A. Esch: Wiederverwendung von Antike im Mittelalter

Cover
Titel
Wiederverwendung von Antike im Mittelalter. Die Sicht des Archäologen und die Sicht des Historikers


Autor(en)
Esch, Arnold
Reihe
Hans-Lietzmann-Vorlesungen 7
Erschienen
Berlin 2005: de Gruyter
Anzahl Seiten
88 S.
Preis
€ 14,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harald Müller, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Dieses Buch handelt von Spolien, von antiken Gegenständen, die im Mittelalter auf unterschiedlichste Weise wiederverwendet wurden. Sie dienten dadurch praktischen oder ästhetischen Zwecken, vor allem aber wurden sie durch diese Um- und Weiternutzung vor dem Untergang bewahrt – transformiert, aber erhalten! Denn, wie Esch mehrfach betont: Antikes, das nicht von Erde oder wie Pompeji von Asche bedeckt war, ging im Regelfall im Laufe der Zeit verloren. Damit thematisiert der Band also zugleich die Rolle des Mittelalters als Instanz des Bewahrens und sogar Auslesens des materiellen Erbes der Antike.

Esch, hoch angesehener Mediävist, Italienkenner und ehemalige Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom, kann sich dem im doppelten Sinne monumentalen Thema nur auf dem eng bemessenen Raum von 50 Oktavseiten widmen, denn es handelt sich um den Abdruck eines Vortrages, den Esch 2003 in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften im Rahmen der Hans-Lietzmann-Vorlesungen gehalten hat. Dementsprechend sind davor eine Einleitung und eine Laudatio auf die Vortragenden platziert. Zu erwarten steht also in erster Linie ein Problemaufriss.

In souveräner Manier durchschreitet Esch die Landschaften Italiens, um an Wegesrändern, in Klöstern und Palazzi, Wehrmauern und Kirchtürmen die Wiederverwendung antiker Steine, Inschriften, Skulpturen aufzuspüren und zu charakterisieren. Dabei interessiert ihn nicht nur das technische Wie, sondern stärker das tiefer liegende Warum dieser Benutzung antiker Überreste. An historischen Eckdaten liefert er wenig: Spolien wurden immer verbaut, von der Mitte des 11. Jahrhunderts an aber mit deutlich höherem Gespür für Qualität und Ästhetik, schließlich vom 13. Jahrhundert an mit rückläufiger Tendenz. Im Vordergrund stehen systematische Beobachtungen. Wiederverwendung kann wahllos und unbedacht erfolgen oder primär am materiellen Nutzwert orientiert: Römische Quader waren gerade und stabil, aus einer Säule ließ sich ein Taufbecken machen. Wiederverwendung kann aber auch unter anderen Vorzeichen stehen, denn meist wurden die alten Stücke aus ihrem ursprünglichen Funktionszusammenhang gelöst. Warum etwa versteckte man spoliierte römische Inschriften nicht in der mittelalterlichen Wand, indem man nur deren steinerne Rückseite präsentierte? Der Betrachter sollte die Inschrift sehen, sie spendeten dem Neubau offenkundig Prestige oder zumindest eine exotische Note. Die gesamte Bandbreite möglicher Wiederverwendung vom bloßen Recycling bis zur Umprägung – heidnische Statuen werden zur Heiligendarstellungen, Putti zu Engeln – wird von Esch sorgsam entwickelt, an Beispielen gezeigt und überaus behutsam interpretiert. Mit Recht wendet er sich dabei gegen vorschnelle Erklärungsmuster, bringt etwa gegen die geläufige interpretatio christiana römischer Skulptur den Gedanken des puren ästhetischen Reizes ins Spiel.

Auf diese Weise entsteht eine einfühlsame Erzählung vom differenzierten Wert antiker Überreste für die Kulturen der folgenden Epochen, die ohne erdrückende Beispielkaskaden auskommt. Sie vermittelt zugleich einen Eindruck vom wechselvollen Wissen der Menschen über und ihrem Verständnis von Antike. Es ist eine Rede, die von Wiederverwertung, in weit höherem Maße aber von der Nachfrage, von bewusster Aneignung römischer Reste, vom „Antike Wollen“ des Mittelalters handelt (S. 29, 43, 52) . Der lateinische Begriff spolium gewinnt hier seine ursprüngliche Bedeutung als „(herausragendes) Beutestück“ wieder.

Esch spricht Phänomene wie die mittelalterliche Antiken-Auslese (S. 49f.) oder die Umnutzung (S. 20) antiker Thermen und Theater vor allem deshalb an, um auf das so entstehende Nachleben der Überreste hinzuweisen. In dieser Haltung liegt eine gewisse Brisanz des interdisziplinären Ansatzes. Der Untertitel suggeriert, hier werde die Position des Archäologen mit der des Historikers in einem Kopf verbunden (S. 12f.). Nach der Lektüre zeigt sich, dass dieses interne Doppel im Hinblick auf die Kenntnisse harmoniert, die Partner insgesamt aber gegeneinander spielen – mit dem besseren Ende für den Historiker. Neben dessen Epochen überspannendem Blick auf die Transformationen wirkt das Ansinnen des Archäologen, Vergangenheit in ihrer eigenen zeitlichen Dimension zu sichern, später Entnommenes an seinen ursprünglichen Platz zurückzusetzen, alte Funktionszusammenhänge wiederherzustellen, merkwürdig museal, ja geradezu antiquarisch. Charakteristisch hierfür Eschs Diktum: „wenn ausgegraben und die Wiederverwendung rückgängig gemacht, sehen Amphitheater alle gleich aus und verlieren ihre historische Aussage.“ (S. 23).

Zum gelungenen Charakter des Textes trägt das notorische, in Vorwort und Laudatio erneut nachdrücklich gepriesene rhetorische Geschick des Autors nicht unwesentlich bei. 24 hilfreiche Abbildungen in Schwarzweiß mit ausführlichen Legenden werden durch die eindringliche Bildsprache Eschs noch weiter unterstützt. Wendungen wie „leise Krümmung eines Quaders“ (S. 28) oder „eine Venus hat bekanntlich wenig gerade Kanten“ (S. 44) leisten mehr als ein Foto vermag.

Eine Bibliografie zur Spolien-Forschung rundet den handlichen Band ab, der die Wiederverwendung der Antike als diachrone Spielart kulturellen Austauschs in gedanklich anregender und höchst lesenswerter Weise vorstellt.

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