M. Craciun u.a. (Hgg.): Confessional Identity in East-Central Europe

Cover
Titel
Confessional Identity in East-Central Europe.


Herausgeber
Craciun, Maria; Ghitta, Ovidiu; Murdock, Graeme
Reihe
St. Andrews Studies in Reformation History
Erschienen
Aldershot 2002: Ashgate
Anzahl Seiten
207 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Prof. Dr. Stefan Samerski, Lehrstuhl für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, Ludwig-Maximilians-Universität München Email:

Ostmitteleuropa ist ein unerschöpfliches Terrain. Nicht nur seine politische und gesellschaftliche Pluralität regt immer neue historische Untersuchungen an, sondern vor allem die religiöse Vielfalt und Sonderstellung, die gerade in den letzten Jahren den Fokus der Forschung auf diesen Raum gelenkt hat. Die Reformation beginnt in jenen Ländern nicht erst 1517, sondern bereits mit Jan Hus; zudem mutiert die Region anhaltend seit dem 16. Jahrhundert zu einem von der Politik nicht mehr kontrollierbaren Sammelbecken verschiedenster Konfessionen und Sekten mit z.T. kleinsten Gruppierungen. Zur außerordentlichen Vielfalt tritt also noch ein besonderes Verhältnis von Staat und Religion, das in der Frühneuzeit eine starke Rivalität unter den einzelnen kirchlichen Gemeinschaften ausbildete, da der Landesherr anders als in Westeuropa zur Duldung gezwungen war.

Der Band diskutiert die Bemühungen, konfessionelle Identitäten zu etablieren und fragt nach Erfolg und Misserfolg bei dem Versuch, den sozialen Eliten wie auch der Basis religiöse Ideen zu vermitteln, wie die Einleitung - das erste Kapitel - darlegt. Auf der Grundlage der These, dass wegen der mangelnden staatlichen Unterstützung und starken konfessionellen Konkurrenz in Ostmitteleuropa das selbständige „Buhlen um die Masse“ ein Signum ostmitteleuropäischer Religiosität sei, untersuchen die Autoren das Paradigma „religiöse Literatur“.

Unzweifelhaft profitierte der Protestantismus wesentlich vom Buchdruck, aber auch der Calvinismus, der Zwinglianismus sowie andere protestantischen Bekenntnisse. Nicht zuletzt entdeckte auch die katholische Kirche den Druck als Medium für ihre spezifische Botschaft. Hier waren es vorrangig die Jesuiten römischer Prägung, die zur Formierung einer in der Mitte des 16. Jahrhunderts noch diffusen konfessionellen Identität beitrugen. Aus der reichen Palette der verschiedenen Literaturgattungen wählten die Herausgeber den Katechismus aus, dessen Wirkungen im ostmitteleuropäischen Bereich bis ins 17. Jahrhundert hinein untersucht werden sollte. Diese katechetische Literatur wird vorrangig auf die unterschiedlichen Reformbestrebungen hin abgeklopft (S. 2, 29). Kann jedoch die Untersuchung eines solchen Elitemediums innerhalb einer weit stärker ländlich strukturierten Region wie Ostmitteleuropa (im Gegensatz zu Westeuropa) und seinem großen Analphabetismus Aufschlüsse über religiöse Reformen jenseits gesellschaftlicher Eliten geben? Ist nicht zunächst der Katechismus das „Grundgesetz“ der eigenen religiösen Gruppe und weniger geronnener Reformwille, d.h. geht es hier nicht stärker um Identität als um religiösen Fortschritt?

Thomas Fudge untersucht eingangs einen ganz frühen Katechismus, nämlich den 1501 von Lukas von Prag erstellten der Böhmischen Brüder, der 1522 an Luther übersandt wurde und größtenteils auf hussitische Texte von vor 1414 zurückging. Der Spagat zwischen radikal häretischem Erbe und Anlehnung an den Protestantismus ist unübersehbar. Wie in spätmittelalterlichen Katechismen werden auch hier soziale Aspekte ganz vernachlässigt und eine Konzentration auf das Religiöse erreicht. Krista Zach widmet sich im zweiten Betrag der protestantischen Literatur in Oberungarn und Siebenbürgen. Sowohl die deutschen als auch die seit 1540 in den Landessprachen herausgebrachten Katechismen waren inhaltlich meist „Importprodukte“. Sie enthielten entsprechend neben Glaubenssätzen auch politische Materie, wirkten aber stärker auf sprachliche Standards als durch schriftliche Überzeugungsarbeit auf das Umfeld, denn die deutschsprachigen Gemeinden folgten in der Regel dem Luthertum, während in Ungarn der Calvinismus heimisch wurde. Carmen Florea untersucht im Anschluss den städtischen Kontext der antitrinitarischen Identität (Klausenburg), die Ende des 16. Jahrhunderts das religiöse Leben der Stadt dominierte, während sie im gesamten übrigen Land unter Druck geriet. Dabei spielten Bildungsfragen und lateinische wie ungarische Katechismen eine besondere Rolle, die seit 1580 ein theologisches System entwickelten und wesentlich zur Formierung einer antitrinitarischen Gemeinde beitrugen. Graeme Murdock widmet sich der calvinistischen Katechese und weist nach, dass der übersetzte Heidelberger Katechismus seit 1577 eine beherrschende Position in der reformierten Kirche in Ungarn und Siebenbürgen einnahm. Innerhalb der spartanischen religiösen Kultur der Reformierten musste das Wort eine zentrale Bedeutung bei der Ausformung der reformierten Identität im Lande haben. Maria Cr?ciun zeigt calvinistische Integrationsbestrebungen von Orthodoxen in Siebenbürgen auf. Über rumänische Schulen und Buchproduktion in kyrillischer Schrift ohne breite Polemik erreichte man den Adel, nicht jedoch das Volk. Die katholische Erbauungsliteratur des 17. Jahrhunderts in Siebenbürgen untersucht Csilla Gábor. Nachdem 1566 alle katholischen Verwaltungsstrukturen zusammengebrochen waren, konnten Jesuiten und Franziskaner seit Beginn des 17. Jahrhunderts Seelsorge betreiben und katechetische Eigen- wie Fremdproduktionen in Siebenbürgen einsetzen, die ganz auf polemische Züge verzichteten und das persönliche Glaubensleben der verstreuten Katholiken stimulieren sollten. Einen Blick auf die äußeren Rahmenbedingungen des katholischen Lebens in Siebenbürgen liefert Joachim Bahlcke, der sich hauptsächlich mit der Zeit des 17. und 18. Jahrhunderts beschäftigt. Ovidiu Ghitta wendet sich den ersten griechisch-katholischen Katechismen in Ungarn und Siebenbürgen zu. Nach den beiden Kirchenunionen (1646, 1697) versuchten Vertreter der katholischen Kirche Ungarns, die Griechen über rumänische Katechismen theologisch auf die römische Linie zu bringen. Eine einheitliche Strategie ist dabei nicht zu erkennen, was die noch im 18. Jahrhundert evidenten Schwierigkeiten bei der Identitätsfindung erklären lässt. Pompiliu Teodor widmet sich derselben Thematik, wobei er seinen Schwerpunkt auf die kirchenpolitische Situation dieser Kirche legt. Aus dem geographischen und chronologischen Rahmen fällt der letzte Beitrag von Judith Kalik. Sie schildert den Beitrag des zahlenmäßig sehr starken polnischen Judentums im 18. Jahrhundert für die konfessionelle Identitätsfindung der Katholiken Polens. Die Auseinandersetzung mit den Juden spaltete den polnischen Klerus in zwei Lager, eine traditionalistische und eine projüdisch-liberale.

Insgesamt zeigen die interessanten Beiträge die multikonfessionelle Situation in Siebenbürgen auf, die stärker von wechselseitigen Interdependenzen im interreligiösen Bereich geprägt war als von politischen Implikationen. Die von den Herausgebern anvisierten Einsichten in das Rezeptionsverhalten und in die Reaktion von Kirchenvolk und niederem Klerus sind beim derzeitigen Forschungsstand noch nicht zu erwarten.

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