M. Warhaftig, Deutsche jüdische Architekten

Titel
Deutsche jüdische Architekten vor und nach 1933. Das Lexikon


Autor(en)
Warhaftig, Myra
Erschienen
Anzahl Seiten
504 S.
Preis
49€
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrich Baumann, Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin

Am 3. Juli 1931 veröffentlichte die C.V.-Zeitung, Organ des mit dem Kampf gegen den Antisemitismus befassten Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens eine Sondernummer zur Deutschen Bau-Ausstellung. Sie wollte damit die „Mitwirkung jüdischer Deutscher in diesem Zweige der Kunst“ zeigen und das „judengegnerische Schlagwort von der Unproduktivität jüdischer [...] Geisteshaltung“ widerlegen. Im Allgemeinen habe sich, so glaubte die Zeitung einräumen zu müssen, das Talent jüdischer Künstler zu schöpferischer Entfaltung noch nicht in völliger Freiheit entfaltet. In den einhundert Jahren, die seit der Emanzipation verstrichen seien, hätte nicht alles nachgeholt werden können. In der Baukunst sei es deutsch-jüdischen Architekten jedoch gelungen, Anschluss an die europäische Entwicklung zu finden.1 Keine zwei Jahre später verließen bereits die ersten Architekten, die den nationalsozialistischen Machthabern als Juden galten, Deutschland. Jenen, die blieben, wurde der Eintritt in die 1933 geschaffene Reichskulturkammer verwehrt. Es folgten Jahre der Demütigung, die in die tödliche Verfolgung aller europäischen Juden im NS-Machtbereich mündete.

Die Architekturhistorikerin Myra Warhaftig hat nun ein Gedenkbuch veröffentlicht, das an die „vergessenen, verfolgten und ermordeten Architekten“ erinnern soll. Dabei stellt sie in teilweise mehrseitigen, reich bebilderten Artikeln die Biografien und das Werk von mehreren hundert Architekten vor. Fast allen hier Genannten war die durch die Nationalsozialisten erzwungene Aufgabe ihres Berufes gemeinsam. In einzelnen Fällen erinnert Warhaftig darüber hinaus auch an Biografien von Baukünstlern, die bereits vor 1933 verstorben oder aus Deutschland ausgewandert waren. Sie hat sich für ihre Aufnahme entschieden, da ihr Schaffen bedeutende Spuren hinterlassen hat – und um Spurensicherung geht es Warhaftig mit dem Gedenkbuch in besonderer Weise.

Ein großer Teil der hier Aufgenommenen stammte aus alteingesessenen deutsch-jüdischen Familien. Ihre Lebensläufe verdeutlichen die zeitliche Nähe von Beginn und vorläufigem Ende der Gleichberechtigung deutscher Juden: Die Geburtsjahre der Älteren der Vorgestellten fallen in die Jahre nach der Reichsgründung; ihre Eltern hatten noch den Abschluss der Entwicklung zur rechtlichen Gleichstellung erlebt. Sie selbst mussten am Ende ihrer beruflichen Laufbahn erleben, wie die mühsam errungene gesellschaftliche Teilhabe zerschlagen und ihnen jede Anerkennung für ihre Arbeit genommen wurde.

Ausgehend von umfangreichen Archivbeständen präsentiert Warhaftig aber auch zahlreiche weitere Biographien von ArchitektInnen, die erst als Erwachsene, häufig im Rahmen des Studiums, aus dem osteuropäischen Ausland, nach Deutschland kamen und dann hier zu arbeiten begannen. So nutzte sie das Matrikelbuch der Technischen Universität (früher Technische Hochschule) Berlin, das Angaben zur Religionszugehörigkeit enthielt, und die seit 1824 geführten Mitgliederverzeichnisse des Architekten- und Ingenieurvereins. Die systematische, nicht auf die Metropole Berlin beschränkte Basis für Warhaftigs Sammlung bilden jedoch die Personalakten der Reichskulturkammer, die bis 1990 zum Bestand des Berlin Document Center gehörten und nun im Bundesarchiv aufbewahrt werden. Dort fand sie die Namen von 323 Architekten und Architektinnen, die den Nationalsozialisten als Juden oder jüdische Mischlinge galten oder mit Juden verheiratet waren. Mit den Ergebnissen der erwähnten weiteren Recherchen kommt sie auf eine Gesamtzahl von knapp 500 Architekten.

Zahlreiche Spuren dieser Menschen verloren sich in den 1930er-Jahren. Es gelang Warhaftig, die Schicksale von 302 Personen zu ermitteln. Etwas mehr als der Hälfte von ihnen (175) gelang die Emigration ins Ausland, 84 ArchitektInnen wurden deportiert und ermordet. Einige wenige überlebten in der Illegalität oder in den Lagern. Von den Ausgewanderten fand ein großer Teil Zuflucht in Palästina/Israel (78) oder in England (42), vergleichsweise wenige in den USA (29). Es ist eines der größten Verdienste Warhaftigs, dass sie den Arbeiten der ArchitektInnen auch in ihren Emigrationsländern nachgegangen ist und deren Bauten in zahlreichen Abbildungen in das Buch mit aufgenommen hat. So entsteht eine ungewohnte Zusammenschau biografischer und künstlerischer Kontinuitäten. Die den Architekten in der Emigration abverlangte Bandbreite der Aufträge – vom Siedlerhaus in der Wüste bis zum innerstädtischen Geschäftshaus – übersteigt noch die Varianz ihres Bauens während ihrer Tätigkeit in Deutschland.

Die Unterschiedlichkeit der Bauten und der gewählten Formensprache ist ohnehin ein prägender Eindruck bei der Durchsicht des angenehm gestalteten Buches. Arbeiten des Historismus stehen neben Werken des Expressionismus und der Avantgarde der Moderne. Bei aller Kürze der Einträge lassen sich auch entsprechende Entwicklungsschritte innerhalb des Schaffens der einzelnen Architekten feststellen. Ein Beispiel hierfür sind die Entwürfe des seit 1907 in Köln ansässigen Georg Falck oder des Berliner Architekten Alfons Anker, dessen erste Bauten noch Weiterentwicklungen des Berliner Bürgerhauses mit Einflüssen des Jugendstiles darstellen. In den 1920er-Jahren realisierte er mit seinen Partnern Hans und Wassili Luckhardt Arbeiten der klassischen Moderne wie das Telschowhaus am Potsdamer Platz.

Dem Verhältnis der jüdischen Architekten in Deutschland zur Moderne widmet Warhaftig ein eigenes Unterkapitel ihrer Einleitung. Der 1907 gegründete „Werkbund“ als eine der maßgeblichen Vereinigungen avantgardistischen Bauens wies zwar zahlreiche jüdische Mitglieder auf, von denen jedoch keiner eine führende Rolle spielte. Das Dessauer Bauhaus hatte zu keiner Zeit einen jüdischen Direktor, in seinem 24-köpfigen Kollegium saß als einziger Jude der Architekt und Designer Marcel Breuer. Dem 1925 ins Leben gerufenen „Ring“, zu dessen 27 Mitgliedern Mies van der Rohe, Gropius und Poelzig zählten, gehörten drei Architekten an, die aus jüdischen Familien stammten, unter ihnen die Lichtgestalt Erich Mendelsohn. Mendelsohn, Hugo Häring und Adolf Loos standen 1925 auf einer Vorschlagliste des Werkbundes für die Ausstellung zur Weißenhofsiedlung in Stuttgart, wurden jedoch aus bis heute unbekannten Gründen nicht mit einbezogen. Möglicherweise war diese Entscheidung beeinflusst durch die zu dieser Zeit bereits vehement geäußerte rassistische Kritik rechtsradikaler und völkischer Kreise am modernen Bauen. Dennoch kann Warhaftig als Ergebnis ihrer umfangreichen Dokumentation feststellen, dass sich die Mehrzahl der jüdischen Architekten im Deutschen Reich der modernen Bewegung verpflichtet fühlte und sich somit von der eher konservativen, wenn auch gemäßigt progressiven Grundstimmung innerhalb der gesamten Berufsgruppe unterschieden.

Ein Nebenergebnis der Dokumentation soll in diesem Zusammenhang nicht verschwiegen werden. Die Auswertung des vorliegenden Materials erlaubte Warhaftig auch, zahlreiche Architektenpartnerschaften zu untersuchen. Teilweise lassen sich Planungsbüros im Nachhinein nicht mehr getrennt darstellen, so dass sie eine gemeinsame Präsentation wählte. Auffällig ist jedoch, dass sie nur drei Bürogemeinschaften jüdischer und nichtjüdischer Architekten fand. Das Thema der „interkonfessionellen“ Zusammenschlüsse im wirtschaftlichen Bereich ist bis heute weitgehend unerforscht, insbesondere für den Bereich des Handels.

Die drei eingegangenen Partnerschaften endeten nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Im Falle des Büros Anker/Luckhardt traten die nichtjüdischen Partner im Mai 1933 in die NSDAP ein: Alfons Anker wurde die Aufnahme in die Reichskulturkammer verwehrt, sein Übertritt zum Christentum spielte keine Rolle. In der Emigration in Schweden konnte er nicht mehr als Architekt tätig werden. Die Brüder Luckhardt hingegen setzen ihre Karriere nach 1945 fort; Wassily Luckhardt wurde nach dem Tod seines Bruder 1956 Mitglied der Akademie der Künste. Es ist die Intention des Bandes, die Erinnerung an die Biografien und das Werk jüdischer Architekten wachzuhalten. Günter Schlusche, Architekt, Stadtplaner und Mitglied der „Gesellschaft zur Erforschung des Lebens und Wirkens deutschsprachiger jüdischer Architekten“ weist in seinem Nachwort zu Warhaftigs Band darauf hin, dass mancher Bauherr oder Villenbesitzer nach 1933 alles daran gesetzt habe, durch Umbauten oder Überformungen die Autorschaft jüdischer Architekten unkenntlich zu machen – wie beispielsweise bei Harry Rosenthals „Villa Zweig“ in Berlin-Eichwalde. Der Aspekt der publizistischen Rekonstruktion unterscheidet Warhaftigs Buch von den bisher erschienenen verdienstvollen Biografiesammlungen zu anderen Berufsgruppen wie jener von Simone Ladwig-Winters zu den Berliner jüdischen Rechtsanwälten.2 Kritisch anzumerken wäre allerdings, dass Warhaftig im Gegensatz zu Ladwig-Winters darauf verzichtet hat, ihre Standardquellen (Mitgliederlisten, Ablehnungsbescheide, Adressbucheinträge) jeweils einzeln auszuweisen und Anmerkungen zu den Biografien nur im Falle zusätzlichen Materials und bereits erschienener Sekundärliteratur vornimmt. Dies schmälert jedoch die immense Leistung von Myra Warhaftig, die durch Interviews und Korrespondenzen eigene Quellen geschaffen hat, in keiner Weise.

1 Faksmile der Zeitungs-Titelseite auf S. 21.
2 Ladwig-Winters, Simone, Anwalt ohne Recht. Das Schicksal jüdischer Rechtsanwälte in Berlin nach 1933, Berlin 1998.

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