Titel
Men in the Middle. Searching for Masculinity in the 1950s


Autor(en)
Gilbert, James
Erschienen
Anzahl Seiten
Preis
€ 31,09
Rezensiert für Clio-online und H-Soz-Kult von:
Jürgen Martschukat, Lehrstuhl Nordamerikanische Geschichte, Universität Erfurt

Es gehört mittlerweile zu den Binsenweisheiten historischer Forschung, dass auch Männer ein Geschlecht haben und Männlichkeitsentwürfe Teil historisierbarer Gesellschafts- und Geschlechterordnungen sind. Ähnlich wie die Gendergeschichte Männlichkeit als Forschungsgegenstand aufgegriffen und integriert hat, so hat sich die Geschichte der Rassenkonzepte und des Rassismus in den letzten Jahren zunehmend des „Weißseins“ angenommen, Sexualitätshistoriker und –historikerinnen haben den Blick auch auf Heterosexualität gerichtet, und Geschichten, die „class“ als Analysekategorie verwenden, befassen sich schon lange nicht mehr nur mit der Arbeiterklasse. Die Meinungen über den Nährwert und die Effekte dieser Verschiebungen sind kontrovers. Was den einen als notwendige historiografische Erweiterung gilt, die den Weg zu einem umfassenden Verständnis vielschichtiger und relationaler Gesellschaftsordnungen konsequent weiter beschreite, erscheint den anderen als „akademisches Viagra“, das letztlich dabei behilflich sei, weiße, heterosexuelle Männer der Mittelklasse wieder in das Zentrum historischer Betrachtung zu rücken.1

James Gilbert von der University of Maryland lässt keinerlei Zweifel daran aufkommen, dass es genau diese weißen heterosexuellen Mittelklasse-Männer sind, die ihn interessieren: „Men in the Middle“ heißt sein jüngst erschienenes Buch über die USA in den 1950er Jahren. Dabei kann der Titel durchaus unterschiedlich gelesen werden. Er mag einerseits signalisieren, dass Männer, die dem hegemonialen Geschlechterentwurf am nächsten kommen und somit eine zentrale Position in der Gesellschaftsordnung einnehmen, auch im Zentrum des Buches stehen. Zugleich schreibt James Gilbert die Geschichte derjenigen Mainstream-Männer, die zwischen den männlichen Extremfiguren der 1950er-Jahre standen – eben „in the middle“. Weiße, zumindest scheinbar „straighte“ Männer waren in aller Regel weder angepasste Konformisten in grauen Flanellanzügen noch hypermaskuline Leinwandcowboys à la John Wayne, sondern von zahlreichen Schattierungen geprägte Figuren.

Das Porträt, das James Gilbert von den konservativen und familienzentrierten Fifties zwischen Vorstädten und Massenkultur zeichnet, ist entsprechend vielschichtig und feinsinnig. Er liest zwischen den Zeilen, meidet Stereotypisierungen, wo immer es geht, skizziert komplexe Charaktere und gibt so den Blick auf mannigfaltige Geschlechtersentwürfe frei, die weißen Mittelklassemännern als Orientierung dienten. Entsprechend lässt er keinen Zweifel daran, dass er das pauschalisierende Konzept einer grassierenden “Männlichkeitskrise” oder einer “male panic” als wenig ertragreich erachtet: „Unlike the advocates of male panic and gender crisis interpretation, however, I hope to lift the discussion beyond these categories, to show that by and large, middle-class men during the decade had a rich and often contradictory range of images and personality aspirations available to them in public culture where we have asserted their absence – models to emulate who were not just cowboys, war heroes, Marlboro men, or athletes.” (S. 33)

Die folgenden Kapitel kreisen dann um verschiedene männliche Charaktere; Männer, die nicht unbedingt in der vordersten Reihe standen, die die 1950er-Jahre aber alle auf ihre Weise prägten. Da ist erstens der Sozialwissenschaftler David Riesman zu nennen, der zu Beginn der Dekade seine berühmte Studie über die „Lonely Crowd“ publizierte, die das Dilemma fremdbestimmter (und somit „feminisierter“) Männer in einer von Massenkultur geprägten Gesellschaft der 1950er-Jahre aufwarf. In den Augen der Zeitgenoss/innen erschien Riesman die Quintessenz US-amerikanisch-männlichen Daseins dieser Jahre zu erfassen. Auch der Zoologe und Sexualwissenschaftler Alfred Kinsey warf zentrale Fragen über die US-amerikanische Kultur und Gesellschaft auf. Dessen 1948 erschienene Studie über das Sexualverhalten des US-amerikanischen Mannes nahm die Bestsellerlisten im Sturm, und zwar obgleich sie in der Darstellung recht sperrig daherkam. Das Buch brachte verwirrend uneindeutige Ergebnisse zu Tage und damit dominierende Männlichkeitsbilder weiter ins Wanken. Die entsprechende Publikation über amerikanische Frauen folgte wenige Jahre darauf. Nach Kinsey erschien „Normalität“ vielen Amerikanerinnen und Amerikanern nurmehr wie ein äußerst unsicherer Standard, denn deren Spektrum war offensichtlich deutlich breiter, als man angenommen hatte und umfasste vielfältige sexuelle Erfahrungen.

Weitere zentrale Figuren in Gilberts Darstellung sind der Prediger Billy Graham, der sich selber als lebendes Beispiel evangelikaler Männlichkeit inszenierte, oder auch Ozzie Nelson aus der so erfolgreichen TV-Sitcom „The Adventures of Ozzie and Harriet“. Ozzie gab nicht auf in dem Bemühen, sich als moderner Vater oder auch als Patriarch zu inszenieren, auch wenn er wieder und wieder in dieser für Männer so verwirrenden Welt der Frauen, Kinder und des Konsums scheiterte. Dabei würde er sich eigentlich, wie Gilbert betont, in seinem „entmännlichten“ Leben der Häuslichkeit recht gern arrangieren wollen, wenn er nicht von den vielen Erwartungen an „rechtes Mannsein“ immer wieder anderweitig gefordert würde. Die Unmöglichkeit eindeutigen Mannseins steht auch im Zentrum des Kapitels über Tennessee Williams und Brick Pollitt, den Protagonisten seines berühmtesten Dramas „The Cat on a Hot Tin Roof“, das 1955 auf dem Broadway uraufgeführt wurde. Brick, der in Richard Brooks’ Filmversion aus dem Jahr 1958 von Paul Newman dargestellt wurde, erscheint als konventioneller männlicher Held in jeder Hinsicht gescheitert. Doch zugleich demaskiert er die Vorstellung als Trugbild, es gäbe eine Essenz richtigen Mannseins als Sohn, Erzeuger und Versorger.

Um Richard Auguste Comte Spectorsky ist das letzte Kapitel aufgebaut. Bekannter als Spectorsky selbst dürfte wohl das Playboy-Magazin sein, das er als Managing Editor von 1956 an wesentlich gestaltete. Spectorsky verfolgte die Mission, Konsum zu sexualisieren und als männlich zu markieren. Dabei sollte er zugleich Hugh Hefners Softcore-Blättchen den Touch eines Forums zeitgenössischer Gesellschaftsanalyse verleihen. In der Regel mündeten die Gesellschaftsanalysen des Playboy in der Diagnose eines zunehmend „verweiblichenden“ Amerikas, einer „she-tyranny“ und der Klage über die angebliche substanzielle Krise amerikanischer Männer und ihrer Männlichkeit. Dass diese angebliche „Krise der Männlichkeit“ mit einer Krise der Gesamtgesellschaft gleichgesetzt wurde, liegt auf der Hand.

Gilbert zeigt in seiner Studie über „Men in the Middle“, dass das Gerede über eine Krise, über „Momism“, „Togetherness“, „Trousered Mothers and Dishwashing Dads“ und die Entmännlichung Amerikas in den 1950er-Jahren nicht nur im Playboy-Magazin, sondern an vielerlei Stellen und in vielerlei Facetten äußerst präsent war. Doch Gilbert wird nicht müde zu betonen, dass innerhalb eines relationalen Geschlechtersystems mit vielfältigen Entwürfen von Männlichkeiten und Weiblichkeiten die Krise der Einen die Chance der Anderen sein konnte. Verschiedene Entwürfe des Mannseins und des Frauseins und ihres Zusammenlebens entfalteten sich, zirkulierten und verfestigten sich zugleich. Das Bild war vielfältiger, als es auf einen ersten Blick erscheinen mochte und mag. Auch die treffliche Frage, ob sich nicht viele Männer in ihrem alltäglichen Leben zwischen Vorstadtheim, Konsumwelt und gleichförmigen Arbeitsrhythmus in den großen Korporationen gut und gerne eingerichtet hätten, stellt die Reichweite der Krisendiagnose in Frage. Doch diese Erinnerung an die notwendige Unterscheidung zwischen der Normierung einerseits und dem Alltagsleben US-amerikanischer Männer und Frauen während der 1950er Jahre andererseits bleibt eine Anregung, die in zukünftigen Projekten aufzugreifen wäre. Dies gilt auch für das „Weißsein“ dieser Männer. Das zunehmende Drängen der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung und dessen Bedeutung für die Restrukturierung der Geschlechter- und Gesellschaftsordnung taucht in Gilberts Studie kaum auf. Es bleibt zu hoffen, dass eine Studie, die ähnlich überzeugend wie James Gilberts „Men in the Middle“ argumentiert und dabei „Gender“ und „Race“ in ihren multiplen Verschränkungen während der Nachkriegsdekaden aufzeigt, in nicht allzu ferner Zukunft geschrieben werden wird.2

1 Traister, Bryce, Academic Viagra. The Rise of American Masculinity Studies, in: American Quarterly 52.2 (2000), S. 274-304; Wickberg, Daniel, Heterosexual White Male. Some Recent Inversions in American Cultural History, in: Journal of American History 92.1 (2005), S. 136-159; vgl. zusammenfassend: Martschukat, Jürgen; Stieglitz, Olaf, „Es ist ein Junge!“ Einführung in die Geschichte der Männlichkeiten. Tübingen 2005.
2 Ein äußerst gelungenes Modell bietet hier: Bederman, Gail, Manliness & Civilization. A Cultural History of Gender and Race in the United States, 1880-1917. Chicago/IL 1995.

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