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Titel
To Form a More Perfect Union. A New Economic Interpretation of the United States Constitution


Autor(en)
McGuire, Robert A.
Erschienen
Anzahl Seiten
395 S.
Preis
$ 39.95/£ 25.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Georg Schild, Seminar für Zeitgeschichte, Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Vor neunzig Jahren hat der amerikanische Historiker Charles Beard mit einer Interpretation der Ursprungsgeschichte der amerikanischen Verfassung, die wirtschaftliche Gesichtspunkte in den Mittelpunkt stellte, eine heftige Kontroverse unter den Geschichtswissenschaftlern und Publizisten seines Landes ausgelöst 1. Nicht hehre republikanische oder demokratische Prinzipien hätten die Verfassungsgeber in Philadelphia im Jahre 1787 inspiriert, sondern ein wirtschaftliches Eigeninteresse. Die Delegierten des Verfassungskonvents seien überwiegend wohlhabend gewesen und hätten vielfach Schuldtitel („public securites“) aus der Zeit des Revolutionskrieges besessen. Ziel der Verfassungsgeber sei es gewesen, die bestehenden Konföderationsartikel zugunsten einer neuen Verfassung aufzugeben, um so eine starke Zentralregierung zu schaffen, die die Schulden aus der Revolutionszeit anerkennen und begleichen würde. „The government under the Articles of Confederation was not paying the interest on its debt”, so Beard. “The advantage of a strong national government that could discharge this debt at face value is obvious; and it was fully understood at the time“ (Beard, S. 32-3).

Im Vergleich zur damals vorherrschenden Verfassungsinterpretation etwa George Bancrofts 2, der in der amerikanischen Geschichte nicht weniger als das Werk der Vorsehung erblickte, war Beards Ansatz (konter-)revolutionär. Die US-Verfassung erschien als Werk einer kleinen oligarchischen und finanzaristokratischen Gruppierung, die die demokratischen Errungenschaften der Unabhängigkeitserklärung zugunsten eigener Interessen zurücknahm.

Beards Untersuchung traf sofort auf Ablehnung seitens konservativer Publizisten, einschließlich des ehemaligen amerikanischen Präsidenten William Howard Taft. Auch Nicholas Murray Butler, der Präsident der New Yorker Columbia Universität, an der Beard unterrichtete, verurteilte das Buch. Im Klima der progressiven Reformen zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es jedoch auch Stimmen, die Beards Beitrag zur ökonomischen und verfassungsrechtlichen Diskussion in Amerika begrüßten.

In der Phase der ideologischen Auseinandersetzung Amerikas mit dem Kommunismus nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs setzte sich die geschichtswissenschaftliche Debatte über das Werk Beards fort. Historiker wie Robert E. Brown und Forrest McDonald wiesen die Behauptung zurück, das Amerika des späten 18. Jahrhunderts sei nicht demokratisch gewesen. Gleichzeitig zweifelten sie Beards statistische Daten über den persönlichen Reichtum der Mitglieder der Verfassunggebenden Versammlung an.3 Seit den späten sechziger Jahren schließlich ist der wirtschaftliche Aspekt der Verfassungsgebung mehr und mehr zugunsten einer Betonung republikanischer Vorstellungen der Gründerväter in den Hintergrund getreten.4

Robert McGuires „neue ökonomische Interpretation“ -- so der Untertitel des Buches -- muss vor dem Hintergrund der hier skizzierten Diskussion über den geistesgeschichtlichen Ursprung der Verfassung gesehen werden. McGuire, Wirtschaftswissenschaftler und Historiker an der University of Akron, geht es darum, den ökonomischen Interpretationsansatz wieder zu beleben, indem er den Thesen Beards einen neuen, komplexen methodischen Ansatz gibt. Für McGuire steht ein persönliches wirtschaftliches Interesse der Delegierten in Philadelphia an der Verabschiedung der Verfassung außer Zweifel. Anders als Beard will er dies jedoch erstens nicht als Kritik an den Verfassungsvätern verstanden wissen, sondern als Anerkennung einer Tatsache, dass allgegenwärtige ökonomische Interessen auch bei der Schaffung der US-Verfassung eine Rolle gespielt haben (S. 34). Zweitens behauptet McGuire nicht, dass unmittelbare wirtschaftliche Interessen in jedem Fall ausschließlich ursächlich waren für das Abstimmungsverhalten der Delegierten während der Versammlung. Stattdessen geht es dem Verfasser um eine statistisch nachweisbare Übereinstimmung (positive Korrelation) zwischen Wirtschaftsinteressen und Abstimmungsverhalten.

An der Verfassunggebenden Versammlung, die im Frühjahr und Sommer 1787 in Philadelphia tagte, waren insgesamt 55 Delegierte aus 12 Staaten (Rhode Island hatte keine Repräsentanten ernannt) beteiligt. Diese überschaubare Zahl an Personen hat sowohl Vor- als auch Nachteile für McGuires Untersuchung. Der Vorteil liegt darin, dass er die wirtschaftlichen Interessenlagen jedes einzelnen Mitgliedes, die sich aus seinem Beruf und aus seinen finanziellen Investitionen ergeben, recht genau betrachten und einordnen kann. Der Nachteil der kleinen Zahl liegt darin, dass sie für verallgemeinernde quantifizierende Analysen zu begrenzt ist. Das wird deutlich, wenn man die Berufe der Delegierten genauer betrachtet. Von den 55 Delegierten fallen nur zwei in McGuires Kategorie „farmer“. Ihr vermeintliches wirtschaftliches Interesse ergibt sich einerseits aus ihrer Tätigkeit. Um jedoch auszuschließen, dass keine anderen, in der Person der beiden Bauern Jacob Broom und William Few liegenden Gründe für ihr konkretes Abstimmungsverhalten verantwortlich waren, müssten in einer statistischen Untersuchung sehr viele Farmer betrachtet und ihr Abstimmungsverhalten verglichen werden. Eine solche Kontrolle der Kriterien ist im Fall der Verfassunggebenden Versammlung wegen der kleine Zahl an Delegierten jedoch nicht möglich.

McGuire entwickelt ein System, um die Wahrscheinlichkeit der positiven Korrelation zwischen Abstimmungsverhalten und Eigeninteresse festzulegen. Dazu bestimmt er zunächst anhand einer Tabelle, die nach Kriterien wie Gläubiger- oder Schuldnerstatus, Zahl der Sklaven, Wohnort, Beruf usw. und fragt nach dem wirtschaftlichen Interesse jedes einzelnen Delegierten an der Verabschiedung der Verfassung und der Schaffung einer starken nationalen Regierung. Der Besitz von „public securities“ und Landbesitz im Westen erhöhten nach Ansicht des Verfassers die Wahrscheinlichkeit einer Unterstützung für die Verfassung. In beiden Fällen konnte davon ausgegangen werden, dass eine starke Zentralregierung die Schulden begleichen bzw. die Entwicklung des Westens vorantreiben werde. Weniger eindeutig erscheint die Position der Sklavenhalter zur Verfassung. Aus ökonomischen Gründen mussten sie einerseits eine starke Zentralregierung fürchten, die von freien Nordstaaten dominiert werden konnte und für sich in Anspruch nahm, in Angelegenheiten der Einzelstaaten hineinzuregieren. Damit drohte ein Verbot der Sklaverei. Andererseits erschien einigen Sklavenhaltern das Verbot der Einfuhr von Sklaven sogar attraktiv, da es den Wert der bereits in Amerika lebenden Sklaven erhöhte (S. 43f.). Für seine Untersuchung geht McGuire jedoch davon aus, dass Sklavenbesitz das Interesse eines Delegierten an der Schaffung einer starken Regierung verringere (S. 44).

Auf Grundlage dieses Kriterienkatalogs untersucht der Verfasser beispielhaft sechs Abstimmungen über einzelne Verfassungsbestimmungen, die zentrale Elemente des zukünftigen Verhältnisses zwischen Bundesregierung und Einzelstaaten betrafen (S. 57). Das Resultat stellt für ihn eine eindeutige positive Korrelation („significant voting patterns related to the economic interests and ideologies of the delegates“, S. 91) zwischen wirtschaftlichem Interesse und Abstimmungsverhalten dar. Die Auswertung statistischer Daten mache deutlich, so McGuire, dass Tätigkeit und finanzielle Interessen das Abstimmungsverhalten der Delegierten während der Verfassunggebenden Versammlung „signifikant“ beeinflusst haben: „the statistical findings [...] indicate that a delegate’s occupation, assets, and wealth did significantly influence his votes during the drafting and ratification of the Constitution“ (S. 209).

Der Aufwand des Verfassers, statistisches Material über die Delegierten von 1787 zusammenzutragen und nach einheitlichen Kriterien auszuwerten ist enorm. Die Leistung des Buches liegt darin, die ökonomische Diskussion über die Verfassungsgebung vorurteilsfrei zu gestalten. Ja, wirtschaftliche Gesichtspunkte haben vermutlich im Denken einer Mehrzahl der Delegierten eine Rolle gespielt. Das heißt jedoch nicht, dass nicht auch andere Überlegungen das Verhalten jedes Einzelnen beeinflusst haben. Damit ist gleichzeitig die Schwäche des Buches beschrieben. Was genau bedeutet die Schlussfolgerung, dass ökonomische Gesichtspunkte die Verfassungsgebung „signifikant beeinflusst“ haben? Dazu kommt die methodische Problematik der Untersuchung einer recht kleinen Gruppe mittels statistischer Methoden. Mit seinen Informationen über die Mitglieder der Verfassunggebenden Versammlung und einem über hundertseitigen Anhang bestehend aus Dokumenten und statistischen Analysen stellt das Buch jedoch einen unschätzbaren Wert für weitere Untersuchungen zum Verfassungskonvent dar.

Anmerkungen:
1 Beard, Charles, An Economic Interpretation of the American Constitution, New York 1913.
2 Bancroft, George, The History of the Constitution of the United States, Boston 1882.
3 Brown, Robert E., Charles Beard and the Constitution, Princeton 1956; McDonald, Forrest, We the People, Chicago 1958.
4 Bailyn, Bernard, The Ideological Origins of the American Revolution, Cambridge 1967; Wood, Gordon S., The Creation of the American Republic 1776-1787, Chapel Hill 1969; Pockock, John G.A., The Machiavellian Moment: Florentine Political Thought and the Atlantic Republican Tradition, Princeton 1975.

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