G. Mölich u.a. (Hgg): Spätmittelalterliche städtische Geschichtsschreibung

Titel
Spätmittelalterliche städtische Geschichtsschreibung in Köln und im Reich. Die "Koelhoffsche" Chronik und ihr historisches Umfeld


Herausgeber
Mölich, Georg; Neddermeyer, Uwe; Schmitz, Wolfgang
Reihe
Veröffentlichungen des Kölnischen Geschichtsvereins 43
Erschienen
Köln 2001: SH-Verlag
Anzahl Seiten
paperback, VIII + 160 S.
Preis
DM 68
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Birgit Studt, Universität Wien

Der 500. Jahrestag der Drucklegung der `Cronica von der hilliger stat Coellen´ durch Johann Koelhoff d. J. im Jahre 1499 diente als Anlass, diese von einem bis heute unbekannten Autor angefertigte "Summe" der Geschichte der Stadt Köln erneut und erstmals im größeren Zusammenhang der spätmittelalterlichen Geschichtsschreibung in Köln und im Reich zu untersuchen. Der Sammelband publiziert die Erträge eines interdisziplinären Kolloquiums und vereinigt historische, buchwissenschaftliche und literaturwissenschaftliche Beiträge. Sie nehmen in der Mehrzahl die Diskussion während der Veranstaltung auf und sind durch zwei neue Beiträge ergänzt worden.

In der Einleitung bietet Uwe Neddermeyer einen Forschungsüberblick zur städtischen Geschichtsschreibung und versucht, ihre Bedeutung als Forschungsfeld für die modernen Kulturwissenschaften herauszustellen. Dazu skizziert er die Entfaltung der städtischen Geschichtsschreibung im Spannungsfeld von universalgeschichtlicher Tradition und nüchterner Stadtbuchchronistik. In seinem Überblick über "Städtische Geschichtsschreibung in Köln und im Hanseraum" stellt sich Volker Henn der schwierigen Aufgabe, die historiographische Produktion des durch höchst unterschiedliche kulturelle Traditionen gekennzeichneten Hanseraums zu sichten. Dabei lässt er solche "städtischen Weltchroniken" aus dem Vergleich herausfallen, die auch stadtbezogene Aufzeichnungen enthalten. Auf diese Weise kommt er zu dem Ergebnis, dass sich eigentlich nur Köln und Lübeck als Vororte der spätmittelalterlichen Geschichtsschreibung bezeichnen lassen, wobei allerdings nur in der Lübecker Chronistik explizite Äußerungen eines hansischen Bewusstseins festzustellen seien.

Carl August Lückerath stellt die Kölner Königschronik und die daran anknüpfende und in verschiedenen Fortsetzungen bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts geführte Chronik aus St. Pantaleon als herausragende Zeugnisse der Kölner Historiographie vor, wobei er seine Bedenken gegen die von Manfred Groten 1997 geäußerte These von einer Entstehung der Königschronik in Siegburg begründet. In etwas umständlicher und nicht immer verständlicher Beschreibung der komplizierten Überlieferungsgeschichte beider Werke führt er vor, wie das universalgeschichtliche Konzept der Chronik als eine staufische Reichsgeschichte in ihren späteren Teilen, aber auch durch nachträgliche Implantation von köln-spezifischen Daten immer enger in Richtung einer regionalen und städtischen Geschichte geführt wurde, von wo sich allerdings aber kein breites Kontinuum zur spätmittelalterlichen Geschichtsschreibung in Köln feststellen lasse.

Robert Meier vergleicht die Koelhoffsche Chronik mit ihrer direkten Vorgängerin, der um 1470 verfassten Agrippina. Obwohl diese wie die Koelhoffsche Chronik als Papst-Kaiser-Chronik angelegt und illustriert ist, hat sie nicht den Weg zum Druck gefunden. Den in dieser Hinsicht größeren "Erfolg" der Koelhoffschen Chronik erklärt er v.a. durch den höheren Anteil von zeit- und stadtgeschichtlichen Nachrichten, während die Agrippina am Beginn des 15. Jahrhunderts mit dem Versiegen ihrer Quellen abbricht. Demgegenüber betont Anna-Dorothee von den Brincken stärker die universalgeschichtliche Orientierung der Koelhoffschen Chronik. Mit ihrem Panorama der bis 1499 im Druck zugänglichen Chroniken beschreibt sie die günstige Ausgangslage des anonymen Verfassers für seine Quellenbeschaffung.

Eine zweite Gruppe von Beiträgen widmet sich den speziellen, die Drucklegung und -überlieferung historiographischer Texte betreffenden Aspekten. Christoph Reske untersucht die 1492 in Mainz in Niederdeutsch gedruckte Sachsenchronik und die 1493 in Nürnberg hergestellte Schedelsche Chronik bzw. ihren 1496 in Augsburg veranstalteten deutschen Nachdruck als wichtige Vorgängerwerke und fragt nach deren möglichen Vorbildfunktionen für die Koelhoffsche Chronik. Dabei stellt er die Nürnberger Ausgabe der Schedelschen Weltchronik als isolierte Ausnahme bei in der Herstellung illustrierter Inkunabeln heraus und vermutet, dass sich Koelhoff in produktionstechnischer Hinsicht eher an der Mainzer Sachsenchronik orientiert habe.

Heinz Finger, der den Druck der Koelhoffschen Chronik im Kontext zeitgenössischer Chronikausgaben untersucht, versteht Koelhoffs Ausgabe als Werk eines Außenseiters, das nicht mehr in die Kölner und niederdeutsche Drucklandschaft gepasst habe. Den unternehmerischen Fehlschlag dieser Ausgabe, der Koelhoff sogar gezwungen habe, nur wenige Wochen nach Druckbeginn sein erst 1496 erworbenes Haus zu verkaufen, erklärt er mit einer Fehleinschätzung der Marktsituation: Gefragt waren entweder knappe, darstellungstechnisch und methodisch aufbereitete Kompendien vom Typ des 1474 erstmals in Köln gedruckten und immer wieder aufgelegten Fasciculus temporum des Werner Rolevinck oder aber unterhaltsame Erzählchroniken, die mit zeitgeschichtlichen und regionalen Adaptierungen eine hinreichend große, interessierte und zahlungskräftige Zielgruppe anzusprechen suchten. Zu einer etwas anderen Einschätzung gelangt Uwe Neddermeyer, der nach den technischen Bedingungen, den zeitüblichen Auflagenhöhen und dem Verhältnis von Auflagenhöhe sowie Zahl und regionaler Streuung der erhaltenen Exemplare fragt, um den offensichtlichen Misserfolg dieses Druckunternehmens erklären zu können. Mit Hilfe von reichen Vergleichsdaten der buchkundlichen Forschung weist er nach, dass von einer Fehlkalkulation dieses erfahrenen Unternehmers oder gar von negativen Auswirkungen eines angeblichen Verbots des Buches wegen kritischer Äußerungen nicht die Rede sein kann. Demgegenüber rückt er langfristigere Tendenzen ins Licht: Als die Koelhoffsche Chronik erschien, war das Interesse für niederdeutsche Titel auf seinen absoluten Tiefpunkt gesunken. Während das Segment lateinischer Drucke immer stärker von wenigen, professionell geführten und auf einen internationalen Markt orientierten Großdruckereien übernommen wurde, begann die Umstellung auf Texte, die sich an einen breiteren lateinunkundigen Leserkreis wandte, erst im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts Früchte zu tragen.

Etwas unvermittelt am Ende dieser Reihe steht ein Beitrag von Uta Goerlitz, die mit dem Beispiel des lange verloren geglaubten Chronicon urbis et ecclesiae Maguntinensis des Mainzer Humanisten und benediktischen Historiographen Hermann Piscator den Blick auf die gelehrte Geschichtsschreibung zurücklenkt. Auch in Kreisen mittelrheinischer Klosterhumanisten bestand ein großes Interesse an der regionalen und lokalen Geschichte, wobei Piscator allerdings als erster die Mainzer Stadt-, Bistums- und Klostergeschichte mit einer deutschen Nationalgeschichte verbunden und in einen zukunftweisenden, von der Heilsgeschichte weitgehend abgelösten universalgeschichtlichen Entwurf eingebettet hat.

Der Sammelband hat auf einer verbreiterten geographischen Grundlage und im fächerübergreifenden Kontext nicht nur die Koelhoffsche Chronik, sondern die Kölner Geschichtsschreibung einer neuen Beurteilung zugeführt. Natürlich könnte man sich die Behandlung weiterer Aspekte wie die Verarbeitung der Zeitgeschichte und städtischer Konflikte in der Chronistik oder die Bedeutung des humanistischen Städtelobs für die Entwicklung der städtischen Geschichtsüberlieferung wünschen. Aber insgesamt bieten die vorliegenden Beiträge interessante Einblicke in die spätmittelalterliche Kölner Chronistik mit ihren regionalen Bezügen. Dazu trägt besonders die Untersuchung der sprachlichen, medialen und wirtschaftlichen Bedingungen der Drucklegung, der Marktorientierung und Absatzchancen von regional gebundenen und städtisch orientierten Texten bei, in der neue Forschungsergebnisse und Fragestellungen aufgegriffen und weitergeführt werden.

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