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Titel
From Jim Crow to Civil Rights. The Supreme Court and the Struggle for Racial Equality


Autor(en)
Klarman, Michael J.
Erschienen
Anzahl Seiten
655 S.
Preis
£22.50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Georg Schild, Seminar für Zeitgeschichte, Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Die Bedeutung der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten für die schwarze Bürgerrechtsbewegung des Landes kann kaum überschätzt werden. Der Supreme Court ist die Institution, die darüber wacht, dass alle Gesetze und Verordnungen mit den Vorstellungen der Verfassung übereinstimmen. In den Jahrzehnten vor dem Bürgerkrieg schloss dies auch Gesetze ein, die die Sklaverei reglementierten. Seit 1865 sind es hingegen Gesetze, die das Zusammenleben von Weißen und Schwarzen auf einer neuen Grundlage organisieren sollen. Die Geschichte der Sklaverei und der Bürgerrechtsbewegung kann vor diesem Hintergrund eindrucksvoll anhand wichtiger Entscheidungen des Gerichts wie „Dred Scott vs. Sandford“ (1857), „Plessy vs. Ferguson“ (1896) und „Brown vs. Board of Education“ (1954) dargestellt werden.

In der Dred Scott-Entscheidung, die einige Jahre vor dem Bürgerkrieg erging, machte der Gerichtshof seine Auffassung deutlich, dass die Institution der Sklaverei mit der Verfassung im Einklang stand. Der Sklave Dred Scott hatte nach dem Tod seines Besitzers seine Freiheit eingeklagt, weil er einige Jahre im freien Norden im damaligen Wisconsin Territorium gelebt hatte. Eine Mehrheit der Richter im Supreme Court wies diese Auslegung zurück. Als Sklave habe Scott erstens kein Klagerecht zugestanden. Aber selbst wenn er Klagerecht besäße, so Chefrichter Robert B. Taney, würde der Aufenthalt im freien Wisconsin Territorium ihn nicht frei machen.

Die Dred Scott-Entscheidung erging in einer emotional aufgeladenen Situation. Norden und Süden waren in der Frage der Sklaverei tief gespalten. Kritiker des Gerichtshofs wiesen darauf hin, dass eine Mehrheit von Richtern, die den Ausschlag für das Urteil gegeben habe, aus dem Süden stamme. Anders als es Taney gewünscht hatte, der die Sklavereifrage mit seinem Richterspruch endgültig entscheiden wollte, verschärfte sich der sektionale Gegensatz in Amerika im Anschluss an das Urteil weiter und trug zum Ausbruch des Bürgerkrieges von 1861 bis 1865 bei.

Nach dem Krieg wurden das Ende der Sklaverei und eine Neufestsetzung der Bürgerrechte in drei Zusätzen zur Verfassung verankert: Der 13. Zusatz verbot Sklaverei, der 14. Zusatz erklärte, dass alle in den USA geborenen Personen Bürger des Landes seien. Kein Einzelstaat dürfe ein Gesetz erlassen, das die Rechte der Bürger begrenze (“abridge the privileges [...] of citizens of the United States”) oder ihnen den gleichen Schutz der Gesetze vorenthalte (“deny to any person [...] the equal protection of the laws”). Der 15. Verfassungszusatz verbot eine Einschränkung des Wahlrechts auf Grund von Rasse oder Hautfarbe. Diese drei Zusätze wurden zwischen 1865 und 1870 in Kraft gesetzt, zu einer Zeit, als sich der amerikanische Kongress intensiv mit den Fragen der Wiedereingliederung der Südstaaten in das Unionsgefüge und der zukünftigen Rechtsstellung der ehemaligen Sklaven befasste.

Eine Generation später schob der Oberste Gerichtshof allen weiteren Integrationsbemühungen einen Riegel vor. In der Entscheidung Plessy vs. Ferguson erklärten die Richter, dass eine Trennung der Rassen („separation of races“) in Eisenbahnwagen, wie sie in den Staaten Florida und Louisiana vorgeschrieben war, so lange rechtmäßig sei, wie die Reisebedingungen für Weiße und Schwarze gleich („equal“) seien. „Separate but equal“ wurde für ein halbes Jahrhundert zum Schlagwort für die Rassenbeziehungen in Amerika.

Liberale Rechtshistoriker nennen Plessy vs. Ferguson zumeist in einem Atemzug mit Dred Scott vs. Sanford als Beispiele einer fehlgeleiteten und politisierten Jurisprudenz, die das Ziel verfolgte, Schwarzen die Rechte der amerikanischen Verfassung -- insbesondere des Schutzes des 14. Verfassungszusatzes -- vorzuenthalten. Michael Klarman, Verfassungsrechtler an der University of Virginia, äußert sich nicht zum Fall Dred Scott. Der Fall Plessy erscheint ihm jedoch von den Richtern korrekt entschieden worden zu sein. Der 14. Verfassungszusatz verbot den Staaten zwar Rechte der Bürger einzuschränken, doch fiel im Verständnis der damaligen Zeit die Rassentrennung („segregation“) eindeutig in die Regelungskompetenz der Staaten. Klarman geht sogar noch einen Schritt weiter. Wenn dem Gericht zur gleichen Zeit ein Fall zur Rassentrennung in öffentlichen Schulen vorgelegt worden wäre, dann hätte es „separate but equal“ mit großer Wahrscheinlichkeit auch in diesem Bereich für verfassungsgemäß erklärt. Als Indiz führt er an, dass der gleiche Kongress, der den 14. Verfassungszusatz verabschiedete, eine Trennung der Rassen an den öffentlichen Schulen des Districts of Columbia -- des Verwaltungsgebietes der Hauptstadt Washington, das dem Kongress unterstand -- ausdrücklich angeordnet habe. „The original understanding of the Fourteenth Amendment plainly permitted school segregation”, so Klarman (S. 26).

Während Rechtshistoriker bislang einen Bruch im Verfassungsverständnis zwischen der Reconstruction-Phase -- deren Ziel es gewesen sei, Schwarze in die Gesellschaft zu integrieren -- und der Plessy-Entscheidung, die die Integration zugunsten der Rassentrennung aufgab, gesehen haben, argumentiert Klarman, dass Plessy im Einklang mit den nach Ende des Bürgerkrieges erlassenen Bestimmungen stand. Der Bruch im Verfassungsverständnis liege später, zwischen Plessy und Brown.

Brown vs. Board of Education gilt als eine der zentralen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes im 20. Jahrhundert. Der Kläger, ein schwarzer Arbeiter namens Oliver Brown, hatte versucht, seine Tochter in einer weißen Schule in Topeka, Kansas, anzumelden. Das war ihm mit Hinweis auf die Bestimmung der Schulbehörde, nach der alle Institutionen nach Rassen getrennt zu sein hätten, verweigert worden. Brown klagte, und das Verfahren nahm seinen Weg durch die Institutionen, um 1952 vor dem Supreme Court verhandelt zu werden.

Klarman zitiert in seinem Buch aus persönlichen Aufzeichnungen einiger der beteiligten Richter. Das Bild, das sich ergibt, ist, dass allen Richtern sofort klar war, dass sie es mit einer Grundsatzentscheidung zu tun hatten, die für Generationen die Rassenbeziehung in Amerika bestimmen würde. Und Klarman macht deutlich, dass sich die Richter sehr schwer taten, zu einem Urteil zu kommen. Verfassungsrechtlich erschien einer Mehrheit der Richter die Rassentrennung auch Mitte der 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts unbedenklich. Chefrichter Fred Vinson etwa erklärte: “Congress has not declared there should be no segregation” (S. 294). Richter Robert H. Jackson fügte hinzu: “Nothing in the history of the 14th amendment [says it’s unconstitutional]. On [the] basis of precedent [I] would have to say segregation is ok” (S. 296). Zu diesen verfassungsrechtlichen Überlegungen kamen politische Bedenken, falls die Rassentrennung in Schulen aufgehoben würde. Es erschien sogar denkbar, dass Städte und Gemeinden im Süden ihre Schulen schließen würden, um einen gemeinsamen Unterricht von weißen und schwarzen Kindern zu verhindern.

Vor diesem Hintergrund muss es überraschen, dass das Gericht am 17. Mai 1954 einstimmig erklärte: “We conclude that in the field of public education the doctrine of ‘separate but equal’ has no place.” Die Rassentrennung im Schulsektor war aufgehoben. Das Gericht begründete seine Entscheidung jedoch nicht verfassungsrechtlich, sondern sozialwissenschaftlich: “Separate educational facilities are inherently unequal.” „Separate but equal“ sei von vorn herein unrealisierbar gewesen. So hätten weiße Schulen über weitaus höhere Budgets und bessere Bedingungen verfügt als schwarze. Diese unausweichliche Schlechterbehandlung wurde zum Ansatzpunkt, eine rechtliche Benachteiligung anzunehmen, die mit dem 14. Verfassungszusatz nicht zu vereinbaren war.

Klarmans These ist, dass der Umschwung in der Meinungsbildung des Obersten Gerichtshofs nicht primär verfassungsrechtlich, sondern politisch und weltanschaulich erklärt werden muss. Ein Jahrzehnt nach dem Ende des Rassenwahns der Nationalsozialisten und inmitten der ideologischen Auseinandersetzung mit der totalitären Sowjetunion sei es undenkbar gewesen, dass das Gericht in Amerika Rassentrennung für verfassungsrechtlich unbedenklich erklären würde. Auch innerhalb der Vereinigten Staaten hätte seit „Plessy“ ein allmähliches Umdenken in der Frage der Rassenbeziehungen eingesetzt.

Die Implikationen der These Klarmans sind zahlreich. So wird erstens die von vielen konservativen Juristen geforderte “original intent” Rechtsprechung des Supreme Court ad absurdum geführt. Viele heutige Fragen lassen sich nicht mehr ausschließlich unter Berufung auf den Verfassungstext beantworten. “This book argues,” so der Verfasser, “that judicial decision making involves a combination of legal and political factors. [...] [S]ome legal questions have fairly clear answers, while others do not. [...] When the law is clear, judges will generally follow it [...] When the law is indeterminate, judges have little choice but to make decisions based on political factors” (S. 5). Zweitens ist es jedoch überraschend, wie sehr der Jurist Klarman die Rolle des Gerichts als historischer Weichensteller minimiert. Es war 1954 keineswegs so, dass die Rassentrennung überall in Amerika als Relikt betrachtet wurde, das problemlos aufgegeben werden konnte. Die Auseinandersetzung um die Integration der Central High School in Little Rock, Arkansas, im Herbst 1957 machte dies deutlich. Im Gegenteil erscheint es, dass sich das Gericht in manchen Fragen wie der Abtreibungsproblematik an die Spitze einer Bewegung gesetzt hat. Der Verdacht bleibt bestehen, dass die Aufhebung der Rassentrennung in Schulen im Süden erst knapp 100 Jahre nach dem Bürgerkrieg betrieben werden konnte, weil die Rassenbeziehungen ein besonders problematisches Kapitel für die USA darstellen und auch die Richter des Supreme Court nicht frei waren von Vorurteilen.

Das Verdienst Klarmans ist es, eine Geschichte der Bürgerrechtsbewegung mit einer Darstellung der Rechtsprechung des Supreme Courts zu verbinden. Herausgekommen ist eine brillante Studie, die auf Jahre hinaus ein Standardwerk über die Rechtsprechung in Bürgerrechtsfällen vom späten 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts bleiben wird.

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