A. Hanschmidt (Hg.): Elementarschulverhaeltnisse ....

Titel
Elementarschulverhältnisse im Niederstift Münster im 18. Jahrhundert. Die Schulvisitationsprotokolle Bernard Overbergs für die Ämter Meppen, Cloppenburg und Vechta 1783/84. Mit Beiträgen von Franz Bölsker-Schlicht, Alwin Hanschmidt und Hubert Steinhaus


Herausgeber
Hanschmidt, Alwin
Reihe
Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XXII B; 3
Erschienen
Münster 2000: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
XII + 353 S.
Preis
€ 38,40
PD Dr. Joachim Schmiedl, Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar

Die jüngste Forschung zur Frühen Neuzeit hat die angebliche Rückständigkeit der geistlichen Staaten des Alten Reichs in ein neues Licht gerückt. Die aus dem Geist der Aufklärung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durchgeführten Reformen ließen die Reichskirche durchaus den Anschluss finden an die Entwicklungen in den großen Territorialstaaten. Dabei nahm die Reform der Schulbildung einen wichtigen Platz ein. Fanden in der Geschichtswissenschaft bisher vor allem die Institutionen des höheren Schulwesens eine angemessene Berücksichtigung, so werden jetzt mehr und mehr auch die Verhältnisse im Elementarschulbereich Gegenstand historischer Erforschung. Gerade hier bemühten sich Reformer um eine möglichst flächendeckende Erneuerung. So hatte die Reform des Normalschulwesens in Preußen und Österreich durch den Abt von Sagan, Johann Ignaz Felbiger, auch Rückwirkungen auf andere Territorien des Reichs.

Die zu besprechende Publikation von Alwin Hanschmidt, der durch eine Vielzahl von Studien als bester Kenner der Münsteraner Schulreformen des 18. Jahrhunderts ausgewiesen ist, enthält in ihrem Hauptteil die Protokolle der Elementarschulvisitationen im Niederstift Münster. Seit 1772 bemühte sich der Münsteraner Generalvikar Franz von Fürstenberg um Schulreformen. In diesen Zusammenhang gehören die Gymnasial- und Universitätsreformen. Durch die Provisionalschulverordnung von 1782 wurde auch für das niedere Schulwesen eine Grundlage geschaffen, die die Schulpflicht der Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahr - zumindest während der Wintermonate - sowie die Aus- und Weiterbildung des Lehrpersonals festschrieb. Ihre Wirkung entfaltete diese Verordnung durch die kurz zuvor erfolgte Ernennung des jungen Kaplans Bernard Overberg (1754-1826) zum Normalschullehrer und damit zum Verantwortlichen für die Lehrerbildung.

1783 und 1784 führte Overberg in dieser Eigenschaft eine Visitation aller Elementar- und Nebenschulen in den Ämtern Meppen, Cloppenburg und Vechta durch. Neben einem Faksimile-Abdruck der Provisional-Verordnung von 1782 und den Instruktionen für Overberg werden nun von Hanschmidt die Protokolle der Schulvisitationen in den genannten Ämtern ediert. Overberg ging dabei nach einem gleichbleibenden Schema vor. Er beurteilte das Schulgebäude, stellte den Schulmeister, die Schulzeit und die Zahl der Kinder sowie die Art der Einkünfte vor. Anschließend ging er auf die Lehrinhalte und die Lehrart ein. Dabei vermerkte er eigens, wenn die Felbigersche Methode verwendet wurde. Overberg beurteilte auch die pädagogischen und fachlichen Fähigkeiten des Lehrpersonals sowie ihr Engagement und die erzielte Disziplin. Mit speziellen Bemerkungen schloss er seine Beobachtungen ab.

Sechs Beiträge versuchen eine Einordnung dieser Visitationsprotokolle. Alwin Hanschmidt beschreibt die Entstehung der Institutionen der Elementarschulreform im Fürstbistum Münster von der Amtsübernahme Fürstenbergs bis zur Durchführung der ersten Normalschulkurse Overbergs. Ein wichtiges Ergebnis seiner Visitation stellte nämlich die Lehrerprüfung durch die Schulkommission dar, bei deren erster Durchführung von 36 Lehrern nur drei als "hinlänglich fähig befunden" wurden, während die übrigen zu einer zusätzlichen Ausbildung an die Normalschule verwiesen wurden, an der jeweils zweieinhalb Monate vor Beginn des Winterschuljahrs (also vor Allerheiligen) die Weiterbildungskurse abgehalten wurden.

Hubert Steinhaus analysiert die Probleme, die sich aus den Overbergschen Visitationen ergaben. Overberg hatte insgesamt im Amt Meppen 93, im Amt Cloppenburg 56 und im Amt Vechta 45 Schulen visitiert. Fast alle Lehrer übten diese Aufgabe nur im Nebenberuf aus. Sie stammten fast ausschließlich aus kleinbäuerlichen und handwerklichen Verhältnissen und besaßen eine geringe Vorbildung, im Amt Meppen nur zwei von 45. Die Schwachpunkte des Elementarschulwesens lagen generell in der zu niedrigen Besoldung und dem "Fehlen eines professionellen Selbstverständnisses der Lehrer" (183). Eine quantifizierende Betrachtung der Visitationsprotokolle und ein Vergleich mit der weiteren Entwicklung, wie sie Franz Bölsker-Schlicht vornimmt, zeigt auf, dass die Grundproblematik in der oft zu geringen Schülerzahl pro Schule lag. Obwohl der Einzugsbereich pro Schule bei etwa 22 km² lag, lag die durchschnittliche Schülerzahl doch nur bei 67-69 (Vechta), 40-43 (Meppen) oder gar 36-38 (Cloppenburg). Bölsker-Schlicht kommt zum Ergebnis: "Mit der Kausalkette geringe Schülerzahl - geringe Schulgeldeinnahmen - geringe Attraktivität der Schulmeisterstelle - geringe Fähigkeit und Qualifikation der Lehrer ist das Grundproblem des Schulwesens im damaligen Niederstift umrissen." (212)

Eine Fundgrube für eine Sozialgeschichte des Elementarschulwesens im Münsteraner Niederstift stellen die drei Beiträge von Hubert Steinhaus, Alwin Hanschmidt und Franz Bölsker-Schlicht dar, in denen die einzelnen Schulen in ihrer Geschichte und in ihrem Lehrpersonal vorgestellt werden.

Auf lange Sicht haben die Visitationen Overbergs tatsächlich eine Reform des Lehrerstandes erreicht. Das lässt sich abschließend an den Prüfungsergebnissen der Cloppenburger Lehrer zeigen. Erzielten 1817 noch 44,5 Prozent die Note "nicht genügend", so war dieser Anteil 1836 auf Null gesunken. Hanschmidt kann als Fazit festhalten: "Gut 50 Jahre nach der ersten münsterschen Schulverordnung von 1782 und nach Overbergs Schulvisitation im Niederstift Münster (1783/84) und zehn Jahre nach seinem Tod (1826) und dem damit verbundenen Ende seiner Normalschule war somit eine durchweg hinreichende Qualifikation der Lehre erreicht, wie sie dem 'Lehrer der Lehrer' - so Overbergs Ehrenname - als Ziel vorgeschwebt hatte." (289)

Die Geschichte des Elementarschulwesens ist noch lange nicht geschrieben. Es wäre zu wünschen, wenn ähnliche Materialsammlungen und Analysen für weitere Territorien des Alten Reichs gemacht würden. Gerade für die Beurteilung der Wirkweise der Aufklärung in katholischen Territorien wäre das eine wichtige Hilfe.

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