H. Wenzel: Mediengeschichte vor und nach Gutenberg

Cover
Titel
Mediengeschichte vor und nach Gutenberg.


Autor(en)
Wenzel, Horst
Erschienen
Anzahl Seiten
312 S.
Preis
€ 59,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rudolf Stöber, Universität Bamberg

Horst Wenzel, emeritierter Mediävist und Kulturwissenschaftler, hat mit seiner Mediengeschichte vor und nach Gutenberg eine Reihe von Aufsätzen wieder vorgelegt, die ursprünglich zwischen 1990 und 2005 in verschiedenen Zeitschriften und Sammelbänden erschienen sind. Eingeleitet wird der Band von einem extra für die Buchpublikation verfassten Literaturüberblick über die Diskussion der Medienumbrüche. Trotz der disparaten Entstehung wirkt das Buch homogen, der Eindruck wird noch durch die pädagogische Leserführung verstärkt: kurze Eingangserläuterungen zu dem nächsten Abschnitt, thesenartige Zusammenfassungen am jeweiligen Schluss. Die Sprache Wenzels ist unprätentiös, das Buch ansprechend und instruktiv bebildert. Man kann es, um ein Thema des Buches zu variieren, linear lesen, muss es aber nicht.

Die zentrale These des Buchs ist vielleicht diese: Neue Medien variieren die alten, setzen sie voraus, mit anderen Mitteln fort und wirken wieder auf die alten zurück. Als wichtigste Medienumbrüche bezeichnet Wenzel die Erfindung der Schrift, des Buchdrucks und der digitalen Medien. Folgerichtig ist das Buch in drei Hauptkapitel untergliedert: 1. „Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit“, 2. „Von der Manuskriptkultur zum Buchdruck“ und 3., allgemein benannt, aber den Bogen von Mündlichkeit/Schriftlichkeit zur digitalen Revolution spannend, „Die alten und die neuen Medien“. Damit umreißt Wenzel zumindest theoretisch die conditio humana. Man kann weder der großen Linie, noch der abstrakten Generalaussage zum Verhältnis alter und neuer Medien widersprechen. Und doch wirkt es merkwürdig, wenn man liest „wie sehr das neue Medium sich in den Kategorien des alten Mediums definiert“ (S. 71). Oder noch ein zweites, ähnlich lautendes Zitat: „Es erscheint als Grundregel der Kommunikationsgeschichte, dass jedes neue Medium sich zunächst dem alten Medium angleicht und erst langsam seine eigenen Möglichkeiten durchsetzt“ (S. 77). Medien agieren nicht, sie sind Kulturtechniken, deren Funktionen von der Gesellschaft bestimmt werden und deren Möglichkeiten von den Nutzern erst entdeckt werden müssen. Daher bin ich überzeugt, dass Wenzels richtige Diagnose mehr Erklärungswert erhält, wenn sie nicht an technizistische Erklärungen à la Friedrich Kittler oder systemisch-leblose à la Michael Giesecke angeschlossen werden, sondern als Dreischritt aus technischer Invention, sozialer Innovation und Diffusion strukturiert werden.

Da das andernorts ausführlich dargestellt wurde, sei hier nur eine Konsequenz für Wenzels Zentralthema, den Medienumbruch Gutenbergs hervorgehoben.1 Wenzel bemerkt zu Recht, dass mit dem Buchdruck der Schriftausstoß sich noch gesteigert habe und führt dies auf den Buchdruck selbst zurück (S. 180-186). Man muss den Buchdruck jedoch als technische Invention begreifen, die dank kultureller Notwendigkeiten quasi in der Luft gelegen hatte: Der seit dem Hochmittelalter stetig wachsende Bedarf an Schriftlichkeit hatte schon vor Gutenberg verschiedene Rationalisierungen der Verschriftlichung hervorgebracht (zum Beispiel Blockbücher). Insofern ist Gutenbergs Erfindung also nicht mehr und nicht weniger als die Apotheose der Schriftkultur und mithin zunächst nur ein besser produziertes altes Medium. Damit aber muss man keine Rückwirkung des Drucks auf den erhöhten Schriftausstoß postulieren. Vielmehr folgte die Expansion des Schriftverkehrs nur dem schon vor Gutenberg einsetzenden Trend. Dass in der Erfindung jedoch wesentlich mehr steckte, erfuhr die Gesellschaft Mitteleuropas spätestens während der Reformation: Dieser Innovationsprozess der sozialen Institutionalisierung des neuen Mediums Presse wird von Wenzel nur in den durchaus wichtigen Flugschriften der Reformation behandelt, die unterschätzte, aber gleichwohl epochale Entwicklung der periodischen Presse auf der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert findet bei ihm – obschon seit Jahrzehnten erforscht – leider keinen Niederschlag.2

Von den Flugschriften stellt Wenzel unter anderem das zentrale „Passional Christi und Antichristi“ ausführlicher dar. Dabei vermag ich ihm nicht zu folgen, wenn er meint: „Die argumentative Kraft der Bilder ist so zwingend, dass es eines Begleittextes gar nicht bedarf“ (S. 208). Die Flugschrift lebt geradezu von der Text-Bild-Kombination. Hätte er die kirchenpolitisch brisanteste zweite Antithese über die Konstantinische Fälschung vorgestellt, wäre das Urteil sicherlich anders ausgefallen.3 Nur am Rande sei notiert, dass geradezu folgerichtig Wenzel in Anschluss an Erdmann Weyrauch das Reformationszeitalter als Geburtsstunde des offenen Briefes begreift. Die Bedeutung des offenen Briefes für Luther, seine Weggefährten und Widersacher ist unbestritten, doch wurde er schon früher mehrfach und mit durchschlagendem Erfolg eingesetzt: zum Beispiel in den hochmittelalterlichen Auseinandersetzungen des Investiturstreits.

In mehreren Kapiteln setzt sich Wenzel mit den Wechselwirkungen von Visualisierung und Verschriftlichung auseinander. Die instruktiven Bildinterpretationen gehören zu den stärksten Passagen des anregenden Buches. Aber auch hier kann sich der Rezensent des Eindrucks nicht erwehren, dass manches auch anders zu interpretieren gewesen wäre. Insbesondere bezweifle ich die bisweilen allzu linear konstruierte Beziehung zwischen den interpretierten Bildwerken. Das mögen jedoch Kunsthistoriker kompetenter beurteilen. Zumindest in einem Fall, gegen Ende des Buches, liefert Wenzel eine drastische Fehlinterpretation: Von der Zentralszene in Michelangelos berühmtem Fresco der Sixtinischen Kapelle, der Beseelung Adams durch göttlichen Fingerzeig, gibt es – neben anderen – eine Adaption von Hans Neleman, „Michelangelo Hand with Robot Hand“.4 Um seine klare Linearität der Verwendung der Hand („Gotteshand“, „Zählhand“, „Schreibhand“, „Intonierungshand“, „Zeichenträgerhand“ in der Zeit des Buchdrucks und der Netzwerkgesellschaft) zu stützen, schreibt Wenzel unter Verweis auf Nelemans Bild: „Die Cyberhand oder der Cyberarm wird zumindest in bildlichen Metaphern als eine Annäherung an die umfassende Macht der Gotteshand verstanden.“ (S. 282) Das Gegenteil ist richtig: Mensch und Schöpfer haben die Position getauscht, Adam haucht jetzt den Cyborgs Leben ein.

Überhaupt vermögen mich die beiden Abschlusskapitel wegen etlicher kulturwissenschaftlicher Beliebigkeiten am wenigsten zu überzeugen. Das tut den übrigen anregenden Teilen aber keinen Abbruch, so dass man das materialreiche und belegdichte Buch auf jeden Fall fast durchgängig mit Gewinn liest.

Anmerkungen:
1 Vgl. Stöber, Rudolf, What media evolution is. A theoretical approach to the history of new media, in: European Journal of Communication, 19 (2004), 4, S. 483-505; ders., Mediengeschichte. Die Evolution „neuer“ Medien von Gutenberg bis Gates. Eine Einführung, 2 Bde., Wiesbaden 2003.
2 Vgl. mit neuesten Forschungsergebnissen: Welke, Martin; Wilke, Jürgen (Hrsg.), 400 Jahre Zeitungen. Ein Medium macht Geschichte. Die Entwicklung der Tagespresse im internationalen Kontext, Bremen 2007.
3 Vgl. Stöber, Rudolf, Martin Luthers „Passional Christi und Antichristi“. Ein Plädoyer für die historisch-systematische Kommunikationswissenschaft, in: Publizistik, 45 (2000), 1, S. 1-19.
4 Abgebildet unter: <http://www.amazon.de/gp/reader/3593352419/ref=sib_dp_pt/303-1901850-6509015#reader-page> (10.12.2007).

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