S. Nolte: Steinbruch - Werkstatt - Skulptur

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Titel
Steinbruch – Werkstatt – Skulptur. Untersuchungen zu Aufbau und Organisation griechischer Bildhauerwerkstätten


Autor(en)
Nolte, Silvia
Reihe
Beihefte zum Göttinger Forum für Altertumswissenschaft 18
Erschienen
Göttingen 2006: Edition Ruprecht
Anzahl Seiten
XV, 320 S., 118 Taf.
Preis
€ 99,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Simone Vogt, Kassel

Die 1996 an der Freien Universität Berlin abgeschlossene Dissertation von Silvia Nolte ist der Kunstproduktion antiker griechischer Steinbildhauer gewidmet. Bereits im gleichen Jahr auf Mikrofiche veröffentlicht, kommt die nun vorliegende gedruckte Publikation dem Wunsch nach besserer Zugänglichkeit nach. Die in der Zwischenzeit erschienene Literatur wurde aber nicht berücksichtigt. Silvia Nolte untersucht in ihrer Abhandlung die technischen und logistischen Umstände der Skulpturenproduktion in archaischer bis hellenistischer Zeit und baut dabei auf einer Reihe von Arbeiten der 1980er- und 1990er-Jahre auf, die sich mit Herstellungsprozessen antiker Kunst beschäftigen. Die Fertigung von Bronzewerken ist dank jüngerer Forschungen inzwischen gut bekannt. Auch die Steinbrüche als Rohstoffquellen der Bildhauer stehen im Zentrum zahlreicher Publikationen. Wichtige Erkenntnisse wurden über die Herstellung von Sarkophagen und Architekturteilen gewonnen.1 Diese möchte Silvia Nolte „auf einen weiteren Bereich der antiken Kunstproduktion ausdehnen und anhand der Fertigungsprozesse von Steinplastik den Aufbau und die Organisation griechischer Bildhauerwerkstätten beleuchten“ (S. 2). Nolte geht also über eine rein technologische Fragestellung hinaus und richtet ihr Interesse in einem zweiten Schritt auf sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Aspekte wie Rohstoffgewinnung, Transportmöglichkeiten, Arbeitsteilung in der Werkstatt oder Rationalisierungen.

In der Einleitung erläutert die Autorin ihren Untersuchungsgegenstand, der aufgrund der kaum aussagekräftigen literarischen, epigraphischen und bildlichen Quellen hauptsächlich die materiellen Hinterlassenschaften ins Zentrum rückt. Sie setzen sich zusammen aus den „unvollendeten Skulpturen, Werkzeugen, Arbeitsspuren in den Steinbrüchen, Spuren der Transportvorgänge sowie Werkstattbauten und dem Abraum der Werkplätze“ (S. 5). Silvia Nolte konzentriert sich auf Skulpturen aus Marmor – rundplastische und Reliefs – und die Arbeitsabläufe in den Marmorbrüchen, so dass erstmals unvollendete Skulpturen, Steinbrüche und Werkstätten in einem zusammenhängenden Themenkomplex untersucht werden.

Auf die Einleitung folgt ein ausführlicher Katalog unvollendeter Plastik, der etwa ein Drittel des ganzen Buches einnimmt. Aus der unüberschaubar großen Menge griechischer Skulpturen mit Werkzeugspuren greift Silvia Nolte auf nachvollziehbare Weise eine Gruppe heraus, die sich anhand der von Thanassis E. Kalpaxis aufgestellten Kriterien als unfertig erweisen. Bei diesen Skulpturen ist „das Unfertige ohne größeren Aufwand des Betrachters optisch wahrnehmbar“; „das Unfertige muß beim Betrachter die Empfindung erwecken, ein materieller Entstehungsprozeß sei frühzeitig abgebrochen worden“ (S. 5). Alle Katalognummern werden im Hinblick auf Arbeitsstadium und Werkzeugspuren minutiös beschrieben. Leider sind die Beschreibungen für den Leser nicht immer nachvollziehbar, weil die Abbildungen dies nicht zulassen. Vor allem bei besonders interessanten Stücken wie einer Büste in Athen (Nr. 71) ist die schlechte Abbildungsqualität zu bedauern. Der Katalogteil schließt mit den unvollendeten Reliefplatten vom Telephosfries am Pergamonaltar ab. Hier vertritt Nolte im Gegensatz zur bisherigen Forschung die Meinung, dass die Reliefs vor dem Versatz am Bau weitgehend ausgearbeitet waren.

Eine aus drei Teilen bestehende Synthese und Auswertung folgt dem Katalog: Silvia Nolte stellt einen zeitlichen Wandel in der Arbeitsweise der Bildhauer fest, der jedoch nicht mit den von Carl Blümel festgestellten und seitdem kaum in Frage gestellten Veränderungen übereinstimmt.2 Das freie Meißeln aus dem Stein wird nach Einschätzung Noltes in hellenistischer Zeit von dem Punktierverfahren nach einem Modell verdrängt. Innerhalb dieser beiden Verfahren können jeweils die Block- oder Relieftechnik zur Anwendung kommen, also die von Beginn an rundherum ausgeführte Bearbeitung oder das von einer Seite ausgehende Modellieren. In Bezug auf die wichtige Frage der Arbeitsteilung sind allerdings nur Vermutungen möglich, da die unvollendeten Skulpturen eben doch keine sichere Aussage zulassen. Das Punktierverfahren erlaube zwar eine Aufgabenteilung in der Werkstatt (S. 151), ob diese tatsächlich praktiziert wurde, wissen wir nicht.

Bessere Auskunft geben die unvollendeten Skulpturen über eine veränderte Anwendung der Werkzeuge und die Gründe dafür. Im Späthellenismus wurde zunehmend der laufende Bohrer eingesetzt, und die Palette der verwendeten Meißel verkleinerte sich, was sicherlich das Arbeiten beschleunigte und auf die verstärkte Nachfrage nach Skulpturen zurückzuführen ist. Auch über das Arbeiten mit Modellen kann Silvia Nolte aufgrund der Analyse unfertiger Skulpturen Aussagen machen: Sie geht zwar davon aus, dass bereits in archaischer Zeit mit dem Punktierverfahren nach Modellen gearbeitet wurde (S. 184), doch erst aufgrund der gestiegenen Nachfrage nach Skulpturen im späten Hellenismus wurde das Dreizirkelpunktierverfahren entwickelt. Erst jetzt entstanden großformatige Modelle im Maßstab 1 : 1, die in großer Zahl kopiert werden konnten. Dieses Verfahren ermöglichte zugleich ein rationelles Vorgehen, bei dem einzelne Arbeitsschritte auf verschiedene Personen übertragen werden konnten.

Der zweite Hauptteil der Dissertation beschäftigt sich mit den Steinbrüchen, den Werkstätten sowie dem Transport und der Aufstellung der Skulpturen. Die Steinbrüche auf Naxos nehmen in der Untersuchung einen größeren Raum ein, während die Brüche des Penteli und auf Thasos nur kurz behandelt werden. Silvia Nolte kann überzeugend darlegen, dass in den naxischen Brüchen bereits in archaischer Zeit die so genannte Pointillé-Technik angewendet wurde, also das Herauslösen des Blocks nur mit der Spitzhacke (S. 198). Bislang wurde diese Technik erst für die byzantinische Zeit vermutet. Zur Organisation der Arbeit in den Steinbrüchen wird von einem weitgehend individuellen und vielfältigen Verfahren zu allen Zeiten ausgegangen. In archaischer Zeit konnte das Werkstück schon im Bruch bis zu einem weit fortgeschrittenen Stadium ausgearbeitet sein. Eindrucksvoll sind die Berechnungen über den zeitlichen Aufwand bei der Blockgewinnung. Über eine mögliche Verteilung der Arbeit auf verschiedene Personen in Steinbruch und Werkstatt sind dagegen nur Vermutungen möglich.

Im Anschluss an die Betrachtung über die Möglichkeiten des Transports und der Aufstellung von großformatigen Skulpturen ist das letzte Kapitel vor dem Schlussteil den Werkstattbauten gewidmet. Silvia Nolte stellt Kriterien auf, die zur Identifizierung einer Werkstatt führen können, nämlich Funde von unfertigen Produkten, Marmorsplitt, Werkstatteinrichtungen und die Architektur eines Gebäudes. Da nur mehrere Kriterien gemeinsam zur sicheren Bestimmung einer Werkstatt führen können, werden nur wenige Gebäude in die Untersuchung aufgenommen. Bei strikter Einhaltung der Kriterien hätten allerdings auch das Haus des Kerdon und das Haus des Diadumenos auf Delos nicht einbezogen werden dürfen. Eine wichtige Erkenntnis aus diesem Kapitel ist, dass in einer Werkstatt verschiedene Techniken angewendet werden konnten (S. 289), was die Identifizierung von Skulpturen aus einer gemeinsamen Werkstatt erschwert.

In den Schlussbetrachtungen werden die Ergebnisse zusammengefasst und weitergehende Schlüsse gezogen. Stichhaltig sind die Erkenntnisse zur Entwicklung der Fertigungstechnik. Dagegen muss die Aussage, dass die Verwendung von Modellen und das Punktierverfahren mit drei Zirkeln in hellenistischer Zeit die Massenproduktion vorangetrieben habe, differenziert werden. Das komplizierte und zeitaufwändige Verfahren spricht für den Wunsch nach einer möglichst exakten Wiedergabe eines Modells. Darüber hinaus können trotz der gründlichen Beobachtungen nur wenige der eingangs formulierten Fragen nach Aufbau und Organisation der Werkstätten eindeutig beantwortet werden; Material- und Befundbasis lassen nach wie vor zu wenige sichere Aussagen zu. Silvia Nolte stellt zahlreiche kluge Überlegungen an, die letztlich aber im Bereich des Wahrscheinlichen bleiben müssen; das Ziel der Arbeit wird daher nur zum Teil eingelöst. Die gewünschten Ergebnisse sind möglicherweise eher im Rahmen der experimentellen Archäologie zu gewinnen, auf die Silvia Nolte selbst in ihrem Ausblick verweist: Man bedenke etwa die wichtigen Resultate, die Edilberto Formigli experimentell für den Bronzeguss erzielen konnte.3 Lohnend bleiben letztlich zahlreiche Schlüsse und Überlegungen im Kleinen und am Rande. Dabei sind unbedingt einige der ausführlichen Fußnoten zu beachten (zum Beispiel die Anm. 312).

Anmerkungen:
1 Zum Beispiel: Zimmer, Gerhard, Griechische Bronzegusswerkstätten, Mainz 1990; Herz, Norman; Waelkens, Marc; Moens, Luc (Hrsg.), Ancient Stones. Quarrying, Trade and Provenance, Leuven 1992.
2 Blümel, Carl, Griechische Bildhauerarbeit, Berlin 1927, S. 4 u. 11; ders., Griechische Bildhauer an der Arbeit, 3. Aufl., Berlin 1943, S. 16 u. 39.
3 Formigli, Edilberto (Hrsg.), I grandi bronzi antichi. Le fonderie e le techniche di lavorazione dall’età arcaica al Rinascimento, Siena 1999.

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