Thomas of Marlborough: History of the Abbey of Evesham

Titel
Thomas of Marlborough. History of the Abbey of Evesham


Autor(en)
Sayers, Jane; Watkiss, Leslie
Reihe
Oxford Medieval Texts
Erschienen
Anzahl Seiten
LXXXIX, 597 S.
Preis
€ 135,88
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harald Müller, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Genau 140 Jahre nachdem Willam Dunn Macray in der ‚Rolls Series’ die Chronik der mittelenglischen Benediktinerabtei Evesham in maßgeblicher Edition vorlegte ist nun eine kritische Neuausgabe dieses Textes erschienen. Man kann mit gutem Grund nach der Notwendigkeit fragen, eine Quelle erneut zu publizieren, für die seither neue Textzeugnisse ebenso wenig aufgetaucht sind wie ernsthafte Zweifel an der Zuverlässigkeit der alten Ausgabe. Im Gegenteil, die beiden Herausgeberinnen stellen ihrem Vorgänger das bestmögliche Zeugnis aus: sorgfältig in der Texterstellung und präzise in der Annotation (S. lxxxixf.).1 Die erfolgreiche Anwendung neuer technischer Verfahren in sporadischen Grenzfällen der Lesbarkeit vermag den Aufwand dieser von Grund auf neu erarbeiteten Edition kaum zu rechtfertigen, auch nicht die Einbeziehung der Marginalien und die Neufassung des Titels, in dem das gewohnte chronicon der sachlich zutreffenderen historia weichen musste. Der wesentliche Mehrwert liegt vorrangig in der Übersetzung – gemäß den Gepflogenheiten der ‚Oxford Medieval Texts’ stehen sich lateinischer und englischer Text auf einer Doppelseite gegenüber – und in der eingehenden Kommentierung.

Dies gering zu schätzen, wäre falsch, denn der Titel des Werkes ist treffend und irreführend zugleich. Thomas of Marlborough verfasste zwar in den 1230er-Jahren eine Geschichte der Abtei, der er von 1229 bis 1236 als Abt vorstand, doch wäre diese Geschichte ebenso unspektakulär wie das unweit von Worcester gelegene Kloster selbst, berichtete der Benediktiner darin nicht ausführlich über den Kampf der Mönche um die Exemtion von der bischöflichen Gerichtsbarkeit. Thomas ist in diesem Rechtsstreit, der 1202-1206 schließlich vor dem Gericht Papst Innocenz’ III. in Rom ausgefochten wurde, Prokurator der Abtei und sachkundiger Chronist zugleich. Er liefert die detaillierteste und glaubhafteste Augenzeugenschilderung aus der Formierungsphase der päpstlichen audientia.2

Thomas of Marlborough schickt der Geschichte Eveshams die miracula sancti Ecgwini, des Klostergründers und einstigen Bischofs von Worcester, aus der Feder des Priors Dominic (Anfang 12. Jahrhundert) in zwei separaten Büchern voraus. Im dritten entwickelt er das Schicksal der Benediktinerabtei von ihrer Gründung im frühen 8. Jahrhundert bis zu seinem Tod am 12. September 1236. In den Text sind zahlreiche Urkunden eingefügt, die zum Teil authentisch, aber anderweitig nicht mehr erhalten, zum Teil gefälscht sind. Sie spielen insbesondere im Exemtionsstreit mit dem Bischof von Worcester eine zentrale Rolle.

Erwartungsgemäß gewinnt die Darstellung mit dem Zeitpunkt Tiefenschärfe und Lebendigkeit, von dem an der Chronist Augenzeuge des Geschehens war. Die Mönche opponieren gegen ihren zügellosen Abt Roger Norreis, können aber die Hilfe des reformeifrigen Diözesanbischofs Mauger von Worcester in Form der Visitation und der zu erwartenden Absetzung ihres Vorstehers nicht akzeptieren. Denn dabei liefen sie Gefahr, die zumindest prätendierte Unabhängigkeit ihres Klosters von der bischöflichen Jurisdiktion zu verlieren; nur die Appellation an den Papst kann aus dieser Zwickmühle helfen. Der daraus sich entwickelnde langjährige Rechtsstreit an der Kurie um die Exemtion der Abtei und der ihr zugehörigen Kirchen wird von Thomas mit juristischem Sachverstand, sensiblem Gespür für die Eigenheiten des päpstlichen Hofes und amüsanten Einwürfen erzählt. Es ist vor allem dieser Blick auf die Verfahrensweisen des päpstlichen Gerichts, auf die Eitelkeiten der Kurialen, auf das Gehabe der Advokaten, auf die Unkenntnis der Kardinäle in Sachen Urkundenfälschungen und nicht zuletzt auf die Prozesstaktik der Kontrahenten, der den Bericht so aufschlussreich und in Teilen gar zu einem Lesevergnügen macht. Wo sonst könnte man ein päpstliches Bonmot wie das Innocenz’ III. nachlesen, die englischen Kanonisten bezögen ihre juristische Inspiration vor allem aus dem Genuss insularen Bieres?3

Ist schon die Bereitstellung des Textes im Original und in englischer Sprache uneingeschränkt zu begrüßen – eine vollständige Übersetzung existierte bislang nicht –, so verdient es die souveräne Kommentierung, eigens hervorgehoben zu werden. Jane E. Sayers, einer mittlerweile emeritierten Professorin am University College London und ausgewiesenen Kennerin der Überlieferung Eveshams wie der päpstlichen Gerichtsbarkeit im 13. Jahrhundert,4 ist es gelungen, die mitunter komplexen juristischen Sachverhalte zu erläutern, ohne den Apparat unter dem Ballast einer überreichen Fachliteratur zu ersticken, die sich des illustrativen „Evesham case“ nur zu gerne in Versatzstücken bediente. Der Kommentar bleibt zudem angenehm unaufdringlich und beschränkt sich auf prägnante Sachinformation. Dadurch können die erzählenden und erklärenden Passagen Marlboroughs ihre ganze Kraft entfalten. Die Übersetzung ist zuverlässig und terminologisch präzise. Der vom Verfasser mehrfach für päpstliche Privilegien benutze Begriff indulgentia etwa wird sachlich zutreffend mit ‚indult’ wiedergegeben, nicht mit der wörtlichen Entsprechung ‚indulgence’, die im Lateinischen wie im Englischen den Ablass im technischen Sinne meint.

Die Neuausgabe bietet ferner umfangreiche Information zu Leben und Werk des Verfassers und zur Abtei. Handschrift und Entstehungsgeschichte der History of Evesham werden von Teresa Webber eingehend vorgestellt. Ihr sind Analysen flankierender Zeugnisse sowie Bemerkungen zur Chronologie der Ereignisse und zur Verlässlichkeit der Quelle an die Seite gestellt. Ein Anhang vereint weitere Zeugnisse: eine Darlehensquittung von Prokuratoren des Klosters (1205 Dez. 19); consuetudines der Abtei, die 1206 durch einen päpstlichen Legaten bestätigt wurden; einen Brief Abt Reginalds an Gilbert Foliot, Bischof von Gloucester, über Konflikte zwischen dem Bischof Worcester und Evesham; eine Urkunde von 1233, in der Abt Thomas und der Konvent die jährliche Visitation durch den Erzbischof von Canterbury anerkennen; eine Übersicht über die Stärke des Konvents. Zitatindizes und ein Gesamtindex erschließen den Band zuverlässig und detailliert, doch wünschte man sich hier durchaus noch mehr Begriffe aus dem Bereich des Kirchenrechts. Lemmata wie ‚interdict’ und sogar ‚mitred abbot’ sind verzeichnet, dagegen sucht man beispielsweise ‚appeal’ und ‚prescription’ vergebens.

Mit der vorliegenden Edition ist die Geschichte der Abtei und vor allem die Schilderung und Dokumentation des Exemtionsprozesses nun auch für Leser zugänglich, die sich weniger sicher im Lateinischen bewegen als dies für die Benutzer der ‚Rolls Series’ im 19. Jahrhundert anzunehmen ist; dennoch bleibt die Möglichkeit zur Kontrolle am Original erhalten. Die nun einfachere Lektüre lohnt allemal. Einen plastischeren und zuverlässiger geführten Quellen-Einstieg in die Welt des Prozessierens vor dem päpstlichen Gericht um 1200 und in eine Fülle kirchenrechtlicher Themen wird man kaum finden. Mit den Worten der Herausgeberinnen: Es ist ein „unique text“ (S. lxxx). Die Neuausgabe trägt zu dessen besserem Verständnis erheblich bei und sollte auch in deutschen Universitätsbibliotheken nicht fehlen.

Anmerkungen:
1 Macray, William Dunn (Hg.), Chronicon abbatiae de Evesham, London 1863.
2 Deutlich unpräziser: Brewer, John Sherren, Giraldus Cambrensis im Streit mit Erzbischof Hubert von Canterbury 1199-1203: Giraldus Cambrensis, London 1863, S. 101-373. Vgl. dazu Spaethen, M., Giraldus Cambrensis und Thomas von Evesham über die von ihnen an der Kurie geführten Prozesse, Neues Archiv 31 (1906), S. 597-649. Aus früherer Zeit: Müller, Ernst, Der Bericht des Abtes Hariulf von Oudenburg über seine Prozeßverhandlungen an der römischen Kurie im Jahre 1141, Neues Archiv 48 (1930), S. 97-115 (mit Edition).
3 S. 354: Certe tu et magistri tui multum bibistis de ceruisia Anglicana quando hec didicistis (als Reaktion auf die Ansicht eines Prozessvertreters, gegen bischöfliche Rechte könne keine Verjährung ins Feld geführt werden).
4 Vgl. etwa Sayers, Jane E., ‘Original’, Cartulary and Chronicle: The Case of the Abbey of Evesham, in: Fälschungen im Mittelalter. Internationaler Kongreß der Monumenta Germaniae Historica, München, 16.-19. September 1986, Bd. 4, Hannover 1988, S. 371-395; Dies., Papal Judges Delegate in the Province of Canterbury. A Study in Ecclesiastical Jurisdiction and Administration, Oxford 1971 (ND 1997); Dies., Original Papal Documents in England and Wales from the Accession of the Pope Innocent III to the Death of Pope Benedict XI (1198-1304), Oxford 1999; Dies., The Court of Audientia litterarum contradictarum revisited, in: Forschungen zur Reichs-, Papst- und Landesgeschichte; Borchardt, Karl; Bünz, Enno, Peter Herde zum 65. Geburtstag von Freunden, Schülern und Kollegen dargebracht, Teil I, Stuttgart 1998, S. 411-427.

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