J. Maćków: Totalitarismus und danach

Cover
Titel
Totalitarismus und danach. Einführung in den Kommunismus und die postkommunistische Systemtransformation


Autor(en)
Mać ków, Jerzy
Reihe
Extremismus und Demokratie 13
Erschienen
Baden-Baden 2005: Nomos Verlag
Anzahl Seiten
168 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Ursprung, Historisches Seminar, Universität Zürich

Der Ende der 1980er-Jahre in Gang gekommene Umbruch der sozialistischen Staaten, dessen herausragende Bedeutung bereits dazu geführt hat, das Jahr 1989 zur Epochenschwelle und zum Endpunkt des „kurzen“ 20. Jahrhunderts zu erklären, hat in den Sozial- und Geisteswissenschaften eine wahre Flut von Literatur entstehen lassen. Die „Transformationsforschung“ hat die historisch äußerst seltene Gelegenheit, die umfassende Veränderung praktisch aller Lebensbereiche einer ganzen Reihe von Gesellschaften bzw. Staaten aus nächster Nähe zu verfolgen. Die über zwei Dutzend Staaten, die seit dem Beginn der 1990er-Jahre in die postkommunistische Phase eingetreten sind, bilden dank der verschiedenen eingeschlagenen Varianten der Transformation reichhaltiges Anschauungsmaterial für unterschiedlichste Strategien und Ansätze der jeweiligen Gesellschaften, sich unter gewandelten Bedingungen neu zu positionieren.

Vor diesem Hintergrund präsentiert Jerzy Maćków, Politologie-Professor an der Universität Regensburg, mit vorliegendem Band eine kurze Einführung nicht nur in die Phase der Transformation, sondern auch in das der Transformation vorangegangene kommunistische System. Die folgenden Ausführungen sind aus der Perspektive eines Historikers verfasst und werden daher dem Charakter des Werkes, das politologisch ausgerichtet ist, möglicherweise nicht ganz gerecht. Die zentrale Kategorie, um die herum Maćków seine Arbeit aufbaut, ist das Konzept des Totalitarismus. Darunter versteht er primär die Gesellschaften sowjetischen Typs, während er etwa den Nationalsozialismus als autoritäres System versteht, das sich auf den Totalitarismus zubewegt habe (S. 40). Die Arbeit ist in 24 thesenartig zugespitzte Kapitel gegliedert, die in zwei Teilen zusammengefasst sind, welche sich mit dem kommunistischen System bzw. der Transformationsphase beschäftigen. Der erste Teil widmet sich insbesondere terminologischen und konzeptionellen Fragen. Im zweiten Teil geht Maćków auf einige grundlegende Merkmale der postkommunistischen Transformationsphase ein.

Die Arbeit weist ein breites thematisches, chronologisches und geografisches Spektrum auf. Maćków versucht das Konzept des Totalitarismus als Ausgangspunkt zu nehmen, von dem aus die Transformationsphase erklärt werden könne. Zumindest aus Sicht des Historikers erstaunt dann doch die apodiktische Weise, mit der das Totalitarismuskonzept zum „intellektuelle[n] Gewinner des Kalten Krieges“ ausgerufen wird und seinen Kritikern „Irrtümer“ vorgehalten werden, die nur psychologisch zu erklären seien (S. 30). Ein solcherart postulierter Zugang zur „Wahrheit“ scheint einem fachlichen Diskurs unangemessen. Als alternative Interpretationsansätze werden das Modernisierungskonzept und marxistische Theorien (ohne auf weitere Ansätze einzugehen) pauschal und in Bausch und Bogen verurteilt; so wird die Richtigkeit des Totalitarismuskonzeptes eher behauptet als hergeleitet. Eine derart simple und undifferenzierte Vorgehensweise ist nicht nur formal bezüglich der wissenschaftlichen Arbeitsweise mehr als fragwürdig. Auch inhaltlich ist es keineswegs so, dass die Bezeichnung der UdSSR oder ihrer Satelliten als totalitäre Staaten „heute so gut wie keine Widerstände hervor[ruft]“ (S. 30).1 Zwar mag es zutreffen, dass die Anhänger des Totalitarismuskonzeptes heute zahlreicher sind als vor 1989/90, was nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass diesem Konzept besonders in den postkommunistischen Gesellschaften eine gewisse emanzipatorische Funktion zukommt. In den postkommunistischen Gesellschaften wird der Totalitarismusbegriff jedoch gerade deshalb oft ohne methodische Reflektion kritiklos aus der westlichen Diskussion übernommen, wobei anstelle konkreter Definitionen oder Konzeptualisierungen vage Vorstellungen von der Beschaffenheit des Totalitarismus treten. Trotz einer gewissen neuen Konjunktur des Totalitarismus-Konzeptes trifft es jedoch keineswegs zu, dass ernsthafte Einwände gegen das Konzept verstummt wären.

Doch die endlose ideologische Fortführung der konfrontativen und stereotypen Gegenüberstellung von Befürwortern und Gegnern des Totalitarismus-Begriffes hilft der Wissenschaft letztlich kaum weiter. Viel fruchtbarer wäre die Beantwortung der Frage, wo die Stärken und Schwächen des gewählten Ansatzes liegen, in welchen Bereichen er also dazu beitragen kann, neue Erkenntnisse zu liefern, wo aber auch seine Grenzen liegen. Die Frage bezüglich des „Totalitarismus“ ist nicht, ob er je „existiert“ hat oder nicht. Vielmehr ist der Totalitarismusbegriff ein künstlich geschaffenes Analyseinstrument, das von der Wissenschaft an den Gegenstand herangetragen wird. Nur in der praktischen Anwendung offenbart sich ein wissenschaftlicher Nutzen – wenn dargelegt werden kann, welche Erkenntnisse und Einsichten ohne das Totalitarismuskonzept nicht zustande gekommen wären.

Gerade dies geht aus vorliegendem Buch aber nicht hervor, da Maćków es bei aller Kritik an den Gegnern des Totalitarismus verpasst, den Begriff überhaupt zu definieren. Die Bestimmung des Totalitarismus als „gesellschaftliches und politisches System […], das einer Ideologie entspringt“ (S. 11), kann wohl ebensowenig eine taugliche Definition bilden wie die Ergänzung, wonach „die Verschmelzung von Partei und Staat sowie die totalitäre Ideologie den Totalitarismus aus[machen]“ (S. 56). Das Versäumnis, das der Arbeit zugrunde liegende Verständnis des Totalitarismus zu erklären, wiegt umso schwerer, als Maćków selber eingesteht, dass es zahlreiche Konzepte, Theorien und Modelle des Totalitarismus gibt. Somit bleibt beim Lesen eigentlich nicht viel mehr übrig, als Maćków ein außerwissenschaftliches Vorverständnis über die Beschaffenheit des Totalitarismus zu unterstellen, das er jedoch nicht explizit darlegt.

Da auch die Literaturangaben äußerst spärlich ausgefallen sind, kann auf diesem Wege ebenfalls nicht nachvollzogen werden, worauf sich Maćków bezieht, wenn er etwa davon spricht, dass sozialwissenschaftliche Anhänger des Modernisierungskonzeptes „kein Werk […] von bleibendem analytischem Wert“ vorgelegt hätten (S. 27). Trotz des Vorhabens, keine übliche „Name-dropping-Abhandlung“ vorzulegen (S. 11), wäre es angesichts der schonungslosen Verurteilung ganzer Forschungsrichtungen unerlässlich, konkrete Literaturangaben zu machen. Sonst bleibt unklar, wogegen sich der Autor überhaupt wendet, und es könnte leicht der Verdacht aufkommen, dass hier billige Polemik betrieben werde, ohne sich mit gegnerischen Positionen eingehender beschäftigt zu haben.

Der zweite Teil des Buches wirkt in dieser Hinsicht ausgewogener und neutraler. Maćków bringt hier eine Reihe von bedenkenswerten Thesen vor. Es handelt sich dabei um kurze, zusammenfassende Bemerkungen über einige grundlegende Charakteristika der Entwicklung in der Transformationsphase. So argumentiert Maćków, dass die Art und Weise, in der die Existenz (post-)kommunistischer Parteien oder der Elitenwechsel eine Kontinuität mit dem vorangegangenen System verkörpern, wesentlichen Anteil daran hat, ob ein demokratisches System aufgebaut werden kann. Als zentrale Voraussetzung dazu sieht er die Etablierung rechtsstaatlicher Verhältnisse. Einige Aussagen mögen als Binsenwahrheiten erscheinen, so etwa, dass die normative Geltung von Verfassungen und Gesetzen wichtiger sei als ihr „Design“ (S. 99). Sehr pauschal ist beispielsweise auch die enthusiastische Einschätzung der „orangenen Revolution“ in der Ukraine, die „den langen Abschied von der seit dem XVII. Jahrhundert andauernden Tyrannei über Osteuropas einläutete“ (S. 108). Eine stärkere empirische Ausrichtung würde wohl im Einzelfall etliche Aussagen differenzieren. Konkrete empirische Belege werden jedoch nur selektiv herangezogen, um Aussagen allgemeinen Charakters zu illustrieren.

Insgesamt liegt mit Maćkóws Werk eine knapp gehaltene und dank der im Anhang nochmals auf den Punkt gebrachten Thesen eine leicht zugängliche Einführung in die Thematik der Systemtransformation vor. Welchen Vorteil oder Erkenntnisgewinn das Totalitarismus-Konzept für diesen Themenbereich erbringen kann, ist jedoch nicht ersichtlich. Da der Forschungsstand nicht systematisch aufgearbeitet wird und die Argumentation teilweise polemisch ausfällt, weist das Buch eher essayistischen Charakter auf, wobei der recht trockene Stil einer politologischen Abhandlung zum Genre aber nicht recht passen will. Es handelt sich um ein engagiert geschriebenes Werk, das wohl zu manchem Widerspruch auffordern wird.

Anmerkung:
1 Schon Hannah Arendt wollte den Totalitarismusbegriff nur für den deutschen Nationalsozialismus (den Maćków nicht als totalitär betrachtet) und den Stalinismus gelten lassen, explizit jedoch nicht für die Sowjetunion (und damit auch die Staaten des Warschauer Paktes) nach 1956 oder China unter Mao; vgl. Arendt, Hannah, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Bd. 3: Totale Herrschaft, ungekürzte Ausg., Frankfurt am Main 1975, v.a. S. 9-13, 21-25. Auch die aktuelle Historiografie steht dem Totalitarismuskonzept mehrheitlich skeptisch gegenüber bzw. arbeitet mit alternativen Konzepten wie dem der „politischen Religionen“, siehe dazu etwa: Gentile, Emilio, Le religioni della politica. Fra democrazie e totalitarismi, Roma 2001, v.a. S. 69-74, 206f.; Hildebrand, Klaus (Hg.), Zwischen Politik und Religion. Studien zur Entstehung, Existenz und Wirkung des Totalitarismus, München 2003; ausführlich auch: Maier, Hans (Hg.), Totalitarismus und Politische Religionen. Konzepte des Diktaturvergleichs, 3 Bde., Paderborn 1996-2003.

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