B. Isaac: The Invention of Racism in Classical Antiquity

Cover
Titel
The Invention of Racism in Classical Antiquity.


Autor(en)
Isaac, Benjamin H.
Erschienen
Anzahl Seiten
XIV, 563 S.
Preis
$45.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julia Wilker, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

"Rassismus" wird gemeinhin als ein Produkt der Neuzeit angesehen.1 Benjamin Isaac hat nun in seinem neuesten, beeindruckenden Werk diese Definition zumindest partiell in Frage gestellt und die Wurzeln des modernen Rassismus und wesentlicher ihm zugrunde liegender Denkmuster bereits in der klassischen Antike ausgemacht. Isaac stellt damit die Gegenthese zu der weitgehend, wenn auch in unterschiedlicher Intensität vertretenen communis opinio in den klassischen Altertumswissenschaften auf, nach der die zweifellos vorhandenen Vorurteile der Griechen und Römer gegenüber anderen Völkern und Kulturen zwar als Ausdruck von Xenophobie und Ethnozentrismus, jedoch nicht als rassistisch zu interpretieren seien.2

Nach der Einleitung (S. 1-51), die im Wesentlichen die maßgeblichen Konzepte und Definitionen von Rassismus darstellt, gliedert sich das Werk in zwei große Hauptteile, von denen sich der erste ("Stereotypes and Proto-Racism: Criteria for Differentiation", S. 53-251) dem Themenkomplex sowohl in allgemein historischer als auch in theoretischer Weise nähert. Rassismus wird von Isaac definiert als "an attitude towards individuals and groups of peoples which posits a direct and linear connection between physical and mental qualities. It therefore attributes to those individuals and groups of peoples collective traits, physical, mental, and moral, which are constant and unalterable by human will, because they are caused by hereditary factors or external influences, such as climate or geography" (S. 23). Natürlich ist sich Isaac der Unterschiede zwischen der antiken Konfrontation mit anderen Völkern und den biologistischen Rassismuskonzepten der Neuzeit bewusst, doch sieht er die klassisch-antiken Ideen und Theorien in der Moderne aufgegriffen und rezipiert. Um den Unterschieden zwischen antiken und modernen Ideen gerecht zu werden, entwickelt Isaac daher für die von ihm untersuchte griechisch-römische Epoche den Begriff des "Proto-Rassismus". Dieser wiederum wird durch seine fortgesetzte Rezeption sowie durch das beiden zugrunde liegende deterministische Konzept mit dem modernen Rassismus verbunden.

Das erste Kapitel ("Superior and Inferior People", S. 55-168) behandelt griechische und römische Konzepte einer Vorbestimmung menschlicher Identität und kollektiver Charaktere insbesondere durch die spezifischen Umweltbedingungen. Prominentestes Beispiel eines solchen Determinismus stellt für die klassische Antike zweifellos die so genannte Umweltschrift (De aere aquis locis) aus dem Corpus Hippocraticum dar, wobei die hier explizit und ausführlich entwickelte Theorie der durch die klimatischen Bedingungen bestimmten Herausbildung überindividueller, ethnischer Kollektiveigenschaften in den folgenden Jahrhunderten stets rezipiert und schließlich zu einem umfassenden Konzept ausgebaut wurde. Isaac legt diese Theorien ausführlich und überzeugend anhand des von ihm in extenso erfassten Quellenmaterials dar und zeigt auch, in welcher Form und Quantität diese antiken Vorbilder in der Moderne (u.a. von Montesquieu, Herder, Kant, Hegel und Jefferson) aufgegriffen wurden. Die Darstellung antiker Vorstellungen von der Vererbung von Charaktereigenschaften und der Hochschätzung der Autochthonie etwa im Athen des 5. Jahrhunderts v.Chr. runden diesen Abschnitt ab.

Aufbauend auf diesen Erkenntnissen über die Theorien der ererbten und durch die Natur bestimmten Unterschiedlichkeit der Völker behandelt das nächste Kapitel "Conquest and Imperialism" (S. 169-224) die Folgen der Lehre von der unterschiedlichen Wertigkeit der Völkerschaften. Isaac zeigt hier deutlich die geradezu zwangsläufige Verbindung zwischen den sich nahezu durchgängig bei den klassischen Autoren wie Aristoteles, Platon, Cicero, Strabon und Tacitus findenden Theorien von der Superiorität der griechisch-römischen Kultur und der Legitimation imperialistischer Bestrebungen. Das Ende dieses Kapitels macht freilich deutlich, dass trotz dieser Konzepte von unterlegenen und damit minderwertigen Völkern und im Gegensatz zu den Erfahrungen der Neuzeit kein wirklicher Genozid aus der Antike bekannt ist. Während sich dieser Abschnitt damit den Folgen der "proto-rassistischen" Konzepte auf die griechisch-römischen Außenbeziehungen widmet, behandelt das folgende Kapitel "Fears and Suppression" (S. 225-247) die damit verbundenen Auswirkungen auf das Leben in den eigenen Zentren, insbesondere Rom, und hat so die klassische Xenophobie zum Thema. Die vor allem in der kaiserzeitlichen Literatur (z.B. Horaz, Seneca, Juvenal, Plinius d.Ä.) gut belegte Angst, die in die Hauptstadt strömenden "Fremden" verdürben die genuin römische Kultur und die einheimischen Sitten muss hier als Grundlage xenophober Vorstellungen (nicht nur) der klassischen Antike gelten. Im weiteren Kontext wird schließlich nicht allein eine Zerstörung der eigenen, als höherwertig klassifizierten Kultur befürchtet, sondern auch die verschiedenen fremden Kulturen selbst verlören in der multikulturellen Mischung der Metropole ihre besonderen Charakteristika. So wird insbesondere die angebliche Verweichlichung der vormals als besonders hart und ausdauernd gekennzeichneter nördlichen Völker unter dem Eindruck des östlichen, luxuriösen Lebens beklagt.

Der zweite Hauptteil ("Greek and Roman Attitudes Towards Specific Groups: Greek and Roman Imperialism", S. 255-491) ist den spezifischen Blicken und Vorurteilen der griechisch-römischen Perspektive auf einzelne Völker gewidmet. Hier werden zunächst die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Griechen und Persern (S. 257-303) und der römische Imperialismus im Osten (S. 304-323) im Hinblick auf die zugrunde liegenden Ideen und ihre Auswirkungen auf die Herausbildung des "Proto-Rassimus" untersucht. Danach werden in Einzeluntersuchungen die griechisch-römische Sicht auf Phoeniker, Syrer und Karthager (S. 324-351), Perser bzw. Parther (S. 352-370), das Griechenbild der Römer (S. 371-380) sowie die Vorurteile gegenüber Berg- und Steppenvölkern (S. 406-410), Galliern (S. 411-426), Germanen (S. 427-439) sowie schließlich den Juden (S. 440-491) ausführlich, wenn auch in unterschiedlicher Länge, behandelt. Eine detaillierte Erörterung aller dieser Einzeluntersuchungen würde jedoch allein aufgrund der Fülle des hier zusammengetragenen Materials den Rahmen einer Rezension sprengen. Insgesamt stellt Isaac freilich eine weitaus feindseligere und stärker von negativen Vorurteilen geprägte Einstellung der Griechen bzw. Römer gegenüber den Völkern und Kulturen des Ostens als des Nordens und Westens fest (vgl. S. 426). Im singulären Fall der Juden handele es sich dagegen bei der vielfach bezeugten Antipathie von römischer Seite (griechische Zeugnisse werden hier kaum hinzugezogen) nicht um einen Fall von "Proto-Rassismus", sodass hier auch keine direkten Verbindungen zum modernen Antisemitismus herzustellen seien. Es verwundert freilich, dass in diesem Teil des Buches sowohl eine Einzeluntersuchung der Skythen (trotz der ihnen als exemplarisches Nomadenvolk von Herodot wie Pseudo-Hippokrates zugemessenen Wichtigkeit) als auch der "Aethiopi" fehlt, hätte man doch gerade angesichts des Terminus "Rassismus" eine Behandlung griechisch-römischer Reaktionen auf Menschen schwarzer Hautfarbe erwartet. Dazu werden auch kaum nicht-literarische Quellen zur Unterstützung der Thesen herangezogen (vgl. den zwölfseitigen, kommentierten Abbildungsteil hinter S. 252),3 doch erscheint dies angesichts der Masse des von Isaac bearbeiteten Materials an schriftlichen Quellen verständlich. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis, ein Stellenverzeichnis sowie ein allgemeiner Index schließen das Werk ab.

Benjamin Isaac hat mit seiner neuesten Monografie eine beeindruckende Untersuchung zu ethnisch begründeten Vorurteilen und dem Phänomen der Xenophobie im klassischen Altertum vorgelegt, die durch ihren Materialreichtum und ihre stringente Argumentation besticht. Das von ihm entworfene Gesamtbild eines durchgängigen und damit die klassische Antike prägenden "Proto-Rassismus" kann freilich in der von ihm angestrebten Reichweite nur partiell überzeugen. Eine Übertragung des Rassismus-Begriffes, auch mit dem einschränkenden Präfix, auf die Antike erscheint generell schwierig, findet doch allein der den modernen, biologistischen Rassismustheorien zugrunde liegende Terminus "Rasse"/"race" weder im griechischen ethnos noch im lateinischen Begriff natio eine auch nur annähernd adäquate Entsprechung. Dazu fehlt - angesichts des bereits beträchtlichen Umfanges durchaus verständlich - ein Hinweis auf die alternativen, gleichfalls in der Antike entwickelten und einflussreichen Konzepte zur Erklärung ethnischer und kultureller Differenz. Man muss damit Isaacs Theorie eines antiken "Proto-Rassismus" nicht unbedingt folgen, doch ist dieses anregend und engagiert geschriebene Werk nur mit Gewinn für jeden zu lesen, der sich mit dem Verhältnis unterschiedlicher Völker und Kulturen in der Antike und Rassismus-Theorien im Allgemeinen beschäftigt. "The Invention of Racism in Classical Antiquity" wird die angesprochenen Themenfelder und Diskussionen in der historischen Forschung zweifellos über Jahre hinweg prägen.

Anmerkungen:
1 Aus der neueren, kaum zu überblickenden Literatur zu diesem Themenkomplex vgl. z.B. Priester, Karin, Rassismus. Eine Sozialgeschichte, Leipzig 2003; Frederickson, George M., Rassismus, Ein historischer Abriß, Hamburg 2004 (englische Originalausgabe Princeton 2002) sowie nach wie vor Mosse, George L., Die Geschichte des Rassimus in Europa, Königstein 1978 (mit weiteren Folgeausgaben, englische Originalausgabe New York 1978).
2 Vgl. u.a. Snowden, F.M., Before Color Prejudice. The Ancient View of Blacks, Cambridge 1983; Thompson, L.A., Romans and Blacks, London 1989; Tuplin, Christopher, Greek Racism? Observations on the Character and Limits of Greek Ethnic Prejudice, in: Tsetskhladze, Gocha (Hg.), Ancient Greeks West and East, Leiden 1999, S. 47-75.
3 Vgl. z.B. Cohen, Beth (Hg.), Not the Classical Idea. Athens and the Construction of the Other in Greek Art, Leiden 2000.

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