Titel
Attempto - oder wie stiftet man eine Universität?. Die Universitätsgründungen der sogenannten zweiten Gründungswelle im Vergleich


Herausgeber
Lorenz, Sönke
Reihe
Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 50
Erschienen
Stuttgart 1999: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
274 S.
Preis
DM 120,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Eric Wagner, Historisches Institut, Universität Rostock

Attempto - Ich wag's! - lautete der Wahlspruch Eberhards im Bart (+1496), des Stifters der Universität Tübingen (1477) und später ersten Herzogs von Württemberg (1495). Einer gehörigen Portion Optimismus bedurfte es schon, damals in der Grafschaft Württemberg-Urach eine Universität zu gründen. Zwar waren bis zur zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bereits eine ganze Reihe von Generalstudien durch Kaiser, Päpste, Könige, Fürsten und Städte ins Leben gerufen worden, so daß es an Vorbildern nicht mangelte, doch mahnten eine Vielzahl wiederholungsbedürftiger oder gescheiterter Gründungen auch zur Vorsicht. Nicht nur Wagemut und Tatkraft, sondern ebenso Umsicht und Gespür für das Mögliche und Machbare waren nötig, um den "kairos", den passenden Ort und günstigen Zeitpunkt, für eine Universitätsstiftung zu erfassen und nutzen zu können.

Berücksichtigt man allein die Rechtsakte, die ausdrücklich auf die Stiftung der Universität Tübingen abzielten, so hat Eberhard im Bart das Studium in lediglich elf Monaten gleichsam "aus dem Boden gestampft". Seine Beweggründe hierzu entsprangen einerseits der Konkurrenz mit dem anderen Württemberg, das Graf Ulrich, sein Oheim und ehemaliger Vormund, von Stuttgart aus regierte, und andererseits dem Streben nach landesherrlichem Kirchenregiment und nach Kirchenreform. Die neue Residenz sollte dadurch wirtschaftlich belebt und repräsentativ aufgewertet werden. Während Eberhard wohl mehr den Antreiber spielte, lag die organisatorische Umsetzung des Projektes in den Händen seiner Räte, vor allem in denen von Johannes Nauclerus. Ein Kollegiatstift wurde nach Tübingen verlegt, um mit den Pfründeinkünften seiner Kanonikate Professoren besolden zu können.

Ein zielstrebiger Rationalist, dieser Eberhard, so denkt man und hat ihn doch nur halb begriffen. Denn der Graf betrachtete seine Universitätsstiftung vor allem auch als frommes Werk gleich einer Kirchen-, Hospital- oder Klostergründung. Zweimal jährlich, so die Statuten von 1477, hatten sich deshalb alle Universitätsangehörigen wohlgekleidet im Stift zu einer feierlichen Messe mit Predigt zu versammeln, die dem Seelenheil der Gründer und Wohltäter der Universität gewidmet sein sollten. Der Stifter war dabei durch ein Memorialbild auf den Chorfenstern präsent, und ein Epitaph erinnerte ab 1496 an seinen Todestag.

In gewisser Weise wirkt der Stifterwille Eberhards bis in unsere Zeit. Denn anläßlich der 500. Wiederkehr seines Todestages richtete das Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften der Universität Tübingen am 25. und 26. Februar 1996 ein Symposion aus, das zum Teil im Fürstensaal von Hohentübingen, aber auch in der Stiftskirche St. Georg stattfand und dessen überarbeitete Referate den zu besprechenden Band bilden. Doch nicht nur um Eberhards Leistungen als Fundator und Erector der Tübinger Universität, die Dieter Mertens beleuchtet, sollte es dabei gehen. Vielmehr sollte er "vergleichend in die Reihe jener Persönlichkeiten (gestellt werden), die maßgeblich an einer der mitteleuropäischen Universitätsgründungen der sogenannten 'zweiten Gründungswelle' beteiligt waren" (S. 5). Ins Blickfeld rückten also ebenfalls die plantatores, erectores und fundatores von Greifswald 1456 (Roderich Schmidt), Trier 1450-1473 (Michael Matheus), Freiburg 1457 (Dieter Speck), Basel 1459 (Marc Sieber), Ingolstadt 1472 (Rainer A. Müller), Mainz 1476/77 (Heinz Duchardt), Wittenberg 1502 (Dieter Stievermann) und Frankfurt an der Oder 1506 (Martin Kintzinger), einschließlich der in diesem Zeitraum fruchtlos gebliebenen Gründungsversuche in Regensburg, Lüneburg, Breslau und Pforzheim (Sönke Lorenz). Zusätzlich war als gemeinsamer Bezugspunkt der Aufsatz von Ernst Schubert über "Motive und Probleme deutscher Universitätsgründungen des 15. Jahrhnunderts" von 1978 vereinbart worden 1. Schubert selbst konnte für die Zusammenfassung der Tagungsergebnisse gewonnen werden.

Als zentrale Konstellationen und Problemfelder wurden bei den ins Auge gefaßten Universitätsgründungen die Dotierung und die Beschaffung einer päpstlichen Privilegierung sowie die Beteiligung fürstlicher Räte und das Verhältnis zur Stadtgemeinde konstatiert. Bei der materiellen Ausstattung dominierte gegenüber der Übertragung von Grundbesitz oder anderen herrschaftlichen Einnahmequellen das Prinzip, kirchlichen Besitz in Form von Pfründen in Lektoralpräbenden umzuwidmen und diese dann zu einem Kollegiatstift, dem "Universitätsstift" (Peter Moraw), zusammenzufassen, wie dies in Greifswald, Ingolstadt und Tübingen erfolgt ist und in Pforzheim zumindest geplant war. Andererseits dominierten wirtschaftliche Nutzen-Überlegungen im Hinblick auf die Stadt in Basel sogar sämtliche weiteren Motive zur Universitätsgründung. Die Hoffnung, durch den Zuzug von Studenten die städtische Wirtschaftskraft stärken zu können, wurde ebenfalls in Tübingen, Mainz und Frankfurt an der Oder gehegt.

Unternahm ein Fürst oder ein städtischer Rat Schritte zur Privilegienbeschaffung in Rom, so kann man dies als sicheres Indiz für die Ernsthaftigkeit ihrer Gründungsabsichten nehmen. Die Versuche, in Regensburg, Lüneburg, Breslau und Pforzheim Universitäten zu gründen, sind indes nicht über Bemühungen an der Kurie hinausgelangt. Sie scheiterten aber nicht dort, sondern am Unvermögen ihrer Stifter, eine geeignete und ausreichende materielle Basis bereitzustellen. Zum Ende des Mittelalters hin scheint die päpstliche Bestätigung allerdings nicht mehr hoch im Kurs gestanden zu haben. Lüneburg, Wittenberg und Frankfurt an der Oder erhielten erst Jahre nach dem kaiserlichen Gründungsprivileg ein päpstliches. Gleichwohl sollte dies nicht darüber hinwegtäuschen, daß auf die Zustimmung des Kaisers verzichtet werden konnte, auf die des Papstes jedoch nicht.

Kein noch so mächtiger und gebildeter Fürst konnte im Mittelalter eine Universität allein stiften. Schon im Hinblick auf die Kurie benötigte er hierzu erfahrene Berater und Exekutoren. Die Universitätsstiftung in Greifswald weist hierin eine bekannte Extremposition auf, die aber auch bei der Betrachtung anderer Fälle stärker berücksichtigt werden sollte. Denn in Greifswald trat der Stiftungsbeauftragte, Bürgermeister Heinrich Rubenow, gegenüber dem Stifter, Herzog Wartislaw IX. von Pommern, derart in den Vordergrund, daß er sich selbst als plantator, erector et fundator des dortigen Generalstudiums bezeichnen konnte. Auch in Freiburg waren fürstliche Stiftungsbeauftragte am Werk. Dieter Speck versucht "anhand zum Teil noch nicht ausgewerteter Quellen die Rolle von Dynastie, Landesfürst und Räten bei der Gründung der Freiburger Universität" neu zu gewichten. Dabei reduziert er zunächst die Rolle des Gründungsrektors, Matthäus Hummel, der nicht bei der Vorbereitung, sondern nur bei der Durchführung beteiligt gewesen sei, auf die eines Handlangers, um dann den Anteil der gelehrten Räte Albrechts VI. aufzuwerten, deren Namen er einer für die Universitätsgeschichte noch nicht herangezogenen Liste entnimmt und die bereits vor Hummel für den Herzog tätig waren. Die vorgebrachte Argumentation vermag jedoch nicht zu überzeugen. Denn Speck kann zwar mit Hilfe prosopographischer Einzelstudien die Beziehungen dieser neun Herren untereinander eindrucksvoll belegen, doch mit Ausnahme von Johannes Gemminger, der 1455 die Supplik Albrechts für die Universitätsstiftung dem Papst überbrachte, läßt sich für keinen von ihnen irgendeine Aktivität im Gründungsprozeß nachweisen.

Der mitunter recht langwierige Prozeßcharakter von Universitätsstiftungen wird am Beispiel des Trierer Universitätsprojektes deutlich. Die Gründung zog sich von 1450 bis 1473 hin und läßt sich Michael Matheus zufolge "als ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Gruppen fassen" (Rat und Zünfte der Stadt, Erzbischof, Professoren und Studenten aus Köln) (S. 44). Der Text der päpstlichen Stiftungsbulle (1455) scheint hierfür indes keine Anhaltspunkte zu bieten. Er lehnt sich vielmehr an das entsprechende Formular der päpstlichen Kanzlei an und stimmt weitgehend mit dem der Bullen für Besançon (1450) und Glasgow (1451) überein. Die Gemeinsamkeiten und die Abweichungen der drei Texte werden durch die Edition der Trierer Bulle nach der Version in den Vatikanischen Registern im Anhang sichtbar gemacht (S. 48-53) und verweisen auf die europäische Dimension mittelalterlicher Universitätsgeschichte.

'Stiftung', 'zweite Gründungswelle' und 'Vergleich' sind die Signalworte im Titel des Bandes. Elaborierte forschungsleitende Begriffe also, die sich anbieten, am Umgang mit ihnen den Ertrag des Werkes zu messen.

Im Gegensatz zur Tagung wird bei dem vorliegenden Sammelband nicht gefragt "Wie gründet", sondern "Wie stiftet man eine Universität?". Das erscheint auf den ersten Blick nur konsequent, denn fast alle Universitäten des Spätmittelalters sind Stiftungsuniversitäten. Das heißt, sie verdanken ihre Existenz einem klar erkennbaren Stiftungsvorgang, worunter gemeinhin die dauerhafte Hergabe eines Vermögenskomplexes zur Erfüllung eines beständigen Zweckes verstanden wird. Wer nun allerdings denkt, daß dieser Handlungszusammenhang, der eine dauerhafte Wechselbeziehung zwischen dem Geber und den Empfängern begründete, die auch weiterhin wirksam blieb, hier als Ausgangsproblem genommen wurde, wird enttäuscht. Dabei ließen sich viele Konflikte zwischen einem Universitätsstifter und seiner Familie einerseits sowie einer Universitas andererseits, etwa wenn es um Besetzung von Lehrstühlen ging oder eben um die Besoldung derselben, leichter, möglicherweise nur aus dieser Anfangskonstellation erklären. Als Stiftung war etwa der Besitz einer Universität "ebensowenig angreifbar wie der kirchlicher Institutionen" (Schubert, S. 238). Dennoch sind entsprechende Versuche von landesfürstlicher und städtischer Seite immer wieder nachweisbar. Auch daß der Stiftungszweck in erster Linie ein frommer war, wird in Anbetracht der Dotationsproblematik mehrfach eher als toposhaftes Nebenmotiv abgetan. Niemand behauptet, daß Frömmigkeit das einzige Motiv zur Stiftung von Universitäten darstellte. Doch bekanntlich waren fast alle mittelalterlichen Stiftungen Stiftungen für das Seelenheil (Karl Schmid). Und wenn die stärkere Berücksichtigung dieses Motivs als "zu naiv" bezeichnet wird (Speck, S. 98), kann im selben Band nur auf die sprechenden Beispiele Herzog Ludwigs IX. des Reichen von Bayern-Landshut und eben Graf Eberhards im Bart verwiesen werden: "Die Frage nach der Frömmigkeit des Fürsten und ihre vielleicht etwas befremdlichen Antworten können davor bewahren, allein die moderner anmutende Handhabung des politischen Geschäfts und des wirtschaftlichen und finanziellen Kalküls zu betrachten, ohne das selbstverständlich auch der frömmste Stifter eine Universität nicht mit Aussicht auf Erfolg gründen konnte" (Mertens, S. 164). Wer an dem mal stärker mal schwächer sichtbaren Memoria-Motiv der mittelalterlichen Universitätsgründer zweifelt, verzichtet schließlich auch auf eine Erklärungsmöglichkeit für die interessante Tatsache, daß ausgerechnet im 17. und 18. Jahrhundert die Benennung von Universitäten nach ihren Stiftern üblich wurde (S.159).

Mit dem Begriff der "Gründungswellen" wird in der universitätsgeschichtlichen Forschung versucht, die spätmittelalterlichen Universitäten des Alten Reiches nach ihren Gründungsdaten zusammenzufassen. Dabei wird die erste Gründungswelle in der Regel zwischen der Universitätsstiftung in Prag (1348) und der in Rostock (1419) angesiedelt, die zweite zwischen denen in Greifswald (1456) und Wittenberg (1502) oder Frankfurt an der Oder (1506). Schon die Einschränkung "sogenannte" macht indes eine gewisse Distanzierung des Herausgebers deutlich. Und in der Tat sprechen gegen dieses Gliederungsprinzip gleich mehrere Gründe. So ist die erste Gründung der im Blickpunkt stehenden zweiten Phase in Greifswald ohne die Vorbildwirkung von Rostock nicht denkbar, und daher verbindet Greifswald mehr mit der "ersten Welle" als mit den Gründungen ihrer "Woge". Ebenso besitzt die Gründung in Basel einen Vorläufer in der Basler Konzilsuniversität. Bezieht man schließlich die Errichtung der Universität Löwen (1425) und den zweiten gescheiterten Gründungsversuch in Kulm (1434) mit ein, so ist auch die scheinbar deutliche Pause zwischen den beiden postulierten Wellen zeitlich überbrückt. Schubert hatte deshalb bereits 1978 festgestellt, daß "aus diesen Gründen der Gedanke der Gründungswellen nicht allzu schematisch verfolgt werden sollte" (S. 15). Es stellt sich die Frage, welchen Erkenntniswert diese Einteilung überhaupt besitzt, wenn ihre einzelnen Phasen nicht eindeutig voneinander abzugrenzen sind, um sie dann zueinander ins Verhältnis setzen zu können. Damit sind die Vergleichsoperationen angesprochen, die in dem vorliegenden Buch vorgenommen werden.

Gewiß ist es schwer, die Referenten einer Tagung neben dem Thema auch noch auf ein gemeinsames Vorgehen einzuschwören. Insofern war die Vorgabe eines Bezugstextes sicher kein ungeschickter Schachzug. Es stellt sich aber die Frage, ob der bereits erwähnte Aufsatz von Schubert ein geeignetes Gerüst für den angestrebten Vergleich abgeben konnte. Die Gewinnung geeigneter Vergleichspunkte entscheidet schließlich über Aussagekraft und Erfolg einer komparativen Untersuchung. Schuberts Aufsatz bietet jedoch solch eine anregende Fülle von Gründungsmotiven und Erwartungen im Zusammenspiel mit dem ganzen Facettenreichtum von Modellen und Vorstellungen zur materiellen, personellen und geistigen Ausstattung der Studien, daß sowohl die Auswahl von einheitlichen als auch von aufeinander bezogenen Vergleichsaspekten wohl eher erschwert worden ist. So werden von den Autoren, wo es sich anbietet, zwar Ähnlichkeiten und Unterschiede konstatiert, doch in keinem Fall wird der Vergleich zum forschungsleitenden Prinzip erhoben. Am ehesten löst noch der Beitrag Stievermanns, der Tübingen und Wittenberg gegenüberstellt, das eingangs gegebene Versprechen ein. Die Fragen, was die Universitäten der "zweiten Gründungswelle" denn nun von der ersten unterscheidet und gar wo sie im Ablauf der europäischen Universitätsgründungen stehen, bleiben aber insgesamt unbeantwortet. Letztlich werden die Einzelbeiträge erst durch Schuberts luzide Zusammenfassung miteinander in Beziehung gesetzt und dadurch zusammengehalten. Somit liegen nun zwar für alle deutschen Universitätsgründungen in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts und bis zur Reformation neue Aufsätze in einem Band vereinigt vor, doch eine wirklich vergleichende Untersuchung dieser Gründungen auch unter Berücksichtigung des Stiftungsaspekts steht weiterhin aus.

Abgesehen von einigen Inhomogenitäten bei den bibliographischen Angaben ist der Band sauber redigiert und mit Autorenverzeichnis sowie einem Orts- und Namenregister versehen.

Anmerkung:
1 in: Beiträge zu Problemen deutscher Universitätsgründungen der frühen Neuzeit. Hrsg. v. Peter Baumgart/Notker Hammerstein. (Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 4.) Nendeln/Liechtenstein 1978, S. 13-74.

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