L. Jockheck: Propaganda im Generalgouvernement

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Titel
Propaganda im Generalgouvernement. Die NS-Besatzungspresse für Deutsche und Polen 1939-1945


Autor(en)
Jockheck, Lars
Reihe
Einzelveröffentlichungen des DHI Warschau, Bd. 15
Erschienen
Osnabrück 2006: fibre Verlag
Anzahl Seiten
408 S.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stephan Lehnstaedt, IfZ München

In seiner 2004 bei Frank Golczewski in Hamburg eingereichten Dissertation untersucht Lars Jockheck die deutschen Propagandamaßnahmen im Generalgouvernement Polen während des Zweiten Weltkriegs. Im Vordergrund steht dabei die Analyse der „Krakauer Zeitung“ und des „Goniec Krakowski“, was schon andeutet, dass Jockheck die Maßnahmen zur Beeinflussung für Polen und für Deutsche gleichermaßen betrachtet. Dabei geht es ihm um die Selbstbilder der Besatzer genauso wie um die Fremdbilder von Besetzten, die rekonstruiert und in ihrer Funktion erklärt werden. Wohlweislich trifft er dabei Aussagen über die Wirkung derartiger Mittel nur mit allergrößter Vorsicht bzw. unterzieht sie nur einer allgemein methodisch-kritischen Würdigung. Doch dies mindert den Wert der Studie nicht im Geringsten. Hier liegt zum ersten Mal eine monografische Auswertung der beiden wichtigsten Druckerzeugnisse des Generalgouvernements vor, die durch ergänzendes Aktenstudium auch die Wechselwirkungen zwischen den Akteuren und der Propagandasteuerung durch Berlin und die Krakauer Regierung einbezieht. Die Studie beschränkt sich auf die zentralen Überlieferungen in Berlin und Warschau, während sie die lokalen Propaganda-Ämter außen vor lässt; dadurch entsteht allerdings nur das große Bild von oben, während spezielle Ausprägungen und individuelle Kampagnen etwa in den Distrikten fehlen. Da, wie Jockheck selber konstatiert, zudem die Untersuchung der ukrainischen und jüdischen Presse wünschenswert wäre, bleibt auch nach diesem Buch Raum für weitere Forschungen.

Mit dem Blick auf Medien, ihre Macher und die Konsequenzen der Propagandapolitik werden die Legitimationsstrategien der Besatzer unter die Lupe genommen. Notwendigerweise kann Jockheck sich nicht nur auf sozioökonomische Interessen beschränken, sondern muss auch die identitätsformenden Diskurse einbeziehen. Dies gelingt ihm zu einem guten Teil, auch wenn im strengen Sinne keine Diskursanalyse stattfindet. Denn ob bzw. wie die Themen von den Deutschen diskutiert und verändert wurden, wird in dem Buch nicht behandelt. Doch zumindest für die polnische Seite untersucht Jockheck die Rezeption durch die Widerstandsbewegung, die nicht selten direkt auf die Inhalte der Propaganda reagierte. Hier wird ein bizarres Beispiel für einen echten Diskurs aufgezeigt, als die Deutschen eine angebliche Untergrundausgabe des „Goniec Krakowski“ 1944 erschienen ließen (S. 243f.).

Das Buch folgt einer klaren Gliederung, indem zunächst die Voraussetzungen für die Propaganda betrachtet werden, danach die Strukturen und Organisationsformen, um sich schlussendlich ihrer Inhalte anzunehmen. Zunächst wird deshalb eine Übersicht über die NS-Presse und Presselenkung bis 1939 sowie über Polen als Objekt der nationalsozialistischen Agitation gegeben. Das anschließende Kapitel untersucht den Streit um die Ausrichtung der bzw. die Oberhoheit über die Propaganda zwischen Hans Frank und Otto Dietrich einerseits und Joseph Goebbels andererseits. Wieder einmal wird dabei das Desiderat einer Monografie über den Eher-Verlag deutlich, denn Jockheck konstatiert lediglich, dass dieser im Generalgouvernement ein hundertprozentiges Monopol bei Druck, Verlag und Vertrieb hatte, ohne nähere Informationen geben zu können. Der Überblick über das Pressewesen im Generalgouvernement ist dann auch etwas kurz geraten und zu sehr auf die zwei Hauptzeitungen der Untersuchung reduziert. Über das „Vorfeld“, die „Burg“ oder die „Kolonistenbriefe“ erfährt der Leser Grundlegendes, Details bleiben jedoch außen vor.

Der nächste Abschnitt des Werks stellt ausführlich die Leitlinien der Propaganda dar, wobei Jockheck in chronologischer Abfolge drei Schwerpunkte ausmacht: Zunächst eine Phase der Machtdurchsetzung von 1939-1940, dann die Machtentfaltung bis etwa 1942 und ab dann die Machterhaltung. Diese kaum überraschende Einteilung stützt sich vor allem auf die Tagebücher von Frank und Goebbels, die zwar einschlägig sind, aber an dieser Stelle zu wenig mit den Zeitungsausgaben verknüpft werden. Obschon die Interpretation stimmig ist, wäre der zusätzliche Beleg anhand von thematischen Artikeln wünschenswert gewesen; in dieser Form ist das Kapitel nur teilweise informativ. Wesentlich gelungener ist demgegenüber die anschließende inhaltliche Vorstellung der „Krakauer Zeitung“ und des „Goniec Krakowski“, die die vorwiegend personelle Orientierung im Abschnitt über die Presse im Generalgouvernement abrundet.

Beinahe die Hälfte des Textes macht die Untersuchung der verschiedenen propagandistischen Themen aus, die anhand dieser beiden Blätter vorgenommen wird. Überzeugend kann Jockheck hier etwa darstellen, dass die polnische Exilregierung zunächst ignoriert und diffamiert wurde, die deutsche Propaganda sie dann aber vor allem als Opfer der Sowjetunion stilisierte. Auch die Analyse der Themen „Herrschaft“ und „Widerstand“ ist erhellend: Standen anfangs Aufbau und Abgrenzung von der indigenen Bevölkerung im Vordergrund, ging die „Krakauer Zeitung“ später dazu über, den Hass auf die Einheimischen als überwunden zu charakterisieren, damit im Gegenzug keine Angst vor Rache aufkam. Deshalb fanden Widerstandsaktionen ebenso wenig Eingang in die Publikationen wie Morde an Juden und Polen. Gleichzeitig sollten aber auch die Deutschen nicht als „Opfer“ der Widerstandsbewegung erscheinen, was sich unter anderem in einer reduzierten Anzahl von Todesanzeigen offenbarte. Stets blieb dabei die angebliche rassische Überlegenheit der Okkupanten der wichtigste Legitimationsgrund der deutschen Herrschaft – auch wenn sie nur in deren Zeitungen stattfand. In diesem Sinne waren sämtliche kulturellen Leistungen der Landesbewohner gewissermaßen selbstverständlich auf germanischen Einfluss zurückzuführen. In der polnischen Presse wurde demgegenüber ab Winter 1943/1944 sogar der Nationalismus gefördert, um Kräfte gegen die Sowjetunion zu mobilisieren. Doch dieses Umwerben der Polen fand immer nur kurzfristig und taktisch motiviert statt, nicht jedoch systematisch, obwohl die Deutschen gerade in der Propaganda gegen den Kommunismus große Aktivität und Kreativität entfalteten. Genauso utilitaristisch war auch das Hofieren der „fremdvölkischen“ Ukrainer oder Goralen, die man vor allem als Gegengewicht gegen die Polen gewinnen wollte.

Die Grundidee der Propaganda blieb trotz allem stets die Bewahrung der deutschen Herrschaft über die Einheimischen. Dies kann Jockheck in seiner ebenso gründlichen wie grundlegenden Untersuchung überzeugend belegen. Zwar wird man hier nicht über die gesamte Besatzungspresse und -propaganda informiert, aber doch über ihre wichtigsten Ausprägungen und Vertreter. So bleibt das Werk schlussendlich eine wichtige Studie mit sehr lesbarem Umfang, die zur Erweiterung des Wissensstandes über die deutsche Besatzung in Polen Substantielles beiträgt.

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