H. Offner; K. Schroeder (Hg.), Eingegrenzt - Ausgegrenzt. Bildende Kunst und Parteiherrschaft

Titel
Eingegrenzt - Ausgegrenzt. Bildende Kunst und Parteiherrschaft in der DDR 1961 - 1989


Herausgeber
Offner, Hannelore; Schroeder, Klaus
Reihe
Studien des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin, Hrsg. von Klaus Schroeder und Manfred Wilke
Erschienen
Berlin 2000: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
721 S.
Preis
€ 24,54
Rezensiert für H-Soz-Kult von
PD Dr. Gerd Dietrich, Humboldt-Universität zu Berlin Institut für Geschichtswissenschaften

Es war und ist das Dilemma des totalitarismustheoretischen Ansatzes, daß er vorwiegend Herrschaftsgeschichte bietet, die Geschichte der Gesellschaft den Herrschaftsverhältnissen nach- und unterordnet und darum die Widersprüche zwischen den Herrschaftsutopien und der Lebenswirklichkeit nicht auflösen kann. Wenn im Rahmen dieses Konzeptes die DDR-Gesellschaft "weitgehend als Produkt der strategischen Vorstellungen der deutschen Kommunisten" gesehen wird, bleibt die "Vieldeutigkeit einer komplexen Wirklichkeit letztlich unerklärt". 1 Noch viel mehr muß das auf einen Bereich wie die Kunst zutreffen, der bekanntermaßen nie vollständig von der Politik dominiert werden konnte. Aber um bildende Kunst geht es in diesem Band auch nicht, da führt schon der Titel in die Irre. Gegenstand sind die Kunstverhältnisse, die staatlichen Regulierungsmittel und insbesondere die Staatssicherheit. Anhand umfangreichen Aktenmaterials versuchen die Beiträge zu zeigen, wie SED und MfS den Künstlerverband und die Akademie der Künste ideologisch ausgerüstet und durchdrungen haben und wie diese fest in die Kontrolle und Disziplinierung der Künstler eingebunden waren. Den Blickwinkel und die Wahl der Bewertungskriterien bestimmen also nicht der Vergleich mit der westdeutschen Entwicklung oder gar eine systemimmanente Sicht, sondern "die polarisierende Betrachtung von eingegrenzt und ausgegrenzt" (S.13), so Klaus Schroeder in der Vorbemerkung: "Kunst und Künstler im (spät-)totalitären Sozialismus". Es geht weniger um den Nachweis schöpferischer und gesellschaftskritischer Potentiale der bildenden Kunst in der DDR, sondern eher um die "dunkle Seite der Angelegenheit, vor allem das Ausmaß der Verstrickungen von Künstlern und die Einengung künstlerischer Gestaltungsspielräume." (S.13)

Im ersten Beitrag "Der SED-Parteiapparat und die Bildende Kunst" sucht Joachim Ackermann mit langen Zitaten aus Archivmaterialien und durchaus interessanten Erinnerungen von SED-Kulturfunktionären zu belegen, daß sich die SED eine "eigene parteimäßige" (S.72) Kunst- und Kulturlandschaft in der DDR geschaffen habe. Souverän jegliche wissenschaftliche Literatur etwa zum politischen System in der DDR ignorierend, kommt er dabei über eine einseitige und kommentierte Materialsammlung nicht hinaus. Hannes Schwenger schreibt über die "Sozialistische Künstlerorganisation. Akademie und Künstlerverband im Herrschaftssystem der DDR". Historisch, aber nicht chronologisch, hat er die Zeit seit Anfang der 50er Jahre im Auge. An Beispielen wie Aufnahmepolitik, Kader und Apparat des Künstlerverbandes sowie den Zuwahlen zur Akademie und dem Tauziehen um die Meisterschüler konzentriert er sich dabei auf die "sozialistische Transformation" (S.100) von Verband und Akademie. Seine Ergebnisse sind ambivalent: Einerseits blieben Disziplinierung und Steuerung durch den Verband letztlich erfolglos, "denn am Ende ufert er in jeder Hinsicht aus - sowohl was seine Mitgliederzahlen wie die Theorie und Praxis der Sozialistischen Realismus angeht. Man kann nicht gleichzeitig Kammer und Avantgarde, reaktionäre Zunft und revolutionäre Zelle sein", (S.130) andererseits stellt er fest: "Nichts konnte die Künstler der DDR so nachhaltig nivellieren wie ihre eigene Organisation." (S.147) Hannelore Offner analysiert "Überwachung, Kontrolle, Manipulation. Bildende Künstler im Visier des Staatssicherheitsdienstes". Zunächst stellt sie die MfS-Strukturen dar, dann das "operative Zusammenwirken von SED-Organen, MfS und künstlerischen Institutionen und die Absicherung der Institutionen (Ministerium für Kultur, Künstlerverband, Kunsthoch- und Kunstfachschulen, Museen und Sammlungen) durch inoffizielle Mitarbeiter, um sich schließlich Fallbeispielen für die direkte Einflußnahme des MfS auf den Kunstbetrieb zuzuwenden: der Besetzung von Ämtern, der Verbandsaufnahme als Instrument politischer Reglementierung, der Zensur und den Verboten im Rahmen von Ausstellungen. Ihr Beitrag schließt mit der Darstellung inoffizieller Mitarbeiter auf internationalem Parkett und dem Wirken des MfS in der Endphase der DDR. Fazit: "Bis zuletzt betrachtete der Staatssicherheitsdienst Kunst und Kultur nicht als eigenständigen Bereich der Gesellschaft, sondern immer als ideologischen Faktor im Gefüge des staatssozialistischen Systems. ... Insofern gab es kein kunsttheoretisches Konzept, das dem MfS als Richtschnur diente, ästhetische Fragen blieben ausgeklammert - der Mielke-Apparat agierte allein aus (sicherheits-)politischen Erwägungen heraus." (S.270,272) Inken Dohrmann stellt in "Der Fall Annemirl Bauer. "Und weil ihr uns mit Rausschmiß droht, habe ich beschlossen, Isolierung mehr zu fürchten als den Tod." eine fast unbekannt gebliebene Ostberliner Malerin und Einzelkämpferin vor, die es dennoch wagte, öffentlich zu widersprechen. Detailliert schildert Dohrmann, wie gegen Annemirl Bauer - nach einem Antrag auf "Ausreise mit Wiederkehr" an den Präsidenten des VBK, Willi Sitte - durch den Verband ein Disziplinarverfahren eröffnet wurde, das im operativen Zusammenwirken von Partei- und Verbandsapparat unter Federführung der Berliner Abt. XX des MfS mit dem Ausschluß aus dem Künstlerverband endete. Es entsprach dem "zynischen Stasi-Kalkül, an einer Einzelkämpferin ohne politisches und künstlerisches Umfeld ein Exempel" (S.347) statuiert zu haben. Einen ebenso bewegenden Fall stellt Hannes Schwenger in "Von der väterlichen Sorge der Partei. Fallstudie einer Ausgrenzung" dar. Es handelt sich um den Maler Dieter Dreßler: 1932 geb., 1949 Mitglied der SED, 1950 Kunststudium in Dresden, 1953 nach Formalismusvorwurf exmatrikuliert, Wiederzulassung zum Studium 1954 und Abschluß 1956, danach zwei Jahre in Schwarze Pumpe, Denunziation und Trennung vom Kombinat 1958 (seitdem vom MfS überwacht), anschließend Meisterschüler an der Akademie der Künste, Entfernung aus der Akademie 1959, seit 1960 wieder in Schwarze Pumpe, 1963-1967 gar Vorsitzender des neuformierten Bezirksverbandes Bildender Künstler Cottbus in ständiger Auseinandersetzung mit der SED-Bezirksleitung, 1969 bzw. 1971 schwere Asthmaerkrankungen der ganzen Familie, Tod eines Sohnes 1972, Ausschluß aus der SED 1974. Spätestens zu diesem Zeitpunkt begann eine systematische Ausgrenzungspraxis, die ihm Anfang der 80er Jahre jegliche künstlerische und gesundheitliche Perspektive nahm. 1986 reisten Dieter Dreßler und seine Frau aus der DDR aus. Andreas Karl Öhler behandelt in seinem Beitrag "Vom Kalten Krieg zum warmen Händedruck. Bildende Kunst im kulturpolitischen Kontext deutsch-deutscher Beziehungen" die verdeckte und offene Ostpolitik westlicher Kulturverbände und Gewerkschaften, Parteien und Bundesbehörden. Im Detail durchaus aufschlußreich, vor allem was die Kontakte und die Zusammenarbeit zwischen dem Berufsverband Bildender Künstler Berlin (West) und dem Verband Bildender Künstler (Ost) sowie den Handel mit DDR-Kunst im Westen betrifft, gerät ihm der polemische Beitrag mehr und mehr zur Abrechnung mit der Ostpolitik der westdeutschen Linken. Wohltuend hebt sich dem gegenüber zum Schluß Olaf Lippke ab, der über "Kunst im Auftrag kultureller Abgrenzung - Zwischen Herrschaftsprinzip und Autonomiesehnsucht" nachdenkt und der ein historisches Erklärungsmuster anbietet, das die Komplexität der DDR-Kultur ins Auge faßt und damit zugleich das eingangs postulierte totalitarismustheoretische Konzept in Frage stellt. Ihm geht es weniger um das Verhältnis von Kunst und Politik und mehr um kulturspezifische Zusammenhänge, um die Tiefenstruktur der Kultur. Seine Überlegungen sollen "keinen Beitrag zum chronologischen Verständnis der Kunst in der DDR liefern, sondern sie stellen den Versuch dar, die komplementäre Entwicklung der gesellschaftlichen Funktionen von Politik und Kunst in eine kulturtheoretische Perspektive zu setzen." (S.475/76) Sich auf die letzten zehn Jahre der DDR konzentrierend, arbeitet er zwei Eigenheiten der DDR-Kultur heraus: zum einen wurde die Grenze "wie ein Code in beinahe alle kulturellen Lebensäußerungen eingebrannt und zwar so, daß eine distinktive Haltung unausweichlich schien, wann immer es um das deutsch-deutsche Verhältnis ging", zum anderen übte das ostdeutsche System "trotz seiner Einparteienherrschaft und des Anspruches umfassender Kontrolle keinen wirklich 'totalen', 'totalitären' oder 'totalistischen' Einfluß auf die kulturelle Variabilität im Lande aus." (S.552/53) Im Anhang stellt Hartmut Pätzke ein "Register 'Ausgebürgert' " zusammen, das nach dem Katalog "Ausgebürgert" (Dresden 1990) die erste umfassende Bestandsaufnahme der Abwanderung bildender und angewandter Künstler aus der DDR liefert. Leider wird das Phänomen "Ausgebürgert" nicht analysiert, dafür aber ein beeindruckender Überblick über mehr als 1500 vertriebene und ausgereiste Künstler und Kunstwissenschaftler seit 1949 gegeben. Die meisten Beiträge des Bandes sind darüber hinaus mit einem wichtigen und aufschlußreichen Dokumentenanhang versehen. Der Band enthält ein sechsseitiges "ABC der Ausgrenzung" sowie ein dürftiges Literatur- und ein opulentes Personenverzeichnis.

Daß dieser Band auch im nunmehr zehnjährigen, immer wieder auflebenden Streit um DDR-Kunst Position beziehen will, sei ihm unbenommen. 2 Selbstverständlich spielen bei der "Wahl der Methode...individuelle und wirtschaftliche Interessen eine Rolle". (S.13) Freilich sind die Quellengrundlagen der Beiträge vornehmlich Akten des MfS, das bekanntlich der Kunst fremder als fremd war, und so verfangen sich viele Autoren auch in Sprache und Gestus dieser Akten. Was den westdeutschen Linken vorgeworfen wird: "ein Stück latenter Faszination gegenüber dem Totalitären" (S.468), scheint auch hier noch in der Negation weiter zu wirken. Über die Kunst in der DDR selbst erfahren wir relativ wenig Neues. Das bestätigt uns indirekt auch die Herausgeberin: "Natürlich können Geheimdokumente eines diktatorischen Regimes nicht so gelesen werden, als ob sie allein Wirklichkeit abbilden, vielmehr beinhalten sie 'Zerrbilder und reale Erscheinungen'. Gleichwohl finden sich darin '... die genetischen Schlüsselinformationen über die inneren Funktionsmechanismen'. 3 " (S.167/68) Gemeint sind sicher die des politischen Regimes. Eine Differenzierung zwischen Zerrbild und Realität ist den Autoren nur im einzelnen gelungen.

Anmerkungen

1 Vgl. Patrice G.Poutrus: Rezension zu Klaus Schroeder/ Steffen Alisch, Der SED-Staat. Partei, Staat und Gesellschaft, München 1998. In: H-Soz-u-Kult, 1. Oktober 1998.

2 Vgl. Kristina Bauer-Volke: Helden wie sie. Feldwebelsprache kann so erfrischend sein. Ein Berliner Forschungsverbund wollte mit Kunst und Künstlern in der DDR abrechnen, verfing sich aber nur in Aktenexegese. In: Freitag, Nr. 3, 12. Januar 2001.

3 Zit. nach: Jochen Staadt: Robert Havemann: existent aber nicht gegenwärtig. In: Der Tagesspiegel, 5. August 1997.

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