Cover
Titel
Im Land der Pharaonen. Ägypten in historischen Fotos von Lehnert und Landrock


Autor(en)
Weiss, Walter M.
Erschienen
Heidelberg 2004: Palmyra Verlag
Anzahl Seiten
160 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang G. Schwanitz, Deutsches Orient-Institut Hamburg

„Danach gehen wir zu Lehnert und Landrock“, hiess das Lockmittel meiner Kindheit, um mir lange Streifzüge durch Kairos Basar Khan al-Khalili schmackhaft zu machen. Endlich in den kühlen Räumen von L&L angelangt, ging mein Taschengeld für Werke Enid Blytons und Karl Mays drauf (später tauschte ich die Fünf Freunde, den Silbersee und die Sklavenkarawane bei meinem Hauptfeldwebel für ein paar Tage Urlaub ein). Aber in jenem schweizerisch-deutschen Buchladen durfte ich auch in den Kisten mit Postkarten, Fotos, den Stichen David Roberts, Kalendern und Kunstdrucksachen herum stöbern.

Nach dem Bildband des Journalisten Philippe Cardinal von 1987 mit 76 Fotos, liegt hier eine Auswahl weiterer Fotos zu Ägypten von Ernst Heinrich Landrock (1878-1966) und Rudolf Franz Lehnert (1878-1948) vor. Der Wiener Publizist Walter M. Weiss hat sie aus den Archiven dieser beiden Inhaber eines Fotostudios, eines Verlages und einer Buchhandlung ediert. Der Fundus hat in Kairo 6.500 Fotoplatten, von denen Lehnert etwa 4.000 seit 1904 in Tunis, späterhin in Kairo und auf Reisen aufgenommen hat. Den Schwerpunkt dieses Bandes bilden die Fotos aus Ägypten der 1920er-Jahre. Nach einer historischen Einführung in die Geschichte des Landes, der Fotografie und des Lebens von Lehnert und Landrock, hat Weiss die Bilder thematisch geordnet: Ägypten im Wandel der Zeit, frühe Fotografie am Nil, Menschen, Kairo sowie Pyramiden und Sphinx.

Da ist zum Beispiel das historisch wohl einmalige Foto eines Zeppelins über Kairo. Der mit Helium gefüllte Flieger schwebte 1931 über einem Wahrzeichen der Metropole am Nil, die Mohammed-Ali-Moschee. Das Bild ist derart geschickt angelegt, das es so erscheint als ob das Luftschiff jeden Moment von den Minaretten aufgespießt würde. Gleichermaßen gibt es Fotos von der Sphinx vor 1924, als ihr Körper noch nicht vom Sand befreit worden war. Wer denkt da nicht an das berühmte Gemälde des Orientmalers Jean-Leon Gerome, das Napoleon Bonaparte zu Pferde 1798 vor dem Kopf der Sphinx zeigt, die wie auf jenem Foto nur aus dem Sand ragt. Die Intervention des Korsaren in Ägypten leitete ein neue Ära im Orient ein: Europas Moderne begann, mit ihren Folgen über diese Region hereinzubrechen. Teile dessen spiegelt die Fotogeschichte wider.

So beeindruckend wie die Bilder ist auch das Leben der beiden Unternehmer, das Weiss leicht gekürzt aus der Chronik der Firma nachzeichnet. Ihr gemeinsamer Weg beginnt 1904 in der Schweiz. Der Österreicher Rudolf Franz Lehnert war zuvor mit der Kamera durch Tunesien gewandert. Er gewinnt den Sachsen Ernst Heinrich Landrock für den Zauber des Orients. Sie gehen nach Tunis, wo der Kaufmann Landrock in der Avenue de France einen Laden mietet.

„Lehnert ist der Fotograph, der Künstler, und Landrock der unermüdliche Verwalter“, heisst es in der erwähnten Chronik. Und weiter: „Lehnert begibt sich zu einer ersten Photoreise mit einer Karawane durch die Wüste. Erst nach zwei langen Monaten kehrt er von dieser Reise zurück, voll beladen mit Photoplatten, und findet Landrock kochend vor Ungeduld vor. Auf seine Bemerkungen antwortet Lehnert: 'Über meine Photos wird man noch in 200 Jahren sprechen.'“1 Der National Geographic druckte 1914 aus Tunis gar 80 L&L-Fotos. Ihr Geschäft erblühte. Die Fotos und die Kunstdrucke wurden späterhin in Leipzig, Dresden und Berlin verlegt.

Im Ersten Weltkrieg wurde ihr Lokal konfisziert. Beide wurden interniert und schafften es, die Photoplatten zu bewahren. Sie lernten ihre künftigen Ehefrauen kennen (im Fall Lehnerts ist es Emilie Singer-Lambelet), schufen 1920 in Leipzigs Emilienstraße den Orient Kunst Verlag und beschlossen, in Kairo ein Geschäft aufzumachen. Vier Jahre später etablierten sie dort in der Adli-Straße das Großhandelsgeschäft Lehnert & Landrock. Um den Absatz anzukurbeln, eröffneten sie 1925 ein Verkaufslokal zwischen den Hotels Continental und Shepheards in der Kamil-Ibrahim-Straße. Zehn Jahre darauf erwarben sie das bekannte Eckgeschäft in der Madabagh-Straße. Dort, in der heutigen Sharif-Basha-Straße, befindet sich ihr Laden immer noch.

Doch zurück in die Zwischenkriegszeit. In der Chronik heisst es: „Die Buchhandlung wurde von Herrn Pepino geführt, Träger des Eisernen Kreuzes. Er ging kurz vor dem Krieg zurück nach Deutschland, um wieder für die Heimat zu kämpfen, wurde aber nicht in die Armee aufgenommen, da seine Mutter Jüdin war.“ Diese und die oben zitierten Aussagen fehlen leider in der Übersicht des Buches, obwohl sie die Spannbreite der damaligen Konflikte andeuten, in die die beiden Geschäftspartner geraten sind.

Ein Jahr vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs hat Landrock dem Schweizer Kompagnon Kurt Lambelet 80 Prozent seines Anteils verkauft und sich nach Deutschland in das Privatleben begeben. Indessen versiegelten Briten in Kairo das vermeintlich deutsche Geschäft. Als Schweizer gelang es Kurt Lambelet jedoch, seinen Anteil zurück zu erhalten und das Unternehmen fortzuführen. Doch verbuchte er Verluste: Deutschen wurden in Ägypten feindliche Ausländer, der Handel mit Deutschland war verboten. Dazu steht in der Chronik: „Der deutsche Kundenkreis entfällt: die Männer sind in Fayid, die Frauen in Mansura interniert. Es wird nur noch lokal – und schlecht – gedruckt. Den alliierten Soldaten werden Landesprodukte wie Leder, Silberschmuck u.a. angeboten.“ Nach dem Krieg kaufte Kurt Lambelet die restlichen Anteile auf. Er vereinte Kunstverlag und Buchhandlung.

Inzwischen erfasste eine nationalistisch radikale Welle die Region. Beginnend mit Ägypten, wurden Militärregimes errichtet. Nicht wenige der jungen Offiziere gingen im Kalten Krieg auf den Ostblock zu, was in Nordafrika und Westasien ähnliche soziale Einschnitte wie in der Sowjetunion und in Osteuropa zur Folge hatte. Ab 1956 wurden am Nil ausländische Firmen verstaatlicht. Daher gründeten Kurt Lambelet und sein Sohn Edouard Lambelet eine weitere Firma. Aber es wurde schwer vom Staat, der alles verwaltete, Importlizenzen zu erhalten. Das geschah erst 1968, wobei sich ein Jahr später ein Ägypter aus der Firma auf die staatliche Seite schlug und dort eine staatliche Gesellschaft für Buch- und Postkartenimport gründete: eine direkte Konkurrenz aus einem übermächtigen Staat.

Anfang der 1970er-Jahre wurde der Antrag auf eine Niederlassung im Ägyptischen Museum bewilligt. Das Geschäftsklima verbesserte sich, als Präsident Anwar as-Sadat zugleich Ägyptens Öffnung gegenüber dem Westen begann. Seither blühte die Firma auf und verzweigte sich in den traditionellen Kunstdruck mit Postkarten, Postern, Kalendern, Büchern und Papyrus-Sachen, die polyglotte Buchhandlung und die Filiale im Ägyptischen Museum. Dr. Edouard Lambelet beging am Nil 2004 das 100-jährige Geschäftsjubiläum von L&L.

Das Buch von Walter M. Weiss lädt zu weiteren Recherchen ein. Zum einen ist L&L ein ideales Thema der Unternehmensgeschichte, die über ein Jahrhundert ebenso das sozialgeschichtliche Auf und Ab am Nil ausloten kann. Zum anderen werden Vergleiche zwischen Orientmalern und Orientfotografen möglich, die an der Wende zum 20. Jahrhundert nicht nur miteinander konkurriert, sondern sich auch beeinflusst haben. Einige L&L-Fotos sind nachkoloriert und als Kunstdrucke oder Postkarten berühmt geworden.2 Weiss hat der historischen Forschung Türen geöffnet. Dass der große Romancier Nagib Machfus von jung auf L&L-Waren kannte, wie er in seinem Vorwort betont hat, verwundert kaum: wie seine Romane zeigen sie Licht und Schatten des Lebens am Nil. Georg Stein, dem rastlosen Heidelberger Verleger, sei für den Fotoband gedankt.

Anmerkungen:
1 Chronik Lehnert & Landrock, Kairo 13.05.1990, 3 S. Ich danke Dr. Edouard Lambelet für die Übersendung dieser Unterlagen.
2 Lambelets Verzeichnis der L&L-Logos für Postkarten, 1904-1994, Kairo 1994, 11 S.; vgl. ferner: Cornelia Köster über L&L in: Schwanitz, Wolfgang G. (Hg.): 125 Jahre Sueskanal. Lauchhammers Eisenguss am Nil, Hildesheim 1998, S. 21-23.

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