M. Parak: Hochschule und Wissenschaft in zwei deutschen Diktaturen

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Titel
Hochschule und Wissenschaft in zwei deutschen Diktaturen. Elitenaustausch an sächsischen Hochschulen 1933-1952


Autor(en)
Parak, Michael
Reihe
Geschichte und Politik in Sachsen 23
Erschienen
Köln 2004: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
563 S.
Preis
€ 59,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Henrik Eberle, Institut für Geschichte, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

An der Universität Leipzig werden seit geraumer Zeit Probleme des Diktaturvergleichs behandelt. Der methodische Zugriff ist im Detail je nach Autor verschieden, alle Studien orientieren sich jedoch an dem erweiterten Totalitarismusbegriff Günther Heydemanns und beziehen soziologische Fragestellungen mit ein. Die Qualität der bisher präsentierten Erkenntnisse lässt dieses Herangehen mehr als nur gerechtfertigt erscheinen. Auch Michael Paraks Dissertation über den Lehrkörper der sächsischen Hochschulen in den beiden deutschen Diktaturen öffnet den Blick auf bisher verstellte Zusammenhänge. Parak beleuchtet Kontinuitäten und Brüche, zeigt Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Wissenschaftspolitik in Nationalsozialismus und SED-Regime. Dazu nutzt er das Mittel der Kollektivbiografie, um Typisches und Allgemeines herauszuarbeiten. Abweichendes und Individuelles kommen dabei allerdings zu kurz, was Parak unumwunden einräumt. Die Stärke des Buches liegt daher auch in den verallgemeinerungsfähigen Aussagen zur Funktionsweise der beiden Diktaturen auf einem für die jeweils herrschende Partei schwierigen Terrain.

Die Studie gliedert sich in drei Großkapitel. Detailliert und mitunter redundant beschreibt Parak zunächst die Organisation des Hochschulwesens in Sachsen. Danach folgen die beiden kollektivbiografischen Abschnitte zum Elitenaustausch im Dritten Reich und in der SBZ/DDR. Diese Kapitel sind thematisch und grob chronologisch gegliedert, was den historischen Abläufen entspricht und die Lesbarkeit gewährleistet. Gleichwohl wäre es innovativer gewesen, den eigentlichen Diktaturenvergleich nicht erst in der Zusammenfassung vorzunehmen, sondern am jeweiligen Problem. Denn die Herausforderungen für Herrscher wie Beherrschte, für die Wissenschaftsbürokratie und die Professorenschaft waren in beiden Systemen gleich. Die Lehrenden der Hochschulen standen ideologisch geprägten Parteifunktionären mit totalem Herrschaftsanspruch gegenüber und mussten sich arrangieren – oder das Land verlassen. Die Wissenschaftsbürokraten wiederum hatten die Funktionsfähigkeit der Ausbildungsstätten zu garantieren, auch um dem Preis, abweichendes Verhalten zu tolerieren. Die Instrumente, deren sie sich bedienten, ähnelten sich, wie Parak, der z.B. auch das Wort „Säuberungen“ ohne Anführungsstriche gebraucht, eindrucksvoll herausarbeitet. Säuberung, Diskriminierung, fehlende Rechtssicherheit, mangelnder Vertrauensschutz und die immer gegenwärtige Möglichkeit von Repressalien erzwangen Konformität. Neben der Drohung mit der „Peitsche“ wurde auch „Zuckerbrot“ verabreicht und nach Kräften indoktriniert, immer mit dem Ziel, langfristig eine Hochschullehrerschaft herauszubilden, die sich loyal zum Regime verhielt.

Dass es auch Unterschiede gab, zeigt Parak ebenfalls. Sie betrafen sowohl die Härte der Repressalien und die Konsequenzen für die entlassenen Hochschullehrer als auch den Grad der erreichten Loyalität. Hierfür macht der Autor vor allem die offene Westgrenze der DDR verantwortlich, die den Anpassungsdruck deutlich abgemildert hätte. So richtig diese Feststellung insgesamt ist, so falsch ist sie allerdings im Hinblick auf das Verhalten einzelner Personen, war doch die Erfahrung der ersten Diktatur oft genug Motivation für ein anderes Verhalten in der zweiten. Eine stärkere Akzentuierung des individuell Biografischen wäre also, nicht nur im Hinblick auf solche Aussagen, geboten gewesen. Denn neben all dem, was den Hochschullehrer zu einem soziologisch greifbaren und in einer Kollektivbiografie analysierbaren Objekt qualifiziert, ist er letztlich doch ein Individuum. Professoren verfügen, im Idealfall, über eine ausgeprägte Persönlichkeit und unersetzliches Expertenwissen. Gerade deshalb standen die Bürokraten beider Diktaturen vor der gelegentlich nicht lösbaren Aufgabe, Loyalität zu erzwingen. Darüber hinaus hätte sich die LeserIn eine Einordnung der von Parak präsentierten Statistiken gewünscht, liegen doch mittlerweile für mehrere Universitäten (Tübingen, Berlin, Jena, Greifswald, Halle) vergleichbare Ergebnisse im Hinblick auf Parteimitgliedschaft oder Qualifikationsprofil in einer der beiden oder sogar beiden Diktaturen vor.

Trotz aller Kritik im Detail besticht Paraks Studie gerade wegen der grundsätzlichen und unumstößlichen Bewertungen der Hochschulpolitik beider Systeme. Seine Urteile beruhen auf einem umfangreichen Aktenstudium und der Auswertung einer von ihm selbst erstellten Datenbank von 1280 Wissenschaftlerbiografien. Für weitergehende Forschungen wäre es hilfreich, die erhobenen Daten aufzubereiten und im Internet verfügbar zu machen. Sie könnten dazu beitragen, die Wissenschaftsgeschichte im Nationalsozialismus und im SED-Regime nicht nur als Herrschaftsgeschichte zu schreiben, sondern sich dem anzunähern, „wie es tatsächlich gewesen ist“.

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