Titel
Aby Warburg. Im Bannkreis der Ideen


Autor(en)
Michels, Karen
Erschienen
München 2007: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
128 S., 47 Abb.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Emden, Department of German and Slavic Studies, Rice University

Seit seiner langsamen Wiederentdeckung in den 1980er-Jahren, spätestens allerdings seit der Publikation einer zu Recht vielgelobten Studienausgabe seiner Schriften, ist Aby Warburg in Deutschland zu einer Art “Gründungsvater” der modernen Kunstwissenschaft geworden.1 Selbst in den jüngsten Diskussionen über die Möglichkeiten und Funktionen einer interdisziplinären “Bildwissenschaft” im Zeitalter digitaler Reproduktion ist Warburgs Präsenz zu spüren, der ja schließlich bereits am Beginn des 20. Jahrhunderts den Horizont der Kunstgeschichte wesentlich erweitert hat – zumindest in den deutschen, oft allerdings auch in den englischen und französischen Kulturwissenschaften markiert der inflationär verwendete Begriff des “visual turn” eben auch eine wiederholte Wendung zu Warburg. Aber auch jenseits der Kunst- und Bildwissenschaft sind Warburgs Arbeiten über die Dynamik kollektiver Imaginationsleistungen und des kulturellen Gedächtnisses von entscheidender Bedeutung; sie sind Teil jener ideengeschichtlichen Konstellation, die um 1900 für die Entstehung einer historischen Kulturwissenschaft als Alternative zur Krise des Historismus gesorgt hat. Kaum verwunderlich ist deswegen, dass die Reaktualisierung der Historismusproblematik in der theoretischen Debatte der Geschichtswissenschaften nicht nur zu einem erneuten Interesse an Max Weber und Georg Simmel, Karl Mannheim, Ernst Cassirer und Walter Benjamin gesorgt hat – auch Warburgs Arbeiten, unterstützt durch den Erfolg des “kulturellen Gedächtnisses” als einer zentralen Kategorie der gegenwärtigen Kulturwissenschaften, haben in diesem Kontext eine Renaissance erlebt. 2 Warburg, das ist kaum zu übersehen, ist glücklicherweise en vogue: das Gebäude der ehemaligen Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg in der Hamburger Heilwigstraße ist inzwischen als “Warburg-Haus” wieder Ort herausragender Forschung zur politischen Ikonographie, zum Reliquienwesen, aber auch zur Geschichte der Kunst- und Kulturwissenschaft in Deutschland – wenngleich die gewissermaßen institutionelle Rückkehr Warburgs in seine Heimatstadt erst Mitte der 1990er-Jahre stattgefunden hat und Warburgs ursprüngliche Forschungen zum “Nachleben der Antike” in konzentrierter Form seit 1934 vor allem am Londoner Warburg Institute betrieben werden.

Trotz dieser eigentlich recht glücklichen Sachlage ist es dennoch recht erstaunlich, dass es lange Zeit gedauert hat, bis Warburgs kunstwissenschaftliche Methoden und kulturwissenschaftliche Denkweisen zum Gegenstand einer ideengeschichtlichen Aufarbeitung geworden sind, die diese im intellektuellen Kontext um 1900 situiert. Erst in den letzten Jahren ist eine Reihe eindrucksvoller wissenschaftlicher Monographien zu Warburg erschienen, die über bloße biographische Anekdoten, imaginäre Bibliotheksbegehungen und das obligatorische Verneigen vor dem kunstwissenschaftlichen “Gründungsvater” hinausgehen: man denke hier z.B. an die Arbeiten von Georges Didi-Huberman und Charlotte Schoell-Glass.3

Karen Michels’ neues Buch zum Thema, so wird schnell offensichtlich, gehört nicht in diese Reihe. Das ist durchaus kein Beinbruch. Was hier vorliegt, ist keine wissenschaftliche Forschungsarbeit im engeren Sinne, sondern ein gelungenes und durchaus spannendes akademisches “coffee table book”, das Warburg einer breiten Öffentlichkeit vorstellen kann. Reich bebildert, mit einem Einband, der an Publikationen des frühen 20. Jahrhunderts erinnert, vom Verlag schön aufgemacht, handelt es sich hier vor allem um ein biographisches Porträt, das die wissenschaftlichen Arbeiten und Methoden Warburgs zwar erwähnt, vor allem aber Warburgs Lebensgeschichte zum Thema hat. Wie gesagt, das ist kein Beinbruch, denn auch gelehrte und populärwissenschaftliche Hagiographie sollte einen Platz in den Geisteswissenschaften haben – in den Naturwissenschaften gibt es das schon lange – und es ist zu hoffen, dass Michels’ Buch gerade außerhalb der Kunst- und Kulturwissenschaften auf ein großes Lesepublikum stößt.

Warburgs Leben ist bekannt und Neues wird hier nicht zutage gefördert: die Hamburger Kindheit zwischen jüdischer Tradition und großbürgerlicher Umgebung; die Studentenzeit in Bonn und Straßburg; die herausragenden Lehrer Carl Justi, Hermann Usener und Hubert Janitschek, die auf unterschiedliche Weise zu Warburgs intellektuellem Werdegang beitragen; die Erfahrung des Antisemitismus im wilhelminischen Deutschland; die wiederholten Aufenthalte in Florenz; die Reise zu den Pueblo-Indianern in New Mexico, die viele Jahre später in der berühmten Vorlesung über das Schlangenritual mündet; die politischen Interessen zur Zeit des Ersten Weltkrieges; die Betätigung in der lokalen Wissenschaftspolitik Hamburgs; die Krankheitsgeschichte in Kreuzlingen; die Entstehung einer öffentlichen kulturwissenschaftlichen Bibliothek aus der sich stets vergrößernden privaten Buchsammlung. Michels erzählt diese Stationen aus dem Leben eines Privatgelehrten so präzise wie elegant. Nebenbei erfährt der Leser auch einige Kuriositäten wie z.B. Warburgs jugendliches Desinteresse am Sport sowie seine studentischen Vorlieben für Schnaps und Gänseleberpastete. Angereichert ist diese biographische Darstellung durch zahlreiche Fotografien, die einen Einblick in Warburgs Familienleben ermöglichen, unter anderem eine wunderbares Porträt der Teddybär-Familie seiner Kinder (S. 67).

Michels betont die Bindung Warburgs an seine Heimatstadt Hamburg und damit auch an das Bankhaus M.M. Warburg. Warburgs Forschungsunternehmen konnte nur erfolgreich sein durch die enormen finanziellen Mittel, die ihm zur Verfügung standen, und die frühe Einsicht in einem Brief vom Juli 1900, “dass der Kapitalismus auch Denkarbeit auf breitester, nur ihm möglicher Basis, leisten kann” (S. 61), stellte zu Recht eine imaginäre Korrespondenz her zwischen dem merkantilen Umfeld des frühneuzeitlichen Florenz und der kaufmännischen Umgebung im wilhelminischen Hamburg. Dieser Beziehung zwischen Geld und Wissenschaft spürt das Buch auf vielfältige Weise nach und auch das Vorwort von Martin Warnke widmet sich diesem Thema: “Selten sind Geist und Geld, intellektuelle und materielle Arbeit eine so fruchtbare Verbindung eingegangen wie in der Beziehung zwischen der Warburg-Bibliothek und der Warburg Bank” (S. 11). Dass diese Verbindung auch in dem vorliegenden Buch selbst auf den Plan tritt, sollte hier nicht verschwiegen werden, denn der Herausgeber, Christian Olearius, ist Sprecher der Gesellschafter von M.M. Warburg & Co., einer der größten deutschen Privatbanken.4

Kurz und gut, Karen Michels’ neues Buch über Aby Warburg ist ein lesenswertes Porträt, das sich nicht zuletzt an eine größere Öffentlichkeit wendet. Der Untertitel, “Im Bannkreis der Ideen”, lässt allerdings mehr zu Warburgs Schriften, Methoden und Denkformen erwarten, die hier nur am Rande auftreten. Die zentralen Arbeiten und Forschungsthemen werden erwähnt und oberflächlich angerissen, aber mehr will das Buch auch nicht leisten. Ein Index wäre dem wissenschaftlichen Leser hilfreich gewesen, aber das Buch ist auch kurz genug, um den Überblick zu bewahren.

Anmerkungen
1 Vgl. Bredekamp, Horst; Diers, Michael; Schoell-Glass, Charlotte (Hrsg.), Aby Warburg. Akten des internationalen Symposions Hamburg 1990, Berlin 1991.
2 Vgl. stellvertretend Oexle, Otto Gerhard, Geschichte als historische Kulturwissenschaft, in: Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 16 (1996), S. 14-40, sowie Raulff, Ulrich, Von der Privatbibliothek des Gelehrten zum Forschungsinstitut. Aby Warburg, Ernst Cassirer und die neue Kulturwissenschaft, in: Geschichte und Gesellschaft 23 (1997), S. 28-43.
3 Vgl. Didi-Huberman, Georges, L’image survivante. Histoire de l’art et temps des fantômes selon Aby Warburg, Paris 2002, und Schoell-Glass, Charlotte, Aby Warburg und der Antisemitismus. Kulturwissenschaft als Geistespolitik, Frankfurt am Main 1998. Leider unveröffentlicht ist bis jetzt Russell, Mark Allan, Aby Warburg and Art in Hamburg’s Public Realm, 1896-1918, Phil. Diss., University of Cambridge, Cambridge 2000.
4 Vgl. Kleßmann, Eckart, M.M. Warburg & Co. Die Geschichte eines Bankhauses, 1798-1998, Hamburg 1999.