H. G. Hiller v. Gaertringen (Hg.): Das Auge des Dritten Reiches

Cover
Titel
Das Auge des Dritten Reiches. Hitlers Kameramann und Fotograf Walter Frentz


Herausgeber
Hiller von Gaertringen, Hans Georg
Erschienen
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Guenter Agde, Berlin

In den Debatten über die Bildermacher des Dritten Reiches wurde in den letzten Jahren die Filmregisseurin Leni Riefenstahl (1902 - 2003) am meisten genannt, die mit ihren Filmen wesentlich dazu beigetragen hat, das Medienbild des NS-Regimes zu prägen. Der Feuilleton-Furor war groß, als das Filmmuseum Potsdam 1999 eine umfangreiche Ausstellung über ihr Leben und Werk ausrichtete.1 Mit dem hier zu rezensierenden Buch wird man – und muss unbedingt! – über einen weiteren Bildermacher diskutieren, über Walter Frentz (1907 - 2004), Fotograf und Kameramann, dessen Bilder zwar weithin bekannt sind, dessen Leben und Werk bisher jedoch noch nicht gründlich dargestellt worden sind. Der Sammelband begleitet keine Ausstellung und keine Filmretrospektive, wie dies bei Riefenstahl der Fall war. Freilich wurden viele Fotos, die Frentz vor 1945 gemacht hat, in opulenten Bildbänden auch aus rechtsextremen Kreisen nachgedruckt, oft ohne Kenntnis von Urheberschaft und Kontext. 2 Der Sohn Hans-Peter Frentz hat das reich sortierte Archiv des Vaters den Autoren und Herausgebern äußerst großzügig zur Verfügung gestellt, eine bestens genutzte Voraussetzung.

Zunächst bestechen die Fülle und die Qualität der Fotos. Ganzseitige schwarze Fonds schärfen den Blick für einzelne Fotos, und der Abdruck von Kontaktbögen nebst handschriftlichen Eintragungen des Fotografen erzeugt eine Art Verfremdungseffekt, die für den Gegenstand unbedingt nötig ist. Zugleich erhält man eine Ahnung von Frentz’ Werkstatt.

Zweitens ist die Struktur des Bandes hervorzuheben. Matthias Struch referiert einleitend die Biografie von Frentz, sachlich und so ausführlich, wie dies auf der Basis seriöser Quellen möglich ist. Diesem soliden Fundament folgen Einzelstudien (ergänzt durch geschlossene Fototeile), die die prägenden Phasen in Vita und Werk analysieren und die sowohl die militärhistorischen wie die medialen Komponenten plausibel zu verknüpfen wissen. Dabei scheinen allerdings Redundanzen auf: Struchs Angaben zu einzelnen Etappen der Frentz-Biografie nehmen die separaten Aufsätze mehr oder weniger auf, variieren und wiederholen sie. Dies geschieht auch bei Bildlegenden. Hier hätte ein strenges Lektorat im besten Sinne bereinigen können, wie es auch Lapsi à la „bestgehütest“ (S. 138) hätte korrigieren müssen.

Frentz debütierte mit Fotos und Filmaufnahmen, die er aus seinem Kajak heraus machte. Dieses Drehen mit der Handkamera in freier Bewegung, die damit verknüpfte subjektive Sicht und enorme Beweglichkeit brachten eine neue Optik in Film und Foto der frühen 1930er-Jahre ein, vergleichbar durchaus mit den zeitgleichen Kameraleistungen der Bergfilmer um Arnold Fanck. Frentz’ seinerzeit Aufsehen erregende Kajakfahrten-Filme nahm der mächtige Kinokonzern Ufa in seinen Vertrieb, für den Amateur quasi ein Ritterschlag des kommerziellen Kinobetriebs. In seinem Film „Hände am Werk“ (1935) sind filmavantgardistische Ambitionen zu erkennen, die Karl Stamm (der Nestor der filmhistorischen Forschung zu NS-Wochenschauen) als Navigation zwischen Avantgarde und Propaganda charakterisiert (S. 50ff.). Ein früher Kajakkamerad namens Albert Speer empfahl Frentz an Leni Riefenstahl, als diese ihren ersten Film für die NS-Machthaber vorbereitete: „Der Sieg des Glaubens“ (1933). Auch an weiteren Filmen für die Nationalsozialisten war Frentz beteiligt („Tag der Freiheit – unsere Wehrmacht“, Regie Leni Riefenstahl, 1935, „Der Feldzug in Polen“, Regie Fritz Hippler 1939/40). Für Riefenstahls Olympia-Filme „Fest der Völker“ und „Fest der Schönheit“ (1936-38) drehte er die Komplexe Stabhochsprung, Marathonlauf, Ruderregatta und Segeln, die zweifellos zu den eindrucksvollsten Szenen der Filme gehören. Darüber schreibt Jürgen Trimborn in seinem Beitrag „Ein Meister der subjektiven Kamera, Karriere im Windschatten Leni Riefenstahls“ (S. 69ff.).

Diese filmischen Zeugnisse einer außerordentlichen Begabung empfahlen Frentz für „Aufnahmen vom Führer“. Ab 1939 bis zum Ende des Regimes hat Frentz in unmittelbarer Nähe zu Hitler gearbeitet: Ihn und seine Entourage hat er viel gefilmt und fotografiert. Zudem hat er die NS-Wochenschau mit Sequenzen beliefert – die Filmografie, ebenfalls von Matthias Struch erarbeitet, nennt 71 gesicherte, veröffentlichte Wochenschau-Beiträge für die Jahre 1939 bis 1945. Frentz’ berühmtestes Sujet war in der letzten NS-Wochenschau (Nr. 755 vom März 1945) zu sehen: Hitler verleiht im Garten der Reichskanzlei Orden an ein Häuflein Hitlerjungen, zugleich die letzten Aufnahmen von Hitler selbst. Wünschenswert wären für die Filmografie die Angaben der Längen, der Standorte und der Verfügbarkeiten der Kopien gewesen.

Frentz war weitgehend verwehrt, für seine Kamera zu inszenieren. Seine Nähe zu den NS-Größen gestattete ihm nur, abzufilmen, was im inneren Zirkel der NS-Macht ablief – Empfänge, Beratungen, Besuche von Waffenvorführungen mit Militärs und Wirtschaftsgrößen, auch unsäglich Belangloses. So bildete er harmonisierende Situationen ab und platzierte seinen szenischen Mittelpunkt und „Helden“ Adolf Hitler. Er arrangierte nicht, sondern war dem Arrangement der NS-Größen ausgeliefert – und suchte solange in deren Inszenierungen, bis er den optimalen, das heißt am meisten harmonisierenden Aufnahmestandort gefunden hatte. So bediente er die Selbstsicht der Nazis und gestaltete sie zugleich mit. Einerseits ermöglichte ihm die Handkamera große Subjektivität, andererseits fügte er diese Subjektivität in die Harmonie- und „Gefälligkeits“- Bildkultur der Nazis ein.

Frentz’ Intimität zur Macht und sein Können animierten Albert Speer, ihn an geheime Spezialaufträge zu binden: Aufnahmen von V2-Starts und von der Raketenproduktion im unterirdischen KZ-Außenlager Dora-Mittelbau. Auch hier sind Frentz’ Bilder aufschlussreich: Sie zeigen KZ-Häftlinge als Fachleute und Handwerker bei der Montage und blenden Elend und Tod vollständig aus, obwohl Frentz dies vor Ort wahrgenommen haben muss. Auch hier erweist sich Frentz’ Geschick, exakt zu fotografieren und den Gefallensbedarf der Nazis zu bedienen. Nur wenige Monate später haben amerikanische Frontkameraleute die Gegenbilder gedreht: die Elendsgestalten der Häftlinge bei der Befreiung des Lagers. 3 Frentz hat nach 1945 seine Karriere nahezu nahtlos fortgesetzt: Nach kurzer Internierung drehte er weiter Filme und hielt zahllose Dia-Vorträge, bei denen er unbekümmert viele seiner NS-Fotos zeigte.

Alle Autoren des Bandes haben erkennbar die Diskussionen um die Hamburger Wehrmachtsausstellung rezipiert: Sie datieren penibel und klären minutiös Umstände und Hintergründe von Fotos oder Filmsequenzen, von Schauplätzen und militärischen Kontexten auf, und wo sachliche Unschärfen aufscheinen, benennen sie diese als solche. Mustergültig stellt in diesem Sinne Klaus Hesse das wohl heikelste Kapitel in Frentz’ Laufbahn dar, den Besuch Himmlers und seines Stabs im August 1941 in Minsk (S. 179ff.). Himmler und seine Leute haben dort an einer Hinrichtung von mehreren Hundert Russen teilgenommen. Diese Inspektion gilt in der NS-Forschungsliteratur als Kulminationspunkt insofern, als Himmler hernach effektivere Vernichtungsmethoden befahl. Frentz hat bei Himmlers Expedition fotografiert, aber hat er auch gedreht? Und wenn ja, was ist mit seinem Film geschehen? Er war Mitwisser, was er nach 1945 geschickt vernebelte. Ein Mittäter war er nicht, aber ein spezialisierter Komplize, der seine große Begabung ohne Skrupel an Verbrecher auslieferte.

Gegen Ende der NS-Zeit machte er – merkwürdig genug – Trümmerfotos aus deutschen Städten, darunter ein melancholisch-ernstes Bild seiner Mutter: im Profil am Fenster mit weitem Durchblick auf das zerstörte Stuttgart, seine Heimatstadt. Und ein Panoramafoto der vollkommen leeren Autobahn München-Salzburg, dem Zubringer zum Berghof, den Frentz oft mit Hitler gefahren war.

Der Sammelband über den an Widersprüchen reichen „Kameramann des Führers“ überzeugt in seiner unemotionalen Sachlichkeit der Darstellung und präzisen Zusammenschau von Fotos und abfotografierten historischen Ereignissen und bildet einen weiteren seriösen Baustein für die fortschreitende Ausleuchtung der Ikonografie des „Dritten Reiches“ (wie dies jüngst auch bei der Schweriner Breker-Ausstellung zu beobachten war). Vor allem lädt das Buch zur weiteren Kontextualisierung der Frentz-Bilder ein. Freilich müssten dann unbedingt die Filme Frentz’ (einschließlich seiner Sujets in den NS-Wochenschauen) einbezogen und analysiert werden und dies nicht nur, weil die Untersuchung der „Osmose“ zwischen Fotos und Filmen Frentz’ in dem Buch deutlich zu kurz kommt.

Anmerkungen:

1 Leni Riefenstahl, hg. vom Filmmuseum Potsdam, Henschel Verlag Berlin 1999.
2 Ob Gerhard Pauls These wirklich stimmt, dass Frentz’ Fotos erst durch Nachdrucke nach 1945 in extrem rechten Publikationen populär geworden seien, muss einstweilen dahin gestellt bleiben. Vgl.: Gerhard Paul, Wie die Nazis sich selbst sahen, in: DIE ZEIT Nr. 44 vom 26. Oktober 2006, S. 74.
3 Der 8-minütige Schwarzweiß-Film wird unter dem Titel „Concentration Camp Nordhausen. Germany“ im National Archives, Washington DC, Archivsignatur 111 ADC 3964, aufbewahrt. Die Aufnahmen sind auf den 12. April 1945 datiert.

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