Cover
Titel
Thukydides.


Autor(en)
Sonnabend, Holger
Reihe
Studienbücher Antike 13
Anzahl Seiten
140 S.
Preis
€ 18,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Michels, Institut für Alte Geschichte und Altorientalistik, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck

Das auch heute noch ungebrochene Interesse an Thukydides, dem neben Herodot wohl bekanntesten Historiker der griechischen Antike, wird deutlich durch die stetig anwachsende Zahl von Abhandlungen über ihn illustriert. Eine auf der aktuellen Forschung basierende Einführung für Studenten, wie sie nun von Holger Sonnabend in der Reihe Studienbücher Antike vorliegt, ist daher überaus begrüßenswert.

Sonnabend beginnt seine Darstellung im ersten Kapitel "Leben und Zeit" (S. 9-25) mit einer Annäherung an die "Biographie" des Thukydides (S. 9-16), die trotz der geringen Zeugnisse recht detailliert ausfällt. Um dessen Schaffen als Zeithistoriker einzuordnen, geht Sonnabend anschließend auf das politische und geistige Umfeld des Thukydides ein (S. 16-25). Dabei behandelt er zuerst die historische Entwicklung Athens seit den Perserkriegen und den Verlauf des Peloponnesischen Krieges. Obwohl in diesem notwendigerweise beschränkten Rahmen weitergehende Bemerkungen nicht möglich sind, wirft die kursorische Darstellung gerade der Pentekontaetie doch einige Probleme auf. So bleibt die Chronologie der Ereignisse teils undeutlich, und mit dem Kallias-Frieden, der "radikalen Demokratie" Athens, sowie dem angeblichen, rein defensiven Kriegsplan des Perikles werden durchaus umstrittene Punkte der griechischen Geschichte zwar angesprochen, aber nicht problematisiert. Unter "Der Peloponnesische Krieg" (S. 26-41) geht Sonnabend auf Namen, Aufbau sowie Entstehung des Geschichtswerkes ein und gibt abschließend einen Forschungsüberblick zur so genannten thukydideischen Frage (S. 36-41).

Im Kapitel "Geschichtsauffassung und historische Methode" (S. 42-58) behandelt Sonnabend zuerst die Geschichtsschreibung vor Thukydides, um sich dann dessen Arbeitsweise zuzuwenden. "Die Unterscheidung von Ursachen und Anlässen" (S. 53-55) für den Ausbruch des Krieges spielt dabei für die Bewertung der Leistung des Thukydides als Historiker eine fundamentale Rolle, zeigt sich hier doch offenbar seine Fähigkeit zur Analyse des Geschehens. Die Frage nach den Ursachen bzw. der Kriegsschuld wird auch anderenorts im Buch behandelt, leider ohne dass an einer Stelle eine überzeugende Antwort gegeben wird. Besonders ins Gewicht fällt dabei die unzureichende Thematisierung der Absichten des Thukydides. Von Bedeutung ist hier auch dessen Beurteilung des so genannten Megarischen Psephisma, welches Thukydides im Übrigen nicht "völlig" (S. 116) verschweigt, jedoch nur am Rande erwähnt.1 Sonnabends Erklärung, Thukydides habe es nicht für wichtig erachtet, greift wesentlich zu kurz. Die Parallelüberlieferung zeigt nicht nur, dass die athenische Öffentlichkeit im Festhalten an diesem Beschluss später einen wesentlichen Kriegsgrund sah, auch der thukydideische Perikles (Thuk. 1,140,4) betont vor der ekklesia, der Beschluss sei keine "Kleinigkeit". Dass Thukydides ihm dennoch so wenig Beachtung schenkt, ist in der Forschung als Versuch gesehen worden, die Verantwortung Athens und speziell des Perikles für den Kriegsausbruch herunterzuspielen, und auch die Konstruktion der Unvermeidlichkeit des Krieges ist in diesem Sinne gedeutet worden. Wenngleich es auch fraglich bleibt, inwiefern diese scharfe Kritik an Thukydides gerechtfertigt ist, steht mit dieser Frage doch die Glaubwürdigkeit des Historikers auf dem Spiel, so dass ein Auslassen dieser Forschungsrichtung eine unzulässige Verkürzung bedeutet.2

Relativ viel Raum (S. 59-73) wird dann der Rolle des Thukydides als "Althistoriker" (S. 7) anhand der so genannten Archäologie gewidmet. Im Detail zeigt Sonnabend hier die Arbeitsweise des Thukydides auf, betont dabei jedoch, es gehe ihm nicht darum, die von Thukydides gemachten Aussagen zur griechischen Frühgeschichte mithilfe von Ergebnissen der neueren Forschung als zutreffend oder falsch zu erweisen (S. 61, Anm. 8), was in begrenztem Rahmen allerdings durchaus wünschenswert gewesen wäre. Ein weiteres wichtiges Element stellen sicher "biographische Elemente im Geschichtswerk des Thukydides" dar. Sonnabend behandelt in diesem fünften Kapitel Perikles, Kleon, Brasidas und Alkibiades sowie Themistokles und Pausanias (S. 74-82); Nikias allerdings fehlt in dieser Reihe, ohne dass dies näher begründet wird. Sonnabend betont zu Recht, dass es Thukydides nicht darum ging, Charakterbilder der Personen zu zeichnen, sondern diese vielmehr als Typen von Politikern zu präsentieren. Gerade in Bezug auf die Darstellung des Perikles werden jedoch die Nachteile der auch hier wieder sehr gerafften Abhandlung deutlich. Seine Darstellung durch Thukydides wird auf nicht einmal einer Seite (S. 76) anhand der Würdigung bei Thuk. 2,65 nur in Ansätzen als idealisiert problematisiert. Fraglich ist es außerdem, wenn Sonnabend Thukydides dafür kritisiert, dass er nicht die kulturellen Leistungen des Perikles dargestellt habe. In jüngerer Zeit hat insbesondere Wolfgang Will darauf hingewiesen, dass das Bild des Perikles als spiritus rector der kulturellen Leistungen des demokratischen Athen weitgehend ein Konstrukt der Neuzeit ist, das - abgesehen vom unsicheren Zeugnis des Plutarch - nicht durch die antiken Quellen gestützt wird.3

Nach einigen Bemerkungen zu "Sprache und Stil" (S. 83f.) behandelt Sonnabend im Rahmen der "Interpretation ausgewählter Passagen" (S. 85-104) mit der Gefallenenrede des Perikles, der Beschreibung der Pest, der Mytilene-Debatte sowie dem Melierdialog Höhepunkte des thukydideischen Geschichtswerkes, die er als repräsentativ "für einen besonderen Aspekt der Methodik, der Geschichtsauffassung und der politischen Einstellung des Thukydides" (S. 85) herausstellt. Dieses wichtige Kapitel dient somit auch zur Vertiefung der recht knappen Ausführungen zum Methodenkapitel (S. 47-50). Nach der Behandlung der Rezeptionsgeschichte (S. 105-112) widmet sich Sonnabend (S. 113-116) zum Schluss der Frage, inwiefern Thukydides der "größte Historiker der Antike" gewesen sei. Er trägt damit den emphatischen Urteilen vor allem neuzeitlicher Autoren Rechnung, relativiert diese jedoch zu Recht in manchen Punkten.

Abschließend muss noch auf die Zitierpraxis des Buches eingegangen werden. Das häufige Zitieren von Monografien ohne Seitenzahlen - insbesondere wenn es sich um Spezialliteratur handelt - ist gerade für eine primär an Studenten gerichtete Einführung problematisch.4 Andererseits scheinen die Ergebnisse der im Literaturverzeichnis angeführten neuesten Literatur zuweilen nicht in die Darstellung eingeflossen zu sein. Die entsprechenden Titel werden vielmehr des Öfteren an anderem Ort kurz genannt. Hier wäre der stärkere Einsatz von Querverweisen hilfreich gewesen. Im Literaturverzeichnis fehlen außerdem zitierte Titel, einige im Verzeichnis genannte Titel werden nicht im Text zitiert.5

Sonnabend berührt in seiner Darstellung viele wesentliche Punkte der Forschung zu Thukydides, wobei die Ausführungen allerdings im Einzelnen leider an manchen Stellen nicht über bereits vorhandene Einführungen hinausgehen und nur bedingt einen Einstieg in die Forschung zu spezielleren Bereichen bieten. Da es eine vergleichbare neuere Überblicksdarstellung jedoch nicht gibt, ist sie als Einführung dennoch zu empfehlen.

Anmerkungen:
1 vgl. Thuk. 1,67,4; 1,139,1-2; 1,140,3-4; 1,144,2.
2 Zwar wird mit Badian, Ernst, Thucydides and the Outbreak of the Peloponnesian War. A Historian's Brief, in: Ders., From Plataea to Potidaea. Studies in the History of the Pentecontaetia, Baltimore 1993, S. 125-162 der wohl schärfste Kritiker im Schlusskapitel zitiert (S. 114), doch wird nicht deutlich, worin die von Badian vermutete Geschichtsfälschung des Thukydides bestanden haben soll. Zur Darstellung des Megarischen Psephisma und der Rolle des Perikles vgl. Will, Wolfgang, Thukydides und Perikles. Der Historiker und sein Held, Bonn 2003, S. 159ff., bes. S. 231f. Die Autorität des Thukydides bezüglich der Kriegsursachen wird von Sonnabend in Ansätzen auf S. 19f. problematisiert.
3 Zum Perikles des Thukydides vgl. jüngst Will (wie Anm. 2), S. 159ff., bes. S. 223ff., zum Kulturförderer Perikles S. 309-316.
4 So wird etwa zum Dekeleisch-ionischen Krieg (S. 21 Anm. 41) allein Bleckmann, Bruno, Athens Weg in die Niederlage. Die letzten Jahre des Peloponnesischen Kriegs, Stuttgart 1998 zitiert, der sich mit seinem über 600 Seiten umfassenden Buch vor allem Spezialproblemen zuwendet und für einen Überblick eher ungeeignet ist.
5 Im Literaturverzeichnis fehlen Kagan, Donald, The Outbreak of the Peloponnesian War, Ithaca 1969 (S. 19, Anm. 35), Schuller, Wolfgang, Die Stadt als Tyrann - Athens Herrschaft über seine Bundesgenossen, Konstanz 1978 (S. 18, Anm. 32). Nicht in den Anmerkungen zu finden war z.B. Rechenauer, Georg, Thukydides und die hippokratische Medizin. Naturwissenschaftliche Methodik als Modell für Geschichtsdeutung, Hildesheim 1991.

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