Cover
Titel
Struggle for Empire. Kingship and Conflict under Louis the German 817-876


Autor(en)
Goldberg, Eric J.
Erschienen
Anzahl Seiten
XXI, 388 S.
Preis
$47.50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver Salten, Bonn

Die Stellung Ludwigs des Deutschen in der Geschichte des Mittelalters ist für Historiker/innen lange ein Problem von besonderer Tragweite gewesen. Immer wieder wurde die Zeit seiner Regierung unter einem Blickwinkel betrachtet, der von dem Wissen ausging, dass aus dem Herrschaftsgebiet, das ihm der Vertrag von Verdun 843 einbrachte, später einmal Deutschland entstehen würde. So wurde Ludwig bis weit in das 20. Jahrhundert entweder als erster deutscher König betrachtet, der aktiv dazu beitrug, dass aus dem östlichen Teil des Frankenreichs ein deutsches Reich wurde1, oder als ein König, der seine Möglichkeiten nicht wahrnahm und sich stattdessen einem rückwärtsgewandten Großreichdenken ergab, das seiner Zeit längst nicht mehr angemessen war.2 Erst in den letzten Jahren wurde das Bild Ludwigs einer Korrektur unterworfen, insbesondere durch die von Wilfried Hartmann verfasste Biografie und eine von ihm herausgegebene Aufsatzsammlung.3

In diese Bemühungen eines besseren Verständnisses Ludwigs des Deutschen fügt sich auch das vorliegende Werk ein, das mehr ist als eine Biografie. Goldberg behandelt, wie schon der Untertitel andeutet, zwei Leitfragen. Zum einen geht es darum, wie Königsherrschaft unter den Bedingungen des 9. Jahrhunderts funktionieren konnte und wie Ludwig sein Königtum zwischen einem imperialen Ideal und der politischen Realität definierte, zum anderen um die Konflikte, die mit diesen Voraussetzungen einhergingen, was ihre Gründe waren und wie man auf sie reagierte.

Das Buch ist in drei Abschnitte gegliedert. Im ersten Teil beschreibt Goldberg, wie Ludwig versuchte, den ihm 817 durch die Ordinatio imperii zugewiesenen Reichsteil zu konsolidieren und zu erweitern bis zur Anerkennung seiner Herrschaft östlich des Rheins durch den Vertrag von Verdun. Bereits in dieser frühen Phase seiner Herrschaft war ein imperiales Bewusstsein bei Ludwig angelegt, sichtbar etwa in seinen Siegeln und Titeln, das möglicherweise auf seine Erziehung und die dabei vermittelten Werte und Ansichten über die Stellung der karolingischen Dynastie in der fränkischen Geschichte zurückzuführen ist. Goldberg stellt daher zu Recht die Frage, ob die Ordinatio imperii nicht schon vor den Rebellionen der Söhne Ludwigs des Frommen gegen ihren Vater in den 830er-Jahren von Ludwig dem Deutschen fundamental in Frage gestellt worden ist. Ludwigs Streben nach Herrschaftsausübung außerhalb Bayerns brach auch nach seiner partiellen Entmachtung durch den Vater 838 nicht ab. Die Betonung legitimer Ansprüche, etwa auf Sachsen, und das infolge der Siege Ludwigs und Karls des Kahlen über ihren Bruder Lothar gesteigerte ideologische Prestige mündeten schließlich in den für Ludwig äußerst vorteilhaften Vertrag von Verdun. Bei aller Beständigkeit, die diese Teilung letztlich haben sollte, macht Goldberg doch auf einen wichtigen Punkt aufmerksam, nämlich dass die Vereinbarung von 843 von allen Beteiligten nur als eine temporäre Unterbrechung der Kampfhandlungen aufgefasst worden sei.

Teil zwei betrachtet Ludwigs Herrschaft über das Ostfränkische Reich zwischen 844 und 852. In diesem Zeitraum waren zwei Aspekte für Ludwig von besonderer Bedeutung, zum einen die Wiedererrichtung der fränkischen Oberherrschaft über die Slawen, zum anderen die Konsolidierung seiner Herrschaft nach innen und gegenüber seinen Brüdern. Die während der Bruderkriege erodierte fränkische Dominanz über die Slawen konnte sich zu einer Bedrohung der inneren Stabilität des Frankenreiches ausweiten, nicht zuletzt durch den Aufstieg der Mährer. Gleichzeitig müssen die Feldzüge gegen die Slawen aber auch als Chance für Ludwig begriffen werden, sich selbst als politischer Führer eines christlichen Krieges gegen Heiden seinen eigenen Gefolgsleuten gegenüber darzustellen. Die Stabilisierung seiner Herrschaft gelang nach außen durch immer wiederkehrende Treffen mit seinen Brüdern, die in ein „regime of confraternity“ mündeten, nach innen durch die Einsetzung alter bayerischer Verbündeter im gesamten Ostfränkischen Reich und den Gewinn alter Gegner für seine Sache.4 Höhepunkt dieser Bemühungen war ein förmlicher Umritt durch sein Reich 852, womit er sein Konzept eines traditionellen karolingischen Königtums ausdrücken wollte. Diese kriegerische und herrscherliche Symbolik unterstrich Kontinuität und Legitimität seiner Herrschaftsauffassung. Goldberg schließt diese Sektion mit einer näheren Betrachtung der politischen, ökonomischen und administrativen Voraussetzungen von Ludwigs Königsherrschaft ab, wobei er großen Wert auf die Frage der Schriftlichkeit im Ostfränkischen Reich legt. Seine Auffassung, dass der totale Abbruch der Kapitulariengesetzgebung unter Ludwig mit der geringeren Lese- und Schreibfähigkeit der weltlichen Amtsinhaber im Vergleich zum Westen oder zu Italien zusammenhängt, mag ein Grund dafür sein, ist alleine jedoch wohl zu kurz gegriffen.5

Der dritte Abschnitt beginnt mit der Betrachtung von Ludwigs „Drang nach Westen“ in den Jahren 853-860. Die fehlgeschlagenen Versuche Ludwigs, durch seinen gleichnamigen Sohn 853/54 in Aquitanien oder selbst 858 im Westfränkischen Reich die Macht zu übernehmen, zeigen, dass er nicht gewillt war, von seinem Ziel eines geeinten Frankenreiches Abstand zu nehmen, wobei ihm vor allem der Tod Lothars I. 855 und die Kinderlosigkeit dessen mit seinen Eheangelegenheiten beschäftigten Sohnes Lothar II. zugute kamen. Auch wenn die folgenden Jahren zunächst durch Schwierigkeiten in Form von Rebellionen seiner Söhne, den fortdauernden Auseinandersetzungen mit den Mährern und Versuchen des byzantinischen Kaisers, durch Missionare in deren Gebiet Fuß zu fassen, geprägt waren, konnte er doch letztlich nach dem Tode Lothars II. im Vertrag von Meersen mit Karl dem Kahlen 870 einen großen Erfolg seiner imperialen Ambitionen verbuchen, propagandistisch vorbereitet durch Schriften wie die Visio Karoli Magni oder den Lorscher Rotulus. Diese Bemühungen fanden in den letzten Jahren seines Lebens ihren Höhepunkt im Versuch, für sich oder seinen ältesten Sohn Karlmann die Nachfolge in Italien und somit die Kaiserkrone des kinderlosen Ludwig II. zu sichern. Gerade Karlmann tritt in dieser Zeit immer stärker hervor, als Heerführer gegen die Slawen und in Italien sowie als Gegner seiner ob dessen privilegierter Stellung unzufriedenen Brüder. Dass Karl der Kahle Ende 875 letztlich die Kaiserwürde gewann, änderte nichts daran, dass Ludwig bis zu seinem Tod einige Monate später seine Ansprüche nicht aufgab, was Papst Johannes VIII. zu harschen Reaktionen herausforderte.

Goldbergs Buch beschreibt den ostfränkischen König letztlich als eine Person, die sich selbst als legitimen Erben Karls des Großen sah und somit auch Anspruch auf das Gesamtreich erheben konnte. Es wird deutlich, dass diese Auffassung nicht rückwärtsgewandt, sondern eine bei allen Karolingern dieser Generation lebendige Tradition war, die sich aus dem Geschichtsbewusstsein dieser Herrscherfamilie speiste. Dass es nach dem Tode Karls III. zu einer dynastischen Krise kam, als keine legitimen Karolinger mehr zu Verfügung standen und andere Familien Anspruch auf die Königswürde erheben konnten, lag auch an der Langlebigkeit Ludwigs des Deutschen, so dass seine Söhne erst in hohem Alter an die Macht kamen.

Zusammenfassend lässt sich Goldbergs Buch als ein wichtiger Baustein zu einem besseren Verständnis dieses Königs charakterisieren. Wer sich zukünftig mit der Geschichte Ludwigs des Deutschen beschäftigen will, wird an diesem Werk nicht vorbeikommen können.

Anmerkungen:
1 Kehr, Paul, Die Kanzlei Ludwigs des Deutschen, in: Aus den Abhandlungen der preussischen Akademie der Wissenschaften, Jahrgang 1932, phil.-hist. Klasse, Nr. 1, Berlin 1932, S. 3.
2 Fried, Johannes, Der Weg in die Geschichte. Die Ursprünge Deutschlands bis 1024, Berlin 1994, S. 417.
3 Hartmann, Wilfried, Ludwig der Deutsche, Darmstadt 2002; Ders. (Hg.), Ludwig der Deutsche und seine Zeit, Darmstadt 2004.
4 Dieses wurde am Beispiel der Kirche herausgearbeitet durch: Bigott, Boris, Ludwig der Deutsche und die Reichskirche im Ostfränkischen Reich (826-876), Husum 2002, S. 53-123.
5 Etwas differenzierter ist Hartmann, Ludwig der Deutsche, S. 150-159.

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