Cover
Titel
Rom und Karthago.


Autor(en)
Zimmermann, Klaus
Reihe
Geschichte kompakt. Antike
Erschienen
Anzahl Seiten
VII, 152 S.
Preis
€ 14,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver Linz, Historisches Institut, Universität Potsdam

Karthago erregte in letzter Zeit wieder vermehrt die Aufmerksamkeit eines breiten Publikums. Die große Ausstellung zur Geschichte und Kultur Karthagos "Hannibal ad Portas. Macht und Reichtum Karthagos", die 2004 im Badischen Landesmuseum Karlsruhe gezeigt wurde, sorgte für ein breites Medienecho und einen beachtlichen Besucheransturm.1 Die beiden deutschen Althistoriker Karl Christ und Pedro Barceló legten zwei Hannibalbiografien vor, von der die eine das militärstrategische, die andere das politische Wirken in den Vordergrund stellte. Von Dexter Hoyos stammt die Skizze einer Epoche der karthagischen Geschichte, angelehnt an die Geschichte der politisch maßgeblichen Familie der Barkiden. Auch hier bildet Hannibal das Hauptthema.2 Außerhalb der Geschichtswissenschaft, in der Politologie, bietet der Konflikt zwischen Rom und Karthago eine Referenzfläche, um in der noch immer kontrovers geführten Diskussion über die Rolle der USA das Bild eines neuen Imperiums mit warnenden Untertönen zu untermalen.3 In den Lehrplänen von Schulbehörden und auf der studentischen Interessenskala erfreuen sich Rom und Karthago noch immer großer Beliebtheit, zumal mit Hannibal - und den Elefanten!5 - ein ungemein starkes Zugpferd für die Imaginationskraft vorhanden ist.

In der Reihe "Geschichte kompakt" ist nun eine Einführung zum Thema "Rom und Karthago" aus der Feder des in Jena lehrenden Klaus Zimmermann erschienen. Anspruch und Sinn dieser Reihe sind schon häufig in Rezensionen thematisiert worden.4 Für "Schulen und Universitäten" (S. VII) sind solche thematischen Einführungen auf jeden Fall geeignet; das beweist dieser Band eindrücklich. Zimmermann legt die erste Einführung vor, die die gegenseitigen Beziehungen Roms und Karthagos in den Mittelpunkt stellt und dabei keine einseitige Perspektive wahrnimmt. Dies ist ein begrüßenswertes Novum. Dass Zimmermann dabei nicht der Gefahr erliegt, eine dem Zeitgeist geschuldete Interpretation vorzunehmen, die "dem Trend der Zeit entsprechend allenthalben interkulturelle Annäherung und Begegnung" wittert (S. 1), sei hervorgehoben. Ein zentrales Anliegen Zimmermanns ist die Offenlegung der prorömischen Tendenz unserer Quellen - bei Polybios spricht Zimmermann etwa in einem Fall von absichtlich vorgenommener "Korrektur" (S. 56), sonst von "Manipulation" (S. 41), bei Livius attestiert Zimmermann gar "annalistische Phrasendrescherei" (S. 76).

Vom ersten Vertrag bis zur Zerstörung der nordafrikanischen Metropole umfasst die Darstellung die gesamte gemeinsame Geschichte Roms und Karthagos. Sie ist dabei in zwei Teile gegliedert, die ihrerseits durch eine Vielzahl von Unterkapiteln gegliedert sind: Erst werden die "politischen Beziehungen" in chronologischer Reihenfolge beschrieben (Kap. II, S. 4-100), dann, erneut in chronologischer Folge, die "militärischen Auseinandersetzungen" (Kap. III, S. 101-144). Dass damit die Ereignisgeschichte zweimal durchlaufen wird, wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten, ist ungewöhnlich. Es ermöglicht dem Autor die Betonung von wiederkehrenden Strukturmustern in der Außenpolitik der beiden Staaten und eine vergleichende Betrachtung der Qualität und Intention der Quellen.

Nach der sehr kurzen und bündigen Einleitung (Kap. I) verzichtet Zimmermann auf allgemeine Ausführungen zur Vorgeschichte und beginnt sofort mit der Untersuchung der vier römisch-karthagischen Verträge (Kap. II.1-4). Hier zeigt Zimmermann mustergültig seine Quellenuntersuchung, die in einer Transparenz und Breite erfolgt, wie man sie sich für eine thematische Einführung nur wünschen kann. Der Leser sieht Zimmermann quasi über die Schulter, wie er Schicht für Schicht die Polybios-Quelle durchdringt und zu überzeugenden Interpretationen kommt. Forschungskontroversen finden ausreichend Raum. Die für beide Seiten lukrative Koexistenz, wie sie die Verträge aufzeigen, endet mit dem Ausbruch des 1. Römisch-Karthagischen Krieges. Zimmermann widmet diesem Thema ein breites Kapitel, das in fünf Unterkapitel gegliedert ist (Kap. II.5a-e). Er kommt zu dem Schluss, dass die Intervention Roms in Sizilien eine "konsequente Fortführung bisheriger Politik" darstellt und im Zusammenhang einer "Dynamik kontinuierlicher gewaltsamer Expansion" steht. Die Quellen versuchen zwar, dies zu verschleiern oder moralisch zu legitimieren, dennoch: "[N]icht Kriege zu vermeiden, sondern gerechte Kriege zu führen war das Ziel römischer Politik." (S. 28)

Nach einem kurzen Kapitel (II.6) zu den Friedensbestrebungen während des 1. Römisch-Karthagischen Krieges wendet sich Zimmermann dem Lutatius-Vertrag zu. Nach einer eng an die Quellen angelegten Analyse der Situation beider Mächte zu Beginn der Verhandlungen spielen die Bestimmungen des Vertrages eine zentrale Rolle. Sie waren laut Zimmermann "für die karthagische Wirtschaft ein Rückschlag, doch von einem dramatischen Verlust zu sprechen, wäre kaum gerechtfertigt" (S. 37). Schwerer wogen angesichts der eigenen Schwäche für die karthagische Seite der anschließende Söldneraufstand und die römische Annexion Sardiniens (Kap. II.8). Angesichts des römischen Vorgehens bei der Annexion Sardiniens, das einen "eklatanten Rechtsbruch" (S. 40) darstellte, musste sich die Führung Karthagos die Frage stellen, wie man Rom zukünftig begegnen könne. Zimmermann zeigt, "dass Roms Interesse an weiterer Expansion bei politischen Entscheidungen absoluten Vorrang vor internationalem Recht genoss" (S. 41).

Die nächsten beiden Kapitel befassen sich mit dem so genannten Ebro-Vertrag (Kap. II.9) und dem Ausbruch des 2. Römisch-Karthagischen Krieges (Kap. II.10). Sie bilden eine inhaltliche Einheit. Mit 25 Seiten sind sie quantitativ und in der überzeugenden Quellenarbeit auch qualitativ ein Schwerpunkt der Darstellung. Zimmermann arbeitet aus den Polybios-Stellen die Kriegsschuld Roms heraus und deckt diesbezügliche Vertuschungsversuche in den prorömischen Quellen als "annalistische Geschichtsfälschungen" (S. 57) auf. Roms Ausgreifen nach Iberien erscheint Zimmermann als logische Folge einer expansionistischen Politik, die sich in fast nahtloser Kette seit 264 v.Chr. fortsetzte (S. 68). Ist die Argumentationskette Zimmermanns auch luzide, so wird die Kontroverse um den so genannten Ebro-Vertrag ausgeblendet: Die antiken Quellen sind nur vage in einer eindeutigen Identifikation des Vertragsflusses (Polyb. 2,13,7). Bei einer Analyse der betreffenden Stellen des Polybios und des Appian wirkt eine Identifikation mit dem heutigen Ebro fraglich (Polyb. 3,15,5; 3,30,3; App. Iber. 7,25). Damit rücken andere Flüsse in die Rolle des Iber, etwa der Segura oder Júcar.6

Die nächsten zwei Kapitel (II.11-12) widmen sich den diplomatischen Ereignissen während des 2. Römisch-Karthagischen Krieges. Untersucht werden die Bündnisverträge Hannibals bzw. Karthagos mit Makedonien, Syrakus und den Numidern, die alle dem Kriegsziel eines Gleichgewichts der Kräfte im westlichen Mittelmeer dienten, in dem Rom nur eine Mittelmacht unter vielen darstellen sollte (S. 71). Das Ende des Krieges (Kap. II. 13) markiert mit dem Frieden von 201 den Schlusspunkt der karthagischen Unabhängigkeit (S. 82). Damit "gleicht der Dritte Punische Krieg der Exekution eines Delinquenten" (S. 91). Als römisches Motiv für die Zerstörung Karthagos macht Zimmermann in erster Linie einen "Lernprozess" aus, den die römische Elite im 2. Jahrhundert v. Chr. durchmachte. Er fasst zusammen: "Man hatte die Unmöglichkeit eingesehen, besiegten Staaten einerseits ihre Selbstständigkeit zu belassen, andererseits jederzeit bedingungslose Unterordnung unter den Willen Roms aufzuerlegen" (S. 99).

Der zweite Abschnitt der Darstellung, der die militärischen Auseinandersetzungen beschreibt, ist bedeutend kürzer und geht den Ereignissen auf den Kriegsschauplätzen in ihren strategischen wie taktischen Hintergründen nach. Zimmermann hebt dabei im ersten Kapitel (III.1) überzeugend die Bedeutung der Überlegenheit Roms an Ressourcen und Menschen im 1. Römisch-Karthagischen Krieg hervor. Er weist darauf hin, dass der römische Flottenbau nicht eine Pioniertat war, sondern eine strategische Neuorientierung des römischen Kriegspotentials darstellte (S. 104f.).7 Trotz vieler römischer maritimer Rückschläge sei es die karthagische Führung gewesen, die aus Kriegsmüdigkeit den Krieg beendete (S. 114). Im 2. Römisch-Karthagischen Krieg (Kap. II.2) gelang es der militärischen Begabung Hannibals nicht, das grundsätzliche Kräftegefälle zwischen den beiden Mächten auszugleichen. Zimmermann macht eine ganze Reihe interessanter Beobachtungen: Hannibals strategisches Geschick liege primär in der Fähigkeit, den Gegner in für ihn unvorteilhafter Lage zur Schlacht zu zwingen (S. 120ff.). Es wird aber ebenso deutlich, dass diese Strategie für den Karthager auch alternativlos war, da der Verlust der Initiative zwangsläufig die Niederlage nach sich ziehen musste. Auch die Beobachtungen zur Klientelpolitik der Scipionen in Iberien, die Zimmermann als Erbe der gleichartigen Politik der Barkiden sieht (S. 134), sowie die Ausführungen zur abschreckenden Vernichtungspolitik Roms gegenüber eroberten Städten (S. 135) gewinnen dem oft beackerten Feld des 2. Römisch-Karthagischen Krieges neue Nuancen ab. Letztendlich aber konnte Karthago sich auch mit Verbündeten im ersten "antiken Weltkrieg" nicht durchsetzen (S. 69).

Im kurzen Fazit (Kap. IV) gibt Zimmermann pointiert die Ergebnisse seiner Betrachtungen wieder: Es sei "nicht die Konkurrenz zweier Großmächte, sondern das notorische Unvermögen der Römer, bestehende Grenzen zu respektieren beziehungsweise eigenständige, prosperierende Staaten neben sich zu dulden" (S. 145) gewesen, was den Ausbruch dreier Kriege verursachte. Roms Expansion erfolgte "ohne erkennbare Maß- und Zielvorgabe […] augenscheinlich allein dem Grundsatz, keine Gelegenheit zur Erweiterung des eigenen Machtbereiches ungenutzt zu lassen" (S. 146). Rom ist schließlich laut Zimmermann in der Art der Kriegführung mit der "Bereitschaft zum „totalen Krieg“, wie sie anderen antiken Gesellschaften fremd war", eine "Ausnahmeerscheinung" (S. 146).

Zimmermann leistet mit seiner Darstellung einen sehr prägnanten Beitrag zur Geschichte des römischen Imperialismus, verbunden mit lehrreichen Einblicken in die Verschleierungstechnik der prorömischen Quellenautoren, die Roms aggressives Vorgehen propagandistisch camouflieren sollte. Die Betonung wesentlicher Bereiche der gegenseitigen Beziehungen und die minutiöse Quellenarbeit machen diesen Band gerade als Einführung besonders geeignet. Das schmerzliche Fehlen einer Karte ist wohl den Vorgaben des Verlages geschuldet. Manches Mal vermisst man eine Einordnung der einzelnen Ergebnisse eines Kapitels in den großen politischen Zusammenhang. Dies gilt vor allem für die innenpolitische Entwicklung beider Staaten, die ja gerade im Falle Roms durch den Konflikt mit Karthago eine ungeheure Dynamisierung erfuhr. Die Nutzung der für die Reihe "Geschichte kompakt" typischen kurzen Informationsblöcke - Quellenauszüge, Begriffserklärungen und Kurzbiografien - ist im Falle der Quellenauszüge erfreulicherweise sehr üppig, bei den Erklärungen dagegen ist die Auswahl nicht immer konzise. Die Auswahlbibliografie fasst die wichtigsten Veröffentlichungen auf einem aktuellen Stand zusammen.

Die vorliegende Einführung stellt in zweierlei Hinsicht einen wichtigen Beitrag dar: Zum einen tritt sie außerordentlich überzeugend den Beweis an, dass Einführungen sehr wohl eine breite Thematik mit tiefgehender und spannender Quellenarbeit verbinden können. Zum anderen zeigt sie, dass eine Neuakzentuierung etwa im Aufbau - hier die Trennung der politischen von den militärischen Ereignissen - auch bei einem scheinbar "abgedroschenen" Thema neue Nuancen sichtbar machen kann. Die teils sehr deutlichen Bewertungen Zimmermanns, die aber immer auf breiter Beweisgrundlage stehen, provozieren zum Nachdenken - und dies, nicht die pure Faktenvermittlung, ist Ziel moderner Einführungen. Für das Studium römischer Außenpolitik in der Zeit der Republik ist diese Einführung nur zu empfehlen.

Anmerkungen:
1 Der sehr reich bebilderte und empfehlenswerte Katalog gibt in seinen 25 Artikeln ein breites Spektrum der Forschung zu den Westphöniziern und Karthago wieder. Dem Namensgeber der Ausstellung selbst sind zwei Artikel gewidmet; vgl. Badisches Landesmuseum Karlsruhe (Hg.), Hannibal ad portas. Macht und Reichtum Karthagos, Stuttgart 2004.
2 Vgl. Christ, Karl, Hannibal, Darmstadt 2003; Barceló, Pedro, Hannibal. Stratege und Staatsmann, Stuttgart 2004; Hoyos, Dexter, Hannibal's Dynasty. Power and Politics in the Western Mediterranean, 247-183 B.C., London 2003.
3 Vgl. Bender, Peter, Weltmacht Amerika. Das neue Rom, Stuttgart 2003, S. 216ff.
4 Dazu zuletzt Joachim Losehand, Rez. zu Ernst Baltrusch, Caesar und Pompeius, Darmstadt 2004, in: H-Soz-u-Kult, 27.07.2005 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-3-112>.
5 Es ist kein Zufall, dass das gleiche Motiv eines Kriegselefanten die Biografie Christs und die Einführung Zimmermann ziert. Leider handelt es sich dabei um eine aus dem 19. Jahrhundert stammende Darstellung eines indischen Kriegselefanten mit dem obligatorischen Turm.
6 Dazu auch auf archäologischer Basis jetzt: Barceló (wie Anm. 2), S. 84ff. Vehement die Gegenseite vertretend: Bringmann, Klaus, Der Ebrovertrag, Sagunt und der Weg in den Zweiten Punischen Krieg, in: Klio 83 (2001), S. 369-376. Dass man die - vielfach - sehr spezielle Kontroverse auch ohne großen Aufhebens darstellen kann, zeigt routiniert Christ (wie Anm. 2), S. 48f., 51.
7 Der viel gerühmte "Rabe", dem traditionell die zentrale Rolle bei den Siegen der römischen Flotte eingeräumt wird, war wohl nicht eine Enterbrücke, sondern ein Enterhaken; dazu aktuell: Schulz, Raimund, Die Antike und das Meer, Darmstadt 2005, S. 159f.

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