Dabei hat sie das große und unübersichtliche „Zeitalter der Extreme“ (Eric Hobsbawm) auf die eine und wahrhaft existentielle Frage heruntergebrochen, wie ein jüdisch-deutscher Jurist vom Format eines Ernst Fraenkel in ihm überleben konnte.

Während sich pure Wissenschaft bekanntlich schlecht erzählt, kann die Biographie mit dem Charme der Anschaulichkeit und dem Reiz der organischen Entwicklung aufwarten – selbst dann, wenn die Erzählung mehr den politischen Zäsuren als der persönlichen Bildungsgeschichte zu folgen hat. Völlig einleuchtend gliedert sich das Buch in drei scharf umrissene Blöcke, die jeweils in sich noch zweigeteilt sind: 1. Beruflicher Aufstieg (1919–1932) sowie „innere Emigration“ in Deutschland (1933–1938); 2. „Emigrant oder Immigrant“ in den USA (1938–1945) sowie Ausflug nach Korea (1946–1950); 3. Remigration in die Bundesrepublik (1951–1961) sowie die Konflikte der späten 1960er-Jahre (bis zu Fraenkels Tod 1975).

Die erste „Etappe“ dieser Lebensgeschichte gestaltet sich noch vergleichsweise harmlos, weil hier der akademische Bildungsgang eines jungen Mannes aus bürgerlichem Hause ausgemalt werden kann, den Begabung und Sensibilisierung durch einen prekären Minderheitenstatus dazu motivierten, sich für die reformistische Arbeiterbewegung zu engagieren, und zwar in jenem Konfliktfeld, in dem soziale Modernisierung und rechtliche Gleichheitspostulate für einen historischen Augenblick zu harmonisieren schienen: im Arbeitsrecht. Mit großer Glaubwürdigkeit, die sich sowohl der Einfühlung in die jüdische Sozialgeschichte als auch detaillierten Kenntnissen über das juristische Milieu der Weimarer Zeit verdankt, wird hier demonstriert, wie und wieso jüdische Juristen zu wichtigen Stützen der ersten deutschen Demokratie werden konnten.

Dem „Aufbruch ins politische Leben“ folgte 1933 der dramatische Absturz, der sich im Falle Fraenkels noch ein halbes Jahrzehnt hinzog und dabei das ganze Gefälle der Demütigungen durchlief, die einem jüdischen Anwalt in Hitler-Deutschland angetan wurden. Hautnah wird an Fraenkels Erfahrungen dokumentiert, wie rasch und tief sich der Nationalsozialismus in der deutschen Gesellschaft festgesetzt hat, dass in der dumpfen Unterwerfungswelt aber auch ein begrenzter Bezirk existierte, in dem es trotz aller Behinderungen noch Handlungsmöglichkeiten gab. Die Darstellung zeigt den außergewöhnlichen Mut eines jüdischen Anwalts, der die verbliebenen Freiräume beherzt auslotete: Er schloss sich der Widerstandsgruppe „Internationaler Sozialistischer Kampfbund“ an und war damit extrem gefährdet. Es ist der Verfasserin hoch anzurechnen, dass sie in diesem Kapitel einer naheliegenden Versuchung widersteht, nämlich der Heroisierung. Stattdessen beendet sie diesen wahrhaft lebensgefährlichen Abschnitt in der Geschichte ihres „Helden“ mit einer schlichten moralischen Sentenz: „Ich wollte ein anständiger Mensch bleiben.“ (S. 128)

Fraenkels „Lehrjahre“ gingen, anders als im bürgerlichen Bildungsroman, unfreiwillig in „Wanderjahre“ über. Seine Zeit in den Vereinigten Staaten stellte sich als durchaus widerspenstige Ansammlung von positiven und negativen Erfahrungen dar: Wie sich die rasche Übersetzung des aus Deutschland herausgeschmuggelten Manuskripts über den „Doppelstaat“ als Anfangserfolg erwies, der ausgerechnet von seinem ehemaligen Kollegen Franz Neumann und dessen „Behemoth“ in den Schatten gestellt wurde, so brachte auch das erfolgreiche Zweitstudium der amerikanischen Rechtswissenschaft nicht den ersehnten Traumjob an einer amerikanischen Universität. Insgesamt legt das ausgiebig herangezogene biographische Material den Schluss nahe, dass Fraenkel seine Zeit in Amerika und seine Abordnung nach Korea in beruflicher Hinsicht zwar nicht als gescheitert, aber doch als Verlegenheit empfand.

Dass daraus dennoch eine positive Perspektive entsprang, hing sicherlich mit der „deutschen“ Gründlichkeit Fraenkels, mit seinem so hartnäckigen wie zielstrebigen Charakter zusammen, mehr noch aber mit einer Lernfähigkeit, die in dieser Biographie im Zentrum steht und trotzdem schwer dingfest zu machen ist: „Fraenkels Lebenseinstellung hatte sich verändert. Trotz aller Widrigkeiten hatte er sich ein Leben ‚in peace and liberty’ eingerichtet.“ (S. 166) An anderer Stelle heißt es: „Dieses Gefühl der Verbundenheit mit Deutschland war nun dem Gefühl der Dankbarkeit gegenüber den USA gewichen.“ (S. 208) Sätze wie diese resümieren zwar den immigrantentypischen Prozess, wie mitgebrachte Vorurteile gegenüber der amerikanischen Kultur ab- und positive Bilder des Gastlandes aufgebaut werden. Doch die „dritte Möglichkeit“ zwischen Emigration und Immigration, die Fraenkel dann wirklich gewählt hat, nämlich die Entscheidung für Deutschland, kommt nicht auf einer einfach gebauten Motivationsbrücke herüber. Tatsächlich führt von der scharfen Ablehnung jedweder Rückkehr, die Fraenkel 1946 gegenüber seinen deutschen Freunden „als Jude“ deklarierte, kein diskursiver Weg zu der fünf Jahre später erfolgten Übernahme einer Professur an der wiedereröffneten Hochschule für Politik. Klar wird immerhin, was auf diesem Weg als Hindernis lag und womit diese Generation nicht fertig werden konnte: der deutsche Genozid an den Juden.

Während man gegenüber den Kontextstudien des Amerika-Kapitels Einwände erheben kann (Ladwig-Winters ist nur mäßig informiert über die Theoriedebatten innerhalb der Emigrantengemeinde oder die Struktur des Office of Strategic Services), sind die abschließenden Kapitel wieder gelungener: In der Tat wird man Fraenkels erstaunliche Karriere in der Adenauer-Ära, die ihn zur Portalfigur der jungen Politikwissenschaft machte, nur verstehen, wenn man sich auf seine Doppelrolle als „Amerikaner in Berlin“ konzentriert (siehe das Unterkapitel S. 247ff.). Im Windschatten des Reeducation-Programms konnte jetzt sozusagen ausgepackt werden, was Fraenkel an intellektuellem und wissenschaftlichem Gepäck aus den USA mitgebracht hatte. Dazu gehörte vor allem eine hochentwickelte Sachkompetenz über die amerikanische Politik und ihre juristischen Grundlagen. Durch deren schrittweise Entfaltung konnte Fraenkel sowohl der führende Amerikanist in Deutschland werden als auch die vergleichende Regierungslehre zu einem zentralen Gebiet der neuen Politikwissenschaft ausbauen. Nimmt man sein Charisma als akademischer Lehrer hinzu, wie es aus den liebevollen Erinnerungen seiner Schüler aufscheint, oder sieht man Fraenkel im Ornat des amtierenden Dekans stolzieren, dann rundet sich der Eindruck, dass diese moderne Odyssee nunmehr ein glückliches Ende gefunden hatte.

Wieder zeigt der biographische Zugriff seine Stärke darin, dass dieses Bild zwar nicht dementiert, aber doch merklich abgeschattet wird. Ausschlaggebend dafür ist nicht so sehr der Konflikt mit den revoltierenden Studenten als solcher, sondern die Tatsache, dass Fraenkel deren Antiamerikanismus nicht als Jugendprotest gegen den Vietnamkrieg verstand; er sah darin vielmehr einen direkten Angriff auf die normativen Grundlagen der von ihm vertretenen Demokratieauffassung. Was die studentischen Aktivisten kaum begriffen, löste bei dem jüdischen Remigranten, der sich auf die Zurückdrängung tiefer Traumata eingelassen hatte, eine Erschütterung aus, die den festen Boden wieder aufriss, den er sich in der „Politikwissenschaft als Beruf“ (Max Weber) geschaffen hatte. Unter diesem Gesichtspunkt wird auch verständlich, weshalb Fraenkel seine jüdischen Wurzeln in der Bundesrepublik eher versteckte und sich in der bedrängenden Frage der „Aufarbeitung der Vergangenheit“ (Adorno) auffällig zurückhielt. So nahm dieses eindrucksvolle Gelehrtenleben ein tragisches Ende, weil Fraenkel seine persönlichen Lebensziele gescheitert sah.

Diese Schlusspointe verweist aber auch auf die Grenzen der vorliegenden Biographie. Verbannt sie nicht genau das in den Hintergrund, was diesem Emigrantenleben abgetrotzt wurde: ein wissenschaftliches Werk, in dem sich der Entwicklungsgang eines deutschen Juristen zum modernen Politikwissenschaftler exemplarisch abgebildet hat? Diese größere Perspektive erschließt sich nur, wenn Fragen des Wissenstransfers ins Zentrum treten und die daraus resultierenden Ideen- und Theoriekonflikte ausbuchstabiert werden. Dafür stellt Fraenkels Werk sprechendes Material zur Verfügung, das zum Beispiel durch den gezielten Vergleich der verschiedenen Versionen des „Doppelstaates“ oder durch eine Gegenüberstellung der theoretischen Prämissen wie der empirischen Befunde der Weimarer Demokratieschriften einerseits und der Berliner Nachkriegsschriften andererseits zum Sprechen gebracht werden könnte. Aber dies taucht im Horizont von Simone Ladwig-Winters leider kaum auf.

Dennoch ist ihr Buch wichtig für die Erforschung der politischen Kultur in der Bundesrepublik wie für die persönlichen Kanäle, aus denen sich die transatlantische Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts speiste. Ein negatives Postskriptum ist dennoch nicht zu vermeiden: Vor allem im zweiten Teil stolpert der Leser über schlampige Übersetzungen aus dem Englischen, über ärgerliche Rechtschreib- sowie etliche Sachfehler. Es scheint, als wäre am Ende der Verfasserin die Energie und der Lektorin, wenn es sie denn gab, die Lust abhanden gekommen.