M. Pohl: Die Geschichte der Suedzucker AG

Titel
Die Geschichte der Südzucker AG. 1926-2001


Autor(en)
Pohl, Manfred
Erschienen
München, Zürich 2001: Piper Verlag
Anzahl Seiten
Preis
DM 78,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
PD Dr. Bernhard Loeffler, Lehrstuhl fuer Neuere und Neueste Geschichte, Universitaet Passau Lehrstuhl fuer Neuere und Neueste Geschichte 94030 Passau

Die Geschichte von Unternehmen und Unternehmern ist derzeit ausgesprochen en vogue. Plötzlich beschäftigen sich damit auch renommierte Allgemeinhistoriker. Lothar Gall schreibt über Hermann J. Abs, Hans Mommsen über das Volkswagenwerk, Klaus Hildebrand über die Deutsche Reichsbahn. Einer der Hauptprotagonisten dieser historiographischen Entwicklung ist sicherlich Manfred Pohl, Leiter des Historischen Instituts der Deutschen Bank und eine der treibenden Kräfte der rührigen Frankfurter Gesellschaft für Unternehmensgeschichte. Pohl und seine Mitarbeiter produzieren dabei Unternehmensgeschichten beinahe am Fließband. So erschienen unter Pohls Namen in den letzten fünf Jahren die Geschichten von Philipp Holzmann, Landwirtschaftlicher Rentenbank, Strabag, Lombardkasse, VIAG-Aktiengesellschaft und Bayernwerk. 1 Hierzu tritt nun die Südzucker AG.

Es handelt sich bei dem Werk gleichsam um die Fortschreibung, Überarbeitung und Erweiterung einer 1987 erschienenen und ebenfalls von Pohl verfaßten Geschichte desselben Unternehmens 2 unter verändertem Blickwinkel, (anders als 1987) mit wissenschaftlichen Belegen und auf erweiterter Quellengrundlage. Dies macht sich an zwei thematischen Feldern besonders bemerkbar. Zum einen gelingt es mit der neuen Studie erstmals, die Geschichte der Südzucker in der Zeit des Nationalsozialismus eindringlich und in breiterem Rahmen nachzuzeichnen. Das geht weit über die davor erfolgte Beschränkung auf eher "technische" und unternehmensorganisatorische Details wie Beteiligungen, Betriebsaufbau oder Finanzstruktur hinaus und bezieht nun vor allem auch die Behandlung der jüdischen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder sowie der ausländischen Zwangsarbeiter in die Untersuchung mit ein (Kapitel 5, S. 139-214). Pohl gelangt hier zu dem Ergebnis, das Verhältnis des Unternehmens zum NS-Regime sei "schwer durchschaubar" gewesen (S. 194).

Dies lag nicht zuletzt an der starken Position der italienischen Montesi-Gruppe, die bei weitem die Aktienmehrheit an Südzucker hielt und ihrerseits in enger Verbindung mit dem Südzucker-Vorstand Albert Flegenheimer stand. Flegenheimer - neben dem Aufsichtsratsvorsitzenden Albert Zapf lange Jahre die dominante Persönlichkeit bei Südzucker, zudem über die Württembergische Melassefutterwerke GmbH Stuttgart im Besitz von über 7 Prozent der Südzuckeraktien - war wie der Südzucker-Aufsichtsrat und Deutsche-Bank-Vorstand Theodor Frank Jude. Angesichts der internationalen Verflechtung des Unternehmens habe die jüdische Herkunft der beiden jedoch bis 1935 keine große Rolle gespielt, so Pohl. Und auch danach hätten die Italiener und teilweise auch die Haus- und Konsortialbank des Unternehmens, die Deutsche Bank, die selbst 10 Prozent der Südzucker-Aktien hielt, mäßigend gewirkt.

Allerdings habe sich der Druck sukzessive verstärkt, ehe 1938 gleichermaßen die "Arisierung" wie die "Nationalisierung" der Südzucker AG vollzogen worden sei, bemerkenswerterweise ebenfalls hauptsächlich unter Regie der Deutschen Bank, die das "italienisch-jüdische" Aktienpaket an die Südzucker und die Zuckerfabrik Kleinwanzleben, vormals Rabbethge & Giesecke AG, transferieren half und gleich weiter verwaltete. Dies kann gut die zwiespältige Rolle der Bank verdeutlichen, die zwar einerseits die unternehmensinternen nationalsozialistischen Scharfmacher und antijüdischen Intriganten in Schranken zu halten versuchte, die andererseits aber auch pragmatische Geschäftspolitik im Rahmen des Systems betrieb. Einfluß und Bedeutung der Deutschen Bank waren und sind übrigens seit der Gründung der Südzucker AG durchgehend gegeben und zeigen sich etwa auch in der Rolle von Hermann J. Abs oder Ulrich Weiss als Aufsichtsratsvorsitzende des Unternehmens.

Der zweite große Punkt, der die Südzucker-Geschichte von 2001 von ihrer Vorgängerin nachhaltig unterscheidet, ist die wesentlich stärkere Beachtung der aktuellsten unternehmensgeschichtlichen Entwicklungen. Der Schwerpunkt der Arbeit von 1987 lag eher auf der Zuckergeschichte bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Wer Genaueres über die entsprechenden unternehmensgeschichtlichen wie zuckertechnischen Zusammenhänge und die Zuckerfabrikation in der Phase der Industrialisierung erfahren will, ist daher auch künftig besser mit der in diesen Fragen reichhaltigeren und instruktiveren alten Darstellung bedient. Das vorliegende Werk bietet hier - mit Ausnahme der Schilderung der unmittelbaren Vorgänge zur 1926 erfolgten Gründung der Südzucker AG als Zusammenschluß der Zuckerfabriken Mannheim-Waghäusel, Frankenthal, Stuttgart-Cannstatt, Heilbronn und Offstein (Kapitel 4, S. 85-137) - im Ganzen nur kursorische Informationen (vgl. die recht oberflächliche und unkonzentriert wirkende Einleitung sowie Kapitel 1-3, S. 11-83). Die Entwicklungstendenzen seit dem Zweiten Weltkrieg werden dagegen weit intensiver und wesentlich ausführlicher in der neuen Analyse skizziert.

Zwei unternehmensgeschichtliche Zäsuren treten dabei deutlich hervor. Nach einer Phase des schwierigen Wiederaufbaus in einer durch die prekäre Ernährungslage, eine unzureichende Rohstoffversorgung und die eingeschränkten Verarbeitungskapazitäten gekennzeichneten Situation nach Kriegsende und einer Periode der stetigen unternehmerischen Konsolidierung, einer Steigerung des Rübenanbaus und einer zunehmenden Auslastung der Produktion seit den fünfziger Jahren (beschrieben in Kapitel 6 und 7, S. 215-285) stellte die 1988 vom Bundeskartellamt genehmigte Fusion der Südzucker AG mit der Frankenzucker GmbH Ochsenfurt einen tiefen Einschnitt dar, "das wichtigste Ereignis in der süddeutschen Zuckerindustrie" seit Gründung der Südzucker (S. 295). Die Südzucker AG wurde damit nicht nur in die Spitzengruppe der europäischen Zuckerhersteller katapultiert (drittgrößter Zuckerproduzent nach dem italienisch-französischen Agrarkonzern Feruzzi und der British Sugar-Gruppe). Darüber hinaus zeigt sich in der gelungenen Verschmelzung unter Führung und Präponderanz der Südzucker auch ein interessanter betrieblich-unternehmensorganisatorischer Trend.

Die Frankenzucker war 1951 als ein vornehmlich von den bäuerlichen Rübenanbauern forciertes und von der Süddeutschen Zuckerrüben-Verwertungsgenossenschaft dominiertes verbandlich-korporatives Unternehmensmodell gegründet worden, in Konkurrenz zu den Interessen der in der Südzucker AG repräsentierten und von den Banken gestützten Zuckerproduzenten und -verarbeitern. 1987/88 wurde dieser zweiteilig-gegenläufige Entwicklungspfad unter dem Druck der europäischen Konkurrenz verlassen und letztlich zugunsten des "kapitalistischen", produzentendominierten und auf stetes betriebliches Wachstum zielenden Modells entschieden.

Diese Tendenz fand in den neunziger Jahren ihre fast logische Fortsetzung. In einem zweiten großen Entwicklungsschub erweiterte die Südzucker AG gezielt ihre Beteiligungen, vergrößerte ihre Produktpalette vor allem mit Übernahme der auf die Sparte Speiseeis und Tiefkühlkost spezialisierten Schöller-Holding im Jahr 1994 ganz erheblich und versuchte, den neuen Anforderungen von Globalisierung und veränderter deutschlandpolitischer und weltwirtschaftlicher Lage mit großen Akquisitionen in Belgien (Raffinerie Tirlemontoise), in Österreich und Osteuropa, v.a. Ungarn, Tschechien und Polen (in erster Linie durch Übernahme der Agrana Beteiligungs-AG Wien) sowie in den neuen Bundesländern zu begegnen. Aus einem regional beschränkten Zuckerunternehmen wurde so in zwei Jahrzehnten ein recht breit diversifizierter europäischer Nahrungsmittelkonzern, dessen Aktionsrahmen seit den sechziger Jahren bemerkenswerterweise auch weit mehr und zunehmend von der europäischen Agrar- und Zuckermarktordnung mit ihren komplizierten Produktionsquoten, Preisbestimmungen und Zollsätzen denn durch nationale Vorgaben abgesteckt wurde.

Zu monieren sind an der Studie neben einigen, vermutlich der eingangs erwähnten hohen Produktivität des Autors und seines Teams und der daraus folgenden zügigen Schreibweise geschuldeten Flüchtigkeitsfehlern und Ungenauigkeiten - so gab es z.B. in Bayern keinen König Maximilian IV. (S. 27), die "Bauernbefreiung" fand dort erst 1848 statt (S. 14 f., 30) und der erwähnte bayerische Agrarminister heißt Alois Schlögl (S. 245) - vor allem folgende Punkte: Mit Ausnahme der speziellen Zwangsarbeiter-Problematik fehlt fast durchgehend eine eingehendere Schilderung der Situation der Arbeiterschaft in den Zuckerfabriken (nur sporadische Erwähnungen auf S. 45 f., 62 f., 131 f.).

Auch für die wesentlich breiter dargestellte Besetzung und Rolle der Unternehmensleitung, also von Vorstand und Aufsichtsrat, würde man sich mitunter einen systematischeren prosopographischen Zugriff wünschen, um mehr über Kontinuitäten und Brüche des Sozial- und Karriereprofils zu erfahren. An manchen Stellen vermißt man eine stärkere gesellschafts- und kulturgeschichtliche Unterfütterung, etwa den Blick auf die Zusammenhänge von Landwirtschaft und Industrie und die daraus resultierenden Probleme oder auf die Wandlungen des Zuckerkonsums und der zugrundeliegenden Ernährungsgewohnheiten der Gesellschaft; all dies wird allenfalls am Rande angedeutet. Schließlich scheint mir auch die Verzahnung von Unternehmensgeschichte und Technikgeschichte oft zu gering, obwohl die Entwicklung der einzelnen Fabriken wie des gesamten Konzerns doch ganz erheblich von zuckertechnischen Forschungen und Innovationen, von Produktionsfortschritten oder Anbaumethoden abhängig war und dies etwa auch in der älteren Untersuchung zu Südzucker von 1987 stärker behandelt ist.

Insgesamt freilich erscheint in der Darstellung Pohls ein ausgewogenes Gesamtbild eines Unternehmens, das eher unspektakulär gewirtschaftet hat und in der Öffentlichkeit nur wenig Beachtung findet, das sich aber in aller Stille und sehr zielstrebig zum größten deutschen Nahrungsmittelkonzern und zu einem maßgeblichen Akteur auf dem europäischen Markt gemausert hat. Dabei handelt es sich um keine der lange Zeit üblichen verklärenden Unternehmenshagiographien, sondern um eine kritische, die maßgebliche Forschungsliteratur berücksichtigende und auf einer soliden Quellenbasis (v.a. aus den Unternehmensarchiven von Südzucker und Deutscher Bank) ruhende Darstellung. Sie erfüllt damit wohl nicht die Kriterien der von Toni Pierenkemper geforderten analytischen, dezidiert ökonomisch und stärker wirtschaftstheoretisch akzentuierten Unternehmensforschung, aber sie kommt durchaus den von Pohl selbst gesteckten Zielen einer narrativ angelegten und streng "verwissenschaftlichten" Unternehmenshistorie als Teil der Allgemeingeschichte nach. 3

Anmerkungen:
1 Manfred Pohl, Das Bayernwerk 1921-1996, München-Zürich 1996; Ders. (unter Mitarbeit von Andrea H. Schneider), VIAG Aktiengesellschaft 1923-1998. Vom Staatsunternehmen zum internationalen Konzern, München - Zürich 1998; Ders., Die Lombardkasse Aktiengesellschaft 1923-1998, München - Zürich 1998; Ders., Die Strabag 1923-1998, München - Zürich 1998; Ders., Philipp Holzmann. Geschichte eines Bauunternehmens 1849-1999, München 1999; Ders. / Andrea H. Schneider, Die Rentenbank. Von der Rentenmark zur Förderung der Landwirtschaft. 1923 - 1949 - 1999, München - Zürich 1999.
2 Manfred Pohl, Südzucker 1837-1987. 150 Jahre Süddeutsche Zucker-Aktiengesellschaft Mannheim, Mainz 1987.
3 Manfred Pohl, Zwischen Weihrauch und Wissenschaft? Zum Standort der modernen Unternehmensgeschichte. Eine Replik auf Toni Pierenkemper, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 44 (1999), S. 150-163; dagegen Toni Pierenkemper, Was kann eine moderne Unternehmensgeschichtsschreibung leisten? Und was sollte sie tunlichst vermeiden, in: ebd., S. 15-31.

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