Titel
Suevia Sacra. Zur Geschichte der schwäbischen Reichsstifte im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit. Pankraz Fried zum 70. Geburtstag


Herausgeber
Liebhart, Wilhelm; Faust, Ulrich
Reihe
Augsburger Beiträge zur Geschichte Bayerisch Schwabens 8
Erschienen
Stuttgart 2001: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
broschiert, XII + 241 S., 1 Abb.
Preis
DM 48
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harald Müller, Institut für Geschichtswissenschaften der HU Berlin Email

Pankraz Fried ist der historischen Landschaft Schwaben durch zahlreiche eigene Arbeiten und durch mannigfache von ihm angeregte Forschungsprojekte aufs Engste verbunden. Dem emeritierten Landeshistoriker und langjährigen Vorsitzenden der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft ein Kolloquium zur sogenannten Suevia sacra zu widmen, ist daher sicherlich eine treffliche Wahl. Am Ende des Alten Reiches umfasste das „Geistliche Schwaben“ 30 Klöster, Stifte und Konvente zwischen Iller und Lech. Deren Bemühungen um den Ausbau ihrer Landeshoheit und die damit einhergehende Positionierung gegenüber dem Reich und den territorialen Nachbarn bilden den von Wilhelm Liebhart einleitend umrissenen Frageansatz, der in weiteren 13 Beiträgen aus der landesgeschichtlichen Perspektive vergleichend behandelt werden soll. Der Band versucht sich der Thematik aus drei Richtungen, der territorialen, der reichsrechtlichen und der geistig-kulturellen, zu nähern, widmet sich zunächst jedoch den allgemeinen Grundlagen.

Ein Forschungsüberblick zur Geschichte der ostschwäbischen Reichsklöster aus der Feder von Armgard von Reden-Dohna steckt sorgfältig den inhaltlichen Horizont ab und weist darauf hin, dass neben der differenzierten Betrachtung der Territorialisierungsprozesse und des Verhältnisses dieser Gebilde zum Reich die nachbarschaftliche Verwobenheit der „Klosterstaaten“ und deren kollegiale Interaktion nicht aus dem Blick verloren werden sollten. Zu den unmittelbaren Bedingungen solcher Forschungsvorhaben gehört die Überlieferungslage. Reinhard H. Seitz erinnert daran, dass mit der Einrichtung des Bayerischen Staatsarchivs in Augsburg 1989 eine Provenienzbereinigung des Archivguts in Bayern einherging, als deren Resultat sich Augsburg nun gleichsam als Archiv einer historischen Landschaft präsentiert. Die Titelgestaltung erfährt hieraus eine über die regionsbezogene Emotionalität hinausgreifende Legitimierung. Am Beispiel der Archivalien des Fürstbistums Kempten verdeutlicht Seitz grundlegende Ordnungsprinzipien und benennt für das Tagungsthema wichtige Bestände und Erschließungsprojekte. Eine Erörterung, ob der Erwerb weltlicher Besitztümer und Rechte mit den Normen monastischen Lebens in Einklang zu bringen sei, sollte die thematische Grundlegung abrunden. Erwartungsgemäß kommt der Beitrag von Anton Schneider in der erneuten Zusammenschau sattsam bekannter Phänomene (Armutsgebot der Regula Benedicti, Ungestörtheit klösterlicher Existenz sichernde Vorrechte wie Immunität und Königsschutz, aktiver Ausbau der Besitztümer zu geschlossenen Territorien) jedoch nicht über das Fazit hinaus, die Ideale der Klöster seien infolge einer in Jahrhunderten eingeübten Anbindung an die weltliche Herrschaft kontaminiert worden. Die Gelegenheit zu einer Aktualisierung dieser immergrünen Frage wird hier durch sachliche Fehler im Detail, etwa bei der Definition der Exemtion, und eine nicht immer tragfähige Literaturbasis leider vertan.

Mehr als zwei Drittel des Bandes ist besitz- und verfassungsgeschichtlichen Fragen gewidmet. Ein erster Block, zusammengefasst unter dem Leitmotiv „Aspekte und Probleme von Herrschaft und Landeshoheit“ fragt vorrangig nach den rechtlichen Elementen, welche die Entwicklung zu einer geschlossenen Landeshoheit begünstigen. Hierbei tritt die Vogtei in den Vordergrund. Erst die Ausschaltung der Vogtei bzw. die eigene Verfügungsgewalt darüber öffneten den geistlichen Instituten den Weg von der Besitzakkumulation zur umfassenden Herrschaftsarrondierung. Georg Kreuzer zeigt für das Prämonstratenserstift Ursberg wie wertvoll das Recht war, den Stiftsvogt nach Gutdünken zu bestimmen, und wie andererseits ein starker Vogt die Ausbildung des Territoriums hemmen konnte. Einen Idealfall bietet Kempten (Franz-Rasso Böck) wo schon im 13. Jahrhundert auf der Basis von Vogtei und Grafschaft, der Ausbau der Landeshoheit mittels Grund- und Leibherrschaft vorangetrieben werden konnte. Martina Spies stellt mit den Waisen- und Landschaftskassen schließlich Einrichtungen vor, die sich aus der Fürsorgepflicht der Klöster zu Mitteln obrigkeitlicher Durchdringung des Territoriums entwickelten.

Die Grundmotive territorialer Festigung werden auch im folgenden Teil durchgehalten, der das Augenmerk auf die Positionierung der „Klosterstaaten“ zum Reich richtet. Vergleiche mehrerer Institute legen die Wege zur Verbesserung des eigenen Status offen. Während Wettenhausen sein Streben nach Reichsunmittelbarkeit mithilfe von Gerichtsrechten zu dokumentieren suchte, speiste sich die Landeshoheit Kaisheims aus einer Privilegierung Karls IV., was die propagandistische Namensvariante Kaisersheim erklärt. Wolfgang Wüst kann hier zugleich ein um Legitimation der eigenen Rechtsposition ringendes Räsonnieren der klösterlichen Chronistik über Staatlichkeit nachweisen. Wilhelm Liebhart stellt die aktiv betriebene Emanzipation von St. Ulrich und Afra in Augsburg gegen das bischöfliche Vogteirecht dem Abwehrkampf des Klosters Irsee gegenüber. Irsee war bereits Reichsstand und verfügte über ein weitgehend geschlossenes Territorium, hatte sich aber seit 1611 verstärkter Versuche des Fürstbistums Kempten zu erwehren, das dem Kloster die Landeshoheit zu entreißen suchte. Ottobeuren war dagegen de iure reichsunmittelbar, de facto aber ein bischöfliches Eigenkloster. Die Augsburger Bischöfe, die ihre Rechte aus der Schirmvogtei ableiteten und dazu eine Urkunde aus salischer Zeit ins Feld führten, mussten im 17. Jahrhundert einen herben Rückschlag hinnehmen, als nach einer Archivrecherche diese Urkunde als nicht auf Ottobeuren, sondern auf Benediktbeuren bezogen erwiesen wurde 1. Ottobeuren erlangte vor dem Reichskammergericht infolgedessen Reichsunmittelbarkeit, nicht aber die Reichsstandschaft. Es ist eine interessante Pikanterie am Rande, dass in dem vorliegenden Band die Kontroverse um das Diplom Heinrichs V. wieder auflebt. Denn während Pater Ulrich Faust mit der Forschung seit damaligen Tagen übereinstimmt (S. 143), bezieht Wolfgang Wüst in seinem Beitrag über „Impetrantische Hausklöster“ das Stück nun wieder auf Ottobeuren – freilich ohne jeglichen Nachweis, dass die in der Urkunde auftretende Namensform ‚Buron’ Ottobeuren meinen könnte; der Leser bekommt nun dieselbe Geschichte genau andersherum erzählt (S. 159).

Das Streben nach Reichsunmittelbarkeit und Reichsstandschaft brachte nicht nur Solitäre wie die einzige „Reichskartause“ Buxheim hervor, es sah auch manch gescheiterten Versuch. Hier setzt Wüsts sperriger, aus den Quellen geschöpfter Begriff vom „impetrantischen Kloster“ an, der das Streben nach Unabhängigkeit ebenso wie die Geringschätzung solch – aus der Sicht der Kontrahenten – impertinenter oder penetranter Bemühungen ausdrücken soll. Es geht dabei um die methodisch wichtige Erweiterung des Blickfeldes auf die unvollkommenen Ausbaustufen, um all jene Institute, die es nicht schafften, wie St. Ulrich und Afra in Augsburg Reichsunmittelbarkeit und Reichsstandschaft zu vereinen.

Als Gegenpol zum politisch und verfassungsgeschichtlich motivierten Blickwinkel dient der letzte Abschnitt des Bandes, in dem nach „Klosterstaatlichkeit und Bildung“ gefragt wird. Der unübersehbare Aufschwung der Bildungsbemühungen im Barock steht dem Betrachter heute noch in Gestalt zahlreicher prunkvoll ausgestatteter Bibliotheksräume aus dieser Zeit mit ihrer geballten repräsentativen Wirkung vor Augen. In einem Überblick über die – vornehmlich aus der Zeit der Säkularisation stammenden – Bestandsangaben skizziert Helmut Gier die klösterliche Bibliothekslandschaft des Untersuchungsraumes. Er hebt dabei mit Recht die Problematik der rückblickenden Interpretation solcher Katalogwerke hervor und betont die Bedeutung des „Kulturwillens“ (S. 178) führender Persönlichkeiten im Kloster für den Bibliotheksausbau. Wie Gier macht auch Peter Rummel in seinem Beitrag über die Universität Dillingen den jesuitischen Impuls für manche Erneuerung des klösterlichen Lebens in Ostschwaben verantwortlich. Für die Religiosen dieses Raumes war Dillingen zumindest bis zum 30-jährigen Krieg als Ausbildungsstätte wichtiger als Ingolstadt.
Abschließend führt Franz Quarthal durch die vielfältige klösterliche Wissenschaftslandschaft des Untersuchungsraumes, erneut durch Bibliothekssäle, durch Naturalien- und Münz kabinette sowie nicht zuletzt durch die historiographischen Sammlungsbemühungen der Benediktiner; immerhin darf der Abt von St. Blasien, Martin Gerbert, als geistiger Vater der Germania sacra gelten.

Der Band betrachtet das Phänomen der klösterlichen Territorien vornehmlich aus der rückblickenden Perspektive der Säkularisation und stellt dem Leser eine Fülle an Detailinformationen zur Geschichte einiger ostschwäbischer Reichsstifte vornehmlich im 17. und 18. Jahrhundert zur Verfügung. Trotz nicht weniger Überschneidungen und Wiederholungen bleibt hervorzuheben, dass hier eindeutig Forschungen des Jubilars weiter geführt werden 2. Dies ist kein schlechtes Ergebnis für ein Exemplar der oft geringgeschätzten Gattung Festschrift.

1 Vgl. auch Chronicon Benedictoburanum (!), MGH SS 9, ed. G.H. Pertz, Hannover 1851 S. 235: „ ... nosque statim sub testamento in proprietatem Augustensi ecclesia tradidit.“
2 Nicht von ungefähr zieht sich wie ein imaginärer roter Faden durch den Band: Pankraz Fried, Zur Ausbildung der reichsunmittelbaren Klosterstaatlichkeit in Schwaben, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 40 (1981) S. 418-435.

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