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Titel
Memoria an der Zeitenwende. Die Stiftungen Jakob Fuggers des Reichen vor und während der Reformation (ca. 1505-1555)


Autor(en)
Scheller, Benjamin
Erschienen
Berlin 2004: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
350 S.
Preis
€ 74,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver Auge, Historisches Institut, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

Der hier zu besprechende Band stellt die im Wintersemester 2001/02 von der Philosophischen Fakultät I der Humboldt-Universität zu Berlin angenommene und 2004 im Druck erschienene Dissertation von Benjamin Scheller dar. Die Arbeit hat die Stiftungen Jakob Fuggers des Reichen vor und während der Reformation zum Thema und wurde bei Michael Borgolte verfasst, dem der Ruf gebührt, mittels der Sozialhistorie einen neuartigen Zugriff auf die Geschichte des mittelalterlichen Stiftungswesens angestoßen zu haben. Nur zu richtig erscheint die Dissertation darum auch als dritter Band in der von Borgolte herausgegebenen Reihe „Stiftungsgeschichten“.

Nach sechsseitigem Inhaltsverzeichnis (S. 5-10) und Vorwort (S. 11f.) beginnt die Untersuchung mit einer grundlegenden Einleitung. Darin stellt Scheller mit der Erwähnung von Jakob Fuggers Testament (S. 13f.) und einer kurzen Einführung in dessen drei große Augsburger Stiftungen – die Grabkapelle der Familie bei St. Anna, die Prädikatur bei St. Moritz sowie die so genannte Fuggerei (S. 15f.) – das Thema seiner Arbeit vor, bietet dann einen kurzgefassten Überblick über die bisherige Forschungsgeschichte zu den Fuggerstiftungen im Speziellen und zu Stiftungen im Allgemeinen (S. 16-29) und geht zu guter Letzt auf den Aufbau seiner Untersuchung und die hierfür zur Verfügung stehenden Quellen und Literatur ein (S. 29f.). Als Parameter der Untersuchung dienen demzufolge Stiftungsmotiv, Stiftungszweck und Stiftungsorganisation (S. 29). Auf die Einleitung folgt der Hauptteil, der wiederum in drei Teile aufgegliedert ist: Der erste Teil behandelt die drei schon erwähnten Stiftungen Jakob Fuggers bis zum Beginn der Reformation in Augsburg 1521 (S. 31-172), der zweite Teil handelt von deren Geschichte zwischen 1521 und 1547/48, als sich die Reformation in Augsburg etablierte (S. 173-237), und Teil 3 befasst sich mit der Phase von 1548 und 1555, in der als Folge des „geharnischten Reichstags“ von 1548 eine katholische Restauration erfolgte (S. 239-278). Die einzelnen Teile sind jeweils vorbildhaft nach einem festen Schema aufgebaut: Zuerst geht Scheller auf die Rahmenbedingungen ein, im ersten Fall auf die Familiengeschichte der Fugger bis 1521, in den anderen beiden auf die betreffenden reformationsgeschichtlichen Ereignisse in Augsburg. Dann folgt stets die gründliche Detailuntersuchung von 1. Grabkapelle, 2. Prädikatur und 3. Fuggerei. Jeder Teil wird dankenswert übersichtlich durch ein Zwischenresümee abgeschlossen. Am Ende der gesamten Untersuchung steht nochmals eine knappe Schlussbetrachtung (S. 279-283). An den Darstellungsteil sind schließlich eine Transskription wichtiger und bisher unveröffentlichter Quellen zu Grabkapelle und Prädikatur (S. 285-307), ein Abkürzungs- und Siglenverzeichnis (S. 309f.), ein Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 311-342), unterteilt in – an Umfang überschaubar – „Ungedruckte Quellen“ (S. 311) und in – ob angenehm unkonventionell oder eher problematisch, sei dahingestellt – ein gemeinsames Verzeichnis der gedruckten Quellen und Literatur (S. 312-342), sowie zum Schluss ein Abbildungsverzeichnis (S. 341f.), ein Verzeichnis der Tabellen (S. 343) und ein Personen- und Ortsregister (S. 345-350) angefügt.

Scheller bietet eine schwungvoll geschriebene, von Redaktions- (z.B. S. 24: Einze-/lintentionen; S. 29: Stiftungsentwurf und -/wirklichkeit; S. 314: Vom Mittelalter bis zu Gegenwart) und Flüchtigkeitsfehlern (etwa S. 313: Fehlender Reihentitel von Blickle, Peter etc.) fast freie und vor allem innovative Arbeit: Innovativ von ihrem Ansatz her, da Scheller Stiftungsgeschichte nicht mehr nur als rechts- oder sozialhistorisches Sujet begreift, sondern explizit als Teil der Kulturgeschichte auffasst: „Stiftungsgeschichte als Geschichte des menschlichen Strebens nach Memoria und der sozialen Gebilde, die aus diesem entstanden, ist […] ein Ansatz, in dem sich Kulturgeschichte und Sozialgeschichte in geradezu exemplarischer Weise ergänzen und durchdringen.“ (S. 21) Innovativ von ihrem Zugriff her, denn Scheller geht es auch darum, „Stiftungen im historischen Wandel“ (S. 22) nachzuverfolgen. Kaum eine Zeit bietet sich dafür besser an als die der von Scheller als „Kulturrevolution“ bezeichneten (S. 24) Reformation. Er „wagt“ es darum, als Mediävist die etablierte, aber für so manche Fragestellung einfach unsinnige Epochengrenze zur Neuzeit zu überschreiten, um nach dem „Weiterleben des Mittelalters unter gewandelten Rahmenbedingungen“ (S. 30) zu fragen. Des „Risikos“, disziplinäre Grenzen zu „verletzen“, ist sich Scheller seiner eigenen Rede nach bewusst, aber die Erkenntnischancen ließen es ihm lohnend erscheinen, dieses „Risiko“ einzugehen. Das innovative Ergebnis gibt Scheller bei seinem zeitlichen Ansatz jedenfalls Recht. Er legt zahlreiche neue Erkenntnisse zu den drei großen Stiftungen Jakob Fuggers vor, deren Zusammenhänge und Wechselwirkungen bisher kaum und schon gar nicht für die Umbruchszeit des 16. Jahrhunderts beachtet wurden. Nur bei der Fuggerei brach ihm zufolge der Stiftungsvollzug während der Reformation nicht ab, da sich diese Stiftung allem Anschein nach „im Einklang mit dem langfristigen Trend in der Wahrnehmung von Armen und den daraus resultierenden Institutionen der Armenfürsorge (befand), der sich auch nach der Reformation fortsetzte. Er war daher auch nach der Reformation noch kompatibel mit den Vorstellungen von Gemeinnützigkeit“ (S. 280). Obendrein war der Stiftungsakt der Fuggerei weitgehend autark, fand ohne die Beteiligung weiterer Akteure und Gruppen der Reichsstadt statt. „Da weder Stiftungszweck noch Stiftungsorganisation ihm ein Einfallstor boten, konnte der kulturelle Wandel der Reformation in die Mauern der Fuggerei nicht eindringen.“ (S. 280) Gerade das Umgekehrte war hingegen bei der Grabkapelle und der Prädikatur der Fall, wie Scheller schreibt. Daher führte bei ihnen, so Scheller weiter, der kulturelle Wandel zum Abbruch des Stiftungsvollzugs.

Bei manchen Schlüssen Schellers wird man noch weiter diskutieren müssen: War es tatsächlich „relativ“ unbedeutend, ob der Stiftungsvollzug herrschaftlich oder genossenschaftlich konzipiert war, wie er auf S. 281 schreibt? Sein Beispiel eines herrschaftlich konzipierten Stiftungsvollzugs – die Grabkapelle – beruht ja gerade auf dem Zusammenwirken von Herrschaft (Fugger) und Genossenschaft (Karmeliterkonvent). Wie steht es nun überhaupt um die für die Reformationszeit doch ganz zentrale, im Resümee aber nicht weiter berührte Frage, ob bzw. wie stark eine Stiftung in kirchliche Strukturen eingefügt war oder nicht? Wie steht es um die Terminologie? Geht es explizit um kulturellen (S. 282) oder doch ganz allgemein um historischen (S. 283) Wandel im Medium der Stiftungen? Mit beiden Adjektiven wird nebeneinander auf engstem Raum operiert. Gefährlich dann dieser Satz: „Sogar Kunst […] werde bei der Kapelle zu St. Anna in ihrer Geschichtlichkeit deutlich“ (S. 283). Wo wird sie dies nicht, kann da jeder Kunsthistoriker fragen. Doch, so meint der Rezensent, sind dies und weitere Aspekte von Schellers Schlussbetrachtung nur Punkte, die er wohl ganz bewusst in den Raum stellt, um zur weiteren Beschäftigung mit seinen Fragen anzuregen. Die innovative Kraft seiner Dissertation bleibt dadurch ungeschmälert. Um ihren Wert zu untermauern, hätte es indes der mehrfachen – und so unnötig entschuldigend wirkenden – Betonung des Nutzens einer Mikro- für die Makrohistorie (S. 17, 22, 24, 29, 282 usw.) kaum bedurft. Nur deswegen stellt sich der Leser nun wirklich bewusst die Frage: Was bringt denn Schellers Mikrohistorie für die Makrohistorie? Und hierauf lässt sich nach der Lektüre wohl am ehesten antworten: Das werden erst weitere „Stiftungsgeschichten“ im Vergleich zeigen.

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