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Titel
The Lost Promise of Patriotism. Debating American Identity, 1890-1920


Autor(en)
Hansen, Jonathan M.
Erschienen
Anzahl Seiten
255 S.
Preis
$ 19.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Georg Schild, Seminar für Zeitgeschichte, Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Der Begriff „Patriotismus“ hat in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg einen zweifelhaften Klang bekommen. Mit einem gewissen Neid blicken deutsche Konservative deshalb nach Amerika, wo nationales Pathos weit verbreitet ist. Kein Baseballspiel beginnt ohne das Abspielen der Nationalhymne. Die Anschläge vom 11. September 2001 und der Irakkrieg haben patriotischen Vorstellungen jenseits des Atlantik weiteren Schub verliehen, die im Anschluss an den Vietnamkrieg auch dort vorübergehend abgenommen hatten. Heute träumt der Country- und Western-Sänger Toby Keith in seinen Songs wieder von Amerikas militärischer Macht und droht allen Feindes des Landes an, „we’ll put a boot in your ass“.

Erschöpft sich „Patriotismus“ jedoch im militärischen Behauptungswillen eines Staates, in der Vorstellung besser zu sein als andere, im Wunsch nach Vernichtung der Feinde und in der Bereitschaft seiner Bürger, sich für ihren Staat zu opfern? An dieser Frage setzt Jonathan M. Hansen, Historiker an der Boston University, in seinem Buch „The Lost Promise of Patriotism“ an. Worum es ihm geht, wird im Untertitel „Debating American Identity, 1890-1920“ deutlich. „1890“ muss dabei als Kodewort für die doppelte Identitätskrise des späten 19. Jahrhunderts verstanden werden. In diese Zeit fiel die vollständige Besiedlung des nordamerikanischen Kontinents („closing of the frontier“) mit ihren weitreichenden psychologischen Folgen. Ohne die unerschlossenen, schier unendlichen Weiten im Westen drohten die USA zu einem typischen europäischen Staat mit allen bekannten sozialen Problemen zu werden. Die zweite Krise war eine Folge der Industrialisierung. Die Machtbalance zwischen Staat und privaten Wirtschaftsinteressen war von den Verfassungsvätern einhundert Jahre zuvor zu einer Zeit geprägt worden, als Unternehmen noch Manufakturen waren, die einen lokalen Markt bedienten. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts entwickelten sich daraus national agierende Unternehmen, die die sozialpolitische Diskussion mit Vorstellungen vom Laissez faire-Kapitalismus dominierten und mit finanziellen Zuwendungen an Parteien politische Macht ausübten.

Amerika erlebte vor dem Hintergrund dieser Krisen um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert eine intensive Diskussion über die zukünftige Außen- und Wirtschaftspolitik, bei der sich expansionistische Politiker wie Theodore Roosevelt hervortaten. Er schlug die Schaffung eines amerikanischen Imperiums jenseits der eigenen Grenzen auf Kuba und den Philippinen sowie auf Guam, Puerto Rico und Hawaii vor. Im Dezember 1899 schrieb Roosevelt, dass es Aufgabe der „mächtigen zivilisierten Rassen, die ihren Kampfesinstinkt noch nicht verloren haben,“ sei, westliche Werte wie Gesetze und Kultur den Barbaren nahe zu bringen. Gleichzeitig sah Roosevelt im Imperialismus einen Weg, traditionelle republikanische Werte wieder zu beleben, die durch den Abschluss der Besiedlung des Kontinents bedroht erschienen. Expansionismus und Patriotismus gingen in dieser Vorstellung Hand in Hand.

Dass nationale Expansion jedoch nicht die einzig mögliche „patriotische“ Reaktion auf die Krisen der Jahrhundertwende war, wird in Hansens Untersuchung über die Beiträge der Philosophen William James und John Dewey, der Sozialreformer Jane Addams, Randolph Bourne und Eugene Debs sowie des Bürgerrechtlers W.E.B. DuBois zur Diskussion über die amerikanische Identität deutlich. Gemeinsam sei diesen Publizisten ein „kosmopolitischer Patriotismus“, so Hansen. Was darunter zu verstehen ist, wurde im Zusammenhang mit den amerikanischen Annexionen in Lateinamerika und Asien in den 1890er-Jahren deutlich. Dieser territoriale Expansionismus wurde von der amerikanischen Bevölkerung begrüßt, obwohl die Unterwerfung fremder Völker nach Auffassung von Kritikern im krassen Gegensatz zu den Prinzipien stand, auf die sich Amerika einstmals gegründet hatte: dem demokratischen Vertretungsrecht aller Bürger, der Chancengleichheit und der Gleichheit vor dem Gesetz. William James beklagte, dass dieser Widerspruch in der öffentlichen Diskussion der 1890er-Jahre nicht ausreichend wahrgenommen werde. Er rief aus „I’ve lost my country“, als er im Februar 1899 von einem amerikanischen Angriff auf philippinische Aufständische erfuhr. Anders als Roosevelt sah James den Konflikt auf den Philippinen nicht als Gegensatz „Kultur – Wildness“, sondern wollte den Filipinos eine eigenständige Entwicklung zubilligen: „Let them work out their own issues,“ so James im Jahre 1894, „we Americans surely do not monopolize all the possible forms of goodness.“

Die Sorge der kosmopolitischen Patrioten ging jedoch über den konkreten Fall der Philippinen hinaus: Wenn sich das imperiale Amerika nicht länger auf seine Gründungprinzipien berief, müsse gefragt werden, welche Ideologie das große und heterogene Land zusammenhalten könne. Die Antwort der kosmopolitischen Patrioten bestand größtenteils aus progressivem Gedankengut, das in dieser Zeit seine Blüte erlebte. So wurde die zunehmende Konzentration des Wohlstandes in den Händen einiger weniger Kapitalisten einhellig kritisiert. Diese Ungleichverteilung sollte zu Gunsten der Beteiligung einer möglichst großen Zahl an Menschen an den gesellschaftlichen Ressourcen des Landes aufgegeben werden: „Far from impinging on individuality, the cosmopolitans asserted, a nation genuinely committed to liberty could marshal the political, economic, and cultural resources required to safeguard individual autonomy fom the illiberal outcomes of a corporate-industrial, mass-market society“ (S. xiv). Der Bürgerrechtler Du Bois kritisierte in seinem Buch „The Souls of Black Folk“, dass nach dem Ende des Bürgerkrieges vier Millionen Schwarze zwar rechtlich frei waren, aber völlig mittellos dastanden. Du Bois verstand Freiheit nicht negativ als Abwesenheit von staatlichen Fesseln, sondern positiv als Maßnahme, um die Entscheidungs- und Bewegungsfreiheit einer Person zu garantieren. „Patriotismus“ war dieser Vorstellung nach der Dienst an der Gemeinschaft amerikanischer Bürger.

Während die kosmopolitischen Patrioten in ihren sozialen Ansichten weitgehend einer Meinung waren, divergierten ihre Antworten auf die Frage nach der Rolle Amerikas in der Welt. Es waren militärische Konflikte, die ihnen in den 1890er-Jahren als Inspiration dienten. Der Erste Weltkrieg bereitete der Bewegung im frühen 20. Jahrhundert hingegen ein Ende. Nicht erst der Versailler Friedensvertrag war für die kosmopolitischen Patrioten eine Enttäuschung. Bereits über die Frage, ob Amerika in den Weltkrieg eintreten sollte, gab es keine Einigkeit. Du Bois unterstützte den Krieg zur Durchsetzung amerikanischer Werte (und in der Hoffnung auf eine Verbesserung der Rassenbeziehungen nach dem Krieg); Eugene Debs lehnte ihn vehement als Verletzung amerikanischer Freiheitsrechte im Interesse des Großkapitals ab.

Hansens Buch ist ein brillant geschriebener und umfangreich dokumentierter Überblick über die Schriften einiger führender US-Intellektueller in einer kritischen Phase der Geschichte des Landes. Er zeigt bei allen Unterschieden zwischen den einzelnen Autoren, wie intensiv die Debatte über "Amerika" -- d.h. über das Selbstverständnis des Landes im Innern und nach Außen -- damals geführt wurde. Eine solch breite intellektuelle Diskussion findet heute, da die USA erneut Krieg führen und ihre Rolle in der Welt neu definieren müssen, nicht statt. Als Hansen in einem Interview gefragt wurde, welcher heutige Politiker den kosmopolitischen Patrioten am nächsten komme, antwortete er: “It’s virtually impossible to point to any major figures, so deaf have we become to patriotism’s potential association with progressive reform.” Heute ist es nicht William James, sondern Toby Keith, der „Patriotismus“ in Amerika definiert.

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